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  B - Das Sparen und das allgemeine Gleichgewicht der Marktwirtschaft
  Das Preisniveau - Inflation und Deflation - aus empirischer Sicht
 
 
Neben der Konfiszierung und dem Steuersystem - die sinnvoll funktionieren könnten, wenn der Staat die Gelder produktiver anlegt als die besteuerten Individuen - hat die Inflation eine bedeutende Rolle in den verschiedenen Aufstiegsperioden gespielt. Es besteht kein Zweifel, dass die Kapitalbildung Englands in den späten 1790er Jahren, der Vereinigten Staaten um 1850 und Japans um die 1870er Jahre durch eine Preisinflation unterstützt wurde.
 
  Walt W. Rostow,  ein US-amerikanischer Ökonom und Wirtschaftshistoriker    
 
In der Vergangenheit hatte Inflation immer mit Wachstum, oftmals sogar übermäßig schnellem Wachstum, in Zusammenhang gestanden.
 
  Tony Judt,  ein britischer Historiker, sein Arbeitsschwerpunkt ist die europäische Geschichte    

Seit langer Zeit wurde beobachtet, dass die langsam steigenden Preise für die Wirtschaft gut sind, aber eine Erklärung dafür zu finden hat sich als sehr schwierig erwiesen. Eine, die zumindest etwas in sich hat, bietet der sogenannte Fisher-Effekt. Er ist nach dem wichtigen amerikanischen Ökonomen und Geldtheoretiker Irving Fisher (1867-1947) benannt, der sich fast sein ganzes Leben mit dem „Tanz des Dollars“, also mit den Preisschwankungen, beschäftigte. Statistische Analysen spielten bei ihm eine vorrangige Rolle. Er wollte empirisch herausfinden, was die Preise zum Schwanken bringt, und er machte folglich auch praktische Vorschläge, wie das Preisniveau zu stabilisieren wäre. Einer seiner Artikel über den statistischen Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Änderungen des Preisniveaus wurde 1973 wieder aufgelegt und im Journal of Political Economy unter dem Titel I discovered the Phillips curve (Ich entdeckte die Phillips-Kurve) veröffentlicht. Man wollte damit nahe legen, dass schon Fisher deutlich gesehen hat, dass zwischen der Veränderung von Nominallöhnen bzw. Preisen auf der einen Seite und Arbeitslosigkeit auf der anderen ein enger Zusammenhang besteht. Die echte Phillips-Kurve wurde nämlich 1958 vom englischen Statistiker und Ökonomen Alban W. Phillips publiziert. Anhand des nächsten Bildes lässt sich schnell erklären, was mit dieser Kurve gemeint ist. Aus den dort statistisch erfassten Jahren folgt unmittelbar, dass die Arbeitslosigkeit steigt, wenn die Preise fallen und umgekehrt. ... >

   

Wenige Tage vor dem Börsenkrach machte Fisher - der auch ein Unterstützer des damaligen marktradikalen republikanischen Präsidenten Herbert Hoover war - seine berühmte Aussage, dass „Aktienkurse ein - wie es scheint - dauerhaft hohes Niveau erreicht haben“. Nach dem Börsencrash konnte er immer noch nicht glauben, dass in den Monaten danach keine schnelle Erholung der Wirtschaft kommen würde. Deshalb hat er selber mächtig spekuliert und sein ganzes Vermögen verloren. Nicht gerade schmeichelhaft für die Wirtschaftswissenschaft. Würde man jetzt annehmen, so etwas konnte einem prominenten Ökonomen nur irgendwann früher passieren, vor einer langen Zeit, dann muss man eines besseren belehrt werden. Vor nicht allzu langer Zeit (1997) erhielten Robert Merton und Myron Scholes für ihre Arbeiten zur Bewertung von Optionsscheinen und anderen Finanzderivaten den Nobelpreis. Danach gründeten sie einen eigenen Hedge-Fonds („Long Term Capital Management“), der eine nach ihren Theorien ausgeklügelte Anlagestrategie verfolgte. Sie haben also genau nach der eigenen nobelpreisgewürdigten Finanztheorie spekuliert und alles in den Sand gesetzt. Nach einem Jahr brach der Hedge-Fonds mit seinen mehr als fünf Milliarden „wissenschaftlich“ investierten Dollars zusammen. Man kann sich in der Tat ernsthaft fragen, ob die Zunft der Ökonomen überhaupt etwas weiß. Der erfolgreiche amerikanische Börsenspekulant und mehrfache Milliardär George Soros bemerkte dazu lapidar:

„Ich muß zugeben, daß ich mit den vorherrschenden Theorien effizienter Märkte und rationaler Erwartungen nicht vertraut bin. Ich halte sie für überflüssig; die Mühe, sie eingehend zu studieren, habe ich mir nie gemacht, weil ich auch ohne sie ganz gut zurechtgekommen bin.“ ... >

Als dann die Weltwirtschaftskrise auf ihrem Höhepunkt war, begann Fisher vor den wirtschaftlichen Gefahren der Deflation zu warnen. Seine Schulden-Deflationstheorie beschreibt in der Tat sehr treffend bestimmte gefährliche Auswirkungen der Deflation. Es ist nämlich zweifellos richtig, dass durch sinkende Preise der Schuldendruck wächst, so dass den Schuldnern - Gesellschaftern, Eigentümern, Eigenheimbesitzern, Bauern - enorme Belastungen auferlegt werden. Die Gläubiger, also die Menschen, die nichts anderes leisten, als nur Geld ausleihen, sind folglich die großen Gewinner der Deflation. Dies könne laut Fisher nicht gut gehen. Zahlungsverzögerungen und Konkurse würden die Depression verfestigen und vertiefen. Deshalb rief er nach Maßnahmen - Geldmengenexpansion, Abwertung, Erhöhung der Geldpreise - zur Wiederherstellung der Güterpreise auf das Niveau vor der Depression.

Das alles klingt mikroökonomisch überzeugend, aber es passt trotzdem nicht so richtig in die geldtheoretischen Auffassungen von Fisher. Er war nämlich ein glühender Vertreter der Quantitätstheorie des Geldes, die besagt, dass die Geldmenge das Preisniveau bestimmt: mehr Geld höhere Preise und umgekehrt, und wenn man sich an diese Theorie hält, hat man ein nicht gerade kleines Problem mit den sinkenden Preisen, das man als Pigou-Effekt bezeichnet. Wenn nämlich die Preise fallen, jagt die gleiche Geldmenge eine Gütermenge, deren Geldwert auf einmal gefallen ist. Diese relativ größer gewordene Geldmenge wirkt folglich wie eine zusätzliche Nachfrage, die den Schuldnern ermöglichen könnte, ihre Waren zu verkaufen, so dass sich die Preise automatisch stabilisieren würden und die Wirtschaft auf den Wachstumspfad zurückkehren könnte. Was nun?

Nachdem sich die Angebotstheorie dermaßen selbst blockiert hatte, bekamen die neuen Ideen von Keynes ihre Chance. Keynes befürwortete auch steigende Preise, aber auf einem anderen Argumentationswege. Waren bei Fisher die Inflation und Deflation direkt durch die Geldmenge bestimmt, so wie es die Quantitätstheorie des Geldes erklärt, sollte bei Keynes  dieser Zusammenhang viel komplizierter sein. Die Details seiner Argumentation sind uns aber jetzt nicht wichtig, nur ihr Sinn und Zweck. Schematisch kann man diese zwei Auffassungen so darstellen:

    Fischer:     Geldmenge     →     quantitätstheoretische Erklärung     →     Preisniveau  
    Keynes:     Geldmenge     →     gestiegene/gesunkene Nachfrage     →     Preisniveau  

 

 

Bei Fisher ist die Deflation für die Wirtschaft aus mikroökonomischen Gründen schädlich, die kreditfinanzierten Unternehmen werden durch real wachsende Schulden ruiniert; bei Keynes aus makroökonomischen Gründen, das fehlende Geld würde nämlich zum Nachfragemangel führen und damit die ganze Wirtschaft abwürgen. Beide Auffassungen waren damals gewissermaßen revolutionär, weil sie sich der damals herrschenden These von Geldneutralität widersetzt haben. Mit der Geldneutralität wird nämlich gemeint, dass die Geldmenge nur auf die Preise wirkt, jedoch keinen Einfluss auf das reale Geschehen ausübt: auf die Güterproduktion, Wachstum und Beschäftigung. Die klassischen Ökonomen haben in diesem Zusammenhang vom „Geldschleier“ gesprochen, Keynes hat dies als „klassische Dichotomie“ bezeichnet. Deshalb sollte der Wert des Geldes nach der klassischen bzw. angebotstheoretischen Auffassung am besten möglichst stabil bleiben.

Aus unserer kreislauftheoretischen Untersuchung, mit der wir zur allgemeinen Gleichung des Sparens gelangt sind, folgt, dass das Preisniveau nicht neutral sein kann. Das Preisniveau (der Produktionsgüter) ist eine Größe bzw. ein Faktor, der wesentlich mitbestimmt, wie viel eine Wirtschaft sparen kann. Steigen die Preise, dann können die Menschen mehr sparen, fallen sie, dann müssen die Menschen - allgemein gesprochen - sogar entsparen, sonst würde die Wirtschaft nicht im Gleichgewicht bleiben und die Produktion würde abstürzen. Nun haben wir drei theoretische Erklärungen, warum die langsam steigenden Preise für die Wirtschaft besser sein müssten als die stabilen und erst recht die sinkenden. Wir haben aber auch den Pigou-Effekt erwähnt, um zugleich nahe zu legen, dass es - wie immer in der Theorie - auch logisch schlüssige Ansätze gibt, die das Gegenteil behaupten. Deshalb sind in jeder seriösen Wissenschaft die Tatsachen das letzte Gericht ihrer Richtigkeit. Das bedeutet, dass wir uns genauer anschauen müssen, was die steigenden Preise in der Praxis bewirken.

Bevor wir damit anfangen, ist noch eine Bemerkung angebracht. Bei unserer Untersuchung haben wir das Geld nirgendwo berücksichtigt - wir haben es völlig ausgeklammert. Dabei wird es zwar nicht bleiben, aber was tun wir jetzt mit dem Geld, wenn wir noch nicht so weit sind? Versuchen wir vorerst alles zu vereinfachen, ohne dabei etwas falsch zu machen, und zwar folgendermaßen: Wenn in der kreislauftheoretischen Analyse das Geld schon keine Rolle spielt, liegt die Vermutung nahe, dass in ihrem Rahmen akzeptabel sein müsste, wenn mehr Geld eine Preissteigerung zur Folge hätte. Die allgemeine Gleichung des Sparens müsste mit der Quantitätstheorie des Geldes kompatibel (kommensurabel) sein. Das ist sie auch, wie  sich später zeigen wird. Wenn also die empirischen Befunde zeigen würden, dass die größeren Geldmengen mit steigenden Preisen übereinstimmen, würde dies zwar indirekt aber immerhin auch für die Richtigkeit der allgemeinen Gleichung des Sparens sprechen. Prüfen wir es also nach. Schauen wir uns zuerst an, was uns die historischen Tatsachen über das Geld und die Preise zu berichten haben.

Das Geld, die Preissteigerung und die Ursprünge des Kapitalismus

Heben wir es noch einmal hervor, dass bei Fisher und Keynes das Geld der wichtigste Faktor der Funktionsweise der Marktwirtschaft und des Konjunkturablaufes war. Keynes ging sogar so weit, dass er in der Geldmenge den entscheidenden ökonomischen Faktor jedes wirtschaftlichen Aufschwungs sehen wollte. Er schlug vor, von diesem Standpunkt aus eine neue Geschichte der Wirtschaft zu schreiben: die sumerische und die ägyptische Zivilisation durch arabisches Gold, Athens Größe mit den Silberminen von Laurium, Roms Macht durch Alexanders Plünderung der persischen Bankreserven und die Stagnation des Mittelalters auf die schmale Versorgung Europas mit Währungsmetallen zurückzuführen. ... > Schumpeter hat diese Beobachtungen von Keynes auch als richtig erkannt, als er schrieb, dass das, was

„der Aufstieg des Kapitalismus genannt wird, grob gesprochen mit dem Zufluß von Silber aus den Potosi-Gruben und mit einer politischen Situation zusammenfällt, in der die Ausgaben der Fürsten gewöhnlich ihre Einnahmen überstiegen.“ ... >

Auch die Historiker haben diesmal den Ökonomen Recht gegeben

„Europa erlebte im 16. Jahrhundert eine fortgesetzte Inflation von nie dagewesenen Ausmaßen. ... Steigende Preise regten eine allgemeine Ausweitung der Geschäftstätigkeiten an, ... Der enorme Preisanstieg findet seine Erklärung zum Ziel in dem Einstrom von Edelmetallen, insbesondere Silber, aus der neuen Welt: In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts befand sich die Weltwirtschaft in einer Phase der Silberinflation ... [so] daß das gesamte Produktionsvolumen nicht ausgereicht zu haben scheint, um der Nachfrage völlig zu entsprechen. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts verlangsamte sich das Tempo. Preise begannen nachzugeben ... die Jahre um die Mitte des 17. Jahrhunderts haben eine Verfalls- oder Stagnationsphase eingeleitet, die für den Rest des Jahrhunderts andauerte.“ ... >

Erwähnen wir in diesem Zusammenhang noch David Hume, der diesen Ereignissen zeitlich nahe stand. Er hatte eine starke Version von der Neutralität des Geldes vertreten - man kann ihn sogar als den Erfinder der Quantitätstheorie des Geldes betrachten -, aber er gab trotzdem zu, dass

„seit der Entdeckung der Minen in Amerika der Fleiß in allen europäischen Nationen zugenommen hat ... und dies kann neben anderen Gründen sicher der Zunahme von Gold und Silber zugeschrieben werden.“ ... >

Es kommt wahrhaftig nicht oft vor, dass sich die Historiker mit den Ökonomen einig sind. Wenn dies doch der Fall ist, wie bei der Frage, was die Geldmenge und Inflation in der Frühgeschichte des Kapitalismus bewirkt haben, sollte man dem schon Glauben schenken. Man kann da aber auf den Gedanken kommen, dass dies nur für das Entstehen des Kapitalismus und in seinen frühen Phasen seine Gültigkeit hatte. Deshalb schauen wir uns jetzt kurz die Lage des Kapitalismus im vorigen Jahrhundert an, die vor der Großen Depression und danach - bis heute. Unsere deutsche Erfahrung mag die interessanteste und aufschlussreichste sein.
 

Die Tatsachen und die Lügen über die deutsche Inflation und Deflation

Wenn die großen Menschen Fehler machen, vor allem wenn sich diese Fehler als besonders dumm und verhängnisvoll erwiesen haben, spricht man von „interessanten Fehlern“. In der Weimarer Zeit wurde ein solcher „interessanter Fehler“ nach dem anderen gemacht und die Wirtschaft wurde immer weiter zugrunde gerichtet. „Die Weimarer Demokratie scheiterte nicht an Hitler, sondern Hitler war die letzte Konsequenz ihres Scheiterns“ - so der bekannte Historiker Hans Mommsen kurz und bündig. Das wollen wir uns näher anschauen.

Einer der sich damals um manche dieser „interessanten Fehler“ große Verdienste erworben hat, war der ökonomische Wirrkopf und soziale Kannibale Kanzler Brüning. Die meisten seiner Fehler ähneln verblüffend dem, was man in den letzten Jahrzehnten als  „höchste ökonomische Vernunft“ angepriesen und der sozialdemokratische Kanzler Schröder in die Tat umgesetzt hat. Weimar lässt grüßen! Mit einem Doppelklick auf erinnern wir an einige der charakteristischen Stationen an diesem Weg zum Untergang. Uns interessiert jetzt aber nur der interessanteste aller „interessanten Fehler“ der Regierung Brüning, nämlich die irrwitzige Idee, die deutsche Wirtschaft durch die Deflation zu retten.

„Um den Verlust an internationaler Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu kompensieren ... , griff Brüning nun zu den härtesten Deflationsmaßnahmen seiner Regierungszeit. Das deutsche Preis- und Lohnniveau sollte um 20 Prozent gesenkt werden. ... Die dritte Notverordnung zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 6. Oktober und die vierte vom 8. Dezember 1931 dienten diesem Ziel. Löhne und Gehälter wurden per Dekret abgesenkt.“ ... >

Die Idee war in der Tat berauschend einfach. Durch Lohndumping würde man die eigene Überproduktion auf dem Grundstück der andern abladen. Betrachtet man diese Idee mit den Augen eines Sozialdarwinisten, ist sie zweifellos eine bewundernswerte und lobenswerte Strategie, die nur noch durch die Strategie des größten deutschen Sozialdarwinisten aller Zeiten, nämlich Hitler, übertroffen werden konnte: andere Völker einfach auszumerzen und sich ihre Grundstücke unter den Nagel zu reißen. Aber diese nicht so ganz nette sozialdarwinistische Strategie kam erst später bei den deutschen Machteliten zur Anwendung. Zuerst, nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg, meinten sie nämlich, auch mit der zweitbesten Strategie auskommen zu können, also mit der Deflation und dem Lohndumping. Leider funktionierte sie nicht. Genauer gesagt hat sie sich als eine Katastrophe erwiesen. Das sagen die Tatsachen, und zwar ohne wenn und aber. Am besten überlassen wir das Wort wieder den Historikern:

„Der Aufstieg der Nationalsozialisten zur Macht war eng mit der Weltwirtschaftskrise verknüpft. ... Die Arbeitslosenzahl ... hatte ihren absoluten Höchststand mit 6,2 Millionen im Februar 1932 gehabt; aber auch im Januar und Februar 1933 überschritt sie noch einmal die 6-Millionen-Grenze. Am Tage nach der Machtübernahme durch Hitler, dem 31. Januar 1933, betrug sie 6 013 612. Das war fast ein Drittel der erwerbswilligen Bevölkerung. Das Volkseinkommen sank in Deutschland von 1928 bis 1932 um rund 40 %, der Bruttowert der Industrieproduktion um mehr als die Hälfte.“ ... >
„Jeder fünfte Industriearbeiter auf der Erde ist 1932 arbeitslos. ... Am härtesten unter der Weltwirtschaftskrise leiden Deutschland und die USA. Die Selbstmord-Quote, je l Mio. Einwohner, beträgt 1932 in Großbritannien 85, in den USA 133, in Frankreich 155, in Deutschland aber 260 — als Spitze in der Welt.“ ... >

Es ist in der Tat sehr amüsant - oder traurig, je nachdem wie man es nimmt -, von den neoliberalen und konservativen „Experten“ später zu hören, dass Hitler auch deshalb nicht die Folge der antisozialen Reformen und der ökonomischen Krise sein konnte, weil die Große Depression angeblich schon überwunden war.

„In einigen Darstellungen heißt es demgegenüber bis heute, die Wirtschaftskrise sei im Sommer 1932, mit dem Tiefpunkt des Abschwungs, im Abklingen gewesen, und im Herbst 1932 habe ein zwar langsamer, aber doch deutlich registrierbarer Aufschwung eingesetzt. Die Fakten: 1934 kennzeichnet das Statistische Reichsamt das gesamte Jahr 1932 und das erste Halbjahr 1933 als „Depression“ und erst die zweite Jahreshälfte 1933 als „Erholung“. Alle Indikatoren der wirtschaftlichen Entwicklung zeigen, daß zur Jahreswende 1932/33 ein neuer Tiefpunkt erreicht ist.“ ... >
„Deutschland wurde von ihm [dem Produktionsrückgang] so intensiv wie sonst kaum ein anderer Staat in Mitleidenschaft gezogen. Seine schlimmste Folge war der Aufstieg Hitlers, der keineswegs - wie man oft behauptet hat - ein «Pflegekind der Inflation» (L. Robbins), sondern eben dieser Depression und Deflation war.“ ... >

Noch amüsanter - oder trauriger, wie man es nimmt -, ist es, wenn uns die neoliberalen und konservativen „Experten“ beteuern, dass es damals „wir“ gewesen wären, also die dummen Massenmenschen, die Hitler ermöglichten, an die Macht zu kommen. Was ist nun die Wahrheit? Wir erinnern uns, dass dieser ausländische Mitbürger ohne deutschen Pass bereits einmal erfolglos geputscht hatte (29. September 1923 in München). Einen linken Putschisten hätten die damaligen deutschen Machteliten auf der Stelle erschießen lassen, sogar schon beim Verdacht, es könnte sich eventuell um einen Putschisten handeln: Erinnern wir uns an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Wie ging man damals aber mit einem rechten Putschisten um?

„Wie der gescheiterte Putschist das Tribunal zur Bühne seiner hemmungslosen Anklagen gegen die »Judenrepublik« hatte machen können, so kam ihm auch der Strafvollzug in jeder Weise entgegen. Anstatt, wie noch einmal im Herbst 1924 geplant, den unerwünschten Ausländer abzuschieben, gewährte man Hitler im Kreis der etwa 40 mit inhaftierten Gesinnungsgenossen einen geradezu erholsamen Aufenthalt auf der Festung Landsberg, der mehr als vorzeitig schon im Dezember 1924 mit der Begnadigung endete. Im großen Aufenthaltsraum, wo Hitler beim Mittagessen den Vorsitz hatte, prangte die Hakenkreuzfahne. Am 8. November 1924 hielt man eine Gedenkfeier ab. Die Haftanstalt wurde geradezu zu einem ersten »Braunen Haus«, in dem Hitler, meist in Lederhosen und Tirolerjacke gekleidet, die Ehrenbezeigungen seiner Getreuen und die Briefe, Blumen und Sympathiekundgebungen der Außenwelt entgegennahm. ...
Er verschlang die bereitstehende Lektüre und machte sich mit willkommenen Hilfstheorien wie mit der Geopolitik Karl Haushofers vertraut, der ihn durch Vermittlung seines Studenten Rudolf Heß wiederholt besuchte, und schon im Juni begann er sein großes Buch zu schreiben, das die Abrechnung mit Vergangenheit und Gegenwart führen und den neuen, nun »legalen« Weg zur Macht und Herrlichkeit der nationalsozialistischen Zukunft verbindlich deklarieren sollte. ...
Im sonnigen, zweifenstrigen Zimmer diktierte er seinem Chauffeur Emil Maurice, später seinem blind ergebenen »Sekretär« und späteren Stellvertreter Rudolf Heß, der freiwillig aus dem Tiroler Asyl in die Landsberger Haft gekommen war, den ersten Band von Mein Kampf; der zweite Band folgte zwei Jahre später. Die höchst notwendige Korrektur besorgte neben anderen der ehemalige Ordenspater Bernhard Stempfle.“ ... >

Nein, ich lasse mir von niemand einreden, dass Hitler das Produkt des deutschen Volkes gewesen ist. Er war eine Züchtung unserer deutschen raffgierigen, rücksichtslosen und räuberischen Machteliten. Die damaligen deutschen Wirtschaftskapitäne und Barone haben diesen elenden Menschen als Killer gezüchtet, für den speziellen Fall, den sie sich offensichtlich gut vorstellen konnten. Sie waren nämlich weder blind noch dämlich. Sie wussten bestens Bescheid um den wahren Zustand der Weimarer Wirtschaft, den sie mit ihren Reformen herbeigeführt hatten. Ihre Entscheidung für Hitler war die Folge der panischen Angst, dass nach dem endgültigen Wirtschaftskollaps die befürchtete proletarische Revolution ausbrechen könnte. Gerade deshalb haben sie sich am Anfang des Jahres 1933 gezwungen gesehen zu handeln, weil es in der Tat bald hätte zu spät sein können. Die Partei Hitlers verlor nämlich bei den letzten freien Wahlen schon fast zwei Millionen Wähler. Sie konnte nicht einmal jeden dritten deutschen Wähler mehr überzeugen - das Volk hat offensichtlich schon etwas ahnen können. Darüber hinaus hatte Hitler die Partei nach vielen aufwändigen Wahlkämpfen finanziell ruiniert. Die politische Clique, die Industriekapitäne und Barone hatten wirklich keine Zeit mehr zu verlieren, und sie haben gehandelt, gerade noch rechtzeitig, in einer Nacht- und Nebelaktion am 30. Januar 1933.

Was die damaligen verbrecherischen deutschen Machteliten getan haben, war aber - geschichtlich betrachtet - weder neu und schon gar nicht kreativ. Sie wiederholten eigentlich nur ein Szenario, das vor mehr als vier Jahrhunderten Machiavelli genau beschrieben hat:

„Denn wenn die Großen merken, daß sie dem Volke nicht Widerstand leisten können, häufen sie alle Ehren auf einen aus ihrer Mitte und machen ihn zum Fürsten, um, durch ihn gedeckt, ihre Gelüste befriedigen zu können.“ ... >

Aber bleiben wir bei den ökonomischen Aspekten der Weimarer Zeit, also bei der Deflation. Kanzler Brüning, im Einklang mit dem, was man damals als „wirtschaftliche Vernunft“ bezeichnete - worunter genau dasselbe gemeint war wie heute -, hat also alles auf die Geldneutralität gesetzt. Die Preissenkung durfte keine realen Effekte nach sich ziehen, weder gute noch schlechte, aber nach draußen sollte die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft deutlich steigen. Die Deflation hat sich aber als ein Desaster erwiesen und die Geldneutralitätsthese wurde brutal falsifiziert. Was damals gleichgewichtstheoretisch mit der Weimarer Wirtschaft wirklich geschah, können wir jetzt, dank unserer kreislauftheoretischen Untersuchung der Preisänderungen, analytisch genauer nachvollziehen und endgültig erklären. Im Kontext dieser Untersuchung bzw. der allgemeinen Gleichung des Sparens, die sich daraus ergab,dorthin lässt sich schnell verdeutlichen, was die damals verordnete 20%-ige Preissenkung verursacht hat.

 

Rechts im Bilde ist dargestellt, wie viel die Einkommensempfänger - die Haushalte und Betriebe - sparen wollen. Der Wert der Ersparnisse und Investitionen befindet sich in der Praxis irgendwo im getönten Bereich, und zwar mit größerer Wahrscheinlichkeit im dunkleren als im helleren Bereich, und im weißen Bereich - oben und unten - höchstwahrscheinlich nie. Mehr über diese subjektiv bzw. psychisch gewollte und bestimmte Sparsumme brauchen wir jetzt nicht zu wissen. Vom kreislauftheoretischen Standpunkt aus ist entscheidend, dass eine solche Summe noch nicht zugleich auch eine Größe ist, die für das allgemeine Gleichgewicht sorgt. Diese psychisch gewollte und bestimmte Sparsumme muss zusätzlich noch der Größe YK entsprechen, die auf der linken Hälfte des vorigen Bildes dargestellt ist. Wie sich daraus unmittelbar ergibt, wächst bzw. schrumpft diese Größe, wenn die Preise (der Produktionsgüter) steigen bzw. fallen. Ist die Wirtschaft stationär - wie dies in unserem Beispiel der Fall war -, dann verursacht die Preissenkung, dass die Sparquote negativ wird. Könnte es nun sein, dass wir eine solche Situation auch damals hatten, als Brüning angeordnet hat, die Preise zu senken?

Die deutsche Wirtschaft befand sich bekanntlich nach der Großen Depression in einer anhaltenden Stagnation, was mehr oder weniger einem theoretischen stationären Zustand entspricht, so dass die Preissenkungen höchst wahrscheinlich einen makroökonomischen Fall herbeigeführt haben, bei dem die gleichgewichtige Sparquote nur negativ sein konnte. Dann hätten die Menschen - die Haushalte und Betriebe - über ihre Nettoeinkünfte hinaus konsumieren müssen, um die Wirtschaft nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Wer hätte aber damals dies tun sollen?

Die große Mehrheit der Bevölkerung, also die Arbeitnehmer und die Mittelschichten, die jahrelang durch die neoliberalen Reformen wie eine Zitrone ausgepresst worden waren? Ihnen war es bestimmt unmöglich, auch noch zu entsparen. Diese Möglichkeit hätten also nur die wenigen: die Reichen. Für sie würde dies aber bedeuten, dass sie einen Teil ihres produktiven Betriebskapitals (Amortisation) verjubeln. Aber warum hätten sie dies tun wollen? Will der Kapitalist nicht Kapitalist bleiben? Vielleicht nicht jeder, aber eine überwältigende Mehrheit will es bestimmt. Nun ist es so, dass die Reichen durch die Deflation, wie dies aus dem Pigou-Effekt folgt, auf einmal - relativ zur Warenmenge - mehr Geld zur Verfügung haben. Sie konnten dieses Geld in der Tat ausgeben, aber wer gibt mehr aus, wenn die Preise gerade fallen? Warum sollte man heute kaufen, wenn morgen schon alles billiger wird? Der Pigou-Effekt ist offensichtlich eine schlecht durchdachte Konstruktion. Und weil folglich nach der großen Brüningschen Preissenkung nicht genug entspart werden konnte, hat diese Maßnahme eine Nachfragelücke aufgerissen und die Überproduktion verursacht, welche massenhaft die Fließbänder zum Stillstand brachte und die Arbeiter auf die Straße setzte. Die damaligen Wirtschaftskapitäne und Barone sahen schließlich außer einer Diktatur keine andere Möglichkeit mehr für die Rettung des Kapitalismus.

Aber die Weimarer Demokratie hat nicht mit der Deflation, sondern mit einer Inflation begonnen. Nach der Deutung, die man unseren Kindern in die Köpfe einhämmert, die in den Medien verbreitet wird und von den „Experten“ heruntergebetet wird, sollte nicht die Deflation, sondern gerade die Große Inflation in den Jahren 1918 bis 1923 am deutschen Desaster schuld sein. Verstehen lässt sich das allemal. Man erinnert sich an den bekannten Spruch von Nietzsche, dass „die Geschichte der Sieger schreibt“, und der Sieger des kalten Krieges will, dass diese Inflation und nicht die Deflation als die wahre und die einzige Ursache für das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte verstanden wird. Das war sie ganz bestimmt nicht. Sie war zwar schrecklich und keiner will sie sich zurückwünschen, aber, wie der Volksmund sagt, auch der Teufel ist nicht so schwarz, als man ihn malt. Nicht alle Folgen dieser Inflation waren schrecklich und verhängnisvoll, im Gegenteil. Sie hat bekanntlich alle Staatsschulden beseitigt, so dass die deutsche Wirtschaft danach schuldenfrei war. Das war schon was. Aber damit nicht genug:

„In Deutschland hatte sich das Niveau der Industrieproduktion in den Inflationsjahren von 1919-1922 sehr stark gehoben ... Die inflationsbelebte deutsche Volkswirtschaft spielte insofern als einzige unter den bedeutenden Industriestaaten die Rolle einer ,,Lokomotive“ für die Weltwirtschaft. Die inflationäre Politik in Deutschland dürfte insofern eine Erklärung dafür sein, daß der scharfe Einbruch in der Weltkonjunktur 1920/21 schon 1922 überwunden war und nicht - wie der viel gemäßigtere Einbruch in der Weltkonjunktur nach 1929 - in einer lang anhaltenden Weltwirtschaftskrise mit all ihren politischen Konsequenzen endete.“ ... >

Was das reale Wachstum der deutschen Wirtschaft betrifft, gehören die Jahre der Inflation zu den besten im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Betrug die reale Produktion im Jahre 1919 nur 37% der Vorkriegszeit (1913), erreichte sie im Jahre 1922 schon 70%. Es war zumindest ein kleines „Wirtschaftswunder“. Ein Paradox? Nein. Die Erklärung dieses fast unglaublichen Wachstums ist im Rahmen unserer realen Nachfragetheorie sogar äußerst einfach: Die Inflation hat die gleichgewichtskonforme Sparquote (YK) dermaßen nach oben getrieben - siehe das Bild oben -, dass ein Nachfragemangel praktisch unmöglich gewesen ist. Man hätte höchstwahrscheinlich eher Probleme mit zu niedrigen Sparsummen. Und damit ist unser Beweis schon zu Ende gebracht. Aber noch zu einer weiteren sehr wichtigen und theoretisch weitreichenden Schlussfolgerung drängt uns die deutsche Erfahrung mit der Inflation.

In der neoliberalen und überhaupt in jeder angebotsorientierten Theorie ist alles darauf ausgerichtet, nachzuweisen, dass die freie Marktwirtschaft deshalb so erfolgreich ist, weil sie den Gütern optimale Preise (Werte) zuweist. Die Preiskombination, die auf dem Markt automatisch zustande kommt, bezeichnet der mathematisch arbeitende Ökonom auch als Preisvektor. Und nun kommen wir zu einer sehr unangenehmen Frage: Haben die völlig chaotischen Preisbewegungen während der Inflation gerade einem optimalen Preisvektor entsprochen, so dass deshalb die Wirtschaft so schnell gewachsen ist?

Um so etwas zu behaupten, braucht man in der Tat eine blühende - oder eher eine kranke - Phantasie. Wenn die damalige wilde Inflation einen stabilen Preisvektor unmöglich gemacht hat, hätte es auch keinen optimalen Preisvektor geben können. Der optimale Preisvektor ist ein Märchen oder ein Betrug der neoliberalen Theorie - oder vielleicht sogar beides. Alle empirischen Befunde sprechen dafür - und dies lässt sich auch analytisch einwandfrei beweisen -, dass die Marktwirtschaft sehr schlecht die Preise optimiert, meistens sogar katastrophal schlecht. Was sie wirklich exzellent kann, und das kann nur sie alleine, ist das neue technische Wissen systematisch zu „produzieren“, mit dem sie nachhaltig die Produktivität steigert. Der Kapitalismus ist unglaublich fähig, die Produktivkräfte zu entwickeln, aber erschreckend unfähig, sie zum allgemeinen Wohl einzusetzen. Dies warf schon Marx dem Kapitalismus vor und da hat er bis heute Recht behalten. Die Produktionsverhältnisse der freien Marktwirtschaft richten sich gegen die Produktivkräfte. Das bestätigen auch die letzten Jahrzehnte. Hätte man in dieser Zeit in den westlichen Wirtschaften, bei denen die technologische Revolution in der Informatik und Robotik stattfand, für genug Nachfrage gesorgt, hätten wir - über den Daumen gepeilt - zwei (also wie nach dem Krieg) oder drei mal (warum nicht!) mehr Wohlstand produzieren können.

Die angebliche Stagflation und die unheilvolle Wiederkehr der starken Währung

Nach der Großen Depression und dem Zweiten Weltkrieg konnte die Nachfragetheorie für mehrere Jahrzehnte siegen. Ihre Empfehlungen haben wesentlich dazu beigetragen, dass man zum ersten Mal in der Geschichte von einem „Goldenen Zeitalter“ des Kapitalismus reden konnte. Aber dann ging irgendwie nichts mehr. Die Keynesianer wurden um Rat gefragt, sie wussten aber keinen Rat zu geben - zumindest keinen, der sich als erfolgreich erwies. Die davor verschwiegenen und verharmlosten theoretischen Schwächen der klassischen bzw. monetären Nachfragetheorie kamen ans Tageslicht.

Die Nachfragetheorie von Keynes - daran lässt sich nicht im Geringsten zweifeln - hatte keine eigene analytische Grundlage und dies kam sie später teuer zu stehen. Man versuchte sie folglich auf die neoliberale Grundlage zu stellen (Keynes-Effekt, neoklassische Synthese) und schließlich hat man sie mit der These von „starren nominalen Löhnen“ auf die Klippen der Neoliberalen hingesteuert und versenkt. Mit dieser These wollten die Neu- und Postkeynesianer die Arbeitslosigkeit erklären und zwar auf folgende Weise:

Die Gewerkschaften würden sich angeblich immer der Senkung der Nominallöhne mit Erfolg widersetzen können, gegen die Inflation seien sie aber hilflos. Die Inflation senke im Endeffekt die realen Löhne, also die Produktionskosten der Betriebe, so dass es sich „wieder“ lohnen würde, mehr zu investieren. So ist man auf einem indirekten Wege zurück zur neoliberalen Beschuldigung der Löhne für die schwache Konjunktur und Depression gelangt. Nun haben die Politiker versucht, auf diese inflationäre Weise die Löhne real zu senken, unter dem bekannten Slogan, dass ein Prozent mehr Inflation besser als ein Prozent Arbeitslosigkeit sei und sie haben am Ende beides bekommen: die Stagflation. Die Theorie von Keynes wurde für endgültig gescheitert erklärt und die Zunft der Ökonomen hat sie fluchtartig verlassen. Dass damit zumindest gleichermaßen auch die neoliberale Kosten- bzw. Lohntheorie widerlegt wurde, davon wollte man bekanntlich nichts wissen.

Die steigende Inflation, die nichts gegen die sinkenden Wachstumsraten und steigende Arbeitslosigkeit bewirken konnte, scheint zu widerlegen, dass die Preissteigerung positive Wachstums- und Beschäftigungseffekte hat. Aber diese Schlussfolgerung ist nicht so zwingend, wie es auf den ersten Blick scheint. Es könnte nämlich sein, dass die Regierungen damals das Geld falsch ausgegeben haben und die Preise auf eine falsche Weise steigen ließen. Man kann bekanntlich alles falsch machen. Dies sollte im betrachteten Fall schon deshalb nicht überraschen, weil - wie bereits hervorgehoben - Keynes keine richtigen analytischen Grundlagen für seine Theorie herausgearbeitet hat. Auch unsere bereits durchgeführte kreislauftheoretische Untersuchung ließ ahnen, dass sich eine Möglichkeit der Preissteigerung ohne reale Effekte a priori nicht ausschließen lässt. Wir haben dort nämlich ein Beispiel benutzt, bei dem real (produktionstechnisch) alles gleich blieb, nur die Preise haben sich geändert. Es wäre schließlich sehr schlecht für ein Modell, wenn es die Geld- bzw. Preisneutralität analytisch nicht zulassen könnte. Bei dem neoliberalen Modell ist es anders. Es kann mit den richtigen (nominalen) Preisen gar nichts anfangen. Anstatt zu sagen, das Modell ist defekt oder zumindest dermaßen unterkomplex, dass es für gar nichts zu brauchen ist, hat man einfach erklärt, dass die Preise und das Geld „neutral“ sind. Im Kreislaufmodell, weil es bei ihm die (absoluten) Preise gibt, lässt sich auch problemlos die sozusagen „Nicht-Neutralität“ artikulieren und das ist sein großer analytischer Vorteil. Deshalb werden wir mit ihm auch die Auswirkungen von verschiedenen staatlichen Ausgaben (deficit spending) untersuchen können - auch die von den Keynesianern vorgeschlagenen. Natürlich erst später, weil dies eine aufwändige Angelegenheit ist. Vorerst verbleiben wir nur mit einer kurzen Bemerkung dabei, dass am Ende des keynesianischen „Goldenen Zeitalters“ schon einiges prinzipiell falsch gemacht worden ist. So einfach, wie es sich die Keynesianer damals vorgestellt haben, dass, da angeblich die Privaten das Geld bunkern würden, folglich der Staat es auf die eigenen Schultern nehmen und zu den Konsumgütern tragen sollte, ist es leider nicht. Jetzt geht es uns sowieso nicht um die Erklärung und Deutung der Tatsachen, sondern um die Tatsachen an sich. Mit ihnen sind wir noch nicht fertig, weil die Geschichte mit der Stagflation nicht zu Ende gegangen ist.

Die wissenschaftliche Redlichkeit verpflichtet uns einzuräumen, dass es den westlichen Wirtschaften durch mehr Inflation nicht gelungen ist, das Wachstum und die Beschäftigung auf den früheren höheren Stand zu bringen. Nachdem die Ratschläge der angebotstheoretisch unterwanderten Keynesianer - man bezeichnete sie mit Recht auch als Bastardkeynesianer - nichts gebracht haben, haben die Gegner der Nachfragetheorie, also diejenigen, die vor der Großen Depression die Politik beraten und gesteuert hatten, Morgenluft gewittert. Unter anderen natürlich auch Hayek, der sich noch wenige Jahre zuvor bitter darüber beklagt hatte, dass man ihn als einen der „Dinosaurier, die noch gelegentlich, offenbar immun gegen die natürliche Selektion, über die Szene stolzieren“, verspottet habe. ... > Die Inflation war in der Tat die schwache Stelle der Nachfragetheorie von Keynes, an der der Hebel angesetzt werden konnte. Die neuen-alten Gegner haben begonnen die Auffassung durchzusetzen, dass die Stagflation ein eindeutiger und unwiderlegbarer Beweis dafür sei, dass größere Geldmengen nichts außer Inflation verursachen würden. Damit sollte zugleich die Richtigkeit der Quantitätstheorie des Geldes nachgewiesen werden. Wie bereits erwähnt, diese Theorie geht auf David Hume zurück und Milton Friedman hat für sie den Nobelpreis (1976) bekommen. Genauer gesagt, hat er mit ihr angeblich die Frage nach den Gründen für die Große Depression der 1930er Jahre endgültig geklärt. Seine empirischen Untersuchungen - die er zusammen mit Anna Schwartz durchführte - sollten nachweisen, dass die Zentralbank der USA damals, in einer Situation, in der eine Erhöhung der Geldmenge angemessen gewesen wäre, die Geldmenge fälschlicherweise um ein Drittel reduziert hätte. Damit sollte zugleich als nachgewiesen gelten, dass die Weltwirtschaftskrise nicht auf einem Marktversagen, wie die Keynesianer behaupteten, sondern auf einem Regierungs- bzw. Staatsversagen beruhte. Wenn nach der Finanzkrise im Herbst 2009 alle Regierungen die Banken durch Unsummen von Geld überschüttet haben, wissen wir also warum.

Da die Keynesianer nicht weiter wussten und Friedman den Kapitalismus von der Schuld an der Großen Depression reingewaschen hatte, war für die neoliberale Konterrevolution alles vorbereitet. Sie begann bekanntlich mit dem parlamentarischen Sieg Margaret Thatchers in Großbritannien, dem bald der Sieg von Reagan in den USA folgte. Weil die Inflation angeblich nutzlos (und schädlich) sei, wurde dem Staat buchstäblich das Geld aus der Hand gerissen. Einer Steuersenkung folgte die nächste auf dem Fuß, ein staatliches Unternehmen nach dem anderen wurde privatisiert, die Rechte und Sicherheiten der Arbeiter wurden abgeschafft. Unsere deutschen Machteliten und die sich bei ihnen geistig prostituierenden Experten, Professoren und „Wirtschaftsweisen“, konnten nicht genug Lob für die mutigen Reformen der „eisernen Lady“ finden. Es galt als ausgemacht, dass Großbritannien vor einem nie dagewesenen Wirtschafts- und Jobwunder stünde. Lassen wir uns von dem bekannten Historiker Tony Judt, der als Brite es bestens wissen muss, was die neoliberalen Reformen wirklich gebracht haben, erklären:

„Die Schuld an Wirtschaftsrezession und allen misslichen Begleiterscheinungen [wurden] dem »Big Government« und der Erblast an Besteuerung und Planung zugeschrieben, die alle Tatkraft und Initiative freier Bürger ersticken würden. Vielerorts verfehlte diese Polemik nicht ihre Wirkung auf junge Wähler, die keine unmittelbaren Erfahrungen mit den verhängnisvollen Auswirkungen solcher Ansichten hatten. ...
Die »skandalös« hohe Zahl von 1,6 Millionen Arbeitslosen, die Callaghans Regierung 1977 so beschädigt hatte, war 1985 auf 3,25 Millionen geklettert und blieb, solange Mrs. Thatcher im Amt war, eine der höchsten in Europa. ... Viele von den Menschen, die in ineffizienten (und einst staatlich subventionierten) Wirtschaftszweigen wie Stahlindustrie, Kohlebergbau, Textilien und Schiffbau ihren Arbeitsplatz verloren, sollten nie wieder Arbeit finden und ihr Leben lang, wenngleich nicht nominell, vom Staat abhängig bleiben. Wenn Arbeitgeber in einigen Fällen ... sich zu gewinnträchtigen Privatunternehmen mauserten, so war daran weniger das Wunder des Privateigentums schuld als vielmehr die Tatsache, daß Margaret Thatchers Regierung sie von den hohen Lohnfestkosten befreit hatte, indem sie die Aufwendungen für überschüssige Arbeitskräfte als staatlich subventionierte Arbeitslosigkeit vergesellschaftete. ...
Trotz Kürzung der Steuerausgaben, Ausstiegs aus der europäischen Sozialcharta, Senkung der Unternehmensbesteuerung und Akquisition ausländischer Direktinvestitionen durch Anreize jeglicher Art blieb Großbritannien unveränderlich unproduktiv. Gemessen am Output pro Stunde, konnte es mit seinen »verkalkten«, von Vorschriften und Richtlinien eingeengten Partnern in der Union nicht mithalten.“ ... >

Das war der Preis des Sieges über die Inflation und vor allem des Triumphs der uneingeschränkten ökonomischen Freiheit. Die am Anfang versprochenen Wunder sind natürlich alle ausgeblieben. Wir können uns aber problemlos die Großzügigkeit erlauben, die Ergebnisse dieser neoliberalen Konterrevolution nicht mit ihrem Versprechen, sondern nur mit dem zu vergleichen, was in den schlechtesten Jahren der keynesianischen Zeit erreicht wurde. Tony Judt dazu zusammenfassend:

„Das Konjunkturtief der siebziger Jahre erschien schlimmer, als es war, weil es in so krassem Gegensatz zu der Zeit vorher stand. Nach historischen Maßstäben waren die durchschnittlichen Zuwachsraten des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Verlauf der siebziger Jahre keineswegs besonders gering. Sie bewegten sich zwischen 1,5 Prozent in Großbritannien und 4,9 Prozent in Norwegen. ... Aber sie hoben sich stark von den Kennziffern der unmittelbaren Vergangenheit ab: von 1950 bis 1973 lag das französische Wachstum durchschnittlich bei 5 Prozent pro Jahr; in der Bundesrepublik waren es beinahe 6 Prozent Wachstum gewesen, und selbst Großbritannien hatte eine Durchschnittsrate von mehr als drei Prozent halten können. Nicht die siebzige Jahre waren ungewöhnlich, sondern die fünfziger und sechziger.“ ... >

Graphisch lässt sich dies am besten verdeutlichen. ... > Auf der linken Hälfte jedes Diagramms stehen Ergebnisse der keynesianischen Wirtschaftspolitik, auf der rechten Hälfte die der neoliberalen Reformpolitik.

     

Sogar wenn die Daten für die Arbeitslosigkeit für die letzten Jahrzehnte glaubwürdig wären - es ist nämlich allgemein bekannt, dass sie ununterbrochen „kreativ nachgebessert“ wurden - sind sie deutlich schlechter als früher. Das durchschnittliche Wachstum ist von 4.8% auf 3.2% heruntergegangen - wobei ohne China alles noch schlimmer wäre. Ein Unterschied von 1.6 Prozentpunkten mag nicht sehr groß erscheinen. Doch hätten wir sie gehabt, wäre der BIP heute um 50% größer. Fast in einem Jahr könnten wir unsere Staatschulden tilgen. Im nächsten Jahr könnten wir etwa alle unsere Straßen, Schienennetze, Verkehrsanlagen sowie Kulturbauten aller Art, Theater, Krankenhäuser, Kirchen, Schulen, Universitäts- und Forschungsinstitute, Bäder, Sportanlagen, Schwimmhallen, Altersheime und Bibliotheken auf den neusten Stand bringen, ...

Wie der Volksmund sagt, ein Unglück kommt selten allein. Nachdem in Deutschland seit den achtziger Jahren die Reformen à la Weimar auch die Verhältnisse à la Weimar hervorgerufen haben, kam das dicke Ende auch noch nach: Im Herbst 2008 ist, wie aus heiterem Himmel, die nächste Große Depression über die  - jetzt vom Staat befreite - Wirtschaft  hereingebrochen. Sie an sich ist auch eine spannende empirische Tatsache, aber sie soll jetzt trotzdem nicht unser Thema sein. Uns geht es um steigende Preise im Allgemeinen, vor allem im Laufe des 20. Jahrhunderts. Nachdem wir auch die letzten Jahrzehnte der neoliberalen Konterrevolution berücksichtigt haben, können wir folgen, dass die sogenannte Stagflation kein empirischer Kronzeuge war, dass steigende Preise für die reale Wirtschaft nicht förderlich sind. Die Stagflation war kaum mehr als ein neoliberales Mantra und vor allem eine ideologische Kampfansage. Auch dieses Jahrhundert war also keine historische Ausnahme. Mit den Worten des bekannten amerikanischen Ökonomen Lester Thurow können wir seine Erfahrung, was die Preise betrifft, treffend zusammenfassen:

„Der Kapitalismus kann mit Inflation leben, sogar mit einem erheblichen Maß davon. Viele Länder, darunter China, sind mit Inflationsraten von nicht weniger als 10 bis 15 Prozent rasch gewachsen. Aber im letzten Jahrhundert war keine kapitalistische Gesellschaft fähig, in einem Umfeld der Deflation und der sinkenden Preise zu wachsen. Systematische Deflation hat fast immer ein negatives BIP-Wachstum zur Folge. Hat sie einmal begonnen, ist es äußerst schwierig, ihr Einhalt zu gebieten.“ ... >

Quo bono? - die richtig gestellte Frage bezüglich Inflation und Deflation

Schon Hegel hat vom falschen historischen Bewusstsein gesprochen und Marx vom falschen Klassenbewusstsein. Erst später hat der Vater der Psychologie dieses Phänomen individualisiert und von den Verteidigungsmechanismen gesprochen, mit denen der Mensch bei vollem Bewusstsein und gerade dankt der Ratio alles erfolgreich ins Unbewusste verschieben kann, was ihm an der realen Welt nicht gefällt. Auch mit der Inflation und der Deflation ist dem so. Für den einen ist das erste und für den anderen das zweite das größte Unheil. Das hängt maßgeblich oder gar ausschließlich davon ab, ob jemand von seinem Geld oder von seiner Arbeit lebt. Bei der Inflation wird das Geld vernichtet, also das, was vornehmlich die Reichen und die Superreichen besitzen. Deshalb hassen sie die Inflation wie die Pest. Bei einer Deflation werden hauptsächlich Arbeitsplätze und anständige Löhne vernichtet und das lässt die Geldbesitzer  kalt. Da sie ihr Geld immer wertvoller macht, ist sie für sie sogar ein Segen. So offen darf man es zwar nicht sagen, aber wer Geld hat, kann sich natürlich auch die geschicktesten Manipulatoren und Pfuscher der Geschichte leisten - die Medien sind im Besitz des Geldes sowieso -, die alles zurecht biegen. Und die gekauften Experten, Wirtschaftswissenschaftler und Professoren werden theoretisch einwandfrei nachweisen, dass es anders gar nicht sein könnte.

Natürlich sind nicht alle Menschen käuflich, auch Fisher war es nicht. Folglich hat er nicht gezögert, die Nutznießer der starken Währung bzw. der systematischen Deflation, die den partikulären Interessen verpflichtet ist, zu benennen und sie an den Pranger zu stellen:

„Man darf nicht den Standpunkt einnehmen, daß der Minderheit geholfen werden muß, wenn die Mehrheit dadurch geschädigt werden sollte.“ ... >
 
 
 
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