zu weiteren gefundenen Beiträgen
  Dem Stichwort   Globalisierung  zugeordneter Beitrag
home inhalt
 

  Die EU: Ein neoliberales Projekt nach dem Vorbild des deutschen Merkantilismus
  Soziale Marktwirtschaft statt Kapitalismus: Sterile Sprache statt analytisches Denken
       
 
Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört, es müsse sich dabei doch auch was denken lassen.
 
    Johann Wolfgang von Goethe    
 
Mattes und wenig bedeutendes Denken fasst sich selten kurz. Es braucht viele Worte ... Es muss dauernd um die Sache herumgehen, weil es die Sache, zu deren Aussage es sich übernommen hat, nicht trifft, vielleicht auch nicht treffen will. Je länger das Geschwätz, desto dünner der Sinn, desto verräterischer die Kürzung.
 
    Ernst Bloch    
       
 
Den Neoliberalen geht es nicht so sehr um eine ernsthafte Diskussion der aufgeworfenen Probleme, sondern mehr oder weniger um ein Gespräch zwischen den eigenen vier Wänden, das sich im wesentlichen darin erschöpft, die eigenen Thesen ständig zu wiederholen und grundsätzliche Einwände mit Schweigen zu übergehen.
 
    Hajo Riese    
       

Wenn der Ordoliberalismus ein Fortschritt in Bezug auf die Historische Schule sein sollte, was wäre dann sein Ergebnis? Die Ordoliberalen hätten in diesem Fall allgemein gültige neue Prinzipien und Gesetzmäßigkeiten über die Funktionsweise der Marktwirtschaft genau formuliert, die sich zu einem konsistenten System von Gedanken (Paradigma) zusammenfügen würden. Das ist mit der analytischen Strenge gemeint, mit der sich die neoliberale (marginalistische) Lehre so brüstet. Anders als bei der realitätsfremden neoliberalen Theorie sollte der Ordoliberalismus seine neu entdeckten Prinzipien und Gesetzmäßigkeiten auf die reale Welt beziehen, also auf die empirischen Tatsachen. Diesen Anspruch an die Wirtschaftswissenschaft stellte auch Walter Eucken. Für ihn stand außer Zweifel, dass durch das Desaster der Weimarer Zeit ein neuer Anfang unbedingt nötig sei:

„Eine Wendung von der Ideologie zur Erfahrung ist nötig. Denn das Problem der menschenwürdigen und wirtschaftlich zureichenden Ordnung der industrialisierten Wirtschaft ist noch nicht gelöst.“ ... >

Wir schauen uns jetzt an, was die neuen Liberalen als Ordoliberale (der Freiburger Schule) erreicht haben. Uns werden im Folgenden nur die theoretischen Inhalte und Ergebnisse dieser – angeblich vom Saulus zum Paulus geläuterten - Liberalen interessieren, ohne Berücksichtigung ihrer privaten Orientierungen und Lebensläufe. Das Nötigste dazu haben wir schon erwähnt. Für die Wissenschaft an sich sind persönliche Schwächen und Verfehlungen sowieso von keinerlei Bedeutung. Es ist aber angebracht, noch einmal an die Umstände zu erinnern, die den in Deutschland dominierenden Neoliberalismus zum Rückzug zwangen.

Keine Hoffnung für den Neoliberalismus nach dem Desaster der Weimarer Zeit

Als der Zweite Weltkrieg zu Ende war, konnte man den Deutschen noch einige Jahre keine ideologischen Märchen darüber erzählen, dass die Welt in der Weimarer Zeit im Großen und Ganzen in Ordnung war, bis dann einfach aus Nichts ein Dämon auftauchte, der mit irgendwelchen übernatürlichen Kräften die Seelen der Deutschen vergiftete und sie dazu zwang, was sie dann getan haben. Die Deutschen wussten, wie es zuvor gewesen war, was man ihnen im Namen der Demokratie und der Freiheit angetan hat, wie man sie in Verzweiflung und Wahnsinn trieb. Die Schreibtischtäter von damals wussten, dass ihnen nichts anderes übrig blieb, als über diese Zeit zuerst beharrlich zu schweigen, die damaligen Reformkonzepte in die Schublade zu stecken und zu warten, bis sich neue Gelegenheiten ergeben. Allerdings haben sie selbst kaum daran glauben können. Nicht einmal der prominenteste Philosoph der so genannten „freien“ Gesellschaft, der verbissene Gegner des Historismus und vor allem des Marxismus, Karl Popper, sah sich zu Zugeständnissen genötigt. Er gab reumütig zu:

„Marx zeigte ... daß er in einer bösen Gesellschaft lebte, in einer Welt, in der es Unterdrückung und Ausbeutung, Hunger und Elend auf der einen Seite gab und Luxus auf der andren Seite. Hier hat Marx viel geleistet, und er hat mit beigetragen zur Reformierung dieser Welt.
Meine These zur Gegenwart aber ist: Wir leben hier im Westen ... in der verhältnismäßig besten, gerechtesten, fürsorglichsten Welt, die es je in der Geschichte gegeben hat: in der freien Welt, in der Welt, wo wir die größten Möglichkeiten haben, in einer Welt, wo wir frei sprechen können. Das ist eine Welt, wie sie es nie vorher gegeben hat. Ich möchte sogar dazusetzen, dass die Güte unserer Welt zum Teil durch Marxisten hervorgebracht worden ist.“ ... >

In den Jahren nach dem Krieg war Buße angesagt. Wer als Verteidiger der freien Marktwirtschaft noch glaubwürdig bleiben wollte, musste öffentlich Reue zeigen. In Deutschland befanden sich die Jünger der freien Marktwirtschaft auch aus noch einem zusätzlichen Grund in der Zwickmühle: Es war aus eigener Erfahrung allgemein bekannt, dass unter dem „Dämon“ das Zweite deutsche Wirtschaftswunder stattfand. Das hat auf großartige Weise die Marxsche Auffassung bestätigt, dass der Kapitalismus eine ökonomische Ordnung ist, die eine fast unwirkliche Fähigkeit hat die Produktivkräfte zu entwickeln, also immer neue Produktionsmethoden (Techniken und Technologien) mit immer höherer Produktivität zu schaffen, er aber nicht gut geeignet ist, diese einzusetzen: „Das Kapitalmonopol wird zur Fessel der Produktionsweise, die mit und unter ihm aufgeblüht ist.“ David Riesman, der bekannte amerikanische Soziologe, stellte verwundert fest:

„Der wirtschaftliche Aufschwung der Nachkriegszeit in den völlig am Boden liegenden Ländern wie Japan, Jugoslawien, Deutschland und Frankreich stellt uns vor die Frage: Was haben diese Wirtschaftsverbände vor dem Krieg eigentlich getrieben, daß sie damals eine verhältnismäßig so geringe Produktion entfalteten?“ ... >

Eine berechtigte Frage: Was haben die kapitalistischen Länder in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg getrieben? Das wissen wir doch. Sie haben eine neoliberal konzipierte Reform nach der anderen durchgepeitscht, ohne Rücksicht auf Verluste, und die deutschen „Eliten“ sind mit ihrer Brutalität allen anderen vorangegangen.mehr Sie bekamen nie genug von Reichtum, von Privilegien und von Macht. Die sich bei ihnen geistig prostituierenden Wirtschaftsexperten, Ökonomieprofessoren und Wirtschaftswissenschaftler haben dafür gesorgt, dass sie dies auch noch mit gutem Gewissen tun konnten. Auch heute tun sie (wieder) dasselbe. Sie ergreifen bei jeder Gelegenheit das Wort für Reformen wie in der Weimarer Zeit, die - wie damals - alternativlos sein sollen. Wir müssten also auch nach der Dritten industriellen Revolution den Gürtel enger schnallen - die Rückkehr in die Massenarmut ist angeblich alternativlos.

Das nichts davon jemals alternativlos war, hat Hitler den Deutschen - und der ganzen Welt - vor Augen geführt. Er hat empirisch eindrucksvoll nachgewiesen, dass die Produktivkräfte, welche die freie Marktwirtschaft fähig ist zu entwickeln, viel mehr Wohlstand schaffen können, als es dem Kapitalismus, also der freien (laissez-faire) Marktwirtschaft möglich ist. Dem „Dämon“ ist es mit den Produktivkräften des Kapitalismus nicht nur gelungen, mehr Wohlstand für alle zu schaffen - mehr Butter für alle - sondern auch noch Kanonen, sehr viele Kanonen, sozusagen nebenbei - als Zugabe. Das alles war nach dem Krieg noch jahrelang bekannt. Man konnte den Menschen nicht erzählen, dass der Kapitalismus ihr Schicksal sei. Man hatte auch noch nicht die Äußerungen der Vertreter der Historischen Schule vergessen, die nicht selten sehr klar und deutlich waren, wie etwa Werner Sombart:

„Die Wirtschaft ist n i c h t unser „Schicksal“. ... Das Zeitalter des Kapitalismus ist ja gerade durch den auffallenden Widerspruch zwischen der auf die Spitze getriebenen Planmäßigkeit in der Einzelwirtschaft und der Planlosigkeit der Gesamtwirtschaft gekennzeichnet.“ ... >

Um den Kapitalismus doch noch zu retten, musste man eine sozial gerechtere Wirtschaftspolitik betreiben. Auch diesmal haben sich die deutschen Wirtschaftswissenschaftler auf einen Sonderweg begeben. Der Ordoliberalismus war die Alternative zum Keynesianismus, für den sich manche unserer westlichen Nachbarn entschieden haben. Doch auch dieser Sonderweg der deutschen Wirtschaftswissenschaft führte nirgendwo hin. Wir schauen uns jetzt die drei wichtigsten Bereiche der theoretischen Forschung der Ordoliberalen etwas näher an, um herauszufinden, was dort erreicht worden ist.

Forschungsbereich 1: Wenn die soziale Marktwirtschaft kein Kapitalismus sein soll, was dann?

Die Rückzugsliberalen der Nachkriegszeit konnten das ökonomische Versagen der Weimarer Zeit also nicht leugnen, und noch weniger die unumstrittene und damals in der ganzen Welt bewunderte Tatsache, dass Hitler ein Wirtschaftswunder schuf und dass er derjenige war, der den Deutschen nach einer relativ kurzen, aber dafür um so schlimmeren Zeit des Elends und der Verzweiflung wieder ein menschenwürdiges Leben ermöglichte. So begann die große Buße der früheren Liberalen. Wir erinnern uns, was damals von Eucken, Rüstow, Röpke und Müller-Armack zu hören war, woran man sich heute gar nicht mehr erinnern will:

„Soziale Sicherheit und soziale Gerechtigkeit sind die großen Anliegen der Zeit. Die soziale Frage ist seit Beginn der Industrialisierung mehr und mehr zur Zentralfrage menschlichen Daseins geworden. Sie hat eine immanente geschichtliche Kraft. Auf ihre Lösung müssen Denken und Handeln vor allem gerichtet sein.“ ... >
„Selten ist wohl eine Bewegung mit so viel Schwung und so hochgespannten Hoffnungen ins Leben getreten wie der Liberalismus im 18. Jahrhundert. Man war tief überzeugt: die Durchführung der Freiheit, insbesondere auf dem Gebiete der Wirtschaft, würde einerseits einen ungeheuren Aufschwung der Wirtschaft, andererseits eine allgemeine Harmonie der Interessen und Gesinnungen herbeiführen. Die erste dieser beiden Hoffnungen hat sich in überschwänglicher und beispielloser Weise erfüllt, die zweite jedoch umso weniger. Ein noch nie dagewesener Aufschwung der Wirtschaft im 19. Jahrhundert war begleitet von einer gleichfalls beispiellosen Verschärfung der sozialen und politischen Gegensätze.“ ... >
„Liberalismus und Kapitalismus sind in der Tat während anderthalb Jahrhunderten mit verhängnisvollen Fehlentwicklungen belastet worden, bei denen man sich heute wundert, daß sie überhaupt möglich waren, und nichts hat beide dem völligen Ruin so nahe gebracht wie der doktrinäre Glaube, daß diese historische und mißgestaltete Form die einzig mögliche gewesen sei und auch in Zukunft als die einzig denkbare zu gelten habe. ... Ja, aus dem doktrinären Liberalismus ergibt sich schnurstracks der Schluß, daß das Wirtschafts- und Sozialsystem des Abendlandes rettungslos verloren ist.“ ... >
„Eine dem Menschen glaubwürdige Sozialordnung kann nicht allein durch den Appell an den guten Willen und den Gesinnungswechsel erreicht werden. Es bedarf vielmehr einer institutionellen Sicherung, um die Bereitschaft zu menschlicher Zusammenarbeit auch praktisch und rechtlich zu gewinnen und ihr so Dauer zu verleihen.
Das politische Verhängnis der nationalsozialistischen Diktatur erwuchs aus einer Nichtbeherrschung der Regeln des marktwirtschaftlichen Prozesses.“ ... >

Die Ordoliberalen haben die Soziale Frage in Vordergrund gerückt - was schon früher das Anliegen der Historischen Schule war -, womit sie sich in der Tat in aller Deutlichkeit von den marktradikalen Liberalen abgegrenzten. Dem muss man aber unbedingt eines sofort hinzufügen: Nicht alle waren bereit, diese Wendung mitzumachen. Die Unverbesserlichen, wie etwa Mises und Hayek – um nur zwei der prominentesten Namen zu erwähnen - haben auch nach dem Weimarer Desaster jede Diskussion über das soziale Versagen des Kapitalismus von sich gewiesen. Sie haben ausdrücklich behauptet, dass die Marktwirtschaft an sich sozial sei und gerade eine soziale Marktwirtschaft würde es nicht sein. Mises und Hayek haben keinen Hehl daraus gemacht, dass die „Soziale Marktwirtschaft“ in welcher Form auch immer, ihrer Meinung nach nur kommunistisches Teufelszeug sein könnte und lehnten sie ihr ganzes Leben lang bedingungslos ab.

Wenn die Marktwirtschaft vor dem Krieg doch nicht sozial war, wie es die reuigen neuen Liberalen, also die Ordoliberalen nun bereit waren zuzugegen, dann müssten sie uns aber sagen können, wie sie sozial sein sollte. Sie haben in der Tat immer wieder von „Formen“, „Ordnungsrahmen“ und „Interventionen“ gesprochen, dazu gleich mehr, aber wenn man sich die theoretischen Inhalte anschaut, die dahinterstehen, ist man enttäuscht. Ihnen ist nie etwas eingefallen, was nicht schon immer zur gängigen Praxis der kapitalistischen Wirtschaftspolitik gehörte. Ihre „Soziale Marktwirtschaft“ ist immer nur eine soziale Liturgie gewesen. Sie ersetzte logische Argumentation durch Moral und eine konstruktive Kritik der sozialen Missstände durch das Ereifern über Skandale. Wenn man sich ihre Aussagen chronologisch anschaut, kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass die Ordoliberalen nie etwas anderes und nichts mehr waren als kurzzeitig gestörte Neoliberale. Die Grundsätze der Wirtschaftspolitik (1950) schrieb Eucken - das Haupt der Freiburger ordoliberalen Schule - kurz vor seinem Tod. Er hat ihre Veröffentlichung nicht mehr erlebt. Was dort steht, klingt - milde ausgedrückt - sehr ernüchternd und enttäuschend:

„Die soziale Frage ist heute in ihrem Kern die Frage nach der Freiheit des Menschen.
Die Gesamtordnung sollte so sein, daß sie den Menschen das Leben nach ethischen Prinzipien ermöglicht.“ ... >

Auf den Punkt gebracht: Das Soziale bedeutet Freiheit und Keuschheit. Zu den Ordoliberalen zählt auch Röpke, er war aber dort nie mit dem Herzen dabei. Bei ihm kommt der Zynismus und die Heuchelei der Ordoliberalen am deutlichsten zum Ausdruck. Man fragt sich, wie sozial jemand wirklich sein konnte, wenn er so etwas geschrieben hat:

„Unter den langsam weiterfressenden Geschwüren unserer westlichen Wirtschaft und Gesellschaft stehen zwei obenan: das anscheinend unaufhaltsame Fortschreiten des Wohlfahrtsstaates und jene Aushöhlung des Geldwertes, die man als schleichende Inflation bezeichnet.“ ... >

Eine doppelte Wandlung vom Saulus zum Paulus und wieder zurück – so könnte man die Entwicklung der Ordoliberalen mit Recht bezeichnen. Als Rüstow selbstgerecht erklärte

„Mit falschen Theorien läßt sich jedes Interesse rechtfertigen, läßt sich jede noch so egoistische, noch so partielle und noch so bornierte Forderung rechtfertigen. Daher die große Beliebtheit falscher Theorien.“ ... >

hätte er sich an die eigene Nase fassen müssen.

Forschungsbereich 2: Was sollte die Gesellschaft der „Nivellierten“ oder „Mittigen“ konkret bedeuten?

Wenn man ehrlich über die soziale Frage sprechen will, müsste man über Verteilung und Gleichheit reden. Tatsächlich haben die Ordoliberalen die großen Unterschiede an den Pranger gestellt, manchmal sogar mit großer Heftigkeit. Was zum Beispiel Rüstow zu sagen wagte, würde ziemlich gut in die politischen Programme der linken und sozialistischen Parteien passen.

„Daß die Verteilung von Vermögen und Einkommen in unserer plutokratischen Wirtschaftsordnung irgend etwas mit sozialer Gerechtigkeit zu tun hätte, wird wohl heute niemand mehr im Ernst behaupten wollen.“ ... >
„Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! An der prunkvollen Markuskirche in Venedig steht in goldenen Lettern geschrieben: „Omnis dives aut iniquus aut iniqui heres“, d. h.: Jeder Reiche ist entweder selber ungerecht oder der Erbe eines Ungerechten. Anders ausgedrückt: Jedes Vermögen oder Einkommen, das die Normalgrenze wesentlich überschreitet, kann nur durch Ungerechtigkeit, kann nur auf unmoralische Weise zustande gekommen sein. Meine Damen und Herren, das ist ein alter Spruch, der schon bei den Kirchenvätern zitiert wird, aber er entbehrt auch nicht der aktuellen Bedeutung. Denn wie leicht zu sehen ist, gehört er ja in den Problembereich der Konzentrationsdebatte und der Konzentrationsenquete, die leider allem Anschein nach versandet und steckengeblieben sind. Aber je genauer wir uns national-ökonomisch und soziologisch mit der Erscheinung der Konzentration oder Akkumulation beschäftigen, desto deutlicher sehen wir, daß sie nicht so naiv zu beurteilen ist, wie es unser Spruch tut.
In Wirklichkeit geht es aber regelmäßig so, daß die bisher ungerechter Weise bevorzugte Gruppe ein wüstes Geschrei erhebt, weil sie die bisher genossene ungerechte Bevorzugung als wohlerworbenes Recht ansieht. Es kommt sogar vor, daß eine solche Gruppe dann, wenn die änderung durchgeführt ist, auch noch Entschädigungsforderungen erhebt. Das ist ja nun die Höhe. Diesen Leuten pflege ich zu sagen: Seid zufrieden, daß wir nicht umgekehrt fordern, daß ihr von den Einnahmen, die ihr jahrelang zu Unrecht auf Kosten anderer gehabt habt, wieder etwas herausgebt. Das wäre eigentlich eine Forderung der Gerechtigkeit. Aber umgekehrt für eine vernünftige, gerechte änderung der Dinge auch noch Entschädigung zu verlangen, ist doch geradezu haarsträubend.“ ... >

Müller-Armack dazu:

„Der Fähigkeit, in unvorstellbarem Grade Güter zu produzieren, entspricht nicht nur bei uns, sondern auch in der Weltwirtschaft nicht die Fähigkeit, sie zu verteilen.“ ... >

Bei Eucken würden wir dagegen kaum Stellen finden, an denen er die ungerechte Verteilung von Einkommen und Eigentum eindeutig anprangert. Seine Vorliebe war es, sich immer nur abstrakt über die Macht der großen Unternehmen aufzuregen. Jedoch hatte er wenig Lust dazu, etwas mehr über die konkreten Konsequenzen zu sagen, wie sich diese Macht sozial auswirkt. Schon gar nicht machte er sich Gedanken darüber, wie man in der praktischen Politik die durch ökonomische Macht ergatterten Einkünfte und Privilegien der Gesellschaft zurückerstatten könnte. Es gibt nur einen Ordoliberalen, der über praktische Lösungen der Sozialen Frage nachgedacht hat: Ludwig Erhard. Es scheint zumindest so, dass er es mit dem „Wohlstand für alle“ ernst gemeint hat. Man darf aber nie außer Acht lassen, dass er bekanntlich ein Politiker war, der Wahlen gewinnen sollte. Halten ihn vielleicht deshalb viele nicht für einen „echten“ Wirtschaftswissenschaftler? Vielleicht, doch man kann sich das auch anders erklären. Die Ordoliberalen sind schon nach ein paar Jahrzehnten zu ihren neoliberalen Wurzeln zurückgekehrt, wo es keinen Platz für „Wohlstand für alle“ gibt. In ihrer Sozialen Marktwirtschaft, lässt sich der Inhalt des so menschenfreundlichen Adjektivs mit einem bekannten, wenn auch platten Spruch auf den Punkt bringen: Sozial ist, was Arbeit schafft. Demnach müsste die Sklavengesellschaft ja unglaublich sozial gewesen sein, denn einem Sklaven ging die Arbeit nie aus. Und wenn ein Mensch nicht durch persönlichen Besitz seiner eigenen Person, sondern durch Erpressung zum Sklaven wird, dann nennen sie das auch noch Freiheit. Wie schade für sie, dass die Formel Arbeit macht frei schon vergeben war.

Wir haben über Erhard schon etwas mehr gesagt.mehr „Wohlstand für alle“ bedeutete für ihn wahrscheinlich eine Partizipation aller am Produktivitätswachstum. Das ist in der Tat eine präzise Aussage, die sich operationalisieren lässt – sofern es politisch gewollt wäre. Zitieren wir jetzt nur seine klare Aussage bzw. Auffassung über die Löhne:

    „Wer meine Auffassung kennt, weiß, dass zu dieser Konzeption als wesentliches Element eine freizügige Lohnentwicklung gehört. Zum wiederholten Male habe ich darum erklärt, dass der oft geübte Widerstand der Arbeitgeber gegenüber Lohnerhöhungen (...) nicht in das System der Marktwirtschaft passt. Ein solcher Widerstand missachtet die Zielsetzung der Marktwirtschaft, so wie ich sie verstehe, sogar gröblich.“

Es ist angebracht an dieser Stelle zu erwähnen, dass Aussagen wie diese bei Adam Smith immer wieder zu finden sind. Mehr noch: Er tadelt schonungslos die raffgierigen Arbeitgeber, die sich jeden erdenklichen Unsinn gegen Lohnerhöhungen ausdenken und sich bei jedem Treffen nur darüber den Kopf zerbrechen, wie sie die Löhne senken könnten. Für die späteren selbsternannten Nachfolger von Smith, die Neoliberalen, wäre so etwas undenkbar, ja ein wahres Gräuel. Was die Löhne konkret betrifft, hat Röpke dazu nur Folgendes zu sagen:

„Und es soll wirklich unmöglich sein, die Arbeiterlöhne auf Kosten des Kapitaleinkommens gewaltsam zu erhöhen? Unmöglich ist das gewiß nicht, nur entsteht bei jedem Versuch dieser Art eine Lage, die sich nach kurzer Zeit als unhaltbar erweist und den Arbeitern selbst schwere Nachteile bringt.“ ... >

Höhere Löhne ja, aber eigentlich doch nicht? Die würden der Wirtschaft schaden, so Röpke. Aber warum? Seine Erklärung ist klassisch: Höhere Löhne gehen in den Konsum - die Arbeiter sind schlechte Sparer -, höhere Profite der Reichen würden dagegen investiert und dadurch würden neue Arbeitsplätze entstehen.

„So ist anzunehmen, daß durch eine solche Lohnpolitik die Kapitalversorgung der Volkswirtschaft und die für den Beschäftigungsgrad wichtige Investitionstätigkeit schwer in Mitleidenschaft gezogen werden. Das Kapitaleinkommen fließt ja in der Regel Leuten zu, die nur einen kleinen Teil davon verbrauchen und den größeren Teil der Produktion als neues Kapital zur Verfügung stellen. Es ist sehr zweifelhaft, ob dieses Einkommen nunmehr in der Hand der Arbeiter in gleichem Umfange gespart und investiert werden wird.“ ... >

Die älteren Ökonomen haben durch das Sparen bzw. durch Kapitalakkumulation (Kapitalstock) nicht nur das Wachstum an sich, sondern auch die Produktivitätssteigerung erklärt. Marx' Theorie kann man als den besten dieser schlechten Ansätze anführen. Nun haben die statistischen Forschungen ergeben, dass dies nicht stimmt. Der Kapitalkoeffizient hat seit Anfang der 20. Jahrhunderts aufgehört zu wachsen. Seitdem lassen sich neue Produktionsmethoden - Techniken und Technologien - aus den Abschreibungen finanzieren, reales Sparen (Konsumverzicht) ist gar nicht nötig. Das haben wir bei der Kritik der Akkumulationstheorie von Marx genauer untersucht.mehr

Das Argument die Reichen seien bessere Sparer ist also völlig falsch. Einen ökonomisch vernünftigen Grund für die Lohnzurückhaltung, zumindest auf ein Niveau unterhalb des Produktivitätswachstums der Wirtschaft, gibt es nicht. Dahinter steckt die immer gleiche Gier der Reichen, sich unter den Nagel zu reißen, was die anderen geschaffen haben. In den letzten Jahrzehnten hat man mit dem gleichen Argument, die zusätzlichen Profite würden gespart und investiert, die Steuern für die Reichen gesenkt. Das wurde von den gekauften Politikern, Wirtschaftsexperten und Wirtschaftswissenschaftlern gebetsmühlenartig beteuert und beschworen. Das Ergebnis spricht eine klare Sprache: Je mehr Lohnzurückhaltung und Steuersenkung, desto weniger Wachstum und Produktivitätssteigerung. Warum gerade die niedrigen Löhne das Produktivitätswachstum hemmen, haben wir ebenfalls an anderer Stelle ausführlich erörtert.mehr

Fügen wir noch hinzu, dass die Vertreter der Historischen Schule - wie übrigens schon Adam Smith - gerade in den niedrigen Löhnen die Ursache für langsame Produktivitätssteigerung sahen. Wie schon des öfteren gesagt waren sie empirisch orientiert und konnten genau sehen, dass die Tatsachen diametral dem widersprechen, was die Neoliberalen behaupten. So lesen wir etwa bei Max Weber - der zwar kein Ökonom war, aber in seiner Soziologie ökonomische Faktoren stark berücksichtigte -, in seiner berühmten Untersuchung über den „Geist des Kapitalismus“, dass die Auffassung von der produktivitätssteigernden Wirkung der niedrigen Löhne, mögen ihr auch noch so viele ständig beipflichten, eine Täuschung sei. „Der unbefangenen Betrachtung schien und scheint noch heute niederer Lohn und hoher Profit in Korrelation zu stehen“, stellt er fest. Folglich habe man immer wieder versucht, die Leistung der kapitalistischen Wirtschaft durch eine Umverteilung von unten nach oben zu steigern, aber nirgendwo mit Erfolg. Es sei eine „von niemand bezweifelte und auch nicht bezweifelbare Tatsache“, so Weber ausdrücklich, dass „niederer Lohn und hoher Profit, niederer Lohn und günstige Chancen industrieller Entwicklung nicht zusammenfallen“. Konsequenterweise rät er von der populären Versuchung ab, die Wettbewerbsfähigkeit einer Wirtschaft durch Lohnsenkungen zu erhöhen: „Die Wirksamkeit dieses anscheinend so probaten Mittels hat Schranken“.... >

Hier ist es noch angebracht hervorzuheben, dass selbst Eucken diese empirischen Befunde, die eine klare Sprache sprechen, nicht leugnen will:

„Angenommen, der arbeitssparende Webstuhl, von dem soeben die Rede war, wurde nicht auf Grund einer neuen Erfindung gebaut und aufgestellt, sondern eine altbekannte Konstruktion werde jetzt erst verwandt, weil die Löhne infolge Abwanderung von Arbeitern steigen oder weil die Geschicklichkeit der Arbeiter infolge besserer Schulung gewachsen ist, so daß eine Substitution und die damit verbundenen Umlenkungen stattfinden müssen.“ ... >

Praktische Konsequenzen zieht Eucken jedoch nicht. Er hätte dann gezwungenermaßen die Vermachtung der Wirtschaft durch Monopole für die Lohndrückerei und damit auch für die Behinderung des Produktivitätswachstums verantwortlich machen können oder gar müssen, aber das hat er nicht getan. Seine ganze Kritik der Vermachtung beschränkt sich auf einen allgemeinen Vorwurf, sie würde die Konkurrenz verhindern, die für ihn schon a priori etwas Gutes ist, was nicht einmal eines Beweises bedarf. Bei Eucken bekommt man immer wieder das Gefühl, es mit einem Fremdgänger zu tun zu haben, der sofort vor der eigenen Frau mit einem Blumenstrauß auf die Knie fällt, wenn er sich ertappt fühlt.

Wenn es um die soziale Kompetenz geht, ist es interessant die deutschen Ordoliberalen mit anderen Liberalen zu vergleichen. Bekanntlich hat sich keine andere liberale Ausrichtung das Wort „sozial“ so groß auf die Fahnen geschrieben, so dass man erwarten würde, sie wären mit ihren Anforderungen, Einkommen, Eigentum und Rechte gerechter - also „sozialer“ - zu verteilen, den anderen weit voraus. Aber weit gefehlt. So schreibt zum Beispiel Keynes in einer Deutlichkeit, die nichts zu wünschen übrig lässt:

„Es gibt keinen Vertrag, der denen, die schon besitzen oder die noch erwerben, ewige Rechte überträgt. Die Welt wird von oben her nicht so regiert, daß private und allgemeine Interessen immer zusammenfallen. Sie wird von unten her nicht so verwaltet, daß diese beiden Interessen in praxi zusammenfallen. Aus den Prinzipien der Nationalökonomie folgt nicht, daß der aufgeklärte Egoismus immer zum allgemeinen Besten wirkt. Es ist auch nicht wahr, daß der Egoismus im allgemeinen immer aufgeklärt ist, meistenteils sind die Individuen, die einzeln ihre egoistischen Interessen verfolgen, zu unwissend oder zu schwach, um auch nur diese zu erreichen. Die Erfahrung lehrt nicht, daß Individuen, die sich zu einer gesellschaftlichen Gruppe zusammenschließen, immer weniger klarsichtig sind, als wenn sie einzeln handeln.“ ... >

Auch Röpke verlangt die Wiederherstellung des Eigentums der breiten Schichten, die Bekämpfung des Großeigentums und des „Herreneigentums“, aber etwas anderes als im Grunde nur kleine Anteile am Kapital zu verteilen, also aus den Arbeitern Kleinaktionäre zu machen, fällt ihm nicht ein. Natürlich vergisst er später alles.

Wenn man dann weiter zurückgeht, zu den von den Ordoliberalen so gescholtenen ursprünglichen Liberalen der frühen Moderne, wird man überrascht, mit welch theoretischer Sorgfalt sie die Besitzverhältnisse behandelt haben. Sie habe die Soziale Frage zumindest ernsthaft diskutiert. Mit der Frage der Beschränkung bzw. Streuung des Eigentums begann bekanntlich schon der Begründer des politischen Liberalismus John Locke (1632-1704) sich eingehend zu beschäftigen. In seiner berühmten Abhandlung über das Privateigentum wird die individuelle Aneignung auf zumindest zweierlei Weise eingeschränkt. Ein Individuum darf sich zum einen nur das aneignen, was es „durch Arbeit seines Körpers ... dem Zustand entrückt, den die Natur belassen hat ... worauf sich sein Fleiß erstrecken konnte“. Als zweite Aneignungsbeschränkung sieht Locke den Bedarf an: „So viel, wie jemand zu irgendeinem Vorteil seines Lebens gebrauchen kann, bevor es verdirbt, darf er sich durch seine Arbeit zum Eigentum machen. Was darüber hinausgeht, ist mehr als sein Anteil und gehört den anderen. ... Sonst nimmt er mehr, als ihm zusteht, und beraubt andere.“... >

Forschungsbereich 3: Die Entdeckung des „liberalen“ Interventionismus und was er bedeuten soll

Der Marktradikale lehnt jede Einmischung des Staates in die Wirtschaft ab. Eigentlich will er den Staat - zumindest vorgeblich - zum Teufel schicken. Jede Intervention des Staates sei  bedingungslos abzulehnen. Im führenden kapitalistischen Staat Großbritannien herrschte dieser extreme Liberalismus schon mehr als ein Jahrhundert lang, bevor die Great Depression („Große Depression“), die schwere Wirtschaftskrise, begonnen hatte, die den „Schwarzen Freitag“ am 24. Oktober 1929 mit dem gewaltigen Börsen- und Bankenkrach verursachte. So etwas hätte eigentlich nie passieren dürfen. Die ganze Zunft der Ökonomen hätte bis zu diesem Zeitpunkt jeden verspottet, der so etwas auch nur als eventuelle Möglichkeit in Erwägung gezogen hätte.

Keynes hielt von dieser Meinung aber nichts. Schon ein paar Jahre vor der Weltwirtschaftskrise hat der größte Ökonom des 20. Jahrhunderts in aller Deutlichkeit gesehen, dass eine freiheitliche Marktwirtschaft nicht überlebensfähig ist. Er hat diese seine Mahnung im später berühmt gewordenen Essay „Das Ende des Laissez-Faire aus dem Jahr 1926 niedergelegt. Nachdem sich seine Sorgen bewahrheiteten, als das geschehen ist, was nach der Auffassung der damaligen Mainstream-Ökonomie unmöglich wäre, erschien sein epochales Werk Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes (1936). Dort hat er das Wort für die interventionistische Wirtschaftspolitik ergriffen, vor allem zum Zweck die Nachfrage zu erhöhen. Die Wirksamkeit einer solchen Wirtschaftspolitik hatte Hitler schon davor unter Beweis gestellt.

Nun konnten auch die deutschen Liberalen, zumindest diejenigen, die später zu den Ordoliberalen wurden, das alles nicht einfach übergehen. Sie haben zuerst auch den Mut gefasst, dem Laissez-Faire zu entsagen und sich Gedanken über Interventionen zu machen. Die führenden Häupter der Ordoliberalen, Walter Eucken und Röpke, schrieben dazu:

„Die Zeit des Laissez-Faire ist vorbei. Das weiß heute jeder. Tagtäglich greifen alle Staaten in den Wirtschaftsprozeß ein und begnügen sich nicht damit, eine gewisse Rechtsordnung aufrecht zu erhalten, wie sie es seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts getan haben. Der Glaube, dass durch eine Wirtschaftspolitik des Laissez-Faire eine gute, natürliche Wirtschaftsordnung zur Entfaltung käme, ist geschwunden. Gleichzeitig ist die Wirtschaftspolitik des Interventionismus entstanden.“ ... >
„Daß die Konkurrenz gar eine moralisch-soziologisch nicht ungefährliche Anordnung darstellt, die daher in Schranken gehalten und überwacht werden muß, wenn sie den sozialen Körper nicht vergiften soll, blieb jenem historischen Liberalismus (vor allem dem des 19. Jahrhunderts) verborgen. Man war im Gegenteil der Meinung, daß die auf Konkurrenz und Arbeitsteilung beruhende Marktwirtschaft eine ausgezeichnete moralische Erziehungsanstalt sei und durch den Appell an den Egoismus die Menschen zu Frieden, Anstand und allen bürgerlichen Tugenden anhalte. Während wir heute wissen (was man immer hätte wissen können), daß die Konkurrenzwirtschaft ein Moralzehrer ist und daher Moralreserven außerhalb der Marktwirtschaft voraussetzt, war man verblendet genug, sie für einen Moralanreicherer zu halten.“ ... >

Rüstow sprach schon unverhohlen von einem „liberalen Interventionismus“ und brachte diese Vorstellung in seinem Diskussionsbeitrag von 1932 auf den Punkt: „Der neue Liberalismus (...) fordert einen starken Staat, einen Staat oberhalb der Wirtschaft, oberhalb der Interessenten“. Er war sich bewusst, welche Geister er damit rief, aber er blieb unerbittlich. Er sieht keinen Platz für irgendwelche Kompromisse beim Bekenntnis zum Staat, denn ...

„... wer sich zu diesem starken Staat bekennt, muß liberale Wirtschaftspolitik wollen, und wer liberale Wirtschaftspolitik für richtig hält, muß den starken Staat wollen. Eines bedingt das andere.“ ... >

Miksch sagte: „Bei dieser liberalen Politik“ - man soll hier auf den Ausdruck liberal achten, er spricht also immer noch von der liberalen Wirtschaftspolitik - „ist es möglich, daß die Anzahl der wirtschaftlichen Interventionen genauso groß ist wie in einer Planwirtschaft, ihr Wesen ist jedoch verschieden.“

Und Rüstow kennt auch keine Gnade denen gegenüber, die den Frieden mit dem Staat nicht schließen wollten und die Interventionen immer noch ablehnten. In einem Brief an Röpke vom 21.02.1942 erklärt er mit einer erstaunlichen Deutlichkeit was er von ihnen hält: „Diesen ewig Gestrigen frisst kein Hund mehr aus der Hand, und das mit Recht. Hayek und sein Meister Mises gehörten in Spiritus gesetzt ins Museum als eines der letzten überlebenden Exemplare jener sonst ausgestorbenen Gattung von Liberalen, die die gegenwärtige Katastrophe heraufbeschworen haben.“

Dieses Maskenspiel der Begriffe, die Orwellisierung der Sprache, ging unter den Ordoliberalen munter immer weiter. Röpke fällt ein, zwischen „marktkonformen“ und „marktinkonformen“ Interventionen zu unterscheiden.

Heben wir noch hervor, dass sich Rüstow am weitesten aus dem Fenster lehnte. In seinem Werk Das Versagen der Wirtschaftsliberalismus als religionsgeschichtliches Problem (1945) entdeckt er im klassischen Liberalismus eine Vorstellung von einer mit der göttlichen Schöpfung in die Welt gesetzten prästabilisierten Harmonie: einen Aberglauben. Der Ursprung dieser „Wirtschaftstheologie“ sei jedoch weniger christliche Religiosität gewesen, sondern beruhe vielmehr auf der Wiederbelebung antiker Philosophie in der Zeit der Aufklärung. Er spricht vom Frühliberalismus als Paläoliberalismus. Man muss sich ernsthaft fragen, ob er Adam Smith je gelesen hat. Man kann sich bei ihm nicht des Eindrucks erwehren, er würde eine altbekannte Taktik benutzen: Wenn man jemanden mit  Argumenten nicht schlagen kann, dann macht man aus ihm eine Karikatur seiner selbst und ziehe ihn ins Lächerliche.

Es gibt zwei Denkansätze, mit denen man den „liberalen“ Interventionismus deuten und erklären kann:

1: Ein akademischer Wortschwall vom „Ordnungsrahmen“ (Eucken)

Aus welchen Gründen sollte der Staat überhaupt in der Marktwirtschaft intervenieren? Erinnern wir uns, dass die Vertreter der Historischen Schule hauptsächlich zwei gesehen haben: Den Schutz gegen die selbstzerstörerische Binnenkonkurrenz und den Schutz der jungen Industriezweige vor der übermächtigen Konkurrenz aus dem Ausland. Keynes hat dann noch den weiteren Grund hinzugefügt, der Staates solle zur Behebung des Nachfragemangels mit staatlichen Ausgaben einzugreifen. So haben sich die Ordoliberalen die „liberalen“ Interventionen allerdings nicht vorgestellt. Etwas anderes stand hinter ihren Gedanken, nämlich die perfekte Konkurrenz.

Man kann nicht oft genug hervorheben, mit welcher Vehemenz die Ordoliberalen mit dem „alten“ Liberalismus ins Gericht gegangen sind. War es aber nicht gerade Adam Smith, der mit der marktwirtschaftlichen Ordnung vor allem die unternehmerische Konkurrenz gemeint hat? Natürlich ist das so. Und für ihn war es vor allem die Größe des Unternehmens, die diese Konkurrenz behindert, und zwar unabhängig davon, ob das Kapital den Privaten oder dem Staat gehört. In seinem Hauptwerk Der Wohlstand der Nationen unterzieht er die (privaten) Aktiengesellschaften mit großer Ausführlichkeit einer vernichtenden Kritik. Unzweckmäßig große Unternehmen sorgen ihm zufolge für überhöhte Preise, mit denen die Wirtschaft und Gesellschaft ausgenutzt und bestohlen wird. An diesen Gedanken knüpfen Eucken und die Ordoliberalen an.

„Die sog. freie Wirtschaft wurde zu vermachter Wirtschaft. Die Erwartung, daß sich in einer freien Wirtschaft die vollständige Konkurrenz überall realisiere, erfüllte sich nicht. So groß die Entdeckung des regulativen Prinzips der vollständigen Konkurrenz war - sie verband sich in der klassischen Nationalökonomie mit dem Irrtum, daß Konkurrenz durch Laisez-faire verwirklicht werde. Die Freiheit wurde in der „freien“ Wirtschaft auch dazu gebraucht, um Kartelle, Konzerne, Trusts und andere, soziale Machtgruppen bilden. ... Diese Machtgruppen haben auch den internationalen Handel schwer beeinträchtigt, indem die großen Konzerne, Kartelle, Pools und Trusts ihren Machtbereich über die nationalen Grenzen ausdehnen, dabei oft in Konflikt miteinander gerieten oder - bei Abkommen miteinander - die Märkte erstarren ließen.“ ... >

Erstarrte Märkte: Das war schon immer das Problem der Marktwirtschaft, meinte Eucken. Es ist zu würdigen, dass er sich durch den Druck der Tatsachen belehren ließ und dieses Problem nicht durch noch mehr Freiheit lösen will. Er sah, dass mehr Freiheit allein zur „Versumpfung des Kapitalismus“ (Eucken) führt. Folglich hat er sich von der Formel mehr Freiheit gleich mehr Konkurrenz endgültig losgesagt. Die Lösung dafür sieht er auch nicht in einem punktuellen Interventionismus.

„Wenn wir aus der ära wirtschaftspolitischer Misserfolge herauskommen wollen, so sollten wir uns zunächst daran gewöhnen, die punktuelle Wirtschaftspolitik zu überwinden, jede einzelne wirtschaftspolitische Handlung in dem wirtschaftlichen Gesamtzusammenhang zu sehen, alle zusammen aufeinander abstimmen und sie dadurch sinnvoll zu machen.“ ... >

Der falsche Interventionismus ist für Eucken der punktuelle Interventionismus. An die Stelle „der punktuellen Behandlung der wirtschaftspolitischen Fragen“ sollten Rahmenbedingungen treten.

„Staatliche Planung der Formen - ja; staatliche Planung und Lenkung des Wirtschaftsprozesses - nein. Den Unterschied von Form und Prozeß erkennen und danach handeln, das ist wesentlich.“ ... >
„Eine gewisse Konstanz der Wirtschaftspolitik ist nötig, damit eine ausreichende Investitionstätigkeit in Gang kommt. Ohne diese Konstanz wäre auch die Wettbewerbsordnung nicht funktionsfähig. ... Konstanz ist ein zentrales Erfordernis der Wirtschaftspolitik der Wettbewerbsordnung. Die Wirtschaftspolitik stellt einen brauchbaren wirtschaftsverfassungsrechtlichen Rahmen für den Wirtschaftsprozess her; an diesem Rahmen halte sie beharrlich fest und ändere nur mit Vorsicht.
Die wirtschaftspolitische Tätigkeit des Staates sollte auf die Gestalltung der Ordnungsformen der Wirtschaft gerichtet sein, nicht auf die Lenkung des Wirtschaftsprozesses.“ ... >

Bei so viel Begeisterung und Schwärmerei für die Konkurrenz - die „Herstellung eines funktionsfähigen Preissystems vollständiger Konkurrenz“ - und der Verteufelung der Monopole würde man von den Ordoliberalen auch bestimmte konkrete Lösungen für dieses Übel erwarten. Diese sucht man jedoch vergebens. Schon das ist enttäuschend, leider kommt es noch viel schlimmer. Eucken gibt uns nicht nur keinerlei Auskunft, wie die „richtige“ Konkurrenz zu verwirklichen wäre, er dämpft auch unsere Hoffnung darauf, dass so etwas überhaupt möglich sei:

„Nach der Erfahrung geht es über die Kräfte des modernen Staates hinaus, in einer Wirtschaftsordnung, in der große Teile der Industrie monopolisiert sind, eine wirksame Monopolaufsicht durchzuführen. ... Hier ist der politische Einfluss der Interessentengruppen zu stark.“ ... >

Und Rüstow berichtete ebenfalls:

„Durch mehrjährige Tätigkeit einerseits im Reichswirtschaftsministerium, andererseits in der Industrie habe ich die außerordentlich geringe Wirksamkeit und die großen Gefahren staatlicher Monopolkontrolle aus der Nähe kennen gelernt.“ ... >

Aber das war immer noch nicht alles, was uns die Ordoliberalen über die Vermachtung zu sagen haben. Das Beste kommt zum Schluss. Haben die Ordoliberalen zuerst noch im Allgemeinen die Macht der Monopole kritisiert, unabhängig davon ob sie staatlich oder privat sind - so wie Smith es immer getan hat - beginnt sich ihr Bild später zu ändern: 

„Die Diskussion um das Problem wirtschaftlicher Macht verlagerte sich mehr und mehr auf eine Differenzierung zwischen privatem und öffentlichem Sektor, wobei die wirtschaftliche Macht des Staates zunehmend als die eigentliche Bedrohung der Wettbewerbswirtschaft definiert wurde. Hatte etwa Böhm 1946 noch davon gesprochen, „daß die Unternehmer die Wettbewerbsordnung bewußt zerstörten, daß sie sämtliche Regeln dieser Ordnung verletzten“, argumentierte er schon 1951 in umgekehrter Richtung: „Wenn sich schon irgendwo Macht ansammelt, die man nicht beseitigen kann, empfiehlt es sich dann nicht, diese Macht in die schwächsten Hände zu legen, die es gibt, nämlich in die Hände von Privatpersonen?“ Miksch warnte deshalb vor einem Abweichen von den erarbeiteten Grundsätzen des ,neuen' Liberalismus, wobei er insbesondere den sich abzeichnenden Verzicht auf eine durchgreifende Entkartellierung und eine aktive staatliche Lenkung der Wirtschaftspolitik kritisierte. „Daraus könnte sich leicht ein Rückfall in die Fehler der liberalen Wirtschaftsverfassung ergeben.“ ... >

Wenn sich auch nur die schwächste Gelegenheit bot, in die Schützengräben der neoliberalen Theorie zurückzukehren, war Röpke stets der erste und der mutigste. Irgendwie fällt ihm ein, dass die ökonomische Freiheit eigentlich doch nicht zur Monopolisierung der Marktwirtschaft führt. Darüber hinaus sei die Angst vor Monopolen sowieso eine Einbildung:

„Gegenüber der gerade heute weitverbreiteten Meinung, daß unser Wirtschaftssystem unaufhaltsam von Monopolen überwuchert werde, ist vor allem mit Nachdruck zu betonen, daß hier von einer zwangsläufigen Entwicklung überhaupt keine Rede sein kann. Es ist vielmehr erstaunlich, wie sich in allen Fällen eigentlich immer wieder früher oder später die Konkurrenz gegenüber dem Monopol durchsetzt, sofern ihr nur Gelegenheit dazu gegeben wird. Der „Konkurrenzkapitalismus“ entwickelt sich aus eigener Kraft ganz und gar nicht zum „Monopolkapitalismus“. Es gibt kaum ein nennenswertes Monopol, bei dessen Entstehung nicht der Staat in dieser oder jener Form Geburtshelferdienste geleistet hätte, und aus der Geschichte der schwerindustriellen Monopole in Deutschland ist es bekannt, daß es selbst in diesem Falle meist der schärfsten Zwangsmaßnahmen bedurft hat, um die Produzenten unter einen Hut zu bringen. Wahrscheinlich gäbe es heute wenige Monopole auf der Welt, wenn nicht der Staat aus mannigfachen Gründen das ganze Gewicht seiner Autorität, seiner Rechtsprechung und seiner monopolfreundlichen Wirtschaftspolitik (einschließlich der Politik der Einfuhrbeschränkungen) gegen die natürliche Gravitation zur Konkurrenz aufgeboten hätte. Das muß mit um so größerer Entschiedenheit ausgesprochen werden, als meist das Gegenteil mit einer Miene vorgetragen wird, als wäre darüber überhaupt keine Diskussion mehr möglich. Zu dieser Einstellung hat sehr viel der Marxismus durch jahrzehntelange Propaganda beigetragen.“ ... >

Aber natürlich, wie konnte man dies nur vergessen?! Wenn es schon schädliche Monopole gibt, dann müssen sie das Produkt des Staates sein. Oder gibt es vielleicht doch noch weitere Übeltäter, die die heile Welt der ökonomischen Freiheit stören? Die Ordoliberalen finden jedoch nur noch einen Schurken:

„Es wurde von der wissenschaftlichen Forschung nachgewiesen, daß die Hauptursachen für das Versagen der liberalen Marktwirtschaft gar nicht so sehr in ihr selbst liegen, als in einer Verzerrung, der sie durch den von außen kommenden Interventionismus seit dem Ende des vergangenen Jahrhunderts zunehmend unterlag.“ ... >

Das Konkurrenzversagen und die Vermachtung der Privatwirtschaft soll nun plötzlich das Ergebnis eines „von außen kommenden Interventionismus“ sein? Was soll das? Das macht wirklich keinen Spaß mehr.

2: Auf dem „dritten“ Weg geradeaus ins Nirgendwo (Röpke, Rüstow)

Röpke, der tief in der Seele immer ein Marktradikaler geblieben ist, hat sich mit dem Begriff sozial bzw. Soziale Marktwirtschaft sehr schwer getan. Auch mit den Formen und Ordnungsrahmen war er nicht sehr glücklich, das war ihm doch zu viel Staat. Er fand die Bezeichnung „Dritter Weg“ viel erträglicher - wenn man sich schon nolens volens vom kompromittierten Begriff Kapitalismus trennen musste. Auf seiner Seite war auch Rüstow, der zweite der prominenten ordoliberalen Exilanten, der unter Hitler seine Arbeit und Karriere nicht fortsetzen konnte.

„Es bleibt uns nichts anderes übrig, als mit dem Mut der Verzweiflung nach dem „dritten Wege“ zu suchen, der zwischen dem zusammengebrochenen historischen Liberalismus und dem drohenden Kollektivismus die Menschheit zu einer neuen Möglichkeit führt, als Menschen menschlich und menschenwürdig zu leben.“ ... >

Der Dritte Weg, wie es schon der Name sagt, sollte etwas zwischen Laissez-faire und Kollektivismus sein (Civitas Humana). Das sagt aber noch nicht viel. Was sollte er genau bedeuten? Hören wir uns ein paar Erklärungen dazu an:

„Der Kern dieser Wirtschaftsverfassung wird, wie wir erkannten, der freie Markt und der unverfälschte Wettbewerb sein müssen, in dem sich unter fairen und gleichen Bedingungen des Wettkampfes der privatwirtschaftliche Erfolg nach der Höhe der Leistung für die Konsumenten bemißt (Leistungswettbewerb). Freier Markt und Leistungswettbewerb stellen sich jedoch nicht, wie es die Laissez-faire-Philosophie des historischen Liberalismus behauptet hatte, von selbst als Ergebnis eines völlig passiven Verhaltens des Staates ein; sie sind keineswegs das überraschend positive Produkt einer negativen Wirtschaftspolitik. Sie sind vielmehr ein außerordentlich gebrechliches und von vielen Bedingungen abhängiges Kunstprodukt, das nicht nur eine hohe Wirtschaftsethik, sondern auch einen Staat voraussetzt, der durch Gesetzgebung, Verwaltung, Rechtsprechung, Finanzpolitik und geistig-moralische Führung fortgesetzt für die Aufrechterhaltung von Marktfreiheit und Wettbewerb sorgt, indem er das notwendige Rahmenwerk des Rechts und der Institutionen schafft, die Regeln des Wirtschaftskampfes bestimmt und ihre Innehaltung mit unnachsichtlicher, aber unparteiischer Strenge überwacht. Auch im Wirtschaftsleben gilt der Satz, daß Freiheit nicht ohne Disziplin möglich ist, und wenn wir einen freien Markt wünschen, so muß der Rahmen von Bedingungen, Regeln und Institutionen um so fester und unnachgiebiger sein. Laissez-faire - ja, aber innerhalb jenes Rahmens, der durch eine fortgesetzte und zielbewußte Marktpolizei im weitesten Sinne dieses Wortes bestimmt wird. Gerade die Freiheit des Marktes erfordert also eine äußerst wachsame und aktive Wirtschaftspolitik, freilich auch eine solche, die sich dieses Zieles und der sich daraus ergebenden Beschränkung ihres Wirkungsfeldes voll bewußt ist, mithin nicht die Grenzen überschreitet, die einem konformen Interventionismus gesetzt sind.“ ... >
„Bejahung der Marktwirtschaft, unter gleichzeitiger Ablehnung eines entarteten Liberalismus ...
Zunächst sei daran erinnert, daß der „Kapitalismus“ ja nichts anderes als jene verschlackte und verdorbene Form ist, die die Marktwirtschaft in der Wirtschaftsgeschichte der letzten hundert Jahre angenommen hat. Echte Marktwirtschaft und Wettbewerbsordnung, das ist es ja, was der „Kapitalismus“ eben nicht gewesen ist.
Eine lebensfähige und damit befriedigende Marktwirtschaft entsteht nämlich nicht dadurch, daß wir geflissentlich nichts tun. Sie ist vielmehr ein kunstvolles Gebilde und ein Artefakt der Zivilisation.“ ... >

Der Dritte Weg bedeutet also unverfälschten Wettbewerb, nicht-entarteten Liberalismus, hohe Wirtschaftsethik, geistig-moralische Führung, unnachsichtliche und unparteiische Strenge, äußerst wachsame und aktive Wirtschaftspolitik, einen konformen Interventionismus, echte Marktwirtschaft und Wettbewerbsordnung, was dann alles zusammen kunstvolles Gebilde und ein Artefakt der Zivilisation ergibt. Ist jetzt alles klar? Wer mehr Lust hat auf solche literarischen und sophistischen Kunstgriffe, dem stehen etwa 800 Werke von Röpke zur Verfügung. Wie schon seit langer Zeit bekannt ist: Wenn einer nichts zu sagen hat, muss er lange reden können!

Der Dritte Weg hat sich als Formel erwiesen die sich dazu eignet, nichts sagen zu müssen und dennoch den Eindruck erwecken zu können, es würde etwas Richtiges und Originelles mitgeteilt. Auf diesen Vorteil wollten später auch andere nicht verzichten, so etwa die britischen Sozialdemokraten (Labour-Partei) unter dem Premier Blair. Ihr Hauptideologe war der „postmoderne“ Soziologe Anthony Giddens. Auch er wusste - wie die deutschen Ordoliberalen – sehr gut zu erklären oder besser gesagt zu erzählen, als was der Dritte Weg  zu begreifen ist und was er nicht ist. Er sei nicht als ein „gut geschüttelter Cocktail von Markt-, Monopol- und Kommandowirtschaft“ zu verstehen, beteuert er. Daraus folgerte er, dass auch die linke „Politik des dritten Weges keine beliebig zusammengestückelte und schnell verschwindende Programmatik ist“.... > Aber weder er noch jemand sonst hat bis heute etwas darüber sagen können, was der Dritte Weg denn dann eigentlich bedeutet. Für wortgewandte Sozial- und Wirtschaftsexperten stellt es natürlich kein besonderes theoretisches Problem dar, allerlei populäre Trivialitäten rhetorisch zusammenzuschnüren und dieses Bündel als politisches Programm für den Dritten Weg vorzustellen. Das haben schon die gutmütigen, reformwilligen Kommunisten oft und auf verschiedene Weise getan (Tito, Kádár, Gorbatschow). Sie haben sich vorgenommen, die guten Seiten der Marktwirtschaft abzukupfern und sie einfach in die Planwirtschaft zu implementieren. Keiner dieser Versuche war erfolgreich. Die Sozialdemokraten haben später die Dosis erhöht, versuchten es mit noch mehr Markt und noch weniger Staat, und sind damit ebenfalls überall kläglich gescheitert. Ihr Dritter Weg bedeutete folglich nichts anderes, als Reformen umzusetzen, die die Konservativen und Neoliberalen realisieren wollten, aber politisch nicht durchsetzen konnten. Er war also nur ein politischer Tarnbegriff der neuen Sozialdemokraten, die sich vom neoliberalen Glauben an die allseits wohltuende Wirkung der ökonomischen Freiheit haben überzeugen lassen und in das Lager ihres ehemaligen ideologischen Gegners gewechselt sind. Ob ihr Sinneswandel aus ehrlicher Überzeugung erfolgte, wird man höchstwahrscheinlich nie erfahren. Selbst wenn dem tatsächlich so wäre, wenn sie sich also nur getäuscht hätten, ändert dies nichts an der Tatsache, dass ihr Dritter Weg der größte politische Betrug an den eigenen Wählern in der fast anderthalb Jahrhunderte langen Geschichte der Sozialdemokratie gewesen ist. Man bezeichnete ihn zu Recht auch als Opportunismus mit menschlichem Antlitz.

Erwähnen wir noch, dass Röpke später immer mehr von dem missverständlichen Terminus des Dritten Wegs abrückte - wohl auch deshalb, weil die Umstände immer mehr die Rehabilitierung der kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Ordnung ohne irgendwelche „sozialistischen“ Beimischungen möglich machten. Der Dritte Weg war übrigens schon damals keine neue Entdeckung. Schon in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts machte sich der Sozialökonom Franz Oppenheimer Gedanken über eine Ordnung, die Marktwirtschaft mit Freiheit und Gleichheit verbinden könnte. Eines seiner Werke hieß sogar: Weder so - noch so. Der dritte Weg (1933). Und auch ihm ging es nicht vorrangig um die Beschränkung von Monopolbildungen.

Schlussfolgerung: Ein akademisches Schattenspiel der Leerbegriffe

In einer Rede lobt Rüstow die Errungenschaften des Ordoliberalismus in höchsten Tönen

„Das Programm dieser theoretisch fundierten Sozialen Marktwirtschaft wurde zum erstenmal 1932 verkündet, und es wurde dann von Professor Erhard seit 1948 durchgeführt. Dieses Programm der Sozialen Marktwirtschaft hat ja zu jenen phänomenalen Fortschritten geführt, die die Welt als „das deutsche Wirtschaftswunder“ bezeichnet. Wir hätten also alle Veranlassung, dieses weiß Gott bewahrte Programm nun auch entsprechend klar und konsequent durchzuführen. Die Forderung nach einer konsequenten Durchführung dieser bewährten Theorie ist nicht nur wirtschaftlich, nicht nur intellektuell zu begründen, sondern hat heute eine weit größere und weitergreifende weltpolitische Bedeutung.“ ... >

Das klingt großartig, aber es taugt in Wirklichkeit nicht einmal als Übertreibung. Mit dem populären Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit hat das „Programm“ der Ordoliberalen so viel zu tun wie ein Hahn mit dem Sonnenaufgang - das schauen wir uns im nächsten Beitrag genauer an. Über die angeblichen wissenschaftlichen Errungenschaften des Ordoliberalismus lässt sich zusammenfassend Folgendes sagen:

Wenn man den Ordoliberalismus nicht als ideologische Tarnung und vorübergehende Zuflucht für den gescheiterten Neoliberalismus der Weimarer Zeit betrachten will, sondern als eine Marktordnung die höheren moralischen Ansprüchen genügen soll, dann hat er sein Versprechen nicht im Entferntesten erfüllt. Abgesehen von dem, was bei Ludwig Erhard zu finden ist, gibt es kaum etwas, was für ein konkretes praktisches Programm taugen würde. Man darf aber wie bereits erwähnt nicht außer Acht lassen, dass es Erhard auch um das Gewinnen von Wahlen ging. Deshalb lässt sich fast ohne Übertreibung sogar sagen, dass die „Soziale Marktwirtschaft“ eine geniale ideologische Leerformel war, und von ihrem Endergebnis her auch die gelungenste Mogelpackung, seit es Politik gibt. Von einer wissenschaftlichen Theorie, die uns helfen würde die Funktionsweise der Marktwirtschaft besser zu verstehen, kann keine Rede sein.

Dem Ordoliberalismus fehlt sogar eine einheitliche Methode und ein gedanklicher Rahmen. Er war also keine richtige Wissenschaft. Die Erkenntnisse der erfolgreichen Wissenschaften sind keine losen Sammlungen von Verallgemeinerungen - auch nicht von (induktiven) Verallgemeinerungen aus empirisch gut nachprüfbaren Tatsachen -, sondern sie sind ein logisches System von Gedanken, dem bestimmte Annahmen (axiomatische Basis) zugrunde liegen. Es war also methodisch richtig zu sagen, dass die Soziale Marktwirtschaft nicht mit punktuellen Lösungen (Interventionen) verwirklicht werden sollte, sondern mit bestimmten allgemeingültigen Formen und Ordnungsrahmen, welche die Theorie zu einem Ganzen, zu einem konsistenten System von Gedanken machen würden. Ein solches System - oder Paradigma - schufen die Ordoliberalen jedoch nie. Sie haben nicht einmal ihre Grundbegriffe genauer erklären können, alles was sie sagen, klingt abgedroschen und einfallslos. Eucken versucht das mit einer hochtrabenden akademischen Sprache zu verbergen, Röpke mit einer Lawine von Worten. Der ordoliberale Denkansatz hat noch eine große Schwäche: Sie wollten von einer quantitativen Analyse nichts wissen, auch wenn es damals schon üblich war, dass sich die Wirtschaftswissenschaft der quantitativen Analyse - und der Mathematik - bedient. Diese Schwäche hat der Ordoliberalismus mit der Historischen Schule gemeinsam. Gerade diese Schwäche sollte er aber überwinden. So schrieb damals der schwedische Ökonom Gunar Myrdal in Vorwort zur ersten deutschen Ausgabe eines seiner wichtigsten Werke Das politische Element in der nationalökonomischen Doktrinbildung (1932):

„Wenn irgend etwas zu wünschen wäre, dann gerade, daß die deutsche Wissenschaft mit ihrem neu erwachenden Interesse an der Theorie ... nicht die Entwicklung noch einmal durchläuft, die die angelsächsische durchlaufen hat und mit der sie - wenigstens, was die eigentliche Theorie angeht - in der heutigen Sackgasse angelangt ist.“

Das ist nun gründlich misslungen. Die Historische Schule war aber ernsthaft empirisch orientiert, was sich von den Ordoliberalen nicht mehr behaupten lässt. Wenn man dies alles beachtet, wird schnell klar, dass der Ordoliberalismus ein noch hoffnungsloserer Fall als die deutsche Historische Schule war. Die theoretische Inhaltslosigkeit der ordoliberalen Doktrin verrät sich nirgendwo deutlicher als beim „Vater des deutschen Wirtschaftswunders“ Ludwig Erhard, als er sagte, die Marktwirtschaft sei zu 50 Prozent Psychologie. Wenn dem so wäre, dann wäre es sinnlos, so etwas wie Wirtschaftswissenschaft überhaupt zu betreiben. Dass eine solche Äußerung zwar weithin bekannt wurde, aber nicht als Beispiel für ausgemachten Unsinn gilt, ist für den ökonomischen Wissenschaftsbetrieb in Deutschland ein Armutszeugnis ersten Ranges.

 
 
 
werbung und    eBook