Pars-pro-Toto als eine primitive und längst überholte Denkweise:
  Die Stärken und die Grenzen der zentral geplanten Wirtschaften
       
 
Niemand kann so recht erklären, was dem Sowjetregime eigentlich widerfuhr. In der Rückschau neigen wir nun dazu, das ganze System für von Grund auf unsolide zu halten, weshalb der Zusammenbruch unvermeidlich gewesen sei - irgendwann. Wir sollten aber nicht vergessen, dass es ein Herrschaftssystem war, das Bürgerkrieg und Hungersnot überdauerte, das Hitler samt dessen »neuer Ordnung« wider alle Erwartungen zu Fall brachte, das durch Mobilisierung seiner wissenschaftlichen und industriellen Ressourcen sogar der Atommacht Amerika Paroli zu bieten vermochte. Dass es mit diesem System so plötzlich zu Ende ging - nicht mit einem Knall, sondern mit einem Seufzer! -, ist im Grunde eines der großen Rätsel der politischen Ökonomie.
 
    Paul Krugman, bekannter amerikanischer Ökonom (Nobelpreisträger, 2008)    

Als Mises in seinem Buch „Die Gemeinwirtschaft“ (später engl. als „Socialism“) im Jahre 1922 angeblich „analytisch streng“ nachgewiesen hat, dass eine reine Planwirtschaft nie und nimmer funktionieren würde, weil es in ihr keinerlei Möglichkeit gebe, Preise richtig zu bestimmen und effiziente Kalkulationen zu machen, gab es noch nirgendwo eine Planwirtschaft. Die Bolschewiki kämpften nach der Oktoberrevolution noch jahrelang gegen die Söldner der heimischen und internationalen Bourgeoisie. Darüber wird aber gern geschwiegen, weil man nicht auf den „dummen Gedanken“ kommen soll, die Brutalität der Kommunisten wäre nur eine Reaktion auf die Brutalität ihrer Gegner gewesen. Ja, natürlich, die Bolschewiki haben sich mit allen Mitteln gegen die Konterrevolution verteidigt, weil sie genau wussten, was sie erwartet, wenn sie den Kampf verlieren: Die Rache der Besitzenden nach der Pariser Arbeiterrevolution (der „Commune“ 1871) war nicht weniger rücksichtslos und bestialisch als die anderen größten Verbrechen der Geschichte.

Erst nach Lenins Tod begann Stalin die nichtprivate planerische Wirtschaft zu realisieren. Wer sich von Mises „Argumenten“ überzeugen ließ, musste damals glauben, dass die sowjetische Planwirtschaft schon morgen zusammenbrechen würde. Sie brach 70 Jahre später in der Tat zusammen, was seine Anhänger begeistert als Bestätigung der Voraussage ihres Meisters betrachten. Was leistete die Planwirtschaft, die nicht möglich sein sollte, weil sie keine richtigen Preise kennen würde, aber wirklich?

Es gab in den kommunistischen Wirtschaften immer wieder Pläne mit Fehlern, die zu Engpässen bei der Versorgung mit bestimmten Gütern führten. Wir wissen auch, dass dann die „geschickten“ Genossen diese Güter eingekauft haben, um sie auf dem Schwarzmarkt weiter zu verkaufen. Diese Schmuggler und Schieber konnten damit Paretosche Zugewinne bei sich und auch bei ihren Käufern realisieren. Dass solche Situationen in der westlichen Presse große Aufmerksamkeit fanden und begierig ausgeschlachtet und „beleuchtet“ wurden (die berühmten Schlangen vor dem Bananenladen), bedeutet aber nicht viel.

Man muss jedoch völlig realitätsfremd sein, wenn man dabei übersieht, dass zumindest die ersten Fünfjahrespläne der Wirtschaften der kommunistischen Länder sehr erfolgreich waren. Kein kapitalistisches Land hat sich bis dahin in einem solchen Tempo industrialisiert wie die kommunistischen. (Japan und die „vier kleinen Tiger“ kommen erst später.) Die kommunistische Kommandowirtschaft war ein Herrschaftssystem, das den Bürgerkrieg überdauerte, zahlreiche ausländische antikommunistische Interventionen abwehrte, das von Hitler vollkommen zerstörte Land wieder aufbaute und durch Mobilisierung seiner wissenschaftlichen und industriellen Ressourcen sogar der Atommacht Amerika Paroli zu bieten vermochte. Die Stagnation der kommunistischen Kommandowirtschaften begann erst später um sich zu greifen.

Nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Kommandowirtschaft hat uns die Erfahrung der Transitionsländer einen zusätzlichen, überzeugenden empirischen Beweis dafür geliefert, dass die Planwirtschaft keineswegs alles falsch macht und der Markt alles besser optimiert. Wenn die Planwirtschaft wirklich mit willkürlichen und irrationalen Preisen kalkuliert hätte, weshalb ihre Produktionstechniken falsch ausgewählt worden seien (Mises, Hayek), dann hätte in allen diesen Wirtschaften nach dem Zusammenbruch der Planwirtschaft ein wahres Wirtschaftswunder entstehen müssen. Nachdem man die „knappen Ressourcen“ dem Markt überlassen hatte, der ihnen ja die Preise nach ihrer „richtigen“ (Grenz-) Produktivität zuteilt, hätte die Produktion durch neue, jetzt schon „richtige“ technologische Kalkulationen in den Himmel schießen müssen. Der brave tschechische Neoliberale Václav Klaus, ein großer Verehrer der „eisernen Lady“ Maggie Thatcher, begann als Ministerpräsident nach der Wende nicht von ungefähr an den Fingern abzuzählen, wann die tschechische wild liberalisierte Wirtschaft die deutsche, angeblich „überregulierte“, „sklerotische“ und mit „Reformstaus“ behaftete überholen würde. Das Ergebnis ist bekannt.

Es überrascht also nicht, dass ein scharf beobachtender und klar denkender Ökonom wie Paul Krugman schreibt: „Dass es mit diesem [kommunistischen] System so plötzlich zu Ende ging - nicht mit einem Knall, sondern mit einem Seufzer! -, ist im Grunde eines der größten Rätsel der politischen Ökonomie.“ Dass es ein Rätsel der ökonomischen Theorie ist, damit braucht man allerdings nicht einverstanden zu sein. Die Planwirtschaft ist der Konkurrenzwirtschaft überlegen, wenn es sich darum handelt, „knappe Ressourcen“ makroökonomisch optimal zu kombinieren, aber „knappe Ressourcen“ mikroökonomisch optimal zu kombinieren, darin ist die Marktwirtschaft der Planwirtschaft überlegen. Daraus folgern wir, dass beide Wirtschaften ungefähr im gleichen Maße unfähig sind, Ressourcen, die dem Volke hier und jetzt zur Verfügung stehen, optimal zu nutzen. Der entscheidende Vorteil der Marktwirtschaft besteht einzig und allein in ihrer Fähigkeit, ständig neues technologisches Wissen zu „produzieren“ und damit auch die Produktivität tendenziell zu steigern. Die technologischen Innovationen der Konkurrenzwirtschaft sind also das wahre Geheimnis, mit ihnen steigert sie - historisch gesehen - die Produktion erfolgreicher als jede andere Wirtschaft, auch wenn ihre praktische Produktionsstruktur hier und jetzt mehr oder weniger schlecht optimiert ist. Da liegt die Lösung des Rätsels, warum die private Konkurrenzwirtschaft, die makroökonomisch wenig erfolgreich ist und in der die Einkünfte ziemlich ungerecht verteilt sind, langfristig doch erfolgreicher als alle anderen ist. Völlig zurecht schreibt Francis Fukuyama in seinem berühmten Buch Ende der Geschichte:

„Der sowjetische und der chinesische Staat waren durchaus in der Lage, ihre Gesellschaften in das Zeitalter von Stahl und Kohle zu führen. Die dafür benötigte Technologie war nicht besonders komplex und konnte auch von größtenteils des Lesens und Schreibens unkundigen Bauern gemeistert werden.
Das Scheitern der zentralen Planwirtschaft hat letztlich mit dem Problem der technischen Innovation zu tun.“ ... >

Hätte die Planwirtschaft lediglich das Problem, den Verbrauch zu optimieren, hätte sie bestimmt kein Problem gehabt. Ihr Problem war die Produktion, genau gesagt das Produktivitätswachstum und nicht die Optimierung der Produktionsfaktoren und der Konsumgüter. Der Kommunismus war das Opfer des größten Irrtums der klassischen ökonomischen Theorie, der sogenannten Politischen Ökonomie, dass mit der Akkumulation des Kapitals (und der Arbeitsteilung) eigentlich alles erledigt sei, was für die Produktivitätssteigerung nötig ist.

Ach ja, nach dem Zusammenbruch des Kommunismus kann man hier und da lesen, dass die Bolschewiki eigentlich gar nicht so erfolgreich waren, als sie das rückständige Russland industrialisierten. Angeblich hat schon der Zar damit erfolgreich begonnen, und hätte man ihm überlassen, es weiter zu tun, wäre Russland noch schneller industrialisiert worden. Was soll man nun von dieser neuen historischen „Entdeckung“ halten? Kann man irgendwie das Gegenteil beweisen, dass nämlich der Zar gar nicht vorhatte, Russland zu industrialisieren? Nein. Man kann dies in der Tat nicht. Also besteht keine Gefahr, dass man sich damit als Lügner blamieren wird. Außerdem wissen wir auch, dass eine ständig wiederholte Lüge irgendwann für die Wahrheit gehalten wird - zumindest manchmal.

 
 
     
 
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