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  B - Das Sparen und das allgemeine Gleichgewicht der Marktwirtschaft
  Der Nachfragemangel als Folge des nicht ausreichenden Einkommens
       
 
Wenn die Gewinne niedrig sind und das Kapital häufigen Verlusten ausgesetzt ist, ... kann uns das große allgemeine Gesetz von Angebot und Nachfrage aufs deutlichste und sicherste zeigen, dass erst etwas anderes Not tut, ehe wir mit Erfolg sparen können. Was wir brauchen, ist ein zunehmendes Nationaleinkommen - ein Steigen des Tauschwertes des Gesamtertrages in Gold berechnet. Haben wir erst dies erreicht ... dann dürfen wir wieder anfangen, zu sparen; dann erst wird unsere Kapitalsanhäufung wirksam sein.
 
  Thomas Robert Malthus,  ein NationalÖkonom und Sozialphilosoph, der Begründer der britischen Nachfragetheorie    

Viele ausgeklügelte „Beweise“ wurden in den letzten Jahrzehnten vorgebracht, um uns auch von dem allerletzten Zweifel zu befreien, dass der globale Kapitalismus eine nachhaltige und zukunftssichere Weltordnung sei, die spontan und immer weiter Fortschritte für jeden Einzelnen und für die Menschheit als Ganzes machen würde. Und dann, am Anfang des neuen 21. Jahrhunderts, geriet diese angeblich beste aller Ordnungen in eine ökonomische Krise, wie man sie seit der Großen Depression des vorigen Jahrhunderts nicht erlebt hat. Wer nicht ein bisschen metaphysisch und mystisch veranlagt ist, muss an der Vernunft unserer Zeit und Zivilisation verzweifeln. Aber das Versagen des Kapitalismus an sich ist nicht das, was auf das Gemüt schlägt und Beklemmung verursacht. Man ist sich nämlich mehr oder weniger immer bewusst, dass nichts, was der Mensch ins Leben ruft, perfekt ist. Das Unheimliche an dem Knistern im Gebälk der „neuen“ Ordnung ist das dumpfe Gefühl, dies könnten nur die ersten Vorzeichen eines Zusammenbruchs der ganzen westlichen kapitalistischen Ordnung sein, wie in den vorigen Jahrhunderten. Was wir am Anfang des 21. Jahrhunderts erleben, ist zweifellos dem sehr ähnlich, was am Anfang des 20. und auch am Anfang des 19. Jahrhunderts geschah. Das wirft die unangenehme Frage auf, ob der Kapitalismus das Böse in seinem Schoße nährt und züchtet, das sich einmal pro Jahrhundert der Kontrolle entzieht und Unheil anrichtet? Ist das der wahre und eigentliche Kapitalismus? Die Tatsachen würden alle dafür sprechen, meinte der bekannte amerikanische Philosoph und Mathematiker Alfred Whitehead. Seine Beschreibung des Problems ist so gnadenlos offen und präzise, dass einem ein Schauer über den Rücken läuft:

„Das neue industrielle System, das eigentlich zu einem Triumph der liberalen Lehren hätte führen müssen, funktionierte nicht besonders gut. Es hatte sich zuerst in England, und unter der fast ausschließlichen Herrschaft des ökonomischen Liberalismus entwickelt. In diesem Punkt, in der Behandlung der Fabriken und des Bergbaus, waren die Tories zunächst fast ebenso orthodox wie die Whigs. Aber nach zwei Generationen industrieller Entwicklung wurde das Gewissen der Öffentlichkeit durch das Ausmaß des Elends an der Basis des ganzen Systems, in den Minen, Fabriken und Slums, wachgerüttelt. Unter den neuen industriellen Verhältnissen, bildeten der Individualismus und der uneingeschränkte, durch nichts gemilderte Wettbewerb offenbar keine tragfähige Grundlage für die zwischenmenschlichen Beziehungen. ... England war hierin Pionier und erprobte das System mit allen seinen Konsequenzen. Es versagte. Die Belege dafür finden sich in allen möglichen Dokumenten aus den Jahren 1830 bis 1850, z. B. in der Lebensbeschreibung des damaligen Lord Shafsbury - eines großen Philanthropen, in einigen der frühen Romane von Disraeli, und in den gemeinsam verfaßten Schrifften von J. L. und Barbara Hammond, in denen die Verfassung der städtischen Fabrikarbeiterschaft und der Landarbeiter beschrieben wird. Die Doktrin von der Freiheit des Einzelnen und vom unbeschränkten Wettbewerb hatte an der Basis der Gesellschaft zu Zuständen geführt, die eine verzweifelte Ähnlichkeit mit industrieller Sklavenhalterei hatten.“ ... >

Der britische Historiker Tony Judt hat, als noch keiner und auch er selbst nicht annehmen wollte oder glauben konnte, dass der freie Markt bald wieder zum ökonomischen Desaster werden würde, die Lage am Anfang unseres neuen Jahrhunderts in dem am stärksten „reformierten“ Land Europas, also in Großbritannien, so beschrieben:

„Als Volkswirtschaft war das thatcherisierte Großbritannien leistungsfähiger geworden. Doch als Gesellschaft erlebte es eine Kernschmelze mit katastrophalen langfristigen Folgen. Durch ... die lautstarke Propagierung einer individualistischen Ethik, die einzig und allein quantifizierbare Werte gelten ließ, fügte Margaret Thatcher dem Gefüge des öffentlichen britischen Lebens schweren Schaden zu. Bürger mutierten zu Aktienbesitzern oder »Anlegern«, ihre Beziehung untereinander und zur Gesamtheit wurde in Aktivposten und Ansprüchen statt in Verdiensten oder Pflichten gemessen.“ ... >

Wir wissen, was in den vorigen zwei Jahrhunderten nach dem ökonomischen, sozialen und moralischen Versagen des Kapitalismus geschehen ist. Schon im Laufe des 19. Jahrhunderts haben die Proletarier begriffen, dass sie nur Sklaven einer neuen Ordnung sind, und sie haben versucht, sich zu wehren. Ihre Rebellionen und Revolutionen wurden von den neuen Herren, den reich gewordenen Bürgerlichen, auf immer grausamere Weise niedergeschlagen. Die schlichte rote Fahne der Proletarier symbolisiert das Meer von Blut unzähliger Arbeiter, die es bevorzugt haben, lieber auf den Barrikaden zu sterben als unter den Brücken klammheimlich zu verhungern. Als das Blutvergießen wirklich unerträglich wurde, blieb den neuen Machthabern doch nichts anderes übrig, als ihren Untertanen Zugeständnisse zu machen. Es ist eine bittere Ironie der Geschichte, dass es gerade der größte europäische Reaktionär, Bismarck - der Totengräber der Pariser Kommune - gewesen ist, der im fortgeschrittenen 19. Jahrhundert mit sozialen Reformen vorpreschte, die aus dem Blickwinkel der sogenannten „ökonomischen Vernunft“ einen sicheren Untergang der westlichen Zivilisation und Kultur herbeiführen mussten. Aber das genaue Gegenteil ist eingetreten. Gerade Deutschland, das damals zum sozialsten europäischen Land wurde, hat bald das alte Industrieland Großbritannien ökonomisch eingeholt und überholt.

Im neuen 20. Jahrhundert hat sich das alte Szenario aus dem vorigen Jahrhundert wiederholt, obwohl alle etwas völlig anderes erwartet haben. Die „freiheitliche“ Ordnung sollte ihre zivilisatorische Überlegenheit auf allen Bereichen zur Schau stellen, jedoch ging bald wieder einmal nichts mehr. Die Klasse der Kapitalbesitzer versuchte zuerst die immer bedrückenderen ökonomischen Probleme zu lösen, indem sie die Klasse der Nichtbesitzer immer mehr entrechtete und auspresste. Nachdem dann das ganze Finanzsystem wie ein Kartenhaus zusammenbrach (1929), begann die Große Depression, die sich zur größten Katastrophe aller Zeiten fortentwickelte. Dieses Jahrhundert hat auch deshalb viel mehr Menschenleben, Leid und Zerstörung gebracht als das vorige, weil die verfeindeten Klassen diesmal nicht nur besser organisiert, sondern auch mit radikalen und kompromisslosen Ideologien ausgerüstet waren. Die Reichen und Mächtigen haben im Sozialdarwinismus bzw. Faschismus ihr Heil gesucht, die Besitzlosen haben ihre ganze Hoffnung in den Marxismus bzw. Kommunismus gesetzt. Im festen Glauben, alleine die eigene Auffassung sei die einzige Wahrheit und alleine sie könnte dem Abendland die Rettung bringen, sind diese zwei Klassen mit dem Eifer von religiösen Fanatikern wie im Dreißigjährigen Krieg aufeinander losgegangen. Nebenbei sei bemerkt, dass sich gerade die deutschen Wirtschaftskapitäne und Barone als die größten Scheusale und Schurken dieser Zeit erwiesen haben. Zuerst haben sie mit einer nicht zu übertreffenden Menschenverachtung und Rücksichtslosigkeit auf den eigenen Untertanen herumgetrampelt (Weimarer „Reformen“) und dann die ganze Welt in Schutt und Asche gelegt. Die Historiker sprechen also mit Recht von dem dunklen 20. Jahrhundert. Dort, wo sich der Kapitalismus nach seinem Inferno noch retten konnte, hat er zuerst reumütig und großherzig seine ganze Hoffnung auf einen sozial und solidarisch weit ausgebauten Wohlfahrtsstaat gesetzt - der Todfeind Kommunismus saß ihm übrigens im Nacken. Und sieh mal einer an, die Marktwirtschaft hat wieder einmal ökonomisch hervorragend funktioniert. Schon wieder geschah ein Wunder. Man sprach sogar vom „goldenen Zeitalter“ des Kapitalismus - zum ersten Mal in seiner Geschichte. Aber nicht lange. Die überraschend schnell gewonnene Loyalität der Untertanen ließ die raffgierigen, rücksichtlosen und räuberischen Machteliten immer mehr vergessen, was der reine Kapitalismus wirklich war, und sie sind ihrer Hab- und Machtgier immer zügelloser und rücksichtloser gefolgt. Das neue 21. Jahrhundert hat schließlich die Rechnung dafür ausgestellt. Die Zukunft steht nun wieder einmal zur Disposition. Wir können nur hoffen, dass sich die Geschichte diesmal um ein bisschen mehr Phantasie bemüht. Oder wäre dies zu viel von ihr verlangt?

Diese sehr knapp und pointiert umrissene Geschichte des Kapitalismus des 19. und 20. Jahrhunderts ist jetzt für uns nur deshalb von Belang, weil sie einen guten Hintergrund bietet, die Entstehung und die weitere Entwicklung der ökonomischen Nachfragetheorie zu begreifen. Zu dem gerade Gesagten brauchen wir nur noch hinzuzufügen, dass die Menschen ihre Probleme dann zu lösen versuchen, wenn diese schon da sind. Das gilt natürlich auch für das Entstehen der neuen ökonomischen Theorien, und somit auch für die Nachfragetheorie. Sie war immer nur eine Reaktion auf die Unfähigkeit der herrschenden liberalen Theorie, die ökonomischen Probleme zu lösen, so dass sie hervorragend zu dem gerade veranschaulichten geschichtlichen Schema passt. Dies lässt sich schon mit wenigen, allgemein bekannten Angaben anschaulich darlegen.

Die Gegenwart kennen wir natürlich am besten. Was wir gerade hinter uns haben, ist der Zusammenbruch des Finanzsystems (2008). Ihm ging eine politisch gewollte und rücksichtslos durchgepeitschte Liberalisierung der Wirtschaft und Gesellschaft voraus. Der private Reichtum der Wenigen stieg ins Unermessliche, alles andere verfiel und die Steuersenkungen an die Reichen haben gigantische Staatsschulden hinterlassen. Folglich wird die dieser Entwicklung zugrunde liegende neoliberale Theorie immer mehr in Frage gestellt. Unsere deutschen Macht- und Bildungseliten üben sich zwar immer noch in ihrer traditionell eintrainierten Rolle von Schlägertruppen für diese angeblich einzig richtige und heilbringende Lehre, nach dem Motto: Augen zu und durch, aber der Rest der Welt entdeckt wieder die Nachfragetheorie.

Auch am Anfang des 20. Jahrhunderts begann nach dem ökonomischen Versagen der neoliberalen Wirtschaftspolitik die Suche nach ökonomischen Alternativen. Es war eine historische Chance für die Nachfragetheorie, die sie sich diesmal nicht entgehen ließ. Dank Keynes ist ihr schließlich der theoretische Durchbruch (General Theory, 1936) gelungen. Es hat also etwa ein Jahrhundert gedauert, bis diese Theorie siegen konnte. Als sie am Anfang des 19. Jahrhunderts geboren wurde, ging es der Marktwirtschaft ebenfalls sehr schlecht. Ihr Zustand war dermaßen hoffnungslos, dass die wichtigsten Ökonomen zu zweifeln begonnen haben, dass die freie Marktwirtschaft überhaupt eine Zukunft haben könnte. Mit Recht nannte man sie „pessimistische Liberale“. Dies gilt bekanntlich sowohl für den wichtigsten Ökonomen dieser Zeit, David Ricardo, der sich uneingeschränkt für das Laissez-faire einsetzte, als auch für die Begründer des neuen nachfragetheoretischen Paradigma. Sie haben dieses neue Paradigma zum ersten Mal im Jahre 1819 (Sismondi dorthin) und 1820 (Malthus dorthin) formuliert.

Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass die ökonomische Nachfragetheorie für die Probleme der kapitalistischen Wirtschaft nicht die Arbeiter (Löhne) und Politiker (Sozialsysteme) beschuldigt, sondern Defekte in der Marktordnung. Der gemeinsame Nenner für alle Nachfragetheorien ist die Auffassung, dass die Nachfrage fehlen kann, weswegen die Marktwirtschaft nicht so funktionieren kann, wie sie es sonst könnte. Es ist also selbstverständlich, dass die Gegner dieser neuen Theorie von Anfang an die Möglichkeit des Nachfragemangels bestritten haben. Und sie waren darin sehr erfolgreich. Sie konnten schon im 19. Jahrhundert der Nachfragetheorie erfolgreich Einhalt gebieten, vor allem deshalb, weil diese in der Tat auf schwachen theoretischen Füßen stand. Nicht einmal den Begriff  Nachfragemangel  klar zu erklären und zu definieren ist Sismondi und Malthus gelungen. Vor allem Sismondi ging es hauptsächlich darum, den Nachfragemangel mit möglichst vielen Ursachen zu begründen, ohne darüber nachzudenken, ob die Argumentation ein zusammenhängendes Ganzes bildet. Für Malthus war die innere Konsistenz der Nachfragetheorie zwar wichtiger, aber ihm fiel nichts Besseres ein, als die Theorie zu vereinfachen. Seine theoretischen Lücken und Schwächen pflegte er mit den praktischen Vorschlägen für die Behebung des Nachfragemangels zu überbrücken. Im 20. Jahrhundert haben die Nachfragetheoretiker den Begriff Nachfragemangel noch weiter inhaltlich und analytisch entschlackt. Er wurde fast ausschließlich auf Geldhortung bzw. den Geldmangel reduziert. Deshalb ist es berechtigt - wie wir es auch tun -, diese klassischen Theorien als monetäre Nachfragetheorien zu bezeichnen. Dieses analytische Schrumpfen hat zwar der Nachfragetheorie im 20. Jahrhundert den Sieg ermöglicht, aber es war auch die wichtigste Ursache ihres baldigen Niedergangs. Man hat also mit Recht der Nachfragetheorie schon von Anfang an vorgeworfen, dass sie ein theoretisches Problem hat. Worin besteht dieses aber konkret?

Ein Jahrhundert nachdem die „politische Ökonomie“ von Adam Smith als eine neue soziale Wissenschaft begründet war, waren die ökonomischen Theorien immer noch verbal und deskriptiv. Im Laufe des 19. Jahrhunderts haben die Ökonomen jedoch immer mehr abstrakte Theorien bevorzugt, auch - oder sogar vor allem - deshalb, um die Naturwissenschaften nachzueifern. Folglich sind die rein verbalen und deskriptiven Beweisführungen immer mehr unter den Druck bzw. den Generalverdacht geraten, es handele sich bei ihnen nur um eine konfuse oder zumindest noch nicht ausgereifte Denkweise. Als sich dann die mathematische Sprache in den marktradikalen Theorien endgültig durchgesetzt hat, wurde die Lage der Nachfragetheorie fast aussichtslos. Schließlich wurde das Geld bzw. die Geldhortung zu ihrer Rettung. Mit dem Verschwinden des Geldes aus dem Wirtschaftssystem hat es sich doch als möglich erwiesen, den Nachfragemangel logisch ausreichend streng und präzise zu begründen. Das war das Werk von Keynes.

Die Nachfragetheorie hat also - ein Jahrhudnert nach ihrem Entstehen - alles auf nur ein Erklärungsprinzip gesetzt, was sich als Zeichen von Schwäche verstehen lässt, aber nur deshalb musste sie nicht bald scheitern. Ihre Gegnerin zum Beispiel, die radikale liberale Theorie, wurde sogar erst dann richtig erfolgreich, als sie sich auf nur ein einziges Grundprinzip, die Nutzenmaximierung, zurückgezogen hat. Aber von diesem Prinzip ausgehend war es der neoliberalen Theorie möglich, ein komplexes mathematisches Modell der Marktwirtschaft zu entwerfen, das Modell des allgemeinen Gleichgewichts - von dem Prinzip der Geldhortung ausgehend, ließ sich dagegen nichts Vergleichbares erreichen, auch wenn die Nachfolger von Keynes alles getan haben, was in ihrer Macht stand. Es kam sogar noch schlimmer. Das Geld als Nachfrageproblem ließ sich immer nur im Kontext bzw. Modell der konkurrierenden Gleichgewichtstheorie artikulieren, sozusagen auf dem Spielfeld des Gegners. Man kann sich denken, dass so etwas nicht lange gut gehen konnte. Ohne eigene Grundlagen bzw. ein analytisches Marktmodell, ist die (monetäre) Nachfragetheorie des 20. Jahrhunderts schließlich nur zu einem Anhängsel der neoliberalen Angebotstheorie geworden. Als man sie nicht mehr brauchte, weil sich der Kapitalismus wieder aufrappelte, konnte man sie ohne große Aufregung einfach beiseite legen.

Der Zusammenhang zwischen dem fehlenden Geld - so wie es die monetäre Nachfragetheorie versteht - und der neoliberalen Auffassung des allgemeinen Gleichgewichts, lässt sich im Rahmen des bekannten Sayschen Gesetzes genau darstellen und vor allem leicht und schnell verständlich machen. Das haben wir bereits getan, aber da der Aufwand nicht groß ist, bietet es sich an, dass wir dies hier kurz wiederholen, um uns damit die monetäre Erklärung des Nachfragemangels in Erinnerung zu rufen. Dann werden wir diese Auffassung mit einer neuen vergleichen können, die wir gleich danach vorstellen. Nach dieser anderen Auffassung entsteht der Nachfragemangel nicht durch das Verschwinden des Geldes, sondern durch das nicht ausreichende Einkommen.

Die Geldhortung als Spezialfall der Ungültigkeit des Sayschen Gesetzes

Ein Bild muss natürlich nicht immer mehr als tausend Worte sagen, aber oft ist es trotzdem sehr nützlich. Deshalb verhelfen wir uns auch jetzt mit einem passenden Bild, um das Gleichgewichts- bzw. Ungleichgewichtsproblem besser zu verdeutlichen.

Rechts, wie eine Wolke, befindet sich die ganze Volkswirtschaft - die Produktion und der Vertrieb der Güter -, links wird ein Unternehmen aus dieser Wirtschaft dargestellt. Es ist ein beliebiges Unternehmen X, das man zufällig herausgegriffen und vergrößert dargestellt hat, damit die für uns wichtigen Details besser hervorgehoben werden können. Das Unternehmen bietet eine bestimmte Gütermenge (GÜTEROUT) auf dem Markt an. Ihr Wert bzw. Preiswert, nachdem sie verkauft wurden, entspricht einer bestimmten Geldsumme (GELDIN). Diese Geldsumme wird das Unternehmen später auf dem Markt ausgeben (GELDOUT) können, um sich mit den Gütern seines Bedarfs zu versorgen (GÜTERIN). Dazu werden sowohl die Güter gehören, welche das Unternehmen für die weitere Produktion nötig hat (Produktionsgüter), als auch die Konsumgüter, welchen die Beschäftigten und die Inhaber des Unternehmens verbrauchen. Weil es sich dabei um Quantitäten handelt, lässt sich alles wie folgt schreiben:

GÜTEROUT    =   GELDIN    . . .    GELDOUT    =   GÜTERIN

Hat das Unternehmen genauso viel Geld auf dem Markt ausgegeben, wie es zuvor von ihm erhalten hat, dann gilt:  

GELDOUT   =    GELDIN   

Daraus ergibt sich die folgende Identität :

Angebot     →     GÜTEROUT      =      GÜTERIN     ←     Nachfrage

Was für ein beliebiges Unternehmen gilt, muss natürlich für alle restlichen Unternehmen auch gelten. Wenn also jedes Unternehmen vom Markt so viel abnimmt, wie viel es ihm davor übergeben hat, kann sich auf dem Markt nichts anhäufen: Der Markt wird geräumt. Weil das Geld nur den Kauf und den Verkauf vermittelt und vereinfacht hat, spielt es keine wesentliche Rolle. Kurz gefasst lässt sich also sagen: Die Güter werden mit Gütern gekauft. Das Geld ist nur ein Tauschmittel - man hat es deshalb auch als Schmiermittel bezeichnet. Das ist das berühmte „Gesetz der Absatzwege“ von Jean-Baptiste Say (1767 - 1832), das später nach seinem Erfinder benannt wurde. Aus dem Sayschen Gesetze folgt, dass sich eine Wirtschaft im Gleichgewicht befinden muss,

  • unabhängig davon, wie viele Marktakteure es gibt
  • unabhängig davon, nach welchen Preisen die Güter gekauft / verkauft werden
  • unabhängig davon, wie schnell sich die Preise ändern
  • unabhängig davon, welche produktionstechnischen Änderungen stattfinden
  • unabhängig davon, wie viel gespart und investiert wird.

Es ist leicht zu verstehen, dass das Geld echte Probleme verursachen kann, und zwar wenn ein Unternehmen bzw. seine Beschäftigten und Besitzer weniger ausgeben, als sie eingenommen haben. Mathematisch ausgedrückt: 

GÜTEROUT    =    GELDIN    >    GELDOUT    =    GÜTERIN

Dann liefert dieses Unternehmen mehr Güter als es nachfragt, so dass der Markt nicht mehr im Gleichgewicht sein kann. Sein Angebot ist größer als die (effektive) Nachfrage:

Angebot     →     GÜTEROUT      >      GÜTERIN     ←     Nachfrage

Wenn sich viele Unternehmen so verhalten würden, könnte dies große Probleme in dem produzierenden Bereich der Wirtschaft verursachen. Und das alles ist offensichtlich nur die Folge davon, dass es Geld gibt. Das ist das logische Grundmuster der klassischen, vor allem aber der monetären Nachfragetheorie des vorigen Jahrhunderts. Sie kam, sie sah, sie siegte -und fiel um. Nicht weil sie falsch, sondern weil sie schwach war.

Der Nachfragemangel als strukturelles Problem bzw. die Folge des fehlenden Einkommens

Der Gedanke an sich ist nicht neu. Schon laut Sismondi sollten fehlende Einkünfte eine der Ursachen des Nachfragemangels sein. Er meinte damit eine zeitliche Phasenverschiebung zwischen den Kosten und den Einkünften, für die er jedoch nie eine schlüssige Erklärung fand. Malthus gab sich viel Mühe, herauszufinden, wer die unproductive consumers sein könnten, welche die angeblich fehlenden Einkünfte ausgleichen sollten; aber etwas mehr darüber zu sagen, warum das Einkommen überhaupt fehlen könnte, fiel ihm nicht ein. So landete er bei seiner Argumentation üblicherweise immer bei den Kapitalisten, die angeblich weder den Willen, noch die Zeit hätten, zu konsumieren. Diese Auffassung war schon seinerzeit verbreitet, und erstaunlicherweise hat gerade Marx - mit seiner missratenen Akkumulationstheorie - ihr mächtig Auftrieb gegeben. Später hat der deutsche Soziologe Max Weber aufgrund solcher Gedanken sein bekanntes Märchen über die asketische protestantische Ethik gesponnen. Keynes hat Malthus wie kaum einen anderen Ökonomen geschätzt, aber die fehlenden Einkünfte sind ihm irgendwie entgangen. Sein Anliegen war die Suche nach den Lecks, durch die das Geld aus der Wirtschaft versickern sollte. Auch keinem seiner - damals zahlreichen - Anhänger sind die fehlenden Einkünfte aufgefallen. Woran hat dies gelegen?

Wenn man etwas nicht sieht, kann es durchaus daran liegen, dass man sich an einer falschen Stelle befindet. Das war auch bei Keynes und allen seinen Nachfolgern der Fall. Wie bereits dargelegt, war ihr Argumentationsfeld das Saysche Gesetz bzw. das Geld. Dermaßen eng ausgerichtet konnten sie die Ursachen für den Nachfragemangel nur bei Individuen suchen. Sie haben sich also einer Methode bedient, von der man auch sonst nicht viel erwarten kann, nämlich der pars-pro-toto Denkweise. Wie wir zeigen werden, ist die fehlende Nachfrage aber kein individuelles, sondern vor allem ein strukturelles Problem der Marktwirtschaft. Sie ist also kein Phänomen, das sich durch irgendwelches „falsches“ Verhalten und Handeln der einzelnen Menschen erklären lässt. Allgemeiner ausgedrückt: Nicht in den Teilen, die das Ganze bilden, liegt das Problem der fehlenden Nachfrage, sondern in der ungünstigen Konstellation der Teile innerhalb des Ganzen. Daraus lässt sich eindeutig schließen, dass sich das Fehlen des Einkommens nur mit Hilfe eines passenden Modells identifizieren und erforschen lässt, eines Modells, das die Wirtschaft als ein Ganzes erfasst. Bisher fehlte aber den Nachfragetheoretikern ein solches Modell, was ihnen schließlich zum Verhängnis wurde. Mit dem neoliberalen partikel-mechanischen Modell, weil dieses auch nur eine pars-pro-toto Denkweise verkörpert, ließ sich bestimmt nichts erreichen. Der bekannte amerikanische Ökonom Lester Thurow hat dies sehr treffend ausgedrückt:

„Die [neoliberale] mikroökonomische Theorie ist nicht grundsätzlich richtig, und die eigentlichen Probleme der Ökonomie sind durch eine unbefriedigende mikroökonomische Theorie bedingt. ... Um eine sinnvolle Alternative zu bieten, müßte man zunächst eine neue Mikroökonomie entwickeln, die mit makroökonomischen Problemen konsistent ist, und dann auf dieser Basis eine neue Makroökonomie konzipieren.“ ... >

Die neoliberale Theorie kann zwar psychologische Vorlieben der Käufer und das Verhalten der Geldbesitzer berücksichtigen, aber nicht die Funktionsweise der Produktion. Zu den wesentlichen Merkmalen der Produktion gehören nämlich Kumulation, Gerichtetheit und Struktur, die das neoliberale Gleichgewichtsmodell aber nicht analytisch artikulieren kann. Wie bereits erörtert, das kreislauftheoretische Modell kann dies alles,dorthin und zwar dank seiner technischen und distributiven Koeffizienten. Dank dieser Koeffizienten lässt sich die Wirtschaft mit „strengen“ mathematischen Mitteln modellieren und untersuchen, aber vorerst wollen wir weiterhin bei den einfachen numerischen Beispielen bleiben. Auch für die Erklärung des Nachfragemangels können wir uns des gleichen Beispiels bedienen wie bisher. Wir stellen es noch mal graphisch dar, als Flussdiagramm. 

 

 
      Nettoeinkommen:      
  Sektor 1: 1000  
  Sektor 2: 1000  
  Sektor 3: 2000  
4000  
 
    Konsumproduktion:    
  Sektor 1: 0  
  Sektor 2: 0  
  Sektor 3: 4000  
4000  
 
      Nettoeinkommen:      
  Sektor 1: 1000  
  Sektor 2: 880  
  Sektor 3: 2000  
3880  
 
    Konsumproduktion:    
  Sektor 1: 0  
  Sektor 2: 0  
  Sektor 3: 4000  
4000  
 

Bemerkung: Zum besseren Verständnis könnte es nützlich sein, wenn man sich die dargestellte Wirtschaft so vorstellt, dass der Sektor 2 Eisen, der Sektor 1 Maschinen und der Sektor 3 Konsumgüter herstellt. Die externen Inputs der Sektoren stellen verschiedene Leistungen bzw. dafür ausbezahlte Einkünfte (Löhne, Sondervergütungen, Profite, Dividenden, Zinsen, ...) dar, die wir als Nettoeinkünfte bezeichnen.

Die Wirtschaft unseres Beispiels befindet sich während der Reproduktionsperiode t - das Diagramm links - im stationären Zustand. Es ist ein Zustand, der sich unverändert unendlich lange wiederholen kann. Rechts ist dargestellt, wie diese Wirtschaft versucht zu wachsen, und zwar extensiv. Extensiv bedeutet, dass sich die Produktionsmethoden nicht ändern. Wir haben dieses Wachstum schon untersucht,dorthin aber in den dort benutzen Beispielen ließen wir dieses Wachstum nicht direkt aus dem stationären Zustand heraus beginnen. Ein solcher „Übergang“ zum Wachstum, das haben wir auch deutlich gesagt, ist ein analytisch besonders komplizierter Fall, und zwar in zweierlei Hinsicht: in produktionstechnischer und in gleichgewichtstheoretischer. Über die produktionstechnische Problematik haben wir das wichtigste schon gesagt. Um nicht zurückgehen zu müssen, erörtern wir diese produktionstechnische Problematik kurz noch einmal.

Die Wirtschaft kann in unserem konkreten Fall nur auf eine Weise beginnen (extensiv) zu wachsen, indem der Sektor 2 seine Produktion erweitert. Nehmen wir an, der Sektor wäre bereit, seine Produktionskapazitäten um 120 zu erweitern. Die Wirtschaft hat dieses Kapital jedoch nicht. Der Wirtschaft im stationären Zustand fehlt also das (reale) Kapital, um überhaupt (real) wachsen zu können. Der einzige Ausweg heißt dann - schon Marx hat dies richtig gesehen - dass das insgesamt zur Verfügung stehende Kapital (Produktionsgüter) sektoral anders verteilt wird: Den Konsumgüter produzierenden Unternehmen sollte ein bisschen weniger, und den Investitionsgüter produzierenden Unternehmen entsprechend mehr von dem bereits verfügbaren Kapital zugeteilt werden. Wenn also in unserem Beispiel Sektor 2 mehr (+120) bekommen sollte, würde dem Sektor 3 weniger (-120) bleiben. Dies lässt sich aus dem Flussdiagramm rechts unmittelbar entnehmen. Damit sind im Grunde schon alle produktionstechnischen Probleme für ein weiteres ungestörtes Wachstum behoben. Ganz kurz zusammengefasst:

Während der Reproduktionsperiode t+2 wird der Sektor 2 eine größere Menge von Produktionsgütern herstellen, die alle - nach wie vor - der Sektor 1 bekommen wird, so dass dieser während der Reproduktionsperiode t+3 auch mehr Produktionsgüter herstellen kann. Folglich wird auch der Sektor 3 von ihm mehr Produktionsgüter (Kapital) bekommen können, so dass es danach allen Sektoren der Wirtschaft möglich sein wird, mehr zu produzieren.

In der Praxis kann es natürlich zu unternehmerischen Fehlentscheidungen und damit zu Disproportionalitäten kommen, aber die vernachlässigen wir jetzt. Die Tatsache, dass ein Nullwachstum oder eine Depression lange dauern kann, lässt uns nämlich schlussfolgern, dass die produktionstechnischen Disproportionalitäten nicht das Problem der Marktwirtschaft sein können. Sie hat ein viel größeres, und zwar ein gleichgewichtstheoretisches Problem, das auch in dem jetzt von uns untersuchten Fall, also beim Übergang der Wirtschaft zum Wachstum, zum Vorschein kommt. Der Wirtschaft fehlt hier nämlich das Einkommen. Aus dem Flussdiagramm rechts lässt sich dies deutlich erkennen.

Nachdem der Sektor 2 einen Teil seines Einkommens (120) eingespart und investiert hat, steht dieses Einkommen nicht mehr für den Kauf der Konsumgüter des Sektors 3 zur Verfügung. Der Sektor 3 kann also in der Reproduktionsperiode t+1 nicht alle seine bereits hergestellten Güter absetzen. Da stellt sich die Frage: Hat der Sektor 2, der dies verursacht hat, was falsch gemacht? Auf keinen Fall. Er hat einfach nur gespart und (unverzüglich) investiert, und dafür wird man ihn doch nicht tadeln können. Weil in unserem Beispiel kein Geld vorkommt, konnte dieser Sektor das Geld gar nicht horten - auch da hätte er nichts falsch machen können. Ihm kann also gar kein ökonomisch widriges Verhalten oder Handeln vorgeworfen werden, im Gegenteil. Er hat etwas getan, was für die Wirtschaft und Gesellschaft nützlich ist bzw. sein sollte. Trotzdem fehlt dem System die Kaufkraft, genauer gesagt das Einkommen, um alle hergestellten Güter nachzufragen bzw. zu kaufen.
 

Nach der naiven Auffassung, auf der die ganze radikalliberale Auffassung beruht, dürfe alles gar kein Problem sein: Die flexiblen Preise würden unverzüglich das Angebot und die Nachfrage ausgleichen. Die Popularität dieser Auffassung beruht auf ihrer Plausibilität. Jeder Krämer weiß nämlich aus seiner ganzen Lebenserfahrung, dass sich alles absetzen lässt, wenn man mit dem Preis genug herumspielt. Dieser „gesunde Menschenverstand“ ist bekanntlich der Stein der Weisen, auf dem das mathematische Modell des allgemeinen Gleichgewichts aufgebaut ist. Doch schauen wir jetzt genauer an, was es als Fundament der ganzen neoliberalen Angebotstheorie aushält.

Es sind Konsumgüter - welche bei uns (nur) der Sektor 3 produziert -, bei denen es Absatzprobleme gibt. Die ganze Erfahrung sagt, und sogar die ökonomischen Theorien sind sich da auch einig, dass dann bei diesen Gütern die Preise früher oder später fallen werden. Lassen wir sie also fallen. Sollte dies bedeuten, dass damit das aggregierte Angebot, weil es immer kleiner wird, sich als solches der aggregierten Nachfrage automatisch anpassen würde? Um dies herauszufinden, müssen wir uns im Klaren sein, wie Preise gebildet werden und was bei einer Preissenkung geschieht. Aus der folgenden Skizze lässt sich alles herleiten, was für uns jetzt wichtig ist.

   
      Angebot       Nachfrage
     
    Reine Gewinne
Löhne, Zinsen, Pacht
Leck
 
 Sektor 3
 
    Kosten   →    
Rohstoffe,
Halbfabrikate,
    Maschinenverschleiß
 Sektor 1
 Sektor 2
←   Einkünfte    
   Nachfragegap      

Der Gesamtpreis einer Gütermenge ist immer gleich der Summe ihrer (Produktions-)Kosten und diese - da kann man dem Sayschen „Gesetz“ gar nichts vorwerfen - entsprechen immer der Summe der Einkünfte, die nach dem Verkauf der Güter realisiert werden. Auch für unseren Sektor 3 gilt das natürlich. Nehmen wir jetzt an, der Sektor ist gezwungen, seine Preise zu senken. Dies kann bei den bereits fertigen Gütern nur auf eine einzige Weise geschehen, indem der Hersteller bzw. Anbieter auf einen Teil der Gewinne verzichtet. Die beiden Balken werden damit kleiner, wie es die gestrichelte Linie zeigt, aber sie bleiben weiterhin gleich hoch. Die Gewinne können jetzt einen kleineren Anteil der Konsumgüter nachfragen, sowohl absolut als auch relativ betrachtet, alle anderen Kostentenanteile bzw. die ihnen zugehörigen Einkünfte sind aber (absolut) gleich geblieben. Und an der Nachfragelücke hat sich auch nichts geändert. Sie ist absolut betrachtet gleich groß (120) geblieben - relativ betrachtet ist sie sogar größer geworden. Kurz gesagt: Die Flexibilität der Preise (numéraire) hat mit dem Gleichgewicht gar nichts zu tun. Dies ist ein großer Irrtum der ganzen Angebotstheorie.

Eine Möglichkeit, diese unverkäuflichen Konsumgüter zu „entsorgen“, die gänzlich im Rahmen des Sayschen Gesetzes liegen würde, gibt es jedoch: Die Produzenten können diese Güter selbst verbrauchen. Dies würde aber bedeuten, dass die betreffenden Kapitalbesitzer einen Teil ihres Kapitals - der der Nachfragelücke entspricht - entsparen bzw. verjubeln müssten. So ein Verhalten wäre der Unternehmerethik (homo oeconomicus) zutiefst zuwider. Aber nehmen wir trotzdem an, die Unternehmen wären bereit dies zu tun. Wie hätte dies vonstatten gehen können? Ein Kühlschrankhersteller könnte nicht alle seine unverkauften Kühlschränke selber konsumieren. Dasselbe gilt gleichermaßen für den Autohersteller, Schuhfabrikanten, Schweinezüchter, Gemüsebauer und alle anderen. Sie müssen zuerst die eigenen Güter absetzen und das Einkommen erst beziehen, erst dann können sie die Güter der anderen kaufen. Aber dieses Einkommen gibt es vorerst nicht. Die Kapitalbesitzer, die sich entschieden haben - aus welchen Gründen auch immer -, beim stockenden Absatz über ihre eigentlich noch nicht realisierten Gewinne hinaus zu konsumieren, müsste zuerst Konsumkredite aufnehmen. Haben sie aber nicht schon große Finanzprobleme, wenn ihr Absatz eingebrochen ist? Nicht nur. Aber das lassen wir jetzt. Hier unterbrechen wir die Untersuchung dieser Problematik und setzen sie bei der Untersuchung der ökonomischen Zyklen fort. Uns geht jetzt ausschließlich um den Nachfragemangel, den wir noch nicht gänzlich abgehandelt haben.

Nachdem uns die Logik unerbittlich gezwungen hat zu gestehen, dass in dem betrachteten Fall Einkommen fehlt, was schließlich zum Kaufkraftmangel führt - der sich mit flexiblen Preisen (numéraire) nicht beseitigen lässt, - kommen wir zur nächsten, sehr wichtigen Frage, ob dieser Fall nur eine theoretische interessante Möglichkeit darstellt, oder auch für eine wirkliche Wirtschaft relevant ist. Der stationäre Zustand, von dem unser Beispiel ausgeht, ist in der Tat nur eine theoretische Abstraktion, die aber zweifellos einer realen Situation entspricht: einer stagnierenden Wirtschaft, die versucht zu wachsen. Solche Situationen sind in der Realität gar nicht so spezifisch und selten, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Aus der Erfahrung ist uns nämlich bekannt, dass Nullwachstum und Rezession sogar lange dauern können. Aber auch wenn man dies angemessen berücksichtigt, sind sie weder ihrer Dauer noch ihrer Bedeutung nach ein repräsentativer Zustand der Marktwirtschaft. Wenn wir also den Nachfragemangel nur bei der Stagnation nachweisen könnten, würde dies im besten Fall nur bedeuten, dass die reale Nachfragetheorie einen speziellen Fall der ökonomischen Realität erfassen kann, nämlich die zwei Phasen des ökonomischen Zyklus: die Rezessionen und den Abschwung. Damit musste sich schon die monetäre Nachfragetheorie abfinden, was bestimmt eine der wichtigsten Ursachen war, warum sie nach nur wenigen Jahrzehnten ihre Überzeugungskraft dramatisch einbüßte. Alle Zustände einer Marktwirtschaft lassen sich in der Tat nicht auf den stationären Zustand bzw. die Stagnation analytisch zurückführen. Die hier vorgelegte reale Nachfragetheorie ist aber nicht auf den Fall der ökonomischen Stagnation beschränkt. Das werden wir jetzt anhand eines anderen Beispiels zeigen, in dem auch das Wachstum berücksichtigt werden wird. Aber gerade weil das Wachstum ein sehr breites und komplexes Phänomen ist, was für ein Wachstum sollen wir in unserem nächsten Beispiel in Betracht ziehen?

Stellen wir zuerst fest, dass ein Beispiel, möge es auch noch so „vollständig“ sein, nie ein endgültiger Beweis dafür ist, dass die mit seiner Hilfe veranschaulichte Gesetzmäßigkeit eine universale Gültigkeit besitzt. Ein konkretes Beispiel ist immer nur ein - mehr oder weniger - geeigneter Weg, wie wir eine Erkenntnis zu unserem Kopf befördern. Einen endgültigen Beweis für die allgemeine Gültigkeit einer Gesetzmäßigkeit - wenn es sich um quantitative Phänomene (Sachverhalte) handelt - bietet alleine die Mathematik. Zu ihr kommen wir aber erst später. Und weil dem so ist, muss unser nächstes Beispiel nicht allzu kompliziert sein, und schon gar nicht braucht es möglichst viele Faktoren und Bedingungen des Wachstums zu berücksichtigen. Es soll - wie das vorige Beispiel - den Nachfragemangel möglichst einfach darstellen und erklären. Das ist das einzige, was wir von ihm erwarten.

Wenn wir schon kein Augenmerk auf die Vollständigkeit richten müssen, sollten wir doch am besten bei unserem vorigen Beispiel bleiben, indem wir es vervollständigen bzw. an das Wachstum anpassen. Es ist nämlich nicht so, dass es einer Wirtschaft gar nicht möglich wäre, aus dem stationären Zustand heraus zu wachsen anzufangen. Wir haben bereits gezeigt, wie sie es kann, indem sie sich zugleich produktionstechnisch innoviert bzw. ihre Produktivität steigert. Auf diesen Fall wollen wir jedoch nicht zurückgreifen, weil er keinen geeigneten Blickwinkel bietet, von dem sich der reale Nachfragemangel klar beobachten lässt. Wir bedienen uns jetzt einer anderen Möglichkeit: der Preissteigerung.

Malthus und das „Steigen des Tauschwertes des Gesamtertrages in Gold berechnet“

Auch die Preissteigerung haben wir schon kurz untersucht.dorthin Damals ging es uns alleine darum, um zu zeigen, dass das Gleichgewicht und das Sparen nicht voneinander unabhängige Größen sind. Wenn die Preise steigen - so unsere Schlussfolgerung -, muss die Wirtschaft mehr sparen (und investieren) und umgekehrt, um im Gleichgewicht bleiben zu können. Das in diesem Beispiel untersuchte Sparen (und Investieren) war nur nominal, weil wir bei allen Preisänderungen produktionstechnisch (strukturell) nichts verändert haben. Diese Wirtschaft blieb also real immer dieselbe, und zwar die aus unserem ersten (linken) Flussdiagram. Bei der allgemeinen (linearen) Preissteigerung von 2% - wie wir damals festgestellt haben - entspricht die absolute Summe der Preissteigerungen aller Sektoren dem Wert 120. Auch jetzt wollen wir bei dem gleichen Wert bleiben, es soll aber anders gespart werden. Nicht bei allen Sektoren gleichmäßig, sondern nur beim Sektor 1. Diese Preissteigerung soll in der Reproduktionsperiode t+1 stattfinden, also gleich nach dem stationären Zustand. Aus den oben erörterten produktionstechnischen Gründen soll es der Sektor 2 sein, bei dem das Wachstumm beginnen muss, und zwar durch eine Spar- und Investitionssumme von 120. In den folgenden Tabellen ist übersichtlich dargestellt, was in der Reproduktionsperiode t+1 stattfindet.

       
t +1 Produktionsprozess
 
  Sektor 1: 
  Sektor 2:
  Sektor 3:
    K  Ÿ + Teuerung Y    
    2500.00  +  1000  +  120   =  3620.00    
    1500.00  +  1000     =  2500.00    
    2000.00  +  2000       =  4000.00    
                       
Kapitalbeschaffung 
        für Reproduktionsperiode  t +2
  K1t+2   =   K1t+1    =    2500.00  
  K2t+2   =   K2t+1   +   120    =    1620.00  
  K3t+2   =   K3t+1    =    2000.00  
 

Die linke Tabelle folgt unmittelbar aus dem obigen linken Flussdiagramm, mit dem einzigen Unterschied, dass die Preise beim Sektor 1 um 120 gestiegen sind. Alles andere erklärt sich von alleine. Nur die rechte Tabelle, die Distribution der bereits hergestellten Produktionsgüter bedarf einer kurzen Erklärung. Was die Kapitalversorgung des Sektors 1 betrifft, ist bei ihm alles weiterhin einfach: Er übernimmt die ganze Produktion des Sektors 2. Geändert haben sich die Anteile bei den übrigen zwei Sektoren. Der Sektor 1 liefert diesmal dem Sektor 2 um 120 mehr also zuvor, also die Produktionsgüter im Wert von 1620. Der Sektor 3 bekommt nominal gleich wie zuvor (2000) aber relativ betrachtet weniger. Diesen Tausch und seine Ergebnisse zeigt das nächste Flussdiagramm.

 
      Nettoeinkommen:      
  Sektor 1: 1120  
  Sektor 2: 880  
  Sektor 3: 2000  
4000  
 
    Konsumproduktion:    
  Sektor 1: 0  
  Sektor 2: 0  
  Sektor 3: 4000  
4000  
 

Das Sparen (und Investieren) beim Sektor 2 hat in diesem Fall offensichtlich nicht zum Ungleichgewicht geführt. Alle Ströme des Flussdiagrams sind jetzt nämlich geschlossen. Der Wirtschaft ist es also gelungen, den Übergang zum Wachstum zu schaffen und zugleich im Gleichgewicht zu bleiben. Der Sektor 2 wird seine Produktion (real) um 4.42% steigern können, dann wird dies der Sektor 1 tun können und schließlich auch der Sektor 3. Produktionstechnische Probleme sind da nicht zu erwarten, wie wir bereits festgestellt haben. In den nächsten Reproduktionsperioden wird es ebenfalls keine gleichgewichtstheoretischen Probleme geben. Dies haben wir schon einmal gezeigt, als wir das Produktivitätswachstum untersucht haben. Dem neugierigen - und dem skeptischen - Leser ist es überlassen, dies selber zu prüfen. Er kann sich aber auch gedulden und einfach abwarten. Wir werden zu dieser Problematik noch einmal zurückkommen, wenn wir die zyklische Entwicklung der Marktwirtschaft untersuchen werden. Jetzt steht aber der Nachfragemangel im Mittelpunkt, bei einer wachsenden Wirtschaft, und den Beweis haben wir immer noch nicht bis zu Ende geführt. Bevor wir aber fortfahren, müssen wir noch einmal ausholen. Nachdem wir festgestellt haben, dass die Preissteigerung ein Wachstum ohne Gleichgewichtsprobleme möglich macht, kann ich an dieser Stelle nicht anders, als denjenigen gebührend zu würdigen, der zu dieser Erkenntnis als erster gekommen ist.

„Was wir brauchen, ist ein zunehmendes Nationaleinkommen“ - hat Malthus damals, als nichts mehr ging, behauptet, also - „ein Steigen des Tauschwertes des Gesamtertrages in Gold berechnet.“ Mit dem „Steigen des Tauschwertes in Gold berechnet“ ist natürlich nichts anderes gemeint, als die allgemeine Preissteigerung. Sein Bezug zum Gold war nur ein stilistischer Reflex, der dem Umstand zu verdanken war, dass damals das Geld an das Gold fest gekoppelt war (Goldstandard), was schon seit fast einem Jahrhundert nicht mehr der Fall ist. Uns ist es nun gelungen, im Rahmen des Kreislaufmodells nachzuweisen, dass Malthus großartig Recht hatte. Ein durchaus bescheidenes einmaliges Steigen der Tauschwerte, das nur 2% in Bezug auf die ganze Produktion beträgt, hat es möglich gemacht, dass die Wirtschaft nach nur 2 Reproduktionsperioden und einem realen Konsumverzicht von unter vier Prozentpunkte um mehr als vier Prozentpunkte wachsen konnte. Zu mehr Details . Man kann also Keynes nur zustimmen, wenn er in einem Essay, in dem er Malthus würdigte, zu dem Schluss kam: „Wäre doch nur Malthus, statt Ricardo, die Stammwurzel der Nationalökonomie des 19. Jahrhunderts geworden, ein wie viel weiserer und wohlhabenderer Platz wäre die Welt heute!“ Warum sich aber Ricardo und nicht Malthus durchgesetzt hat, lässt sich unschwer begreifen. Wie bereits angedeutet, eine analytisch strenge Erklärung des Nachfragemangels konnte er nicht aufbringen. Seine Stärke war es, intuitiv zu einer Erkenntnis zu gelangen, statt sie auf gesicherten Grundlagen aufzubauen. So sind seine Maßnahmen für die Behebung des Nachragemangels - wie eben die Preissteigerung - irgendwo hängen geblieben.

Die Preissteigerung brauchten wir nur, um es der Wirtschaft im stationären Zustand ermöglichen, den Übergang zum Wachstum zu schaffen. Unser Anliegen war es, zu zeigen, dass auch dann noch ein Nachfragemangel entstehen kann. In dieser Absicht nehmen wir jetzt einfach an, dass sich der Sektor 2 plötzlich entschieden hat, etwas mehr als vorhin gedacht zu investieren (und zu sparen), also mehr als 120. Für den Sektor 2 selbst, also mikroökonomisch betrachtet, wäre dies nicht das geringste Problem. Aus seinen Nettoeinnahmen (1000) ließe sich bestimmt noch einiges einsparen und investieren. Mit dem obigen Flussdiagramm vor Augen können wir schnell begreifen, was diese Aufstockung für die Wirtschaft bedeuten würde. Der untere Strom, der von Sektor 1 zum Sektor 2 fließt, würde anschwellen, der Strom, der zum Sektor 3 führt, würde entsprechend schmaler werden. Dem aufmerksamen Leser fällt hier sofort ein, dass dieser neue Zustand dem entsprechen würde, den wir schon einmal hatten, und zwar ebenfalls in der Reproduktionsperiode t+1, als wir den Sektor 2 bei den konstanten Preisen investieren ließen. Folglich können wir diesmal alles wiederholen, was wir schon dort festgestellt haben. Diese Koinzidenz lässt uns schließlich eine analytische Schlussfolgerung herleiten, welcher der Status einer allgemeinen Gesetzmäßigkeit gebührt. Da müssen wir aber auf die allgemeine Gleichung des Sparens zurückgreifen. Wir kennen sie aus den vorigen numerischen Beispielen:

   YK' = I' = S'
    YK'   -   Produktionszuwachs von Produktionsgütern   I'   -   Nettoinvestitionen   S'   -   Nettoersparnisse

Vor dem Hintergrund dieser Gleichung lässt sich für unsere zwei Beispiele folgendes feststellen: In unserem zuerst untersuchten Fall, also beim Wachstum ohne Preissteigerungen - siehe die zwei Flussdiagramme ganz oben -, ist die Summe der Preise (der Produktionsgüter) in der Reproduktionsperiode t+1 identisch mit der in der vorherigen Reproduktionsperiode t. Die Differenz, die wir als YK bezeichnen, ist folglich gleich Null. Die Wirtschaft dürfte also von ihrem Nettoeinkommen weder sparen noch investieren. Sie wollte aber trotzdem 120 einsparen (S′), was nicht ohne Gleichgewichtsstörungen ging, obwohl diese Summe unverzüglich investiert (I′) wurde. In dem darauf folgenen Fall hat das „Steigen der Tauschwerte in Geld berechnet“ (YK) den Wert 120 und es hat sich als unproblematisch erwiesen die gleiche Summe einzusparen (S′) und zu investieren (I′). Die beiden Fälle zeigen uns also, dass das Wachstum bzw. das Sparen und Investieren keine gleichgewichtsneutralen Größen sind. Wie viel gespart und investiert werden kann, ist durch die allgemeine Konstellation (Struktur) der Wirtschaft bestimmt und lässt sich mit der allgemeinen Gleichung des Sparens quantitativ genau ausrechnen. Die Wirtschaft, wenn das Angebot und die Nachfrage übereinstimmen sollen, darf nicht mehr, als YK ergibt, sparen. Sonst fehlt ihr die Kaufkraft oder noch genauer gesagt: das Einkommen.

 
 
 
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