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  Der Ursprung des Privateigentums und seine Erklärungen bzw. Konzeptionen
  Zwei biblische Erklärungen des Eigentums: Schenkung (von Gott) und Arbeit
       
 
Gott hat mir mein Geld gegeben.
 
    John D. RockefellerGründer von Standard Oil Trust    
 
Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen!
 
    Paulus an die Thessalonicher 3, 10    

Die Auffassung, eine sozusagen naturwüchsige, auch laissez-faire genannte Freiheit sei die Grundlage einer (harmonischen) Ordnung, war niemals die der Frühliberalen. Auch Adam Smith hat das nicht mit seinem „System der natürlichen Freiheit“ gemeint. Die Freiheit war bei den Frühliberalen, wenn überhaupt, eine der mehreren Werte, sie war aber vor allem ein Mittel zu etwas: Zu einer Gesellschaft, in der genug materielle Mittel für jedes ihrer Mitglieder zur Verfügung stehen, so dass er auch all seine geistigen Potentiale entwickeln kann. Erwähnen wir dazu Spinoza, der die Freiheit und die Selbstbehauptung des Einzelnen (Notwendigkeit) sogar gleichsetzt.dorthin  Man bezeichnete später eine solche Freiheit als Freiheit „zu etwas“, auch als „positiv“, im Gegensatz zur späteren neoliberalen Auffassung von Freiheit, die als Freiheit „von etwas“ oder „negativ“ bezeichnet wird. Den frühmodernen und frühliberalen Denkern war es bewusst, dass die Freiheit „von etwas“ oder „negative“ Freiheit nicht spontan zur (harmonischen) Ordnung führen kann, weil die individuellen menschlichen Ziele und Bestrebungen nicht immer zueinander passen, so dass uneingeschränkte Freiheit notwendig die unbeschränkte Macht der Starken über die Schwachen bedeuten würde, und gerade das war nicht ihre Vorstellung einer gerechten, glücklichen und fortschrittlichen Gesellschaft.

Die Auffassung, die Marktwirtschaft würde auf der Entdeckung der Freiheit beruhen, und mehr Freiheit würde der Wirtschaft und Gesellschaft immer nur Gutes tun-  sie würde zum Beispiel auch für die Nachhaltigkeit und die Gerechtigkeit sorgen -, war ein Verrat am ursprünglichen Liberalismus, ein Produkt der intellektuellen Leibgarde der neuen Reichen - der Kapitalisten. Diese neue neoliberale Doktrin, die Neoklassik oder einfacher gesagt der Neoliberalismus, ist nur eine ideologische Umdeutung und Verfälschung der ursprünglichen liberalen Lehre zur Verteidigung der neu entstandenen Klassengesellschaft, nämlich der Herrschaft der Kapitalbesitzer. Hayek und Röpke - mit ihnen erwähnen wir nur zwei deutsche Vertreter des Neoliberalismus - stehen der humanistischen Vision des ursprünglichen Liberalismus etwa so nahe wie Pol Pot und Stalin der Lehre von Marx. Dieser neue, der verratene Liberalismus, diese unwissenschaftliche und realitätsfremde Ideologie, ist heute nur deshalb so dominant, weil die „Wissenschaftler“ und die Prediger (Medien), die sie vertreten und popularisieren, von den Reichen mit allen Mitteln geködert und gefördert werden. Wegen dieser größtenteils falschen Vorstellung des ursprünglichen Liberalismus ließ es sich nicht vermeiden, dass wir zunächst, in den vorigen Beiträgen, mit einem nicht unerheblichen Aufwand die geistige Wende der Moderne erörtert haben. Fassen wir jetzt die wichtigsten Befunde noch einmal kurz zusammen.

Der Dreißigjährige Krieg hat auf eine drastische Weise gezeigt, dass die feudal-christliche Ordnung versagt hat. Auch nach Jahrhunderten der Erziehung in der menschenfreundlichsten Religion, die es je gab, sind die Menschen immer noch schlimmer als Tiere geblieben. Die Auffassung, dass die Menschen zum Guten erzogen werden könnten musste endgültig für falsch erklärt werden. Das war der Anfang der Moderne. Damit ist natürlich nicht gesagt, dass die „negative“ menschliche Natur eine neue Entdeckung der Philosophie und Ethik war. Sogar die christliche Lehre spricht von einem aus der Sünde geboren Menschen, wenn dies gerade in ihre konkrete Argumentation passt, sonst hält sie aber an einem guten Menschen fest: Wie sonst könnte ein Mensch überhaupt sein, wenn er nach Gottes Bilde geschaffen wurde? Die neuen Denker der Moderne haben also nicht den „bösen Menschen“ - zugespitzt gesagt - entdeckt, sondern einen neuen Typ von Ordnung, die mit einem solchen Menschen besser funktionieren würde. Die bessere Ordnung sollte zustande kommen, indem die gefährlichen Affekte und Triebe durch andere (gefährliche) Affekte und Triebe abgeblockt und damit unschädlich gemacht werden. Die konkreten Lösungen oder Mittel dazu haben sie als Regeln bezeichnet, so dass man diese Denker als Urentdecker des Prinzips der Regelung bezeichnen kann. Von einer Regelung kann man immer dort sprechen, wo es eine Rückkopplung (feedback) der Wirkung auf ihre Ursache gibt. Die frühmodernen Denker haben also die Regelung in soziale Systeme eingeführt, lange bevor die Naturwissenschaften herausgefunden haben, wie sich physikalische Prozesse regelungstechnisch gestalten lassen, woraus sich später die Kybernetik als eine völlig neue Wissenschaft entwickelte.

Wenn es darum geht, wer diese Regelungen entwerfen und einführen sollte, gingen die Meinungen bei den frühliberalen Denkern auseinander. Spinoza war der erste tapfere und weitsichtige Denker der Moderne, der überzeugt war, dass die Menschen klug genug sind, sich Regeln selbst zu geben, ohne einen Herrscher einzusetzen, da sie deren Nützlichkeit erkennen würden. Die Gedanken bei Spinoza waren aber immer hoch abstrakt und nicht auf die Praxis direkt übertragbar: sie waren sozusagen eine Grundlagenforschung. Deshalb ist es nicht ganz falsch, wenn man nicht Spinoza zu den Ahnherren der europäischen Demokratie zählt, sondern etwa John Locke (1684-1753). Wir haben schon etwas mehr darüber gesagt, was er für die Demokratie getan hat, auch wenn er sich selbst nicht als Demokrat ansah.dorthin  In diesem Beitrag geht es aber nicht um die politischen Fragen, sondern um die Verteilung des Eigentums zwischen den Einzelnen. Auch da hat Locke einen bemerkenswerten Beitrag geleistet.

Locke hat eine neue Aneignungstheorie entworfen, die wir  berechtigterweise als die bürgerliche Aneignungstheorie bezeichnen können. Er war aber bekanntlich kein Ökonom, was den Eindruck erwecken könnte, dass die Problematik der Eigentumsverteilung eine politische oder vielleicht nur eine ethische sei, aber keine ökonomische. So wollten es die späteren - falschen - Liberalen schon immer sehen. Bis heute suchen sie spitzfindige Ausreden, warum dem so sein sollte. Dass die frühliberalen - und die klassischen - Ökonomen dies ganz anders gesehen haben, zeigt auf eine besonders offensichtliche Weise die Tatsache, dass bei ihnen Profit zu den wichtigsten Einkommensarten gehört, die Neoliberalen haben ihn dagegen ersatzlos aus der ökonomischen Theorie verbannt. Nebenbei bemerkt hieß die Wirtschaftswissenschaft  ursprünglich Politische Ökonomie, was schon mit dem Namen andeutet, dass bei den Frühliberalen manche ökonomischen Probleme zugleich als politische betrachtet wurden - und umgekehrt. Das galt auch für das Eigentum.

Wir wollen in diesem und den folgenden Beiträgen die (früh-)modernen Prinzipien der Verteilung oder Aneignung des Eigentums näher erörtern, um sie von ihrem Ergebnis her zu beurteilen. Zwei von diesen Prinzipien hat Locke besser und umfangreicher als die anderen formuliert, das dritte kann man Rousseau zuordnen, das vierte Smith.

John Locke: Zwei alt-neue Aneignungsschranken und eine überflüssige darüber hinaus

Die Aneignungstheorie von Locke war nicht ganz originell. Das gilt vor allem für ihre zwei Aneignungsregeln:

1: Gott, der alle seine Geschöpfe gleich beschenkte

In ihrem zweiten Schöpfungsbericht (Gen 2,1-24) schildert die Bibel ein idyllisches Bild vom Leben des ersten Menschen in der Natur. Gott schuf für Adam einen fruchtbaren Garten mit Tieren, der von wasserreichen Flüssen durchzogen wird, dann trägt er ihm auf, den Garten zu bebauen und zu pflegen. Macht euch die Erde untertan! - so die bekannte Aufforderung. Gottes Garten auf Erden sollte allen Nachfolgern Adams gehören und ist dementsprechend auch so dimensioniert, dass alle bekommen, was sie für ihr Leben benötigen. Gott hatte also für alle gesorgt. Das wurde in der Bergpredigt von Jesus ausdrücklich versichert:

„Darum sage ich euch: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie?“ ... >

Locke zieht daraus die Schlussfolgerung, dass jeder Mensch Anspruch auf einen Teil der Gottesschöpfung hat. Damit widerspricht er der herrschenden Meinung, also der Meinung der feudalen Herrscher, sie allein wären durch Gottes Gnaden auserwählt, die Ressourcen der Erde zu besitzen und zu verwalten.

„Gott gab die Welt den Menschen gemeinsam.
So viel, wie jemand zu irgendeinem Vorteil seines Lebens gebrauchen kann, bevor es verdirbt, darf er sich durch seine Arbeit zum Eigentum machen. Was darüber hinausgeht, ist mehr als sein Anteil und gehört den anderen.“ ... >

Auf den ersten Blick scheint es so, dass Locke eine egalitäre Eigentumsverteilung anstrebte. Das ist aber nicht der Fall. Dazu kommen wir gleich.

2: Arbeitseinsatz oder Verdienst (Leistung)

Gott habe aber - so Locke - nicht dem Menschen alles einfach so gegeben, sondern jeder sollte seinen Anteil auch noch verdienen, und zwar durch seine Arbeit.  

„Die Arbeit seines Körpers und das Werk seiner Hände sind, so können wir sagen, im eigentlichen Sinne sein Eigentum. Was immer der Mensch also dem Zustand entrückt, den die Natur vorgesehen und in dem sie es belassen hat, hat er mit seiner Arbeit gemischt und ihm etwas eigenes hinzugefügt. Er hat es somit zu seinem Eigentum gemacht. Die Arbeit seines Körpers und das Werk seiner Hände sind, so können wir sagen, im eigentlichen Sinne sein Eigentum.
Alles, worauf sich sein Fleiß erstrecken konnte, um es aus seinem natürlichen Zustand zu entfernen, gehörte ihm.“ ... >

Es ist aber nicht jedem erlaubt, dass er so viel arbeitet und leistet, wie ihm gutdünkt. Die geleistete Arbeit des Einzelnen unterliegt auch einer Beschränkung.

„Er mußte darauf achten, daß er [die Fruchte seiner Arbeit] verbrauchte, bevor sie verderben. Sonst nahm er mehr, als ihm zustand, und beraubte andere.
Das Maß des Eigentums hat die Natur durch die Ausdehnung der menschlichen Arbeit und durch die Annehmlichkeiten des Lebens festgesetzt. ... Dieses Maß beschränkte den Besitz jedes Menschen auf einen sehr bescheidenen Anteil, wie er, ohne jemand zu schädigen, ihn sich aneignen konnte.“ ... >

Bis dahin liefert Locke eine widerspruchsfreie Theorie der Aneignung, aber das ist noch nicht seine ganze Theorie.

3: Geld kommt nicht von Gott und damit änderte sich ziemlich alles

Die vorigen beiden Einschränkungen der individuellen Aneignung haben normativen Charakter und wurden nur nachträglich auf den Willen Gottes zurückgeführt, um sie besser zu legitimieren: Sie sollten sozusagen zugleich Gottes Gebote oder Soll-Regeln sein. Locke ging auch der Frage nach, ob es objektiv möglich ist, dass die Menschen nach diesen Regeln handeln, wenn sie es nur wollten. Er stellte fest, dass dies kein Problem wäre. Er meint, es gebe genug fruchtbaren Boden auf Erden, so dass es tatsächlich möglich wäre dass jeder soviel besitze, damit er sich ernähren und das Leben auch genießen könnte. Locke wurde natürlich klar, dass die Wirklichkeit nicht so aussieht. Nicht einmal in den Staaten, in denen das Christentum die Herrschaft ausübte, wurde jedem ein gerechter Anteil an Gottes Schöpfung und Schenkung zur Verfügung gestellt. Locke erklärt, warum sich eine solche Regel nicht behaupten konnte:

„Das aber wage ich dreist zu behaupten, daß die Regel für das Eigentum - nämlich, daß jeder soviel haben sollte als er gebrauchen kann, sich ... in der Welt behaupten würde, - denn es gibt genug Land auf der Welt, um für die doppelte Anzahl von Bewohnern zu genügen - wenn nicht die Erfindung des Geldes und die stillschweigende Übereinkunft der Menschen, ihm einen Wert zu geben, (durch Zustimmung) die Bildung größerer Besitztümer und eine Berechtigung dazu eingeführt hätte.“ ... >

Es war die Erfindung des Geldes, so Locke, die es verhinderte, dass die Menschen nach Gottes Soll-Regeln das Eigentum aufteilen. Das Geld ermöglichte jedem seinen Anteil am Boden zu verkaufen oder den Anteil des anderen zu kaufen. Man könnte jetzt erwarten, dass sich Locke gegen das Geld wendet oder nach Lösungen sucht, seine unerwünschten Wirkungen zu unterbinden, aber das tut er nicht. Wir stellen überraschend fest, dass Locke keine großen Probleme damit hat, wenn - angeblich wegen des Geldes - wenige ausgesprochen viel besitzen und eine überwältigende Mehrheit vielleicht fast gar nichts. Seine Argumentation ist aber alles andere als überzeugend.

Er greift auf den Urvertrag zurück. Angeblich geschah die Einführung des Geldes im umfassenden Konsens aller Menschen. Durch die Akzeptanz der Einführung des Geldes, meint er, haben sich die Menschen zugleich mit allen sich daraus ergebenden Folgen einverstanden erklärt - unter anderem auch mit den beliebigen Ungleichheiten beim Privatbesitz. Zu diesem Gesellschaftsvertrag kann man Folgendes hinzufügen: Wir erinnern uns, dass auch Hobbes vom Gesellschaftsvertrag spricht, den die Menschen irgendwann mit dem Leviathan beschlossen hätten. So etwas entspricht aber nicht der Wirklichkeit und auch was die Einführung des Geldes betrifft, gab es einen solchen Vertrag nie. Der Gesellschaftsvertrag, von dem viele Denker am Anfang der Moderne schwadroniert haben, ist die Veranlassung zu allem möglichen Unfug geworden. Sogar wenn es einen solchen Vertrag tatsächlich gäbe, warum dürfte man ihn dann nicht ändern, nachbessern oder gar widerrufen? Und wer hat einer Generation das Recht gegeben, im Namen aller zukünftigen Generationen einen Vertrag abzuschließen?

Locke bemüht noch weitere Spitzfindigkeiten, um die beliebigen Ungleichheiten im Besitz zu rechtfertigen. Das Geld ist angeblich nicht eine Schöpfung Gottes, so dass es auch nicht der Regel unterliegt, gleichmäßig zwischen den Menschen verteilt zu werden. Außerdem ist das Geld ein Gut - wie manch andere Reichtümer und Schätze mit imaginärem Wert - das nicht verdirbt, so dass auch diese Einschränkung entfällt. Besonders peinlich wird es, wenn Locke auch erklärt, dass jeder Mensch ein Eigentümer ist, auch wenn er gar nichts besitzt. Dieser würde das Eigentum am eigenen Körper und Leben besitzen. An sich ist das keine falsche Tatsache. Ein solches Eigentum besitzt wirklich jeder, auch wenn er unter der Brücke vegetiert; ist er aber gestorben, dann ist dieses Eigentum zwar weg, aber dann gibt es auch diesen Menschen - ohne Eigentum - nicht mehr. Aber lassen wir diesen Galgenhumor. Wir können Locke gegenüber nur fair sein, wenn wir die bürgerliche Aneignungstheorie historisch, in konkreten Zusammenhängen wahrnehmen und beurteilen. Dann lässt sich schnell feststellen dass sie trotz ihrer offensichtlichen Widersprüche ein Fortschritt ist.

Eine kritische Zusammenfassung und Würdigung der bürgerlichen Aneignungsregeln

Die Aneignungsregeln von Locke widersprechen sich gegenseitig, wollte man sie uneingeschränkt und bedingungslos gelten lassen. Es ist aber durchaus möglich die Reichweite jeder einzelnen Regel zu beschränken, so dass sie als  Kombination einem bestimmten Zweck dienen. Man könnte damit zum Beispiel erreichen, dass die Besitzunterschiede innerhalb bestimmter Grenzen bleiben. Es ist vorstellbar, dass Locke der Meinung war, das von ihm entworfene politische System der Gewaltenteilung würde zu einer Legislative führen, mit der sich dies erreichen ließe. Dann hat er sich aber getäuscht. Die Demokratien, so wie wir sie aus den kapitalistischen Gesellschaften kennen, waren bisher nie imstande zu verhindern, dass das Einkommen und Eigentum von unten nach oben fließt. Eine Demokratie, die wirklich den Interessen der Mehrheit diente, war immer nur kurz und unter bestimmten Bedingungen möglich, wie nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Reichen und Kapitalbesitzer es aus Angst vor dem Kommunismus unterlassen haben, sich die Politik ihrer Macht zu unterwerfen. Einer der ein solches Ergebnis schon damals ahnte, war Rousseau. Man erinnert sich an seinen berühmten Spott über die Engländer, die alle vier Jahre nur jeweils einmal frei seien, nämlich bei den Wahlen zum Parlament.

Fügen wir noch hinzu, dass sich Locke klar von der Konzentration des Eigentums bei wenigen distanziert hat. Sollte es dazu kommen, hat er - wie Hobbes vor ihm - sogar einen gewaltsamen Widerstand für legitim gehalten:

„Wenn der unschuldige, ehrliche Mensch alles, was er hat, um des Friedens willen schweigend demjenigen überlassen muß, der gewaltsam Hand darauf legt, dann bitte ich zu bedenken, was für eine Art von Frieden in der Welt sein wird, der nur aus Gewalttat und Raub besteht und nur zum Verteil von Räubern und Unterdrückern bewahrt werden soll. Wer würde es nicht als einen herrlichen Frieden zwischen dem Mächtigen und dem Schwachen ansehen, wenn das Lamm ohne Widerstand seine Kehle darböte, damit sie von dem gebieterischen Wolf zerrissen werde?
Daß man Untertanen oder Fremden, die mit Gewalt das Eigentum eines Volkes angreifen, gewaltsamen Widerstand leisten darf, wird wohl allgemein anerkannt. Daß man sich aber der Obrigkeit widersetzen dürfe, wenn sie dasselbe tut, ist erst jüngst verneint worden. Als ob diejenigen, die durch das Gesetz die größten Privilegien und Vorteile genießen, dadurch auch die Macht hätten, jene Gesetze zu brechen, durch die allein sie auf einen besseren Platz als ihre Brüder gesetzt wurden. Ihr Verbrechen ist dagegen schon deshalb um so größer, weil sie für den größeren Anteil noch undankbar sind, den sie durch das Gesetz erhalten haben, und weil sie das Vertrauen brechen, das ihnen von ihren Brüdern in die Hände gelegt worden ist.“ ... >

Ist dies aber nicht ein Zugeständnis, dass sich Locke nicht sicher war, dass seine Aneignungsregeln doch versagen könnten? Wie dem auch sei, die Botschaft von ihm, das Eigentum zu beschränken, ist ein Fortschritt für die damalige Zeit. Die plumpe Legitimation des Eigentums durch Gottesgnade - derzufolge Gott jemandem etwas einfach so gegeben hätte und den anderen nicht - wurde nicht mehr bedingungslos anerkannt. Darüber hinaus sollte das Eigentum auch verdient werden.

Der Vollständigkeit halber soll auch noch etwas über den Begriff Regel, den Locke benutzt hat, gesagt werden. Die von ihm vorgeschlagenen Einschränkungen für das Eigentum sind, im kybernetischen Sinne, keine Regeln, sondern Gebote oder Verbote. Als solche gehören sie zu den Mitteln mit denen man steuert und nicht regelt, was jedoch nicht bedeutet, dass sie nicht auch in einer geregelten Ordnung nützlich sein könnten. Hier kann man Locke nicht den modernen Ordnungstheoretikern zuordnen. Er war es aber in seiner Philosophie der politischen Gewaltenteilung. Sie stellt ein geregeltes System dar, das sich als eines der wirkungsmächtigsten Gedankensysteme erwiesen hat, die es jemals auf diesem Planeten gab.

Die ökonomische Bilanz der bürgerlichen Aneignungsregeln nach drei Jahrhunderten

Alleine anhand ihrer inneren Widersprüche kann man eine Theorie nicht beurteilen. Außerhalb bestimmter Grenzen verliert nämlich jede gewissermaßen komplexe Theorie ihre innere Konsistenz. Entscheidend sind praktische Ergebnisse. Uns interessieren jetzt vor allem die praktischen Ergebnisse der von Locke entworfenen Aneignungsregeln für ganz bestimmte Güter, und zwar für diejenigen, die für die Produktion relevant sind. Das heißt, wir lassen die zum privaten Gebrauch bestimmten Güter bzw. Reichtümer beiseite. Wir betrachten jetzt nur das, was zu den drei Produktionsfaktoren gehört.

Der Produktionsfaktor Boden (Naturressourcen)

Wie bereits gesagt hat der Boden - und alles was zu ihm gehört - damals, als Locke geschrieben hat, hauptsächlich der feudalen Klasse gehört. Es gab also ein Monopol auf diesen Produktionsfaktor. Dass die neuen Bürgerlichen dies als ungerecht empfanden, kann nicht verwundern. Als sich der Kapitalismus durchsetzte, sind aus diesem Monopol kleinere Eigentumseinheiten entstanden, aber das Meiste haben Oligopole erhalten. Eine Verteilung des Bodens, die der ersten Aneignungsregel von Locke entsprechen würde, gab es in der ganzen bisherigen Geschichte des Kapitalismus nur äußerst selten.

Erinnern wir uns etwa an die Faustregel aus der Zeit unmittelbar nach der Gründung der USA, die besagt, dass für die Entfaltung und den Gebrauch der individuellen Fähigkeiten ein Bodeneigentum von 16 ha und ein Maultier für jeden Mann benötigt wird. Diese Art der Eigentumsverteilung findet man aber in der Geschichte äußerst selten, eigentlich nur dann, wenn es sich um geraubtes Eigentum handelte, wenn es also galt, das Fell des Bären aufzuteilen. Es ging damals nicht um Umverteilung, sondern um die Verteilung des von den Indianern erbeuteten Bodens. Es sei ein Geschenk der Vorsehung, “diese Wilden auszurotten und für jene Platz zu machen, die die Erde kultivierten“, verkündete damals Benjamin Franklin - sein Bild ziert noch heute den Dollarschein. Davon hören die heutigen Liberalen natürlich nicht gern. Bis in die Gegenwart wird der Genozid an den amerikanischen Ureinwohnern produktivistisch entschuldigt: „Die Indianer haben ihr Land nicht genutzt.“

Der Produktionsfaktor Arbeit:

Das Recht auf das Eigentum des eigenen Körpers und Lebens ist auch ein Fortschritt, verglichen mit der Sklavengesellschaft. Dieses bürgerliche Recht bedeutete damals aus Sklaven und Knechten freie Lohnarbeiter zu machen. Inwieweit hat sich dies als Fortschritt erwiesen? Diese Frage scheint fast absurd zu sein, das ist sie aber keineswegs.

Der Sklave ist seiner ganzen Würde beraubt, das stimmt. Wenn es jedoch darum geht, wie er seine Bedürfnisse befriedigen konnte, und wenn man dies noch mit dem vergleicht, was er dafür leisten musste, dann ist das Bild nicht mehr so eindeutig. Auch Smith vergleicht die Lage des Sklaven und des freien Arbeiters und stellt fest:

„Die Abnutzung eines Sklaven, hat man gesagt, geht auf Kosten seines Herrn, die eines freien Dieners auf seine eigenen Kosten. ... Wenn indes auch die Abnutzung eines freien Dieners gleichfalls auf Kosten seines Herrn geschieht, so kostet sie letzteren doch in der Regel weit weniger, als die eines Sklaven.
Die Arbeiter sind, wenn sie reichlich nach dem Stück bezahlt werden, sehr geneigt, sich zu überarbeiten, und in wenigen Jahren ihre Gesundheit und Körper-Beschaffenheit zu ruinieren.“ ... >

Auf seinen Reisen durch Amerika stellte der konservative Denker Alexis de Tocqueville in seinem berühmt gewordenen Buch Über die Demokratie in Amerika (1835/1840) fest:

„Im Ganzen genommen ist, glaube ich, die Aristokratie der Fabrikanten, die wir vor unseren Augen erstehen sehen, eine der härtesten, die auf Erden erschienen ist.“ ... >

Man hat in dieser Zeit auch festgestellt, dass es rein materiell betrachtet den amerikanischen Sklaven damals nicht so schlecht gehen konnte.

„Der Güterkonsum der Sklaven schnitt verglichen mit dem Einkommen freier Landarbeiter recht gut - sicherlich nicht schlecht - ab. Selbst die Lebenserwartung der Sklaven war relativ gesehen nicht besonders niedrig - sie kam in etwa der Lebenserwartung in den Fortgeschrittenen Ländern wie Frankreich und Holland gleich und übertraf bei weitem die Lebenserwartung der freien städtischen Industriearbeiter sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Europa.“ ... >

Marx hat mit Recht behauptet, dass im Kapitalismus die Ausbeutung der arbeitenden Bevölkerung durch die Besitzenden alles weit übertroffen hätte, was in der Geschichte zuvor bekannt wurde. In den späteren sozialistischen Ordnungen ist diese Ausbeutung deutlich zurückgegangen, sie hat sich sozusagen die „normalen“ historischen Maßstäbe angepasst. Das Problem dieser Ordnungen war - wie schon festgestellt -, dass sie sich als unfähig erwiesen haben, die Produktivität zu steigern. Für Hobbes wäre sofort klar, wie dies enden müsste. Diejenigen mit der höheren Produktivität würden bessere Waffen herstellen und irgendwann die Ärmeren besiegen.

Der Produktionsfaktor Kapital:

Der Weg zum Kapital führt bekanntlich über das Geld. Damit investiert wird und das reale Kapital entsteht, muss zuerst Einkommen eingespart werden, und zwar in Form von Geld. Das haben die Ökonomen schon damals gewusst und Locke musste dies bekannt sein. Er konnte von ihnen erfahren, dass das Geldsparen gut sei, weil die dadurch entstandenen Investitionen neue Arbeitsplätze schaffen. Wenn dadurch die Arbeitskraft allmählich knapp wird, werden dann auch Löhne steigen müssen. Auf diese optimistische Weise hat sich auch noch der letzte große klassische Liberale des 19. Jahrhunderts, John S. Mill, die kapitalistische Entwicklung vorgestellt. Sein Zeitgenosse Marx hat dem heftig widersprochen, und die Tatsachen waren zweifellos auf seiner Seite. Diese Tatsachen zu leugnen ist das wichtigste Merkmal der neuen Liberalen. Mill gehörte aber noch zu den ehrlichen Liberalen. Er sah auf einer Seite Elend, dem immer mehr Privateigentum bei wenigen gegenüberstand und das hat ihn auf Gedanken gebracht, die den späteren Liberalen das Blut in den Adern gefrieren lassen würde:

„Wenn demnach zu wählen wäre zwischen einem Kommunismus mit allen seinen Aussichten und dem gegenwärtigen Gesellschaftszustand mit allen seinen Leiden und Ungerechtigkeiten; wenn die Einrichtung des Privateigentums notwendig zur Folge hätte, daß der Arbeitsertrag, wie wir heute sehen, beinahe im entgegengesetzten Verhältnis zu der Arbeit verteilt würde -, daß nämlich der größte Anteil denen zufällt, die überhaupt niemals gearbeitet haben, der nächstgrößte denen, deren Arbeit fast nur auf dem Papier steht, und so in absteigender Linie, wobei die Vergütung um so mehr abnimmt, je härter und unangenehmer die Arbeit ist, ... wenn dieser Zustand oder der Kommunismus die Alternative wären, so würden alle bedeutenden oder unbedeutenden Schwierigkeiten des letzteren nur wie Staub auf der Wage wiegen.“ ... >

Albert Einstein, einer der bedeutendsten Physiker des 20. Jahrhunderts schrieb dazu:

„Privates Kapital tendiert dazu, in wenigen Händen konzentriert zu werden – teils aufgrund der Konkurrenz zwischen den Kapitalisten und teils, weil die technologische Entwicklung und die wachsende Arbeitsteilung die Entstehung von größeren Einheiten auf Kosten der kleineren vorantreiben. Das Ergebnis dieser Entwicklungen ist eine Oligarchie von privatem Kapital, dessen enorme Kraft nicht einmal von einer demokratisch organisierten politischen Gesellschaft überprüft werden kann. Dies ist so, da die Mitglieder der gesetzgebenden Organe von politischen Parteien ausgewählt sind, die im Wesentlichen von Privatkapitalisten finanziert oder anderweitig beeinflusst werden. Die Folge ist, dass die „Volksvertreter“ die Interessen der unterprivilegierten Schicht der Bevölkerung nicht ausreichend schützen. Außerdem kontrollieren unter den vorhandenen Bedingungen die Privatkapitalisten zwangsläufig direkt oder indirekt die Hauptinformationsquellen (Presse, Radio, Bildung).“ ... >

Es gibt schon lange viele empirische Forschungen darüber, ob bzw. wie sich die Verteilung des Eigentums auf die ökonomische Effizienz auswirkt. Das eindeutige Ergebnis all dieser Forschungen ist, dass die ökonomische Effizienz eine gewisse Gleichheit voraussetzt. Um die Gleichheit quantitativ auszudrücken, gibt es mehrere Methoden. Zu diesem Zweck schlägt zum Beispiel Franz Radermacher Equity-Koeffizienten vor. In einem egalitären Land, in dem die untere Hälfte der Bevölkerung genau eine Hälfte des Einkommens erhält, beträgt dieser Koeffizient 100%; wo sie nur ein Viertel des Einkommens erhält, hat der Koeffizient den Wert 50%. Bei den meisten erfolgreichen, also pro-Kopf-reichen Ländern dieser Welt liegt der Equity-Koeffizient zwischen 50% und 60%, bei den Nordeuropäern und den Japanern sogar oberhalb von 60%. In Brasilien liegt er dagegen nur bei 27%, und in der Welt insgesamt erreicht er nicht einmal 13%. Diejenigen, die ständig darüber lamentieren, Leistung müsse sich wieder lohnen, sollten uns nun erklären, warum die Länder, in denen sich Leistung offensichtlich lohnen müsste, in denen es also kaum einen sozialen Ausgleich gibt, niemals wirtschaftliche Erfolge verzeichnen konnten. Aus diesen Daten lässt sich auch schlussfolgern:

„Der große Erfolg einiger asiatischer Länder im Vergleich zu großen amerikanischen Ländern wie Brasilien“ - - „scheint seine tiefere Ursache in dem höheren sozialen Ausgleich in Asien zu haben.“ ... >

Das einzige heute wohlhabende Land mit einer Equity unterhalb von 50% sind die USA mit etwa 47%. Wenn man aber bedenkt, dass die USA eine hegemoniale Macht sind, die der Weltwirtschaft ihre Währung ohne reale Deckung als Zahlungsmittel aufgedrängt hat, Normen und Gesetze vorschreibt und diese, wann immer es ihr passt, ohne Weiteres bricht, ist es in der Tat fraglich, ob eine Wirtschaft mit einem Equity-Koeffizient unter 50% wirklich auf Dauer erfolgreich sein kann.

War aber die amerikanische Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten wirklich so erfolgreich wie ihr Ruf? Wenn ein europäischer Tourist nach Amerika kommt und sich das Leben der einfachen Amerikaner anschaut, bleibt es ihm in der Tat ein Rätsel, wie der angebliche amerikanische Wirtschaftsaufschwung aussehen soll. Nachdem er das glitzernde Manhattan hinter sich gelassen hat, bekommt er die verwüsteten Vorstädte mit grassierendem Elend zu sehen, die mehr bestimmten lateinamerikanischen Ländern mit oligarchischen Regimen ähneln als der liberalkapitalistischen Kultur Europas oder der amerikanischen Gesellschaft, wie sie einmal war. Nicht nur die Laien, sondern auch die Analysten bekommen immer mehr den Eindruck, dass die Zahlen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung in den Vereinigten Staaten mittlerweile ungefähr so zuverlässig sind wie einst in der Sowjetunion.

„Das so genannte amerikanische Wirtschaftswunder war ein Scheinwunder. Es hat nie stattgefunden. Es war ein Medienereignis. Weder gab es außergewöhnliches Wachstum noch hohe Gewinne, weder Produktivitätszuwachs noch eine Sanierung des öffentlichen Haushalts. Es war kein Wunder der Wirtschaft sondern der Desinformation ... Es wird erkannt, dass auf unheilvolle Weise Finanz- und Realwirtschaft verwechselt wurden. Die Illusion nicht endender Bullmarkets und die New-Economy-Euphorie erwiesen sich als ... Mangel an wirtschaftlichem Sachverstand, Fehlen von Kenntnissen der Wirtschaftsgeschichte, jugendliche Unerfahrenheit, nicht selten schiere ökonomische Dummheit, Casino-Mentalität, Hochstapelei und gelegentlich schlicht Wirtschaftskriminalität. Deutschland, Du hast es besser!“ ... >

Betrachtet man die Erfahrung nach dem Zweiten Weltkrieg, spricht sie für einen Equity-Koeffizienten von etwa 70%. Dieser numerische Wert der Ungleichheit sollte folglich explizit im neuen gesellschaftlichen Vertrag bzw. in der Verfassung stehen. Ohne eine solche quantitative Festlegung taugen die Sprachhülsen, wie etwa „Eigentum verpflichtet“ und ähnliche, wie in unserem Grundgesetz, so gut wie nichts.

„Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. ... Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. ... Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ ... >
 
 
 
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