Fortsetzung:

Schumpeter, Wirtschaftsaufschwung durch Innovationen und die Geldschöpfung der Banken

Heute würde kaum jemand widersprechen, dass das Produktivitätswachstum der exzellenteste und eindruckvollste Vorzug der Marktwirtschaft ist. Alles andere was sie kann, konnten auch die anderen Wirtschaftsordnungen. Manchmal sogar viel besser als sie. Erwähnen wir als Beispiel das einfache (extensive) Wirtschaftswachstum zu organisieren und für die wirtschaftliche Stabilität zu sorgen. Aber die Produktivität zu steigern, darin ist die private Marktwirtschaft einsame Spitze. Dies gehört zu ihrer Funktionsweise. Marx war der erste, der sich dieses einzigartigen Phänomens der Menschheitsgeschichte richtig bewusst geworden ist. Er hat aber die Ursache der Produktivitätssteigerung falsch begriffen, metaphysisch bzw. teleologisch: als Zweck und Ziel der Geschichte. Der Kapitalismus sollte angeblich nur der vorläufige Vollstrecker dieser historischen Aufgabe sein, bis der Kommunismus alles übernimmt und richtig in Schwung bringt.

Schumpeter hat viel besonnener über die Entwicklung der Produktivität nachgedacht als Marx und ist zum richtigen Ergebnis gekommen, dass die Produktivitätssteigerung kein verborgenes Geheimnis der Geschichte ist, sondern dass sie sozusagen die „Erfindung“ des Kapitalismus ist. Interessanterweise hat Schumpeter schon damals, als es alles andere als offensichtlich war, richtig vorhergesagt, dass man dem Kommunismus vieles zutrauen kann, vor allem mehr Menschlichkeit, aber die Fähigkeit die Produktivität nennenswert zu steigern, sollte man sich von ihm nicht erhoffen. Schumpeter hat auch näher erklärt, warum der Kapitalismus bzw. die private Marktwirtschaft die einzige ökonomische Ordnung ist, welche die Produktivität systematisch steigern kann. Erwähnen wir seine Erklärung kurz mit ein paar Bemerkungen.

Dem Kapitalisten geht es laut Schumpeter alleine darum, seine Gewinne zu steigern. Deshalb versucht der Kapitalist seine Konkurrenten, also die Mitglieder aus seiner eigenen Klasse mit niedrigeren Preisen aus dem Markt zu verdrängen. Niedrigere Preise lassen sich aber nur durch Kostensenkung realisieren. Zu diesem Zweck kann der Kapitalist die Löhne senken und die Arbeit verdichten, aber dies hat seine Grenzen. Man muss den Lohnabhängigen zumindest biologische Reproduktion innerhalb ihrer sklavischen Existenz gewährleisten. Die einzige übrig gebliebene Möglichkeit besteht darin, die Kosten durch bessere Produktionsmethoden zu senken. In unserem Beispiel haben wir diese Möglichkeit mit einfachen Zahlen quantitativ veranschaulicht. Dank seiner neuen kostensparenden Produktionsmethode hat der Sektor 2 seinen Gewinn auf einen Schlag um 50% vergrößert.

Dieser Gewinn bedeutete keine Verluste für irgendjemand, also keine „Schwankung in dem Gleichgewicht des Reichtums zwischen Parteien“, sondern „eine Vermehrung des Allgemeinbesitzes“, wie sich schon damals James Steuart (1712-1780) treffend ausgedrückt hat. Deshalb hat er einen solchen Gewinn als „positiver Gewinn“ bezeichnet. Wir erwähnen dies hier nur, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass der Schumpetersche „Profit aus Innovation“ etwas völlig Neues wäre. Trotzdem muss man Schumpeter einige Verdienste zuerkennen.

Die große Schwäche der älteren Ökonomen ist darin zu sehen, dass sie das Produktivitätswachstum zu eng an die Kapitalakkumulation und das Sparen gebunden haben, auch wenn erst Marx dies zu einem metaphysischen Unsinn hochstilisiert hat. Schumpeter gehörte zu den ersten, die den Versuch unternommen haben, das Produktivitätswachstum von der Kapitalakkumulation zu trennen. Bei ihm hat es sich bei der Produktivitätssteigerung eher um mehr Wissen als um mehr Kapital gehandelt. Dies war zukunftsweisend. Mit seiner Innovationstheorie hat er einen wichtigen Beitrag geleistet, dass das „technische Wissen“ - neben dem Boden, Arbeit und Kapital - zum vierten Produktionsfaktor in der ökonomischen Theorie geworden ist. Aber noch etwas haben wir Schumpeter zu verdanken, nämlich seine Idee und seinen Einsatz für die Kreditfinanzierung der Innovationen und die Geldschöpfung der Banken. Er wollte sich nämlich nicht auf den privaten Sparer verlassen, sondern er wollte die Innovationen durch Kredite bzw. durch die Geldschöpfung der Banken finanzieren. Zu einer fundierten Erklärung dafür hat sich Schumpeter jedoch nicht hindurchgearbeitet, im Gegenteil. Er hat vieles falsch wahrgenommen und gedanklich durcheinander gebracht. Wir wollen uns jetzt seine Idee der kreditfinanzierten Investitionen und der Geldschöpfung der Banken näher anschauen und sie würdigen, indem wir sie auf eine bessere analytische Grundlage stellen.

Der größte Held bei Schumpeter ist der innovative Unternehmer. Dies hat sich schon längst herumgesprochen, es stimmt aber nicht ganz. Genau genommen huldigt Schumpeter dem Tüftler und Erfinder aus der Garage, der zwar geniale Einfälle aber kein Geld hat. Als solcher ist dieser noch lange kein Unternehmer, auch wenn er einer werden kann. Diejenigen aber, die schon einmal Unternehmer geworden sind, gehören laut Schumpeter nicht mehr zu denjenigen, die irgendwelche neuen Einfälle bekommen. Sie sind dann keine Unternehmer mehr für ihn, sondern nur Rentiers. Bei ihnen ist der kreative Geist schon endgültig erloschen. Aber stimmt das überhaupt?

Man erinnert sich hier an den amerikanischen Ökonomen John K. Galbraith, der sich im vorigen Jahrhundert einer so zahlreichen Leseranhängerschaft erfreuen konnte wie nur wenige. Er hat, im krassen Widerspruch zu Schumpeter, gerade in den etablierten und finanzstarken Firmen die innovative Kraft der Wirtschaft gesehen. Gerade deshalb konnte er den ganz großen Konzernen und Korporationen nie genug Lob spenden. Er machte immer darauf aufmerksam, dass es doch gerade die ganz Großen sind - sozusagen die Monopolen und Oligopolen -, die für sich schon die besten Studenten anwerben und ihre teure Forschungen finanzieren. Und diese hoch gebildeten Mitarbeiter, die natürlich auch die besten Bedingungen für ihre Forschungen haben, sollten dem Tüftler so unterlegen sein? Außerdem können diejenigen, die finanzielle Mittel besitzen, die Patente der finanziell schwachen Innovatoren einfach kaufen und dann selber investieren. So etwa ist Microsoft entstanden.

Die Idee über die innovativen Unternehmen konnte sich Schumpeter bei Marx abgucken, bei dem Ökonomen, den er übrigens hoch geschätzt hat. Bei Marx ging es darum, die Arbeitsteilung und die Klasse der ausgebildeten Spezialisten für überflüssig zu erklären. Deshalb hat er immer wieder daran erinnert, dass der Uhrmacher Watt die Dampfmaschine, der Barbier Arkwright den Kettenstuhl, der Juwelierarbeiter Fulton das Dampfschiff erfunden hat. Es mag sein, dass dies in den frühen heroischen Zeiten der Kapitalismusentstehung üblich war, spätesten seit Ende des 19. Jahrhunderts aber nicht mehr. Die Tüftler und die Erfinder aus der Garage sind zu einer Restgröße geschrumpft. Sie sind seitdem nur ein Mythos, wie der Tellerwäscher, der zum Millionär wird. Für diese schrumpfende Schicht der innovativen Outsider aus der Garage wären die Kredite und die Geldschöpfung der Banken mehrere Nummern zu groß. Die üblichen staatlichen Hilfen für Existenzgründer würden völlig ausreichen.

Aber Schumpeter scheiterte mit seinem Vorschlag über die Kreditfinanzierung nicht nur an der Realität, sondern - was noch peinlicher ist - auch an der Fähigkeit, schlüssig zu denken. Diese sozusagen externe (exogene) Finanzierung ist mit der Theorie, an die er uneingeschränkt glaubte, die Theorie des ewigen Gleichgewichts von Walras, nicht vereinbar. Die Kredite sollten bei Schumpeter eine zusätzliche Kaufkraft generieren, aber wozu braucht die Wirtschaft überhaupt eine zusätzliche Kaufkraft? Wäre Schumpeter der Meinung, dass das Geld gehortet wird, dann würde eine zusätzliche Kaufkraft zweifellos nützlich bzw. unentbehrlich sein, um den Geldabfluss aus der Wirtschaft zu kompensieren. Aber dies ist schon Keynes in Reinkultur, also der Ökonom, dessen Erwähnung Schumpeter tunlichst zu vermeiden suchte, und wenn er einmal gar nicht darum herum kam, dann spürt man deutlich die Bauchschmerzen, die ihm dies verursachte. Will man aber von dem Geldabfluss nichts wissen, kann auch die von den Banken geschaffene Kaufkraft keinen Sinn ergeben.

Mit seiner Haltung, den Nachfragemangel kategorisch abzulehnen und die Kaufkraft durch Kredite der Banken zu befürworten, stieß Schumpeter schon im traditionalistischen Lager auf Unverständnis, und dies zu Recht. Wozu braucht man denn die zusätzliche Kaufkraft, wenn Investitionsgüter (wie alle anderen Güter) durch die bei ihrer Produktion entstandenen materiellen Kosten (Abschreibungen) sowie durch Nettoeinkünfte nachgefragt werden können? Warum sollte das Ersparte der privaten Haushalte und der Unternehmen nicht auch für die Investitionen der Innovatoren reichen? Unser Beispiel zeigt in aller Deutlichkeit, dass das Ersparte - rein quantitativ betrachtet - dafür immer reichen würde. Das Problem besteht allein darin, ob die privaten Einkommensbesitzer die richtige Summe einsparen würden.

Mit seinem Einsatz für die Kredite bzw. die Geldschöpfung der Banken, hat Schumpeter womöglich versucht, die Angebotstheorie zu befähigen, über Angebot und Nachfrage qualifiziert zu reden. Mit seinem wahnwitzigen Einfall, Innovatoren zu mittellosen Outsidern zu erklären, hat er sich aber als realitätsfremder deutscher Metaphysiker und Bildungsbürger entlarvt. Hätte er es nur dabei belassen und über Angebot und Nachfrage nur im Bezug auf die Finanzierungsprobleme der „mittellosen Innovatoren“ gesprochen, könnte man ihm dies vielleicht noch nachsehen. Er wollte aber den ganzen ökonomischen Zyklus erklären, und da griff er weiter nach Begriffen aus dem Vorrat der von ihm so verachteten Nachfragetheorie. Die Wirtschaft käme angeblich erst dann richtig in Fahrt, wenn neue Produkte „nach einigen Jahren auf den Markt kommen“. Der Aufschwung sei damit die Folge der expandierten Produktion, die ein „Auftreten massenweiser Unternehmernachfrage auslöst, die sehr wesentlich das Auftreten neuer Kaufkraft bedeutet“. ... >

Um den Aufschwung als eine Phase des ökonomischen Zyklus zu erklären, erweitert also Schumpeter seine Analyse mit einer expandierenden Nachfrage, und er führt sie damit endgültig in die Sackgasse. Wie kann ein überzeugter Gleichgewichtstheoretiker, bei dem die Nachfrage und das Angebot immer und unbedingt identisch sind - horribile dictu - erklären, dass die Nachfrage auf einmal „massenweise“ und die Kaufkraft „wesentlich“ auftreten? Sollte dies nur soviel bedeuten, dass beim Aufschwung beides, sowohl die Nachfrage (Kaufkraft) als auch das Angebot (Produktion) expandieren, dann ist diese Aussage peinlich trivial. Einiges spricht jedoch dafür, dass uns Schumpeter hier einen logischen Fehlschluss vom Typus circulus vitiosus vorführt: Die Produktion steigt, weil die Nachfrage wächst, und die Nachfrage wächst, weil die Produktion steigt. Jürg Niehans hat zu Recht bemerkt, es sei Schumpeters Tragödie gewesen, dass ihm ein plausibles mathematisches Modell entgangen sei, ohne das eine Vision nicht viel wert ist.

„Vision is not enough. The essential step is to formalize it into an analytic model. This is what makes the idea communicable to others. ... Schumpeter was a tragic figure in the history of economic analysis, because he failed to transform the vision of innovation into an analytic model.“ ... >

Da drängt sich die Frage auf, worauf seine so zahlreichen Schüler so lange warten? Die Antwort ist alles andere als schwierig. Sogar wenn man die Realitätsfremdheit vieler Annahmen der Schumpeterschen Theorie der kapitalistischen Entwicklung übersehen würde, bleibt sie immer noch nur ein Haufen von gedanklichen Fetzen, die ihre eigenen provinziellen Sicht- und Denkweisen pflegen, für die ein gemeinsames einigermaßen logisches Modell nicht möglich ist.

Aber wir haben angedeutet, dass die Idee der kreditfinanzierten Investitionen bzw. der Geldschöpfung der Banken gar nicht schlecht ist. Ja, ist sie auch nicht. Wir werden sie jetzt nachfragetheoretisch interpretieren und ihr schließlich die verdiente Anerkennung zollen. Unser numerisches Beispiel soll uns dabei den gedanklichen Rahmen zur Verfügung stellen. Die wichtigsten Ergebnisse dieses Beispiels sind im nächsten Bild dargestellt.

 

Das Bild als Ganzes ist eigentlich eine grafische Darstellung der allgemeinen Gleichung des Sparens für den Fall, den unser Beispiel behandelt. Die rechte Seite schildert das Gleichgewicht zwischen den Ersparnissen und Investitionen, und zwar so, wie es die klassische bzw. angebotsorientierte Theorie versteht. Nach dieser Theorie würde der Zinssatz für das Gleichgewicht zwischen diesen zwei Größen sorgen und dann wäre schon die ganze Wirtschaft im Gleichgewicht. In der Nachfragetheorie ist der Zinssatz nur noch einer von mehreren Faktoren, so dass ihre Erklärung des Gleichgewichts deutlich komplizierter ist, aber gerade deshalb wollen wir bei der angebotstheoretischen Auffassung bleiben. Uns geht es jetzt alleine darum, den Bereich, in dem das Gleichgewicht zwischen Investitionen (I) und Ersparnissen (S) stattfinden kann, grob abzugrenzen, und da unterscheiden sich die Angebotstheorie und die (monetäre) Nachfragetheorie kaum. Dieser Bereich wird im Bild mit einem dunklen Streifen markiert, der an dem oberen und unteren Rand immer blasser wird, womit angedeutet werden soll, dass dort die Wahrscheinlichkeit des Gleichgewichts immer geringer wird.

Nach unseren kreislauftheoretischen Untersuchungen kommt das allgemeine Gleichgewicht jedoch nicht schon dann zustande, wenn sich die Investitionen und Ersparnisse einander angeglichen haben. Dies ist nur die notwendige, aber nicht auch die hinreichende Bedingung des allgemeinen Gleichgewichts. Darüber hinaus müssen diese beiden Größen auch noch der Größe YK entsprechen. In unserem Bild haben wir die Werte dieser Größe für mehrere aufeinander folgenden Reproduktionsperioden dargestellt, so wie sie sich aus unserem Beispiel ergeben. Diese Werte waren aber in allen Reproduktionsperioden ständig gleich Null, und genau hier liegt das Problem mit dem privaten Sparer, oder noch besser gesagt, das führt zu mehreren Problemen:

Die gesamte Sparsumme muss in unserem Fall gleich 0 sein, damit die Wirtschaft im Gleichgewicht bleibt, aber die Menschen als freie Individuen neigen immer dazu, zumindest ein bisschen zu sparen. Darin sind sie sowohl die Angebots- als auch die Nachfragetheoretiker einig und genau das legt die rechte Seite unseres Bildes nahe. Sogar beim Nullzins sparen die Menschen, dann aber nicht auf der Bank, sondern eher unter der Matratze.

In unserem Fall wurden die Investitionen im Sektor 3 schon in der Reproduktionsperiode t+2 in Betrieb genommen, so dass die Produktion der Konsumgüter um 25% bzw. um 1000 steigt. Die Nettoeinkünfte der Wirtschaft haben sich um den gleichen Wert (1000) vergrößert, so dass die Nachfrage für diese zusätzlichen Konsumgüter auch vorhanden ist. Es wäre aber ziemlich realitätsfremd anzunehmen, dass diese Einkommenszuwächse vollständig verkonsumiert würden, oder fachlich ausgedrückt: dass gerade bei dem gestiegenen Einkommen der Grenzhang zum Sparen sein Maximum erreichen würde.

Während der Reproduktionsperiode t+1 ist zwar das Sparen in der Summe gleich Null, wenn man aber die Kapitalausstattung der Sektoren einzeln betrachtet, hat sich etwas geändert. Der Kapitalstock im Sektor 2 hat sich verringert (-500) und im Sektor 3 entsprechend vergrößert (+500). Der Sektor 3, um investieren zu können, wurde also zum Schuldner. Aber schon in der Reproduktionsperiode t+2 geben seine Investitionen ihren Wert zurück, so dass der Sektor 3 dazu neigen könnte, sich zu entschulden - also aus den gestiegenen Gewinnen seine Schulden (Kredite) zumindest Teilweise zu tilgen. Und wer sollte dann derjenige sein, der den Konsumverzicht des Sektors 2 kompensieren sollte, der also auf einmal Lust bekommen sollte, seine bereits üblichen und geplanten Konsumausgaben zu erhöhen?

Man erinnert sich hier an die von Malthus gesuchten „Drittpersonen“, an eine Klasse von Menschen deren einzige „sinnvolle“ wirtschaftliche und gesellschaftliche Aufgabe darin bestünde, zu konsumieren. Die Welt der „seriösen“ Ökonomen war entsetzt: Ihre Gottheit Sparen wurde zutiefst beleidigt. Marx haben die schmarotzenden „Drittpersonen“ auch deshalb auf die Palme getrieben, da Malthus auf keinen Fall damit einverstanden wäre, die Löhne zu erhöhen. Die Armen würden sich dann angeblich wie Karnickel vermehren und die Erde leer fressen. Ja, so ist es. Früher durfte man den Arbeiter angeblich deshalb nicht besser bezahlen, weil er viele Kinder zeugen würde, jetzt deshalb nicht, weil er keine hat.

Man kann noch mehrere psychische Antriebe und rationale Verhaltensweisen anführen, warum der Hang zum Sparen dermaßen groß sein kann, dass dadurch die Nachfrage - und durch sie schließlich auch die Produktion - beeinträchtigt wird. Darüber haben sich schon die alten Nachfragetheoretiker wie Sismondi und Malthus Gedanken gemacht, und der größte Ökonom des 20. Jahrhunderts, Keynes, war auch Nachfragetheoretiker, der die Psychologie der Sparer in den Mittelpunkt des Interesses der ökonomischen Theorie rückte. Deshalb sind manche Antriebe und Verhaltensweisen der Sparer gut erforscht und später zumindest grundsätzlich nicht mehr in Frage gestellt. Nicht einmal von den Angebotstheoretikern. Diese würden aber beteuern, dass die ungünstigen Auswirkungen des Hangs zum Sparen immer nur vorübergehend sind und die Nachfrage nie ernsthaft herabmindern können. Wir brauchen jetzt mit ihnen nicht zu streiten, weil das Geldhorten - in welcher Form auch immer - nicht die gefährlichste Quelle des Nachfrageproblems ist. Viel gefährlicher ist der Nachfragemangel, der durch Preissenkung verursacht wird, die das Verschwinden des Gewinns aus den Innovationen unausweichlich bewirkt. Wir werden dies jetzt kurz erklären und zeigen, was dies mit der Kreditfinanzierung der Innovationen und der Geldschöpfung der Banken zu tun hat.

Das Geld als die nächste theoretische Herausforderung der Wirtschaftswissenschaft

Die Innovationen sind, wie es Schumpeter richtig verstanden hat, einer der wichtigsten Faktoren des ökonomischen Aufschwungs und Abschwungs. Deshalb ist es angebracht, den Zusammenhang zwischen den Innovationen und dem Nachfrageproblem vor dem Hintergrund des ökonomischen Zyklus zu verdeutlichen und zu erklären. Uns wird aber diesmal reichen, wenn wir nur einige wenige, ziemlich bekannte Begriffe des ökonomischen Zyklus ansprechen. Der Problematik der zyklischen Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft im Detail werden wir uns im nächsten thematischen Bereich widmen.

In der Schumpeterschen Auffassung der zyklischen Entwicklung des Kapitalismus ist der Aufschwung durch Innovationen bedingt. Diese sollten angeblich in regelmäßigen zeitlichen Abständen gruppenweise auftauchen. Mit der Wirklichkeit hat dies gar nichts zu tun, aber lassen wir dies jetzt dahingestellt. Wenn sich der neue Innovationenstrom wie ein Regen nach dem Wolkenbruch über die Wirtschaft ergießt, so Schumpeter weiter, sollten die Investitionen wie Pilze aus dem Boden schießen, schizophren und chaotisch zugleich, weil jeder auf große Innovationsgewinne pocht. Es werden also überall Überkapazitäten entstehen, und - was man schon ahnen kann - das wird nicht lange gut gehen. Die Wirtschaft wird irgendwann abstürzen müssen, um diese Überkapazitäten abzubauen. Das bezeichnete Schumpeter als kreative Zerstörung. So hat er den Abschwung erklärt.

Auch die angeblichen innovationsbedingten Überkapazitäten sind nur eine der vielen Annahmen in der Schumpeterschen Theorie, die empirisch nicht nachweisbar ist. Aber die Realitätsfremdheit ist nicht der einzige höchst problematische Begleiter von Schumpeters Theorie der ökonomischen Zyklen, sondern ihre Widersprüchlichkeit. Wenn die Überkapazitäten die Ursache allen Übels sein sollten, warum brauchte man Innovatoren noch extra finanziell zu fördern. Die Kreditschöpfung durch Banken wäre damit nicht nur überflüssig, sondern höchst gefährlich. Nach der einfachen Logik sollte man die Kredite am Anfang des Aufschwungs eigentlich drosseln, damit später nicht alles aus dem Ruder läuft. Die Idee der kreditfinanzierten Innovationen und der Geldschöpfung der Banken passt also nicht in den gedanklichen Rahmen des Schumpeterschen Zyklentheorie. Das bedeutet jedoch trotzdem nicht, dass sie falsch und nutzlos ist, im Gegenteil. Sie ist ein glücklicher Einfall. Wie bereits angedeutet, brauchen wir die Banken und ihre Geldschöpfung nicht deshalb, weil die Innovatoren mittellos sind, sondern weil die Innovationen durch Preissenkungen den Nachfragemangel verursachen. Aber der Reihe nach.

Der Grund, warum die Innovationen zur Preissenkungen führen, ist einfach: Das technische Wissen - die alten Ökonomen sprachen von Kunst - lässt sich nicht lange verheimlichen. Das heißt, auch die Konkurrenz setzt die Innovation ein, so dass der Profit aus der Innovation durch sinkende Preise immer mehr verschwindet. Es handelt sich hier also um eine Erscheinung, die schon vor langer Zeit beobachtet wurde. So schreibt Francesco Guicciardini (1483-1540), ein italienischer Politiker und Historiker:

„Gewerbe und Kunstfertigkeit werfen solange die großen Gewinne ab, als sie noch nicht allgemein verbreitet und bekannt sind. Sobald sie sich einmal größere Wertschätzung erwerben, kann man damit nicht mehr viel verdienen, da sich dann gleich zahlreiche Leute ihnen zuwenden und der Wettbewerb die Gewinne beschneidet. Wer sich früh ans Werk macht, hat auch hier seinen Vorteil.“ ... >

Die Preisniveauschwankungen und ihre gleichgewichtstheoretischen Folgen haben wir schon untersucht und sind zu bestimmten Schlussfolgerungen gelangt. Wir haben uns aber dort nur auf eine stationäre Wirtschaft beschränkt. Jetzt bietet sich eine gute Gelegenheit zu prüfen, ob unsere Schlussfolgerungen ihre Gültigkeit auch dann behalten, wenn die Wirtschaft zugleich auch ihre produktionstechnische Struktur ändert.

Gleich am Anfang stellt sich wieder die Frage, wie wir vorgehen sollen, damit die Untersuchung nicht allzu kompliziert wird, aber auch den Bezug zur Realität nicht verliert. Unser Kompromiss wird so aussehen, dass wir in unserem numerischen Beispiel die Profite aus der Innovation auf dem kürzesten Weg verschwinden lassen. Mit einer geschickten Anwendung der technischen und distributiven Koeffizienten lässt sich dann die Dynamik des Übergangs der Wirtschaft zu einem neuen stationären Zustand relativ einfach nachvollziehen. Weil wir mit numerischen Werten operieren, reduziert sich diese unsere dynamische Analyse zu einer reinen mathematischen Angelegenheit, mit der wir uns nicht unbedingt abmühen müssen. Wie wir es bereits getan haben, lassen wir sie durch „unseren Mathematiker“ erledigen. Er wird natürlich von uns eine genaue Beschreibung der Aufgabe und genaue Daten verlangen, die wir ihm gern zur Verfügung stellen:

Das obige numerische Beispiel soll als Grundlage dienen. Dort haben wir bereits festgestellt, dass der Sektor 2 schon in der Reproduktionsperiode t+2 einen „positiven Gewinn“ erzielen (500) kann. Wir haben ihm dort stillschweigend erlaubt, diesen Gewinn zu behalten, was unsere Untersuchung sehr vereinfacht hat. Die Wirtschaft hat nämlich den neuen stationären Zustand schon in der Reproduktionsperiode t+2 erreicht. Das wollen wir ändern. Der Sektor 2 soll auf diesen Gewinn verzichten und seine Preise entsprechend senken. Durch niedrigere Preise wird dann der Sektor 1 profitieren, der dafür nichts geleistet hat. Dies wäre zwar ungerecht, aber ein einziges Mal lassen wir es zu. In der Reproduktionsperiode t+3 soll nämlich der Sektor 1 diesen Gewinn durch sinkende Preise seiner Produkte weiter geben. So lässt sich ereichen, dass die Gewinne aus der Innovation schon nach dieser Reproduktionsperiode endgültig verschwinden. Die Nettoeinkünfte der Sektoren haben damit ihren endgültigen Stand erreicht, aber einen neuen stationären Zustand haben wir noch nicht erreicht. Die Preise werden sich nämlich auch weiterhin ändern. Unsere Kreislaufanalyse kann diese Dynamik der Wirtschaft weiter quantitativ präzise nachvollziehen.

Nachdem wir diese Aufgabe unserem Mathematiker erklärt und ihm alle Daten mitgeteilt haben, kann er die ganze dynamische Analyse bis ins letzte Detail durchrechnen. Wir können uns dann von ihm alle Ergebnisse holen. Uns interessiert aber nur, wie viel die Wirtschaft auf ihrem dynamischen Pfad zum stationären Zustand nominal sparen und investieren muss. Dies ist im nächsten Bild links dargestellt.

 

Auch für das Sparen der lebenden Arbeit gilt, dass der Profit aus Innovationen allmählich verschwindet und dass deshalb die Preise fallen. Diesen Prozess haben wir schon untersucht, was den Produktionsablauf betriff, aber noch nicht, was mit dem Gleichgewicht geschieht. Weil dies auch nur eine reine mathematische Angelegenheit ist, überlassen wir sie wieder unserem Mathematiker. Er soll für uns ausrechnen, welche Ersparnisse nötig sind, damit das Gleichgewicht erhalten bleibt. Die Ergebnisse holen wir uns und zum Vergleich zeigen wir sie in der gleicher Form wie vorhin.

 

Jetzt können wir vergleichen. Die letzten zwei Bilder schildern das allgemeine Gleichgewicht der Wirtschaft, wenn die Preise fallen, indem die Profite aus Innovationen verschwinden; in dem Bild davor sind die Preise konstant, weil die Profite aus Innovationen beibehalten worden waren. Schon auf den ersten Blick lässt sich feststellen, was die fallenden Preise verursacht haben: Die Kluft zwischen dem, was die Einkommensbesitzer bzw. die potenziellen Sparer bereit wären zu sparen (I′ x S′), und der Sparsumme, die für den Erhalt des Gleichgewichts nötig wäre (YK) ist viel größer geworden. Wenn man sich dann in die Situation hineinversetzt, kommt man schnell auf den Gedanken, dass das Horten nicht die einzige Ursache der mangelnden Nachfrage sein kann. Das schauen wir uns näher an.

Wenn die Preise sinken - aus welchem Grund auch immer - verringern sie die Sparsumme. Ist ihr Wert ohne Preissenkungen gleich Null, wie in unserem Fall - was natürlich nicht immer der Fall sein muss -, dann wird die Sparsumme nach den Preissenkungen negativ sein. Das heißt, das gleichgewichtige System würde ein negatives Sparen benötigen, also Konsumausgaben, die größer sein müssen als das gesamte Nettoeinkommen der Wirtschaft. Dieses Ergebnis unserer Analyse ist sowohl merkwürdig als auch einzigartig. So etwas wird nicht einmal in den bisherigen Nachfragetheorien in Betracht gezogen. Folglich würden die aus diesen Theorien abgeleiteten Maßnahmen in unserem Fall nicht greifen. Die schon einmal antiquierte, aber heute wieder zurück ins Leben gerufene Gesellsche Idee vom negativen Zinssatz könnte also das Problem des Nachfragemangels nicht beheben. Auch die deficit spending von Keynes - das privat gehortete Geld durch den Staat abzusaugen und zu verbrauchen - würde ebenso zu kurz greifen. (Über die Staatschulden braucht man nicht einmal zu reden.) Beides würde im besten Fall dafür reichen, alle unverbrauchten Nettoeinkünfte zurück ins System zu holen. Das allein schafft aber in unserem Fall noch nicht genug Nachfrage. Man kann also feststellen, dass die klassische bzw. die monetäre Nachfragetheorie sozusagen auf halbem Wege stecken geblieben ist. Könnte uns aber vielleicht gerade die Angebotstheorie bzw. Schumpeter weiter helfen?

Warum werden die Kreditfinanzierung der Investitionen und die Geldschöpfung der Banken  bei den überzeugten Angebotstheoretikern überhaupt zum Thema? Für sie ist das Geld doch neutral und damit irrelevant. Ja, in der Theorie schon. Das immer wieder aufgeflammte theoretische Interesse am Geld hat bei ihnen rein praktische Ursachen. Wenn nämlich trotz aller Zinssenkungen und Lohnkürzungen die Marktwirtschaft abstürzt, scheren sich die Manager und Firmeninhaber nicht mehr um Theorien. Nicht einmal um diejenigen, welche die von ihnen alimentierten „Experten“ entworfen haben, die sie noch kurz davor so bewundert und angehimmelt haben. Anstelle von Moses und Propheten schallt es dann von überall: Nur Geld ist wichtig, und es muss schnell her! Das ist der Widerspruch, den auch Schumpeter zu lösen versuchte. Er wusste aber ganz genau, dass die von ihm zum Stein der Weisen erklärte neoliberale Gleichgewichtstheorie keinen Platz für das Geld bietet. Deshalb versuchte er sie mit der wahnwitzigen Idee von angeblichen periodischen Innovationsschwärmen und mittellosen Innovatoren zu retten. „Ist es auch Wahnsinn, hat es doch Methode“, hätte Goethe dazu gesagt. Es hat sich noch einmal erwiesen, dass auch ein hervorragender Einfall, ohne verlässliche theoretische Grundlagen, nur eine vorübergehende Strategie oder nur Taktik sein kann. Daran ist auch die Keynessche Theorie gescheitert, worüber man sich schon längst ziemlich einig ist: Ihr fehlte eine solide analytische Grundlage.

Die kreislauftheoretische Analyse - wie wir gesehen haben - bietet eine andere Erklärung dafür, was Sparen bedeutet, und wo die Ursachen für die Gleichgewichtsstörung liegen. Vereinfacht gesagt: Die Einkommensbesitzer bzw. die potenziellen Sparer sind das Problem. Sie sind mit der Aufgabe, die sie schon von den alten Ökonomen zugeteilt bekamen, nämlich die Finanzmittel für die Investitionen zur Verfügung zu stellen, schlechthin überfordert. Wir müssen also die privaten Sparer weitgehend von dieser Pflicht entlasten. Das sollte die vornehmliche Aufgabe eines neuen Kredit- und Geldsystems sein. Ein neues Konstrukt der Finanzierung der Investitionen brauchen wir, um zu verhindern, dass die Kaufkraft aus der Wirtschaft abfließt; ein neues Konstrukt der Geldschöpfung um zu verhindern, dass die Preissenkungen die Nachfrage vernichten. Dies ist was völlig anderes, als den angeblich mittellosen Innovatoren helfen zu wollen, wie Schumpeter es meinte. Wie die konkreten Lösungen aussehen werden, kann ich jetzt - zugegebenermaßen - noch nicht mal wirklich ahnen. Wir müssen uns zu ihnen noch durcharbeiteten. Dass dazu eine ordentliche Menge an Kreativität nötigt sein wird, lässt sich nicht im Geringsten anzweifeln. Auch noch etwas gilt als völlig sicher. Wir werden die althergebrachten Denkweisen, was das Geld betrifft und vieles andere, was mit ihm zu tun hat, ablegen müssen. Wir werden uns völlig neue Ansätze einfallen lassen müssen. Geld ist zwar nicht die Ursache unserer ökonomischen Probleme, aber zu einem großen Teil ihre Lösung.

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