Schon bei der Geburt zum sicheren Scheitern verurteilt
  Die deutsche klassische (dialektische) Philosophie - ein Irrweg
 
 
Nichts ist so absurd, als dass es nicht zuweilen von einigen Philosophen behauptet worden wäre.
 
  Der berühmte römische Politiker, Redner, Anwalt und Philosoph Marcus Tullius Cicero        

Wenn man über linke ökonomische Theorien spricht, kommt man bekanntlich an Marx nicht vorbei. Und wenn man von Marx spricht, kommt man an der deutschen klassischen Philosophie nicht vorbei. Marx hat den letzten Held dieser seltsamen Philosophie, nämlich Hegel, lediglich „vom Kopf auf die Füße“ gestellt, wie er selber zu sagen pflegte. Deshalb kann man seine ökonomische Theorie nicht verstehen, ohne etwas über die deutsche klassische Philosophie zu wissen. Erst dann können wir begreifen, wo die Ursachen des Scheiterns der Idee des „wissenschaftlichen Sozialismus“ liegen. Mehr noch. Aus dieser Philosophie lässt sich entnehmen, warum dieses Scheitern unvermeidbar war und der „wissenschaftliche Sozialismus“ sich folglich nicht reparieren ließ.

Was war nun die deutsche klassische Philosophie? Wir werden im Folgenden sehen, dass sie nur ein Versuch war, die Philosophie von der christlichen Lehre zu emanzipieren. Sein Ergebnis ist jedoch so grotesk und absurd, dass man es sich kaum vorstellen kann. Deshalb bietet es sich an, die christliche Lehre als Bezugspunkt für die Erklärung der deutsche klassische Philosophie und abschließend auch des Marxismus zu nehmen.

Um die Einzigartigkeit der deutschen klassischen Philosophie hervorzuheben, vergleichen wir sie mit der angelsächsischen Philosophie. In dieser Philosophie geht man stillschweigend davon aus, dass Gott sich nicht in die Angelegenheiten der Natur einmischt. Gott sah, dass alles „sehr gut war“, was er in sechs Tagen geschaffen hat, und danach zog er sich sozusagen zurück. Der Mensch soll sehen, wie er alleine auf der Erde zurecht kommt. Die Natur wird sozusagen aus der Gotteswelt ausgegliedert: säkularisiert. Dies bedeutet zugleich, dass die Natur in ihrer Erschaffung nicht gleich, nicht einmal ähnlich dem ist, wie die geistige Welt des Gottes - das Jenseits - aussieht. Folglich ist es Wissenschaften erlaubt zu tun und zu lassen, wie es ihnen gefällt. Technischer Fortschritt lässt sich also mit der christlichen Lehre problemlos vereinbaren. Diese Position ist aber nicht so ohne weiteres vereinbar mit dem Anspruch der Kirche über weltliche Dinge, also über Mensch und Gesellschaft zu walten, so wie es sich die katholische Kirche früher vorgestellt hat. Deshalb verwundert es nicht, dass die dem Mittelalter entstammende Inquisition bis in die Neuzeit in katholischen Ländern Zentral- und Südeuropas gewütet hat, während sie Ländern wie England kaum bekannt war.

Eine konsequente Trennung von Geist und Materie in der angelsächsischen Philosophie hat auch eine besondere Mentalität hervorgebracht, die wir bei Adam Smith, dem Vater der Marktwirtschaft, in einer besonders ausgeprägten Form vorfinden. Bevor er zum Ökonomen geworden ist, hatte er sich nämlich ausschließlich der Ethik gewidmet, und diese hat auch später im Mittelpunkt seiner Interessen gestanden. Obwohl die Ethik eine Domäne ist, welche die Religion traditionell für sich beansprucht, bediente er sich in seiner Ethik keiner „Gottes“-Argumente. Trotzdem war er ein tief religiöser Mensch. Sein Bezug zu Gott galt für ihn als eine rein persönliche und private Angelegenheit, die niemanden etwas anging. Er hat sie dermaßen persönlich und privat gehalten, dass er zeitweilig sogar des Atheismus bezichtigt wurde. (Was ihn nicht besonders gekümmert hat.)

Und nun kehren wir zurück auf den Kontinent, nach Deutschland, in die Zeit nach Kant. Diese Zeit hat drei sehr berühmte Namen hervorgebracht: Johann G. Fichte (1762-1814), Friedrich W. J. Schelling (1775-1854) und Georg W. F. Hegel (1770-1831). In der angelsächsische Philosophie, wie eben hervorgehoben, schwebt der Geist frei über der Natur und mischt sich nicht ein. So etwas wäre für einen deutschen Philosophen völlig unvorstellbar. Er wäre nie zufrieden, wenn er nicht alles - den Himmel und die Erde - restlos auf eine einzige gemeinsame Formel gebracht hat. Das Eine soll in allem und alles in Einem sein. Was für eine Anmaßung! Wenn man bedenkt, wie berühmt und geehrt die benannten Philosophen ihrer Zeit waren (der später dazugekommene Marx erst posthum, aber dann umso mehr), würde man meinen, sie haben solch originelle Ideen hervorbringen müssen, wie es in der ganzen Menschheitsgeschichte nur selten der Fall war. In Wahrheit kann man sich heute nur wundern und mit dem Kopf schüttern, wie fantasiearm sie waren. Ob sie es sich bewusst waren oder nicht, stammten doch all ihre Denkmuster von der christlichen Eschatologie ab. Sie haben diese nur modisch gekleidet. Deshalb ist es angebracht, diese Philosophie in Bezug zur christlichen Lehre zu erklären.

Das vorliegende Bild zeigt den Weg des Menschen zu seiner Vollendung im Reich Gottes, so wie es die christliche Lehre verkündet - ihre Eschatologie. Dieses Bild ist offensichtlich eine äußerst einfache Darstellung dieser Lehre, aber es reicht schon völlig aus, das Wichtigste davon zu verstehen, was die deutschen klassischen Philosophen eingerichtet haben.

Unschuldige Unwissenheit
( Das ursprüngliche Paradies )
Kampf zwischen Gut und Böse
( Die biologische Existenz )
Eritis sicut Dei
( Eins mit Gott zu sein )

Alles hat ein Ende: Die Geschichte sogar ein Happy-End

Bekanntlich hat die Moderne nicht in Deutschland begonnen. Deutschland war stets nur ein Nachzügler und Nachahmer. Dies gilt auch für den vielleicht wichtigsten Begriff der Moderne: Freiheit. Was sich in England schon als politisches und ökonomisches System etablierte, das System der Freiheit, musste erst über philosophische Umwege in die deutschen Köpfe hinein. So fiel es Fichte ein, dass das Paradies bzw. das Ende der geschichtlichen Entwicklung ein Zustand der uneingeschränkten Freiheit sein sollte. Die Geschichte sollte also ein ständiger „Fortschritt des Freiheitsbewußtseins“ sein. Im ähnlichen Sinne äußern sich später auch Schelling und Hegel. Für den ersten ist die „Freiheit der Anfang und das Ende aller Philosophie“ und für den zweiten ist die „Weltgeschichte der Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit“. Marx spricht vom „Reich der Freiheit“. (Bereits der Ausdruck assoziiert das Gottesreich.) Warum das Happy-End der Geschichte dem Menschen gerade die Freiheit bescheren soll, hat keiner von diesen Philosophen als nötig gesehen zu erklären. Da hatten sie einfach Glück. Der Zeitgeist hat dies nicht verlangt. Die Philosophen konnten also Fragen in dieser Richtung unter den Teppich kehren und alle waren rundum zufrieden.

Der Zeitgeist hat damals bekanntlich nicht nur die Freiheit, sondern auch das Individuum in den Vordergrund gerückt. Folglich konnten auch die deutschen Philosophen das Individuum nicht außen vor lassen. Allerdings war dies für sie alles andere als ein kleines Problem. Wenn nämlich am Ende der Geschichte jeder alle Freiheiten genießen würde, dann würde jeder genauso vollkommen sein wie der andere. Was soll dann an solchen Menschen individuell sein? Da fiel Fichte ein, die Gesamtheit aller Menschen mit dem Wort „Ich“ zu bezeichnen. Nun ist „Ich“ und „Gesellschaft“ in seiner Sprache ein und dasselbe. So beginnt in der deutschen Philosophie die fürchterliche Verunstaltung der philosophischen Sprache, indem einem Wort zugleich auch die Bedeutung zugewiesen wird, die normalerweise als ihr Gegenteil gilt. Hier erinnert man sich zurecht an „Neusprech“ („Newspeak“) in Orwells bekannten Roman 1984:

KRIEG BEDEUTET FRIEDEN
      FREIHEIT IST SKLAVEREI
      UNWISSENHEIT IST STÄRKE

Was für einen Naturwissenschaftler der höchste Unsinn ist, dass nämlich etwas zugleich ist und nicht-ist, erhebt der deutsche Philosoph zur höchsten Vernunft: zur dialektischen Wahrheit Mit Fichte beginnt also die deutsche Philosophie sich mit Meilenschritten von den empirischen Wissenschaften zu entfernten, obwohl ihr nichts mehr am Herzen lag, als eine neue universelle Wissenschaft zu werden.

Bemerkung: Es könnte sein, dass ein dummer Zufall den Weg der deutschen Philosophie wesentlich mitbestimmt hat. Man kann sich nämlich mit gutem Grund vorstellen, dass Fichte nur ein großer Irrtum der deutschen Philosophie war. Als nämlich ein Verlag das erste Buch von Fichte versehentlich ohne Nennung der Verfassers veröffentlichte (Versuch einer Kritik aller Offenbarung), haben Kants Epigonen dahinter Kant entdeckt. Kant hat sich von diesem Buch zwar sehr schnell distanziert, aber was blieb den „Experten“ dann übrig, um ihr Gesicht zu wahren? Sie konnten die „Großartigkeit“ dieses Werkes nicht auf einmal anzweifeln. Fichte musste als Verfasser eines Buches bleiben, das Kants würdig gewesen wäre.

Damit die logischen Absurditäten der Philosophie, die mit Fichte begonnen haben, nicht sofort ins Auge stechen, ist der deutsche Philosoph bemüht, die ganze Sprache und ihre Gewohnheiten zu ändern, so dass ihn keiner „richtig“ versteht. Möglicherweise weiß er selber nicht, was er meint, wenn er über etwas spricht. Aber bleiben wir noch einen Augenblick bei der Freiheit - diesem Dogma der Moderne.

Warum die Geschichte uns gerade mit der Freiheit beglücken will, weiß der moderne Mensch nicht und - dem Eindruck kann man sich nur schwer entziehen - ganz genau will er dies auch nicht wissen. Auch die Philosophen fanden es folglich nicht für notwendig, es uns zu erklären. Aber lassen wir es sein. Es wäre aber nicht zu viel von ihnen verlangt gewesen, wenn sie uns zumindest etwas Konkretes über das Reich der Freiheit - ansatzweise und ungefähr - gesagt hätten. Wir können ahnen, warum sie es doch nicht getan haben. Sie hatten ein großes Problem damit. Wie frei kann nämlich der Mensch schon sein, wenn er in einer Natur existiert, die kausal und deterministisch ist - wie wir sie aus der tagtäglichen Erfahrung und den Naturwissenschaften kennen?

Die Natur war eigentlich schon immer ein riesiges Problem für jeden Philosophen, der in seiner Lehre die Freiheit aufgenommen hat. Sie hat bekanntlich ihre unerbittlichen Gesetze und Regeln, die sich nicht ändern lassen - sie ist (hauptsächlich) deterministisch und kausal. Als solche ist sie im Prinzip geradezu ein Gegensatz zur Freiheit. Wie versöhnt man nun die Freiheit mit der Natur? Da fällt Fichte wieder eine rettende Idee ein: Was uns als Natur erscheint, die Gesamtheit der Dinge, die uns umgeben, existiert in Wahrheit nicht. Die Natur ist ganz und gar unsere (freie) Schöpfung. Die Tatsachen sind im echten Sinne des Wortes Tat-Sachen. Sie sind das, was wir in der „Bewusstheit der Freiheit“ - aus freien Stücken - geschaffen haben. Die Natur kann uns also weder beschränken noch verhindern. Sie lässt sich beliebig formen und gestalten. So sagt er: „Tätigkeit und Leiden des Ich sind Eins und Ebendasselbe.“ Als Hegel gefragt wurde, was dann, wenn sich die Tatsachen unserem freien Willen doch nicht fügen wollten - so wie es sich der Philosoph vorstellt -, entgegnete er: „Desto schlimmer für die Tatsachen“. Marx schlägt in die gleiche Kerbe: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern.“ In der Tat eine sehr merkwürdige Auffassung. Das darf doch nicht ernst gemeint sein!- würde man fast meinen. Ist es aber. Und diesen Unfug nennt Fichte Wissenschaftslehre, Schelling Naturphilosophie, Hegel „absolute Wissenschaft“ und Marx „wissenschaftlicher Sozialismus“. So viel „Wissenschaft“ gab es in der Philosophie noch nie.

Eins nach dem Anderen: Überspringen verboten!

Ein weiteres wichtiges Merkmal der christlichen Eschatologie besteht darin, dass die Entwicklung mehrere - genau gesagt drei - Stadien hat, die eine bestimmte Reihenfolge haben. Fichte, weil er seine Philosophie nicht gänzlich von der christlichen Lehre trennen wollte (bzw. konnte), hat diese Stadien sozusagen im Hintergrund gelassen. (Auch eine Art, sich eines lästigen Problems zu erledigen.) Schelling aber beginnt die Philosophie richtig zu säkularisieren und die Stadien der historischen Entwicklung anders zu strukturieren. Außerdem konnte er die Natur nicht einfach so, wie noch Fichte vor ihm, mit einem freiheitlichen Pathos vom Tisch wischen. Die Fortschritte der Naturwissenschaften seiner Zeit würden dies nicht mehr zulassen. So akzeptiert Schelling die Natur so wie sie ist, als kausal und deterministisch, und macht aus ihr die Vorstufe der geschichtlichen Entwicklung. Die Natur bedeute also die Existenz des Geistes, solange er noch „unfrei“ ist. Dieser Geist überschreitet dann die Natur und bringt zugleich das, was schon in der Natur angelegt ist, zur Vollendung. Die historische Entwicklung der Wirklichkeit verläuft also duch zwei Stufen: zuerst kommt das bewusstlose Stadium der Natur und dann das bewusste Stadium des menschlichen Geistes. Was ist diese Spekulation wert?

Nichts. Es stimmt, die Natur existierte früher als die Spezies Mensch, mit seinem freien Willen, danach ist sie aber nicht verschwunden oder zu einer völlig anderen Natur geworden. Sie ist immer noch kausal und deterministisch geblieben und mit der Freiheit unvereinbar. Aber lassen wir es. An dieser Stelle ist es für uns wichtig festzustellen, dass Schelling die Geschichte richtig in Bewegung setzte. Ihm ist es gelungen zwei Stufen der geschichtlichen Entwicklung fertig zu bringen. Dies ist zwar nicht viel, zwei ist nur ein Minimum, aber der Anfang ist geschaffen. Dann kommt der richtige Meister, der Zerstückelungszauberer der Geschichte: Hegel. Weil die einzelnen sukzessiven Entwicklungsstadien, so wie er sie sich ausgedacht hat, den realen Stadien der kulturellen Entwicklung nicht entsprechen, erwähnen wir sie nur beiläufig.

Die historische Odyssee des Geistes nach Hegel beginnt mit dem natürlichen und gewöhnlichen Bewußtseins des Individuums, dann geht es weiter über das Selbstbewußtsein, die Vernunft, den Geist und die Religion zum absoluten Wissen, in dem der Zweck der Welt vollendet wird. Seine komplizierte dialektische Technik oder Methode, die Geschichte zu zerlegen, hat sich bekanntlich sein Schüler Marx zu Nutze gemacht. Worin besteht diese Methode?

Wie erinnern uns, dass es in der christlichen Eschatologie drei, voneinander scharf abgegrenzte Stadien, gibt. Wie gelingt man von einem ins andere? Das erste Stadium endet nach einem äußerst peinlichen Zerwürfnis mit Gott, wonach die ersten Menschen aus dem Paradies rausgeschmissen worden sind. Erst recht katastrophal wird der Übergang vom zweiten ins dritte Stadium sein: die Apokalypse und das jüngste Gericht. In diesem Muster des verhängnisvollen Übergangs von einem ins andere Stadium meinte Hegel dialektische Gesetze der Weltgeschichte entdeckt zu haben. Nach dieser seiner Auffassung, je länger ein geschichtliches Stadium dauert, desto heftiger wird es durch innere Konflikte zerrissen und zerrieben. Irgendwann „entfremdet“ sich dieses Stadium der Geschichte von sich selbst (Negation); es entsteht ein Kampf zwischen dem, was es noch ist, aber zugleich was es nicht mehr ist. Das Bestehende ist damit zugleich existent („ist“ bzw. die „These“) aber auch nicht mehr existent („nicht-ist“ bzw. die „Antithese“). Folglich wird das Bestehende durch innere Konflikte in Stücke zerrissen, wonach es einem Phönix ähnlich, aus der eigenen Asche, in einer neuen historischen Konstellation auftaucht (Synthese). Die neue nachfolgende Entwicklungsstufe hat also die vorige negiert, diese wird aber von der nächsten ebenfalls negiert. Und so schreitet die Geschichte durch ständige „Negation der Negation“ voran. „Nicht das Leben, das sich vor dem Tode scheut und von der Verwüstung rein bewahrt, sondern das ihn erträgt und in ihm sich erhält, ist das Leben des Geistes“ - so der immer wieder zitierte Satz aus der Phänomenologie des Geistes (1807).

Kein Wunder, dass Hegel gern die Geschichte als Schlachthof bezeichnet. Der Geist kämpft in seiner unendlichen Odyssee nicht für irgendeinen Frieden, nein, er kämpft immer für den nächsten Krieg. Gar nicht zu unrecht wird Hegel als Philosoph des deutschen Militarismus bezeichnet. Marx deutet die Kriege einfach in soziale Revolutionen um, und kommt zu seinem bekannten Schema:

Naturzustand Sklaventum Feudalismus Kapitalismus Komunismus

Keine halben Sachen: Gar nichts bleibt wie es einmal war

Wenn man über die christliche Eschatologie nachdenkt, lässt sich feststellen, dass der Mensch in jeder der drei Entwicklungsstufen ein völlig anderes Wesen ist. Zuerst ist er kindlich, unschuldig und ahnungslos, er weiß nicht einmal was Gut und Böse ist; dann erschöpft sich seine ganze Existenz in der Anstrengung, dem Guten zu dienen und das Böse zu vermeiden; in der letzten Stufe ist er von jeglichen praktischen Pflichten und innerer Zerrissenheit befreit. Wir haben es also immer mit einem völlig neuen Wesen zu tun. Aber nicht nur das. Der Mensch, der sich auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe befindet, kann sich nicht die geringste Vorstellung darüber machen, wie es auf der nächsten Stufe aussehen wird. Die Übernahme dieses Musters bzw. seine Umdeutung zum dialektischen Gegensatz ist in der Konsequenz eine Katastrophe für die ganze deutsche klassische Philosophie. Wenn die Geschichte durch dialektische Sprünge voran gehen würde, könnte der Mensch nie wissen

  • Ob die nächste Stufe die letzte ist?
  • Warum es eigentlich die letzte Stufe geben soll?
  • Und wenn schon, warum es ein Happy-End geben soll?

Die christliche Eschatologie kann sich auf die Botschaft Gottes berufen, aber worauf beruft sich der deutsche Philosoph? Auf sich selbst. Spätestens hier wird der Mystizismus und Obskurantismus des ganzen Unternehmens genannt deutsche idealistische Philosophie erkenntlich. Aus der geistigen Vergewaltigung der christlichen Eschatologie ist keine bessere Theologie entstanden, und von einer Wissenschaft kann schon gar keine Rede sein. Wenn man die Wirkung und die Brauchbarkeit dieser Philosophie vornehm ausdrücken will, wie es in den Lexika der Fall ist, sagt man dazu: Sie ist eine Methode, die man nicht vom Inhalt, auf den sie angewandt wird, lösen und auf einen beliebigen anderen Bereich übertragen könnte. Frei übersetzt, ihr einziger Zweck ist sie selbst. Es lässt sich in der Tat bis heute kein einziges Beispiel vorlegen, wo man sagen könnte, diese Philosophie hätte dazu verholfen, die Menschheit voran zu bringen und die Welt besser zu machen. Sie war immer nur ein Event für Quasiintellektuelle. Ein Harry Potter für Erwachsene. Ein Treppenwitz.

Einer ihrer Kritiker hat schon damals diese Philosophie als ein „im absolut Leeren ... aufgeführtes Possenspiel“ bezeichnet. Aber keiner ist so hart mit ihr ins Gericht gegangen wie Schopenhauer. Was Schiller da vorführe - schrieb er - sei eine „Scheinphilosophie“, „leichtfertiges In-den-Tag-hinein-Schwätzen“, ein „dreistes, vornehmtuendes Schwadronieren“. Hegel erklärt er für einen „Absurditätenlehrer“, für einen „platten, geistlosen, ekelhaft-widerlichen, unwissenden Scharlatan“, der „Unsinn geschmiert habe wie kein anderer je vor ihm“. Seine Philosophie hält er für ein „sinnloses, rasendes Wortgeflecht, wie man es bis dahin nur in Tollhäusern vernommen hatte“. Aber die Zukunft, so orakelt Schopenhauer, werde die Wahrheit über Hegel ans Licht bringen, und er werde „der Nachwelt das unerschöpfliche Thema des Spottes über seine Zeit liefern“. Dies wäre bestimmt der Fall gewesen, wenn es seinen berühmten Schüler nicht gegeben hätte: Marx. Mehr darüber später.

 
 
     
 
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