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  Thomas Hobbes: Die wichtigste Zwischenstation auf dem Weg in die Moderne
  Der absolutistische Machtstaat „Leviathan“: Hobbes Rückfall in die Vormoderne
       
 
Bei der Zwietracht entstehen Kämpfe aus Kämpfen. Die Beleidigung fordert Rache, und die Rache ist eine neue Beleidigung. Hier muss man also auf eine Rache zurückkommen, welche keine neue Rache erlaubt - und diese ist die Strafe des Staats.
 
    Wilhelm von Humboldtdeutscher Gelehrter, Staatsmann und Mitgründer der Universität Berlin    
       
 
ökonomischer und politischer Liberalismus sind nicht Zwillinge. Hobbes war ökonomisch liberal und politisch Absolutist, Locke ökonomisch merkantilistisch und politisch Liberalist. Der ökonomische Liberalismus kann sich mit jeder politischen Theorie verheiraten.
 
    Franz L. Neumanndeutsch-amerikanischer Politologe und Jurist    

Wenn man über die Hobbes’sche staatstheoretische Konzeption spricht, wird immer wieder unterstrichen, dass sie sehr rational aufgebaut ist. Das stimmt, sie ist in sich schlüssig, aber nur unter der Annahme, dass die Menschen nicht nur schlecht, sondern sogar richtig böse sind, wenn es um ihre eigenen Interessen geht. Wie wir bereits gesehen haben, hat Hobbes als Empiriker das Böse aus den Tatsachen abgeleitet, aber nicht einfach so, indem er die bösen Taten der Menschen zusammengezählt und sie (induktiv) zu einem universalen Phänomen erklärt hat, sondern er wollte auch genauer wissen, was die wahren Ursachen des Bösen sind. Er wollte erklären, warum der Mensch viel grausamer und rücksichtsloser sein kann als andere lebende Wesen, und hier ist er zu einem völlig anderen Ergebnis gekommen als die vormodernen Denker. Das Ergebnis seiner Forschung war, dass der Mensch nicht der Gefangene der Affekte und Triebe, also seines Leibes, sondern seines Geistes ist. Das war eine bahnbrechende Entdeckung. Deshalb ist es richtig, Hobbes als den Stammvater einer neuen negativen Anthropologie, der modernen Auffassung über die negative menschliche Natur, zu betrachten.

All die bösen Taten, die das Zusammenleben der Menschen belästigen und stören, sind nach Hobbes im Wesentlichen durch die Schwächen und Grenzen unseres Denkens bedingt. Unsere Vernunft ist einerseits zu schwach, Mitmenschen objektiv einzuschätzen und zu bewerten, sie als gleichwertig wahrzunehmen. Aber andererseits ist sie sehr ergiebig, wildeste Phantasien über unsere angebliche Einzigartigkeit zu spinnen, was zu Selbstüberschätzungen und zum Meinungsdespotismus führt. Die Folge ist ein nie enden wollender „Wettstreit um Ehre und Würde“, der sich steigert und in einem Zustand des Krieges „aller gegen alle“ endet. So etwas könnte nur ein absolutistischer Machtstaat verhindern.

Diese Hobbes’sche staatstheoretische Konzeption beeindruckt mit ihrer inneren Konsistenz. Diese ist aber mit ganz starren Annahmen erkauft, die nicht der Realität entsprechen. Das werden wir im nächsten Beitrag noch genau erläutern und damit die Konzeption von Hobbes der Kritik unterwerfen. Wir können sie also nicht würdigen und uns schon gar nicht für sie einsetzen. Es gibt aber einen Grund, sie ein Bisschen näher kennen zu lernen. Sie bringt völlig neue Ansätze und Begriffe in den politischen Diskurs der Moderne, die immer noch brauchbar sind.

Der Gesellschaftsvertrag als Legitimation des absolutistischen Machtstaates

Wenn man über die Staatstheorie von Hobbes zu sprechen beginnt, fängt man normalerweise mit dem Gesellschaftsvertrag an. Das hat gute Gründe. Er ist einer der Begriffe, ohne die die neue Politikwissenschaft der Moderne kaum vorstellbar wäre. Ein weiterer wichtiger Begriff bei Hobbes, der aber erst in Bezug zum Gesellschaftsvertrag seine Bedeutung bekommt, ist der Naturzustand. Mit dem Begriff Naturzustand beginnen die politischen Entwürfe der Moderne. Er ist sozusagen eine Plattform für die Annahmen (Hypothese), vor allem über die menschliche Natur, auf die dann weiter aufgebaut wird. Hobbes hat unter dem Naturzustand einen wirklichen Zustand verstanden, in dem sich der primitive Mensch angeblich irgendwann befand. Da drängt sich die Frage auf, woher konnte er wissen, wie es damals war. Das konnte er natürlich nicht und das wird auch keiner je erfahren können. Der Empiriker Hobbes konnte hier also nicht mit rein empirischen Methoden arbeiten. Er hat sich aber geschickt mit einer indirekten Methode beholfen. Er hat sich nämlich den Naturzustand aus der Erfahrung seiner Zeit, sowie dem, was über die Geschichte bis dahin bekannt worden war, gedanklich sozusagen zusammengebaut. Die Vorgeschichte der menschlichen Gattung sollte laut Hobbes wie folgt aussehen:

Der Mensch war zum Zeitpunkt seiner Entstehung ein triebgesteuertes Wesen mit einer Vernunft. Diese Vernunft - wie bereits erörtert - mit ihren fatalen Schwächen und Grenzen konnte das gemeinschaftliche Leben nicht fördern, sondern sie hat die Gemeinschaft unterminiert, was zu einem nie enden wollenden Krieg aller gegen alle geführt hat. Was für den Menschen ein großer evolutionärer Vorteil sein sollte, hat sich in Bezug auf seine Fähigkeit in der Gesellschaft zu leben als ein großer Nachteil erwiesen. Der Krieg aller gegen alle konnte nach der Überlegung von Hobbes gerade deshalb so allgegenwärtig und beständig sein, weil die Menschen sehr gleich seien, sowohl was ihre körperliche Stärke als auch ihre kognitiven Begabungen betrifft, so dass es nie einen endgültigen Sieger geben kann. Wenn man an den Dreißigjährigen Krieg denkt, dürfte dies äußerst plausibel erscheinen. Hobbes traute den Menschen gerade noch zu, dass sie genug Verstand vorbringen würden, aus der Erfahrung mit dem ewigen Krieg etwas zu lernen, nämlich dass es so nicht gehen könne. Ihnen musste dann irgendwann einfallen, dass der Krieg nur dann enden würde, wenn eine Partei so stark wäre, dass sie den Frieden mit Gewalt erzwingen könnte. In dieser Absicht haben die Menschen einen Gesellschaftsvertrag geschlossen, mit dem sie freiwillig auf alle ihre Rechte verzichten und sie auf ein Oberhaupt des Staates übertragen. Dieser als Souverän sollte allein das Monopol auf Gewaltanwendung haben. Die uneingeschränkte Macht in den Händen eines Souveräns soll dazu genutzt werden, die Untertanen zu einem friedlichen und kooperativen Umgang untereinander zu zwingen. Ideal wäre für Hobbes ein absolutistischer Monarch, der bei seinen Entscheidungen durch keine Rücksichten und keine Kompromisse behindert wäre. Um jegliche Zweifel auszuräumen, was die uneingeschränkte Macht des Souveräns betrifft, greift Hobbes zu einem drastischen Vergleich. Er setzt den allmächtigen Souverän auf eine Stufe mit dem drachenähnlichen biblischen Ungeheuer aus dem Buch Hiob.

„Staat ist eine Person, deren Handlungen eine große Menge Menschenkraft der gegenseitigen Verträge eines jeden mit einem jeden als ihre eigenen ansehen, auf dass diese nach ihrem Gutdünken die Macht aller zum Frieden und zur gemeinschaftlichen Verteidigung anwende.
So entsteht der große Leviathan, der sterbliche Gott, dem wir unter dem ewigen Gott allein Frieden und Schutz zu verdanken haben. Dieses von allen und jedem übertragene Recht bringt eine so große Macht hervor, dass durch sie die Gemüter aller zum Frieden unter sich geneigt gemacht und zur Verbindung gegen ausländische Feinde leicht bewogen werden.“ ... >

Den Urvertrag haben nur die Bürger mit dem Souverän geschlossen, er aber nicht mit ihnen. Gerade deshalb, weil er keinen Vertrag mit ihnen geschlossen hat, ist seine Macht im Staate und über die Bürger absolut. Er setzt das Recht, schreibt die Gesetze und bestimmt die Bedeutung ihrer Worte. Die Gerechtigkeit ist nur noch das, was durch das vom Souverän geschriebene Recht als solche bestimmt ist. Des Weiteren ist der Souverän unabsetzbar; seine Entscheidungen sind unanfechtbar; für ihn gelten keine verfassungsrechtlichen Beschränkungen der Macht, so dass es keine Gewaltenteilung im Staat geben kann. Außerdem ist der Urvertrag mit dem Souverän auch unkündbar.

Es ist noch zu bemerken, dass Hobbes vom Rechtsstaat auch deshalb wenig hält, weil die Gesetze an sich keine eindeutige Botschaft vermitteln. Es ist die Sache der Deutung der Worte, so dass es zweitrangig ist, was in den Gesetzen steht.

„Alle Gesetze, mögen sie schriftlich verfaßt sein oder nicht, bedürfen einer Auslegung. ... Sind schriftlich verfaßte Gesetze kurz, so entsteht aus der Zweideutigkeit eines oder weniger Worte dennoch oft eine Dunkelheit, welche, wenn sie länger sind, aus demselben Grund vermehrt wird. Ein schriftliches Gesetz mag also kürzer oder weitläufiger abgefaßt sein, die Erklärung muß immer aus dem Endzweck hergeleitet werden, der dem Gesetzgeber allein bekannt ist. Dieser muß die Schwierigkeiten wie jenen Knoten entweder auflösen oder durchhauen und so beheben.“ ... >

Schon damals wurde also Hobbes klar, dass - wie wir es heute sagen würden - der Rechtsstaat keine Zauberformel ist, weil die Herrscher bzw. ihre Rechtsexperten die Gesetze so auslegen können wie es ihnen passt. Man erinnert sich, dass Hitler die Verfassung aus der Weimarer Zeit nie für ungültig erklärt hat, trotzdem konnte er so ziemlich alles erreichen was er wollte. Die heutige Europäische Union konnte auf weitgehend undemokratischen Wegen entstehen, und heute, als nichts mehr funktioniert, konnten in angeblich demokratischen Staaten „Technokratenregierungen“ installiert werden, die die von Brüssel, dem IWF und Berlin vorgegebene „alternativlose“ Sparpolitik möglichst effektiv umsetzen sollen, möge die Bevölkerung dieser Länder dabei auch verrecken. Diese „Expertenregierungen“ setzen sich überwiegend aus „Wirtschaftsexperten“, aus ehemaligen EU-Bürokraten und Vertretern der Wirtschaft sowie der Finanzwelt zusammen. Der Griechenland aufgedrängte Premier Lucas Papademos war Vizepräsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Monti ein langjähriger EU-Kommissar. Sie sind mit dem „Mandat der Märkte, aber nicht des Volkes“ ausgestattet, auch wenn in den Verfassungen dieser Staaten genau das Gegenteil postuliert wird.

Wenn sich die Herrscher nicht an die Vereinbarungen halten müssen, bzw. wenn sie sie immer so auslegen können, wie es ihnen passt, stellt sich die Frage, was ein Gesellschaftsvertrag überhaupt soll. Dies scheint die große Schwäche der Vertragstheorie zu sein. Außerdem lässt sich ein Vertrag nicht buchstäblich, als etwas Reales, verstehen. Einen Vertrag gab es in der Geschichte ganz bestimmt nie. Es ist deshalb merkwürdig, dass bei einem Empiristen wie Hobbes der Gesellschaftsvertrag eine so große Rolle spielt. Die Berechtigung des Vertrags muss man also anderswo suchen. Er ist eine gelungene Form, Wünsche und Werte auf eine schlüssige und überzeugende Weise zu argumentieren und zu vermitteln. So wie Hobbes seinen Urvertrag formulierte, hatte er damals die Enttäuschung über die Macht der Kirche zum Ausdruck gebracht. Die Menschen waren der Bevormundung und der Heuchelei der Kirche satt, so dass sie sich von den rein weltlichen Herrschern mehr erhofft hatten, was sich durchaus gut verstehen lässt. Ein Gläubiger ist nicht nur ein Mensch, der seinen Glauben als absolut wahr annimmt, bei einem Wissenschafter kann es ähnlich sein, sondern er bildet sich ein, seine Wünsche und Ansprüche seien die seines Gottes, die er um Gott zu dienen erkämpfen muss. Die instinktiven Schutzvorkehrungen gegen das Töten von Artgenossen, die der Mensch als biologisches Wesen haben müsste, können durch den Glauben unterdrückt werden, Gott besiegt das Gewissen und dem Gläubigen, dem Fanatiker, sind alle Mittel recht. Wenn es Gott gibt ist alles erlaubt. Das war damals so, und es ist offensichtlich auch heute so, wenn man sich die islamischen Terroristen anschaut, auf die man so gern mit dem Finger zeigt, die aber nicht anders sind als zum Beispiel die amerikanischen „wiedergeborenen“ Christen.

Der Gesellschaftsvertrag war nun eine völlig neue Legitimationsidee, die man erfolgreich gegen das vormoderne Legitimationsprinzip Gottesgnadentum einsetzen konnte. Ohne sie wäre das Abendland möglicherweise nicht säkularisiert. Mit seinem Leviathan hat sich Hobbes große Verdienste dafür erworben. Erwähnen wir nur noch, dass nach Hobbes der Souverän sogar derjenige sein soll, der entscheidet, welche Religion als richtig zu gelten hat, buchstäblich im Sinne des lateinischen Sprichwortes: Cuius regio, eius religio. Welche Kirche auch immer der Souverän bevorzugt und sie als staatstragend anerkennt, ihr sollte nicht erlaubt sein, dass sie sich in die Angelegenheiten des Staates einmischt. Das Reich Gottes ist, so Hobbes, nicht von dieser Welt, so dass der Klerus sich nicht eigenmächtig zum Herrn aufschwingen darf und auch keinen Gehorsam fordern kann. Die Mitsprache der Kirche würde nämlich sinnlose Diskussionen über Alternativen entfachten. Noch viel schlimmer findet Hobbes die demokratischen Institutionen. Die würden angeblich erst recht den Meinungskampf schüren und den Kampf der Doktrinen vorantreiben.

Abschließend fügen wir noch ein paar Bemerkungen zum Gesellschaftsvertrag hinzu. Als Idee ist er immer noch nicht tot, und zwar aus einem leicht verständlichen Grund. Wenn man sich bei der moralischen Argumentation an logische Regeln hält, ist der Gesellschaftsvertrag auch ein Gedankenexperiment, also eine Suche nach neuen gesellschaftlich-politischen Entwürfen: eine Visione. Man erinnert sich an John Rawls, den berühmtesten politischen Philosophen und Vertragstheoretiker des vorigen Jahrhunderts. Zwar schließen die Menschen bei Rawls keinen Vertrag, auf dieses überholte Bild kann man in der Tat verzichten, er nützt den Vertrag als Rahmen für eine schlüssige Begründung, warum ein bestimmter Zustand fair wäre. Die Menschen bei Rawls fürchten nicht, dass sie sich gegenseitig umbringen, sie sorgen sich vor einer ungerechten bzw. unfairen Ordnung, so dass sie bei der Schaffung des Vertrags von der Position der Gleichen und Gleichberechtigten ausgehen, wie bei Hobbes. In diesem Sinne ist der Vertrag eine demokratische Verfahrensweise, wie seltsam dies auch klingen mag, wenn man bedenkt wie sehr Hobbes die Demokratie geringgeschätzt und verachtet hat.

Die Motivation des Souveräns für seine Untertanen gut zu sorgen

Die absolutistische Staatsform an sich ist ganz bestimmt eine der am wenigsten originellen und neuen Ideen der Hobbesschen Staatstheorie. Seine Begründung der absolutistischen Herrschaft ist aber trotzdem eine andere als die der vormodernen Denker. Bei Hobbes geht es nicht um die Herrschaft irgendwelcher - wie man heute sagen würde - Eliten. Zum Vergleich erinnern wir uns daran, dass bei Platon die absolute Herrschaft durch die Vernunft und die Güte der Regierenden legitimiert wurde, in den feudalen abendländischen Gesellschaften durch das Gottesgnadentum. In beiden Fällen sind die Herrschenden etwas Besseres als ihre Untertanen, sie sind Eliten. Sie würden für das Volk etwas tun, wozu es selbst nicht im Stande ist. Bei Hobbes ist der absolutistische Herrscher dagegen nicht jemand, der es besser kann, sondern einer, der eine bestimmte Funktion in der Gesellschaft ausübt. Seine Aufgabe besteht vor allem darin, die Menschen so wie sie angeblich sind, besitzergreifend und rücksichtslos, daran zu hindern, sich gegenseitig Böses anzutun. Wenn aber der Herrscher eine genauso böse Natur hat wie die anderen, warum sollte er dann überhaupt für das gute Leben seiner Untertanen sorgen?

Wir haben schon festgestellt, dass die Vertreter der hierarchisch-autoritären Ordnungen dieser Frage, soweit es nur möglich ist, aus dem Weg gehen. Wenn es sich nicht vermeiden lässt, fertigen sie Fragesteller mit Gemeinplätzen ab. Erinnern wir uns daran, dass bei dieser Problematik auch dem sonst so einfallsreichen und eloquenten Platon die Phantasie ausgegangen ist. Auch bei Hobbes finden wir nur ein paar Andeutungen. Kein König kann, so lesen wir in seinem Leviathan, „reich, ruhmvoll und sicher sein, dessen Untertanen entweder arm oder verachtungswert oder aus Not oder Uneinigkeit zu schwach sind, um einen Krieg gegen ihre Feinde durchhalten zu können“. Warum dem so sein sollte, erfährt man nicht. Der zitierte Satz verletzt eigentlich die für Hobbes immer gültige Annahme der negativen menschlichen Natur. Wenn die Könige so wohlwollend und fürsorglich wären, dann hätten wir es mit einem in der Tat seltsamen Egoismus zu tun. Und zwar mit einem, der durch die Befriedigung der Bedürfnisse der anderen die eigenen Bedürfnisse stillen würde. Ein solcher Egoismus ist zwar nicht ganz unmöglich und unbekannt, die ehrgeizigen Eltern können die Erfolge ihrer Kinder als die Verwirklichung ihrer eigenen Wünsche und Träume erleben, dass aber so etwas auch bei einem Souverän in Bezug auf seine Untertanen gelten sollte, ist kaum vorstellbar.

Um Missverständnissen vorzubeugen, unterstreichen wir, dass Hobbes die Metapher Vater-Kinder, die eine der ältesten Rechtfertigungen der absolutistischen Herrschaft ist, nicht benutzte und aus verständlichen Gründen nicht benutzen konnte. Es lässt sich aber doch bei Hobbes ein Grund finden, warum der absolutistische Herrscher es gut mit seinen Untertanen meinen sollte, und zwar nicht aus Liebe zu ihnen, sondern aus  eigenem Kalkül. Man braucht nur den Krieg aller gegen alle auf den Krieg aller Staaten gegen alle Staaten auszuweiten. Das wäre bestimmt im Sinne von Hobbes - im Sinne seiner negativen Anthropologie. Wenn wir uns dann noch mit ein paar Aussagen von Hobbes behelfen, haben wir schon einen plausiblen Grund, warum der allmächtige Souverän wohlgesinnt und gerecht herrschen sollte. Fangen wir mit dem folgenden Zitat an.

„Wenn diejenigen, welche mit mäßigem Besitz zufrieden sind, nur sich und das ihrige zu verteidigen, nicht aber ihre Macht dadurch zu vermehren suchten, daß sie andere selbst angreifen, so würden sie nicht lange bestehen können, weil es Menschen gibt, die sich entweder aus Machtgefühl oder aus Ruhmsucht die ganze Erde gern untertan machen möchten.“ ... >

Hobbes hält es also nicht für möglich, dass sich ein Staat bzw. seine Bürger für ein bescheidenes und ruhiges Leben entscheiden können, weil es irgendwo einen aggressiven Staat geben wird, der eine solche Gesellschaft überfallen und unterwerfen wird. Der Souverän müsste also dafür sorgen, dass sein Staat ökonomisch stark ist, weil er sich nur dann die besten Waffen leisten kann: er wird sie sich entweder kaufen oder selbst herstellen können. Eine starke Wirtschaft lässt sich aber nicht mit demütigen, eingeschüchterten, kranken und ausgehungerten Untertanen schaffen. Der Souverän würde also leistungswillige und leistungsfähige Bürger benötigen, denen er aber ein gewissermaßen auskömmliches und anständiges Leben ermöglichen müsste. Dies wäre auch deshalb nötig, weil für den Krieg vorgesehene Untertanen sowohl körperlich stark und gesund als auch psychisch und geistig in Form sein müssen. Ob dies stimmt, müsste man die Erfahrung befragen. In den letzten einhundert Jahren gab es in der Tat genug autoritäre Ordnungen, an denen wir diese Schlussfolgerung prüfen können.

Fangen wir mit dem deutschen Faschismus an. Er entstand auf den Trümmern der neoliberalen „Reformen“ der Weimarer Zeit, die keine anderen waren als all die „Reformen“ der letzten Jahrzehnte in den kapitalistischen Ländern. Mit einem Doppelklick auf erinnern wir an einige der charakteristischen Stationen an diesem Weg zum Untergang. Am Ende der Weimarer „Reformen“ war die ganze Wirtschaft ruiniert, es herrschte allgemeine Massenarbeitslosigkeit, Armut und Verzweiflung. Nun haben die erschrockenen deutschen Eliten die Verfassung so uminterpretiert wie es ihnen passte, den Putschisten und Antikommunisten Hitler zum Kanzler ernannt und mit weit reichenden Machtbefugnissen ausgestattet - de facto zum Diktator ausgerufen. Sie haben sich schon erhofft, dass der Diktator die Reichen und Kapitalisten retten wird, aber dass er ein ökonomisches Wunder hervorbringen wird, hat sich damals kaum jemand vorstellen können. Es lassen sich gewisse berechtigte, aber noch viel mehr unberechtigte Gründe finden, warum dieser Umstand später verdrängt und geleugnet wurde. Nicht nur der Wahrheit, sondern vor allem der Wissenschaft zuliebe, sollten wir uns daran erinnern:

„In Deutschland diente die wirtschaftliche Bilanz der späten dreißiger Jahre dem NS-Regime zur spektakulären Rechtfertigung seiner Politik. ... Auch andere Diktatoren schlugen ihre Arbeitsschlachten; doch sie konnten nie auf ähnliche Erfolge verweisen. Mussolini hielt - nicht anders als Pilsudski, Gömbös, Uriburi, Justo, Vargas, Laval und MacDonald - Lohnkürzungen für den Schlüssel zur Gesundung der Wirtschaft. Er hat nie behauptet, daß seine Rezepte einen höheren Lebensstandard bewirken würden. Was er sagte, lag vielmehr genau auf der Linie der damals vorherrschenden malthusianischen Doktrin: „Wir müssen uns von dem Gedanken freimachen, daß die sogenannten Tage des Wohlstands wiederkehren könnten. Wir bewegen uns wahrscheinlich auf ein Zeitalter zu, in dem die Menschheit auf einem niedrigeren Existenzniveau leben wird.“ Hitler hätte das nie akzeptiert - und das deutsche Wirtschaftswunder schien ihm recht zu geben.
Trotz seines Hohns über die trägen reichen Völker und ihr Schlafbedürfnis wünschte Hitler, daß auch das deutsche Volk reicher werde. Dies war letztendlich Ziel und Rechtfertigung jeder unternehmerischen Tätigkeit. Er griff hier auf Argumente aus der Debatte über Rationalisierung und technischen Fortschritt in den späten zwanziger Jahren zurück: „Die Steigerung der Konsumkraft dieser Massen wird ein wesentliches Mittel der wirtschaftlichen Belebung sein.“ Vor Straßenarbeiten erklärte er, seine Regierung verfolge das Ziel, „die Konsumkraft der Massen langsam zu heben und auf diesem Wege die Produktionsstätten mit Aufträgen zu versehen und die deutsche Wirtschaft wieder in Bewegung zu bringen.“ Hitler vertrat diese Ansichten sogar vor Industrieführungen, obwohl er kaum hoffen durfte, bei Leuten Anklang zu finden, die in den zwanziger Jahren immer wieder die Kaufkrafttheorie der Gewerkschaften attackiert hatten.“ ... >

„Alles in allem: Nach Einkommens- und Konsumstatistik erreicht das deutsche Volk 1938/39 das höchste durchschnittliche Wohlstands-Niveau in seiner bisherigen Geschichte. Bis weit in den Krieg hinein sinkt das reale Familieneinkommen nicht oder kaum ab.
Eberhard Jäckel urteilt 1983 knapp: „Gezweifelt, gestöhnt und aufbegehrt wie unter einem Tyrannen haben die Deutschen unter Hitler nicht.“ ... Die meisten Deutschen fühlen sich unter Hitler nicht unfrei. Für vielleicht 90% der Deutschen ist das Dritte Reich die Rückkehr zu normalen Zeiten, zur geregelten Arbeit, zur Sicherheit der Lebensplanung. Gegenüber dieser lang entbehrten Erfahrung privaten Wohlergehens bleiben wahrgenommene Kriegsvorbereitung und Terror gegen „Gemeinschaftsfremde“ und „Asoziale“ an den Rand gedrängt und aus der Alltagserfahrung - beinahe - ausgeschlossen.
Bis Kriegsbeginn 1939 ist das Dritte Reich weltoffener, als es heute scheinen mag. So finden 1938 in Deutschland 83 internationale Kongresse statt. Die deutsche Jugend wird keineswegs von der Welt abgeschottet. Allein in Berlin versechsfachen sich fast die Schülerreisen ins Ausland von 986 (1928-1932) auf 5370 (1933-1937), vor allem nach Frankreich und England, aber auch in die Vereinigten Staaten.
Bezahlter Urlaub wird seit 1936 üblicher. ... 1938 erhalten mehr als zwei Drittel der Arbeiter in der metallverarbeitenden Industrie einen Urlaub von 7 bis 12 Tagen (61 %) und darüber (7,5 %) - eine deutliche Verbesserung gegenüber den drei Urlaubstagen von 1932/33. Begünstigt werden mit Jugendschutzgesetz vom 30. April 1938 Jugendliche: Mindesturlaub für unter 16 Jahren 15 Tage, für 16 bis 18 Jahre 12 Tage; der Urlaub soll zusammenhängend gewährt und in die Zeit eines HJ-Lagers gelegt werden. Urlaub und Freizeit bleiben „Mangelware“, aber das Recht auf Urlaub hat 1939 den „Charakter eines Gewohnheitsrechts“ angenommen. Die Urlaubsregelungen unter Hitler sind „bedeutend günstiger“ als je zuvor oder in irgendeinem anderen Staat.“ ... >

„Im fünften Jahr an der Macht war es dem Hitlerregime gelungen, sich als eine vorbildliche Diktatur darzustellen. Die Arbeitslosigkeit war auf ein zu vernachlässigendes Maß gesunken, die Wirtschaft boomte, und in Millionen deutsche Haushalte begann wieder so etwas wie Normalität einzuziehen. Die Wellen der brutalen Repressionen, die 1933 und 1934 über das Land geschwappt waren, hatten ganze Arbeit geleistet: Die Zahl der Häftlinge in Himmlers Konzentrationslagern war auf ein paar Tausend geschrumpft. Eine Weile schien das Regime sogar seine antisemitischen Hasstiraden zurückzuschrauben. Im Vergleich zu dem aggressiv kriegerischen Verhalten, das vom faschistischen Italien in Afrika und vom kaiserlichen Japan in China an den Tag gelegt wurde, ganz zu schweigen von den viel publizierten Exzessen der stalinistischen Schauprozesse, wirkte Hitlers Regierung geradezu vernünftig.“ ... >

Man könnte meinen, es wäre zu billig diese Ergebnisse mit denen der kommunistischen Diktaturen zu vergleichen. Nun, wie würde der Vergleich mit den Demokratien ausfallen?

„1980, als Reagan Präsident wurde, waren hundertdrei von hunderttausend in Haft. Dreieinhalb Millionen Menschen standen unter Bewährung oder waren Freigänger. 1994 war die Rate der Inhaftierten in den Vereinigten Staaten viermal so hoch wie in Kanada, fünfmal so hoch wie in Großbritannien und vierzehnmal so hoch wie in Japan. Allein im postkommunistischen Rußland befinden sich mehr Bürger hinter Gittern. In Kalifornien sitzen derzeit achtmal so viele Menschen im Gefängnis wie zu Beginn der siebziger Jahre: mehr als in Großbritannien und Deutschland zusammen.“ ... >

Der Faschismus war eine politische Diktatur und ökonomisch eine Marktwirtschaft, im Prinzip genau das, was Hobbes wollte. Und vor dem Jahre 1939 war er keine schlechte Alternative zu den anderen damaligen Ordnungen, die demokratischen nicht auszunehmen. Die Qualen, Demütigungen und der Tod unter der Brücke, also die „sanfte“ Gewalt in den Demokratien war nicht wesentlich schlimmer als die „harte“ Gewalt in den diktatorischen Staaten. Von den ökonomischen Erfolgen, die für eine überwältigende Mehrheit der Deutschen eine wesentliche Steigerung der Lebensqualität brachte, will man heute nichts wissen, aber Hitler wurde damals gerade deshalb in der ganzen Welt als Wohltäter und Menschenfreund bewundert, und dies nicht nur etwa bei den spanischen Frankisten, den italienischen Anhängern Mussolinis, den kroatischen Ustascha, sondern auch bei dem einen oder anderen seiner Gegner, zum Beispiel bei einigen serbisch-orthodoxen Popen. Einer von ihnen, der Hochwürdige Nikolaj Velimirovic, erblickte in Hitler sogar einen Missionar, der mit dem Heiligen Sava (1175-1236) zu vergleichen sei, mit dem Begründer der serbisch-orthodoxen Kirche. Bis dahin gibt die Geschichte Hobbes Recht. Wie Hitler es aber mit der Welt, die ihm blind vertraute und mit seinem Volk wirklich gemeint hat, wurde erst später klar. Weil dies allgemein bekannt ist, brauchen wir dazu nichts weiter zu sagen. Hier straft die Geschichte Hobbes Lügen. Schauen wir uns die Jahrzehnte danach an.

Nach dem heißen Krieg der faschistischen Diktatoren gegen den Rest der Welt war der Krieg bekanntlich nicht beendet. Es begann ein langer Kalter Krieg. Dieser gab Hobbes in einer anderen Hinsicht Recht. Erinnern wir uns, dass nach seiner Auffassung kein Volk frei entscheiden könne, bescheiden und ruhig zu leben, sich also mehr geistigen Werten als materiellen Gütern widmen. Eine solche Gesellschaft - heute würde man sagen: ohne Wachstumszwang - schwebte den Sozialisten und Kommunisten am Anfang der Moderne vor. Das hat sich aber in der kapitalistischen Umgebung als unmöglich erwiesen. Schon gleich nach dem Sieg der Oktoberrevolution hat der Kapitalismus Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, dem Spuk der klassenlosen Gesellschaft ein Ende zu setzen. Deshalb gab es unendliche Diskussionen in den sozialistischen und kommunistischen Bewegungen der Welt, ob der Sozialismus in einem Land siegen könnte. Die einzige Lösung, die damals als realistisch angesehen wurde, war die politische Diktatur, die dann Stalin an die Oberfläche brachte. Auch diese Diktatur war zuerst ökonomisch sehr erfolgreich. Stalin hat das feudale agrarische Russland industrialisiert. Aber irgendwann begann die Planwirtschaft zu stagnieren. Den roten Diktatoren war es nicht mehr möglich beides zu erreichen: Genug Waffen herzustellen und das Leben ihren Bürger zu verbessern. Man hat sich für Waffen entschieden, um sich vor der aggressivsten und am höchsten gerüsteten kapitalistischen Macht USA verteidigen zu können, aber die Bürger wollten nicht mehr weiter mitmachen. Was dann geschah, als der Kommunismus zusammenbrach, passt zur Hobbesschen Auffassung aber nicht ganz.

Die Welt wurde unipolar. Die Machteliten der kapitalistischen Länder wurden nicht durch andere Herrscher bedroht, also der Krieg aller Staaten gegeneinander fand nicht mehr statt, was als Zustand nicht zu Hobbes Auffassung passt. So konnten die kapitalistischen Machteliten ihre ganze Zeit und Energie der Aufgabe widmen, wie sie die Bürger unterwerfen und auspressen. Nicht nur bei den „befreiten“ Volkern, sondern auch in den alten kapitalistischen Staaten fand eine Entrechtung und Ausplünderung des offiziellen Souveräns Volk statt, und zwar auf eine dermaßen dreiste Weise, wie man es sich während des Kalten Krieges niemals hätte vorstellen können. Würde man diese Staaten als Demokratien betrachten, was alles andere als selbstverständlich ist, dann müsste man Hobbes Recht geben, dass die Demokratien ganz schlechte Ordnungen sind. Wenn dies aber keine Demokratien sind, sondern Oligarchien und Plutokratien, wofür alles spricht, dann hat Hobbes nicht Recht. Aber das Ende der Geschichte war das nicht. Wenn man sich dann die Entwicklung in den letzten Jahren in der Welt anschaut, kann man wieder einmal Hobbes Recht geben. In China und Russland, die man mehr oder weniger als absolutistische Ordnungen betrachten kann, ist der Wohlstand für die breiten Schichten der Bevölkerung am schnellsten gestiegen. 

Wir stellen also fest, dass sich die Auffassung, in den absolutistischen Ordnungen würde am besten für die Bürger gesorgt, nicht verallgemeinern lässt. Solche Ordnungen müsste man nur dann bevorzugen, wenn es stimmen würde, dass der Mensch extrem böse ist, so dass einer große Mehrheit der Menschen nichts anders übrig bleibt, als entrechtete Untertanen eines absolutistisches Machtstaates ein sicheres Leben auf einem Existenzminimum zu führen. Entzieht man Hobbes die anthropologische Annahme über die extreme Bosheit der menschlichen Natur, fällt seine politische Konzeption in sich zusammen. Das wollen wir uns näher anschauen.

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