2. Phase des ökonomischen Zyklus der Marktwirtschaft: Die Erholung (Aufschwung)
  Staatliche Investitionen als Alternative zu Krediten von privaten Banken
       
 
Wenn z.B. ein Staat durch seine eigenen arbeitslosen Bürger in einem Jahr 100 Meilen Landstraßen bauen läßt und dafür 3 Millionen Thaler ausgibt, so ist dieser Staat am Ende dieses Jahres um den ganzen Werth dieser Landstraße reicher als er am Anfang des Jahres war; denn das Geld, welches die Landstraße gekostet hat, wird noch bis zum letzten Pfennig im Lande seyn, und die Landstraße dazu .
 
  Heinrich Ludwig Lambert Gall (1791-1863), ein unbekannter Frühkeynesianer des 19. Jahrhunderts    
       
 
Während die Ausdehnung der Aufgaben der Regierung ... einem Publizisten des neunzehnten Jahrhunderts oder einem zeitgenössischen amerikanischen Finanzmann als ein schrecklicher Eingriff in die persönliche Freiheit erscheinen würde, verteidige ich sie im Gegenteil, sowohl als das einzige durchführbare Mittel, die Zerstörung der bestehenden wirtschaftlichen Formen in ihrer Gesamtheit zu vermeiden, als auch als die Bedingung für die erfolgreiche Ausübung der Initiative des Einzelnen.
 
  John M. Keynes,  Allgemeine Theorie , 1936    
       
 
Da Geld sowieso eine gesellschaftliche Konstruktion ist, müssen wir uns nicht an der toten Materie orientieren, die in früheren Jahrtausenden die praktische Manifestation von Geld war. Geld selbst besitzt ja lediglich eine Informationsfunktion. Ein Staat müsste sein Geld eigentlich selbst erzeugen, und zwar basisdemokratisch.
 
  Franz Hörmann, Banken erfinden Geld aus Luft, Der Standard, 13.10.2010    

In unserer bisherigen Untersuchung wurde eine wichtige Tatsache einfach außer Acht gelassen, dass nämlich nach dem Zusammenbruch der Wirtschaft auf allen Ebenen der Produktion freie Kapazitäten zur Verfügung stehen und die arbeitslosen Menschen ziellos durch die Straßen streunen. So etwas wurde seit Anfang des 19. Jahrhunderts eine der periodisch regelmäßigen Erscheinungen aller kapitalistischen Wirtschaften. Die Ökonomen haben dieses Phänomen, das in vorkapitalistischen Wirtschaften völlig unbekannt war, als allgemeine Überproduktion (general glut) bezeichnet. In den Theorien der sich selbst optimierenden Marktwirtschaft ist die allgemeine Überproduktion unmöglich, so dass sie von den radikalen Verfechtern des freien Marktes und der Ideologen des Kapitals immer geleugnet wurde. Es sollte nicht sein, was nicht sein darf. Das einzige, was es geben darf bzw. was man eventuell bereit war zuzugeben, sollten die sektoralen Disproportionalitäten sein. Unter den Disproportionalitäten hat man produktionstechnische Missverhältnisse verstanden: Von bestimmten Gütern wurde zu viel, von anderen aber zu wenig produziert. Dass dadurch Probleme in der Wirtschaft entstehen können, ist einleuchtend. Nun war es schon immer schwer, gravierende produktionstechnische Missverhältnisse empirisch nachzuweisen. Welche Güter sollten es sein, die in zu kleinen Mengen produziert worden waren, fragten während des Abschwungs und der Depression die Marktskeptiker. Diese Güter müssten dann einen reißenden Absatz finden und ihre Preise müssten folglich nach oben schießen. So etwas müsste jemand festgestellt haben. Hat aber niemand. Deshalb haben die Marktverfechter später ihre Sprache geändert. So sprechen sie heute nicht mehr von Disproportionalitäten, sondern von angeblichen strukturellen Problemen. Was bedeuten sie nun? Letztendlich entpuppen sie sich immer als eine Lamentierung über die schlechte Qualifikation und Motivation der Arbeitgeber und über die zu hohen Löhne. Das ist der neue Liberalismus, also der realitätsferne und menschenverachtende Neoliberalismus, über den wir schon einiges gesagt haben.

Der Leser könnte jetzt anmerken, dass auch in unserer bisherigen Analyse der ökonomischen Zyklen nie von der allgemeinen Überproduktion die Rede war. Das stimmt, aber es lag nicht daran, dass wir der Überproduktion keine Relevanz beimessen, wie es bei den Neoliberalen der Fall ist, im Gegenteil. Unsere ganze Analyse der ökonomischen Zyklen beruht auf der Annahme, dass der Absturz zur allgemeinen Überproduktion führt, so dass es während der Depression Güter jeder Art gibt, die unverkäuflich sind. Wenn wir die allgemeine Überproduktion außer Acht gelassen haben, hat dies ausschließlich methodische Gründe: Überblick behält nur, wer vieles übersieht. Im Sinne der abnehmenden Abstraktion werden wir nun auch die allgemeine Überproduktion in unsere Analyse einbeziehen.

Die Annahme der allgemeinen Überproduktion schließt zugleich die Annahme von strukturellen Disproportionalitäten aus: Wenn nämlich alle Güter in zu großen Mengen vorhanden sind, dann müssen auf allen Produktionsstufen nicht ausgelastete Kapazitäten zur Verfügung stehen. Das ist etwas anderes als die strukturellen Disproportionalitäten. Es soll an dieser Stelle noch hinzugefügt werden, dass wir in unserer Analyse der ökonomischen Zyklen auch später nirgendwo auf die Annahme von strukturellen Disproportionalitäten zurückgreifen werden. Damit wird nicht gesagt, dass die Unternehmer immer die richtigen Güterarten in den richtigen Mengen herstellen. Es soll nur bedeuten, dass solche Fehler nie als Ursache des wellenartigen Verlaufs der Marktwirtschaft gelten können. Unsere kreislauftheoretische Erklärung der ökonomischen Zyklen ist eine, die sich von allen anderen - zumindest den etablierten - darin unterscheidet, dass sie den ökonomischen Akteuren keine Fehler unterstellt, die so gravierend wären, dass die Marktwirtschaft ihretwegen leiden müsste. Die ökonomischen Krisen bedeuten in unseren Analyse das Versagen des Marktes und nicht der Menschen. Sie sind ein Konstruktionsfehler der freien Ordnung.

Wenn es während der Depression - mehr oder weniger - überall unausgelastete Produktionskapazitäten gibt, taucht die Frage auf: Warum sollte überhaupt jemand noch investieren wollen? Die einzige Ausnahme können nur innovative Investitionen sein, die mit „Extraprofit“ (Marx) locken. Aber während der Überproduktion können nicht alle innovativen Investitionen dazu gehören, sondern nur solche, mit denen völlig neue Güter hergestellt werden können. Von den anderen, die nur die schon bekannten Güter kostensparender (produktiver) herstellen können, lässt sich nicht erwarten, dass sie zur Erholung etwas beitragen werden. Einer der besten - wenn nicht gar der beste - Analytiker der Großen Depression, Gerhard Kroll, hat dies mit einem einfachen Beispiel sehr treffend verdeutlicht:

„Angenommen, die neugekauften Automaten dienen der vermehrten und verbilligten Erzeugung von Schuhen, deren Produktion jetzt sprunghaft erhöht wird, so werden wahrscheinlich die bisherigen Schuhfabrikanten tödlich getroffen, denn ihr Absatz dürfte im gleichen Ausmaß zurückgehen, wie der der erstgenannten zu steigen beginnt. Sie werden jetzt die Produktion einschränken und Arbeiter entlassen müssen, und es ist sehr ungewiß, ob im ganzen die möglichen Mehreinnahmen der Maschinenfabrikanten die Verluste der Schuhfabrikanten nicht nur ausgleichen, sondern sogar überkompensieren werden. Anders ausgedrückt, wenn eine vermehrte Nachfrage in der einen Richtung des Wirtschaftskreislaufes sofort durch ein vermehrtes Güterangebot in einer anderen Richtung ausgeglichen wird, so heben sich die Wirkungen vermutlich gegenseitig auf, und die günstige Wirkung des Nachfragestoßes wird an anderer Stelle wieder rückgängig gemacht.“ ... >

Für die neoliberalen Theoretiker sollte bekanntlich die einzig richtige Medizin für das Wachstum immer Zins- und Lohnsenkung sein - auch während der Depression. So etwas mache angeblich neue kostspielige Investitionen rentabel, die in der Hochkonjunktur nicht durchgeführt werden konnten. Es ist aber unverständlich, warum diese Art der Kostensenkung andere Folgen haben sollte, als die - wie in dem obigen Beispiel mit Schuhen - durch innovative Investitionen. Sie würde auch nur die Konkurrenz auf dem übersättigten Markt verschärfen, durch die dann die Preise sinken werden, womit - wie wir schon gezeigt haben - noch mehr die Kaufkraft vernichtet wird.

Man darf nicht annehmen, dass die Bankiers die Lage auf dem Gütermarkt während der Depression nicht kennen und über die allgemeine Überproduktion nichts wüssten. Deshalb werden sie keinen rationalen Grund haben, mit den Krediten großzügiger zu sein. Da werden die Beschwörungen der sogenannten Wirtschaftswissenschaftler, Wirtschaftsexperten und Wirtschaftsprofessoren - wie etwa die von dem gescheiterten Bankier Schumpeter - nichts helfen. Außerdem stehen den Banken gerade während der Depression viel lukrativere Geschäfte in Aussicht. Die Firmen haben massenweise Liquiditätsprobleme - über sie kreisen schon die hungrigen Pleitegeier -, und deshalb werden sie erpressbar. Aber nicht nur die privaten Firmen, sondern auch Kommunen und Länder leiden während der Depression unter der Zahlungsunfähigkeit. Eine bessere Gelegenheit für die Banken, etwas zum Schleuderpreis zu ergattern, wird es nicht geben. Sie brauchen dann nur abzuwarten und sich die besten Stücke ausreißen. Man will es nicht glauben, aber schon vor mehr als anderthalb Jahrhunderten hat Marx dies genau erkannt und beschrieben:

„Das Kreditsystem, das seinen Mittelpunkt hat in den angeblichen Nationalbanken und den großen Geldverleihern und Wucherern um sie herum, ist eine enorme Zentralisation und gibt dieser Parasitenklasse eine fabelhafte Macht, nicht nur die industriellen Kapitalisten periodisch zu dezimieren, sondern auf die gefährlichste Weise in die wirkliche Produktion einzugreifen - und diese Bande weiß nichts von der Produktion und hat nichts mit ihr zu tun. Die Akte von 1844 und 1845 sind Beweise der wachsenden Macht dieser Banditen, an die sich die Finanziers und stock-jobbers anschließen.“ ... >

Was während der Depression geschieht, ist nichts anderes als eine unsinnige Zerstörung der Produktionsgüter und Menschen. Dass es sich angeblich um eine kreative Zerstörung handelt, dass die Depression eine segensreiche Wirkung zur Erneuerung der Vitalität des Kapitalismus entfaltet, ist eine den vielen Schmarren, die Schumpeter in die Welt gesetzt hat. Und es sind bestimmt nicht die Banken, die mit großzügigen Krediten diesem perversen Zustand ein Ende setzen. Wir wissen aus der Geschichte, dass es nie so war. Im schlimmeren Fall endeten Depressionen durch Kriege und Revolutionen, im besseren Falle rettete die Marktwirtschaft der Staat. Da stellt sich als nächste Frage, was der Staat konkret tun kann und mit welchen Mitteln.

Die möglichen Investitionsbereiche des Staates

Während der allgemeinen Überproduktion wäre es natürlich unsinnig, wenn der Staat durch zusätzliche Investitionen die Kapazitäten dort aufbauen würde, wo bei den privaten Unternehmen schon genug freie Kapazitäten zur Verfügung stehen. Schon Adam Smith hat aber festgestellt, dass der freie Markt nicht alle Güter und Dienste zur Verfügung stellen wird, die für eine Gesellschaft nützlich bzw. unentbehrlich sind, so dass es für den Staat doch genug Möglichkeiten gibt, zu investieren. Natürlich war für viele seiner Jünger auch diese Botschaft - neben einigen anderen - ein rotes Tuch. Nur wenige sind Smith gefolgt. Etwa Malthus. Er hat sich über die produktiven Aufgaben des Staates Gedanken gemacht und ist, was die ökonomischen Krisen im Besonderen betrifft, zur folgenden Schlussfolgerung gelangt:

„Ferner ist es wichtig, zu wissen, daß wir bei unseren Bemühungen, die arbeitenden Klassen in einer Zeit, wie die gegenwärtige es ist, zu unterstützen, am besten tun, sie mit solchen Arbeiten zu beschäftigen, deren Produkte nicht als verkäufliche Waren auf den Markt kommen, wie zum Beispiel beim Wegebau und anderen öffentlichen Anlagen.“ ... >

Heute wird man die Vorschläge von Malthus den Investitionen zur Herstellung der öffentlichen Güter zuordnen. Unter öffentlichen Gütern versteht man die Güter, welche die privaten Anbieter nicht produzieren, weil es nicht möglich ist, diejenigen die sie nutzen zur Bezahlung zu zwingen. Infolgedessen wird der Staat, der die Herstellung dieser Güter übernimmt, nicht den privaten Unternehmen Konkurrenz machen, und darüber hinaus würde die Gesellschaft - auch die Wirtschaft - Güter bekommen, die für sie von höchster Bedeutung sind. Der Analytiker der großen Depression, Gerhard Kroll, zählt zu diesen Gütern folgende:

„Hierfür am besten geeignet sind der Wohnungs- und Straßenbau (gegebenenfalls die Rüstung), ferner Kraftwerke, Staudämme, Kühlhäuser, Verkehrsanlagen sowie Kulturbauten aller Art, Theater, Krankenhäuser, Kirchen, Schulen, Universitäts- und Forschungsinstitute, Bäder, Sportanlagen, Schwimmhallen, Altersheime, Bibliotheken usw. Im Bereich der Landwirtschaft wären Zuschüsse für moderne Stallungen und Silos sowie Beihilfen zur Flurbereinigung, für Ent- und Bewässerungsarbeiten, für die Bodenmelioration, für Zwecke der Aufforstung usw. außerordentlich wichtig. Die Möglichkeiten sind schier unabsehbar, Bedarf ist grundsätzlich immer vorhanden, es käme nur darauf an, langfristige Programme vorzubereiten, so daß nicht erst mit den Planungen begonnen wird, wenn eine Krise bereits ausgebrochen ist.“ ... >

Heute würde man zu diesen öffentlichen Gütern auch all das hinzufügen, was mit dem Umweltschutz und regenerativen Energiequellen zu tun hat. Es gibt aber auch Bereiche, wo der Staat Investitionen für private Güter tätigen kann. Es sind Investitionen, so Kroll, deren Durchführung Zeit braucht, so dass sie erst nachdem das Wachstum angezogen hat, die Güter auf den Markt werfen. So wird das Wachstum nicht schon bei seinem Beginn von ihnen abgewürgt.

„Investitionen, die darin bestehen, daß nur ein paar in Betrieb befindliche Maschinen ausgewechselt werden, wobei die Zeit, die hierfür erforderlich ist, vernachlässigt werden kann, stehen solchen gegenüber, deren Erstellung Zeit (Monate, oft Jahre) beansprucht. Der Bau einer neuen Fabrikhalle, eines Elektrizitätswerkes, eines neuen Hochofens, die Erschließung von Rohstofflagern, Erdölquellen, Bergwerken usw. erfordert Zeit, ja sehr viel Zeit. Und diese Zeit ist für den Konjunkturverlauf von entscheidender Bedeutung, ihre Vernachlässigung hat die Erklärung des Konjunkturphänomens geradezu unmöglich gemacht.
Für die Erfüllung unserer Bedingung, die zur Auslösung eines möglichen Konjunkturaufschwungs unerläßlich ist, nämlich des Entstehens einer effektiven zusätzlichen Nachfrage, müssen Investitionen vorgenommen werden, die Zeit erfordern und deren Finanzierung aus zusätzlichen Kreditmitteln bzw. aus aufgelösten Horten erfolgt. Beide Bedingungen genügen aber andrerseits völlig, um die notwendige Umkehr der Wirtschaftsentwicklung nach oben einzuleiten.“ ... >

Aber auch Investitionen, die einfach nur groß bzw. kostenintensiv sind, werden ohne den Staat nicht getätigt. So schreibt John Stuart Mill, der Fahnenträger des politischen und ökonomischen Liberalismus des 19. Jahrhunderts, am Ende seiner Grundsätze der Politischen Ökonomie.

„Bei den besonderen Verhältnissen einer bestimmten Zeit oder eines bestimmten Volkes gibt es kaum etwas für die allgemeinen Interessen wirklich Wichtiges, das nicht vom Staate selbst unternommen werden sollte oder sogar müßte, nicht weil es von privater Seite nicht richtig ausgeführt werden könnte, sondern weil diese es nicht tun werden. Zu manchen Zeiten und an manchen Orten würde es keine Wege, Docks, Hafenanlagen, Kanäle, Bewässerungsanlagen, Hospitäler, Schulen, Universitäten, Druckereien geben, wenn sie nicht vom Staate ins Leben gerufen würden, da das Publikum entweder zu arm ist, um über die notwendigen Hilfsmittel zu verfügen, oder in seiner geistigen Bildung zu rückständig, um den Zweck der fraglichen Unternehmungen richtig zu würdigen, oder endlich in gemeinsamem Zusammenarbeiten zu wenig geübt, um zur Ausführung fähig zu sein. ... In vielen Teilen der Welt kann das Volk für sich nichts tun, was großer Mittel und gemeinsamer Tätigkeit bedarf: alles dies bleibt ungetan, wenn es nicht die Regierung tut.“ ... >

Dass die Privaten diese Aufgaben auch deshalb nicht ausüben werden, weil die Nachfrage fehlen kann, werden wir bei Mill, einem Verfechter des Sayschen Gesetzes, selbstverständlich nicht lesen können.

Auch die innovativen Investitionen, also der technische Fortschritt, war nie die private Angelegenheit der Marktwirtschaften. Das neue technische Wissen entsteht nicht von alleine, so dass es pfiffige Unternehmer nur aufspüren müssten und die privaten Banken sich dann darum reißen würden, es zu finanzieren. Die innovativen Investitionen werden von privaten Investoren deshalb nicht besonders gern in Angriff genommen, weil sie risikoreich sind. Was uns Schumpeter und die Neoliberalen erzählen, dass nämlich die Wettbewerbsfreiheit aus sich heraus genügend Kreativität schaffen wird, um neue Projekte voranbringen, vermag angesichts der deutschen Erfahrung in den letzten Jahrzehnten des 19 Jahrhunderts und der japanischen und koreanischen Erfahrungen kaum mehrzu überzeugen. Der Wettbewerb ist kein Entdeckungsverfahren, wie es Hayek behauptete. Innovationen werden nicht entdeckt, sondern gemacht. Neues Wissen ist nicht das, was uns die Natur zufällig zur Beobachtung freigibt, sondern das Ergebnis von Absicht und Planung. Das macht den Fortschritt teuer, so teuer, dass er sich für die sich selbst überlassenen privaten Unternehmer nicht lohnen würde. Die Entwicklung der letzten drei Jahrzehnte bestätigt das eindeutig. Nachdem sich der Staat immer mehr zurückzogen hat und alles dem Markt überließ, hat sich das Leben der Bürger nicht sehr viel verändert. Wenn wir mal von PCs und Handys absehen, wurden fast alle anderen Güter des privaten Verbrauchs schon vor langer Zeit erfunden. Auch die Produktivität der Wirtschaften wuchs in dieser Zeit etwa halb so schnell als während der ersten drei Jahrzehnte nach dem Krieg, als sich der Staat noch intensiv um die Forschung kümmerte. Alles spricht dafür, das die überzeugendsten Beispiele aller Zeiten, wie der Staat für den Fortschritt sorgen kann, aus der heutigen chinesischen Wirtschaft noch kommen werden.

Nur in einer Hinsicht, und zwar als Farce, hat sich die freie Marktwirtschaft als erstaunlich innovativ erwiesen. Die Innovationen der Banken in den letzten drei Jahrzehnten haben alles übertrumpft, was man sich je vorstellen konnte. Es sind bekanntlich Innovationen, mit denen sich dem Bürger das Einkommen aus der Tasche ziehen ließ, um es in riskante und hirnrissige Börsenprodukte zu lenken. Für die Sachkapitalinvestitionen im realen Unternehmenssektor ist da nicht viel übrig geblieben. Wie man sagt, die Wirtschaft hat sich „dematerialisiert“. Die Folgen sind katastrophal. So schlecht war das Abendland noch nie für die Zukunft gerüstet.

Die Quellen zur Finanzierung der staatlichen Investitionen

Die Zahl der Quellen, aus denen der Staat seine Ausgaben für die oben aufgeführten Tätigkeiten finanzieren kann, ist überschaubar. Dazu gehören im Prinzip nur Steuern, Schulden und Geldschöpfung. Die Steuern und die Schulden werden wir uns später, in dem Beitrag über die Schaffung der neuen Nachfrage durch staatliche Konsumausgaben,dorthin näher anschauen. Damit soll nicht gesagt werden, dass der Staat zur Überwindung einer Depression oder allgemein gesprochen zur Stärkung der Konjunktur sich der Steuern und der Schulden nicht bedienen darf, sondern nur, dass diese die staatliche Geldschöpfung durch schuldenfinanzierte Investitionen nicht ersetzen können. Durch Steuern und Schulden wird nämlich nur die bereits vorhandene Kaufkraft anders umverteilt, bei den schuldenfinanzierten Investitionen entsteht eine zusätzliche Kaufkraft. Das haben wir bei der Untersuchung der Kredite der privaten Banken näher erörtert.dorthin Jetzt wollen wir zeigen, wie der Staat durch Kredite bzw. Geldschöpfung ebenfalls zusätzliche Kaufkraft schaffen kann, und dies noch in mehrerer Hinsicht besser als die privaten Banken. Um diese Vorteile hervorzuheben, ist es angebracht, die schuldenfinanzierten Investitionen des Staates im Verhältnis zu denen der privaten Banken zu erklären und dementsprechend zu argumentieren.

Der Vollständigkeit halber erwähnen wir noch einmal, dass die Unternehmen, um investieren zu können, nicht unbedingt Banken bzw. Kredite brauchen. Sie können dies nämlich aus ihren eigenen Ersparnissen tun. Im letzteren Fall sprechen wir von einkommensfinanzierten Investitionen. Wenn die Unternehmen Kredite der Banken benutzen, um diese zu investieren, handelt es sich hauptsächlich um schuldenfinanzierte Investitionen. Es ist dabei nicht gemeint, dass sich ein Unternehmen durch Kredite bei einer Bank verschuldet, sondern dass die Banken nicht - beziehungsweise nur wenig - Ersparnisse brauchen, um diese Kredite zu finanzieren. Wie bereits gezeigt, durch Vorsprung oder Vorwegnahme der Ersparnisse, schaffen die privaten Banken temporal mehr Kaufkraft. Die Banken sind folglich eine institutionelle Form für die Schaffung von Kaufkraft durch schuldenfinanzierte Investitionen. Es gibt aber keinen Grund anzunehmen, dass die Geschichte bzw. die Wissenschaft hier schon das letzte Wort gesprochen hat. Die privaten Banken müssen nicht die einzige institutionelle Form für die Schaffung der Kaufkraft durch schuldenfinanzierte Investitionen bleiben. Nach der sogenannten „Finanzkrise“, die seit 2008 andauert, lässt sich nicht mehr daran zweifeln, dass die privaten Banken viel Schaden anrichten können. Natürlich kann man bei ihnen vieles nachbessern, aber das wird nicht reichen, weil die privaten Banken immer zuerst im Sinne ihrer partiellen Interessen handeln: Profit zu erwirtschaften. Deshalb muss der Staat bestimmte Aufgaben des Finanzsektors übernehmen. Er muss im wahrsten Sinne des Wortes das Recht bekommen, Geld bzw. Kredite aus nichts zu schaffen. Diese Idee ist natürlich alles andere als neu. Es kann uns folglich nur darum gehen, die beste institutionelle Form dafür herauszufinden. Die Suche danach ist heute, nach der sogenannten „Finanzkrise“, aktuell wie schon lange nicht mehr, so dass sich darüber so manche Ökonomen Gedanken machen. Da ist es angebracht, auf eine Initiative aufmerksam zu machen, die ich interessanter als andere finde. 

„Ich meine die Initiative, die sich Monetative nennt. Sie vertritt die Auffassung, dass das Vorrecht der Geldschöpfung, dies ist mit „Monetative“ gemeint, dem Staat gehören sollte. Die „Monetative“ soll zur Vierten Gewalt im Staat werden, neben der Legislative, Exekutive und Judikative. Staatliches Geld, nicht Verstaatlichung der Banken wird von der Initiative verlangt. Die „Inumlaufbringung“ des neuen Geldes sollte durch öffentliche Ausgaben realisiert werden. Man muss nicht mit allem einverstanden sein, was diese Initiative verlangt, und vor allem muss man ihre Vorstellung über die Funktionsweise der Marktwirtschaft nicht teilen, aber manche interessanten Gedanken als Inspiration findet man dort ganz bestimmt.“ ... >

Wir haben die schuldenfinanzierten Investitionen der Banken anhand eines numerischen Beispiels untersucht, aus einem einfachen Grund: Geld, Kredit und Investitionen sind Quantitäten, und wenn es um quantitative Zusammenhänge geht, lassen sich diese niemals mit Worten alleine analysieren. Mit Worten lässt sich bekanntlich mit beliebiger Unschärfe über die Schwierigkeiten hinweg gleiten und letztendlich wird gar nichts Bestimmtes gesagt und was gesagt wird, ist meistens falsch. Deshalb ist schon ein einfaches numerisches Beispiel eine viel bessere Grundlage für relevante Schlussfolgerungen als nie enden wollende verbale Argumentationen. Der Leser der vorigen Beiträge wird es leicht erraten, dass es uns auch weiterhin um das gewohnte dreisektorale Beispiel gehen wird. Um den folgenden Text eigenständig zu machen, damit der Leser nicht ständig „zurückblättern“ muss, stellen wir dieses Beispiel als Flussdiagramm noch einmal dar, mit einer kurzen Erklärung, die sich aber nur auf das unbedingt Nötige beschränkt.

In unserem Beispiel produzieren zwei Sektoren Produktionsgüter und der dritte Konsumgüter. Das linke Flussdiagramm zeigt diese dreisektorale Wirtschaft im stationären Zustand, der sich beliebig lange unverändert wiederholen lässt. In diesem Zustand sind alle Ströme geschlossen. Das betrifft sowohl jeden einzelnen Sektor, also die Produktion, als auch den Konsummarkt: Die gesamte Nachfrage nach den Konsumgütern (die Summe der externen Inputs aller Sektoren) ist gleich dem gesamten Angebot an den Konsumgütern (dem Output des Sektors 3). Kurz gesagt: Die Wirtschaft im linken Flussdiagramm ist im Gleichgewicht.

   
      Nettoeinkommen:      
  Sektor 1: 1000  
  Sektor 2: 880  
  Sektor 3: 2000  
3880  
 
    Konsumproduktion:    
  Sektor 1: 0  
  Sektor 2: 0  
  Sektor 3: 4000  
4000  

In dem rechten Flussdiagramm beginnt die Wirtschaft zu wachsen. Wenn eine Wirtschaft zu wachsen beginnen will, muss zuerst ein Teil des Kapitals den Konsum produzierenden Sektoren - bei uns ist dies nur Sektor 3 - entzogen werden. Man bezeichnet dies als Reallokation.dorthin Im rechten Flussdiagramm wurde angenommen, dass Sektor 2 seine Investitionen, die er dem Sektor 3 entzogen hat, aus eigenen Ersparnissen finanziert, und gerade das hat Nachfrageprobleme verursacht. Die Nettoeinkünfte der Wirtschaft, wie es die Tabellen rechts zeigen, reichen dann nicht mehr für das gesamte Angebot aus den bereits hergestellten Konsumgütern aus. Die Wirtschaft gerät damit ins Ungleichgewicht. Unsere bisherigen Untersuchungen haben ergeben, dass die Wirtschaft andere Möglichkeiten hat, das Wachstum zu beginnen. Sie muss die neuen Investitionen nicht aus dem eingesparten Einkommen, sondern aus Vorsprungsprofitendorthin oder mit Krediten der privaten Bankendorthin finanzieren. Das vermittelt den Eindruck, dass es für eine sich selbst überlassene Wirtschaft kein Problem sein sollte, sich von alleine aus der Depression zu befreien, was aber nicht zutrifft. Wir haben nämlich bei der Analyse dieser zwei Optionen etwas außer Acht gelassen. Während der Depression gibt es die allgemeine Überproduktion, und diese vermindert die Wirksamkeit dieser zwei Optionen erheblich. Vor allem auf die privaten Banken ist dann wenig Verlass. Bei solchen Umständen bieten sich ihnen viel lukrativere Geschäfte an, als die Finanzierung von neuen Investitionen. Schauen wir uns dies genauer an.

Der Unterschied zwischen den schuldenfinanzierten Investitionen des Staates und der Banken

Währen der Depression hat mehr oder weniger jedes Unternehmen Absatzprobleme. Nach der neoliberalen Auffassung sollte das betroffene Unternehmen die Preise seiner Produkte senken, es würde dann mehr absetzen können und alles würde in Ordnung sein. Wir haben aber gezeigt, dass die Preissenkung die Nachfrage der Wirtschaft mindert, und wenn die Nachfragelücke schon vorhanden war, wird sie durch die Preissenkung noch größer.dorthin Das sind makroökonomische Gründe, die gegen die Preissenkung sprechen, aber die mikroökonomischen sind nicht weniger relevant. Für ein Unternehmen ist es normalerweise unmöglich, Preise wesentlich zu senken. Es kann zwar auf den reinen Gewinn verzichten, aber dieser ist nur ein kleiner Einzelposten des Gesamtpreises bzw. der Produktionskosten. Was tun mit den restlichen Kosten, die den Angebotspreis ausmachen? Ein großer Anteil des Preises geht auf verbrauchte und verschlissene Produktionsgüter (Amortisation) zurück. Es gibt natürlich immer auch Unternehmen, die ihre Produktionsmittel schon vollständig abbezahlt haben; diese können von der Substanz des Unternehmens etwas verschenken, um den Rest zu retten und damit die Krise zu überleben. Das würden sie verständlicherweise nur in der äußersten Not tun wollen. Diese ultima ratio steht jedoch nicht vielen Unternehmen zur Verfügung, die ihr Kapital noch nicht abbezahlt haben. Deshalb entscheiden sich die Unternehmen während der Depression im Allgemeinen lieber dafür, die nicht verkäuflichen Güter zuerst zu lagern. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt: Die Konjunktur kann sich nämlich überraschend bessern und die Kunden werden dann zurückkommen. Um diese Zwischenzeit finanziell zu überbrücken, wenden sich die Unternehmen an die Banken.

Man kann von den privaten Banken jedoch nicht erwarten, dass sie den gefährdeten Unternehmen einfach so unter die Arme greifen. Sonst würden sie die Ersparnisse der Gläubiger in Gefahr bringen. So etwas zu tun, kann ihnen auch der Staat nicht befehlen und schon gar nicht dann, wenn die Konjunktur einbricht. Wie dann der Staat machtlos ist, haben wir nach der sogenannten Finanzkrise im Jahre 2008 erfahren. Um zu vermeiden, dass sich die Liquiditätsprobleme wie Lauffeuer verbreiten, blieb dem Staat nichts anderes übrig, als den Banken bedingungslos das Geld anzubieten mit der sanften Bitte, dieses den Not leidenden Unternehmen weiter zu reichen. Unsere Regierung, die sonst monate- oder gar jahrelang über irgendwelche Staatsausgaben im Parlament Streitorgien veranstaltet, hat bekanntlich in einem Nacht- und Nebelverfahren für die Banken sage und schreibe einen 480-Mrd.-Euro-Rettungsfonds gestemmt.

Es ist an dieser Stelle angebracht zu sagen, dass die Bereitstellung des Rettungsfonds nach der „Finanzkrise“ genau dem entspricht, was der Stammvater des amerikanischen Monetarismus, Milton Friedman, raten würde. Seine Untersuchungen haben bekanntlich ergeben, dass die Große Depression angeblich deshalb zu einer Katastrophe wurde, weil damals der Wirtschaft, als sie große Liquiditätsprobleme hatte, nicht genug Geld zur Verfügung gestellt wurde. Daraus sollte man die Lehre ziehen, dass der Wirtschaft immer genug Geld zur Verfügung gestellt werden sollte. Schon in dem Maße wie sie wächst, sollte die Wirtschaft automatisch auch mehr Geld bekommen, und zwar nach einer festen Regel. Dies sollte, so Friedman, dann auch die einzige Regelung sein, welche eine Marktwirtschaft bräuchte, alles andere könne bzw. müsse unbedingt der privaten Initiative überlassen werden. Dann würde es nie mehr Krisen geben. Nach dieser Vorstellung wurde der Kapitalismus in den letzten drei Jahrzehnten „reformiert“, und es schien vorerst, dass dies funktioniert hat - zumindest denjenigen, die schon immer an freie Märkte geglaubt haben. Zum Beispiel hat Friedman auch Ben Bernanke überzeugt. Am 8. November 2002 hielt dieser, als Gouverneur im Federal Reserve Board, in Chicago eine Rede zu Ehren Milton Friedmans. Anlass war dessen 90. Geburtstag. „Wie jeder unter uns weiß“, sagte Bernanke, „haben Friedman und Schwartz in ihrer Monetary History die Auffassung vertreten, der wirtschaftliche Zusammenbruch der Jahre 1929-32 sei zustande gekommen, weil der geldpolitische Mechanismus unseres Landes nicht richtig funktionierte“. Seinerzeit, so Bernanke weiter, habe die Fed die Zügel angezogen, um der Spekulation zu begegnen, und deswegen musste die Wirtschaft kollabieren. Aber man habe die Lektion für alle Zeiten gelernt. Fast pathetisch schloss Bernanke mit den Worten:

„Erlauben Sie mir, meine Rede zu beenden, indem ich meine Stellung als offizieller Vertreter der Federal Reserve ein wenig missbrauche. Ich möchte Milton und Anna gern sagen: Was die Große Depression angeht, habt Ihr Recht. Wir waren schuld. Es tut uns sehr leid. Aber euretwegen werden wir es nie wieder tun.“

Womit hatten Milton Friedman und Anna Schwartz eigentlich Recht? Dass die Wirtschaft, wenn sie abstürzt, mit Geld überflutet werden sollte? Auf den ersten Blick scheint dies zu stimmen. Man hat nach dem Absturz der Weltwirtschaft im Herbst 2008 die Banken mit dem Geld der Steuerzahler überflutet und die Weltwirtschaft ist tatsächlich nicht so total zusammengebrochen wie in der Großen Depression. Aber laut Friedman hätte der freien Wirtschaft der Absturz wie im Herbst 2008 nie passieren dürfen. Deshalb haben er und seine Jünger sich keine Gedanken darüber gemacht, was man danach tun würde. Es herrscht eine allgemeine Verwirrung im ökonomischen Mainstream. Sollten wir jetzt dieses Geld allmählich abziehen, weil es nach der Quantitätstheorie des Geldes - für die Friedman den Nobelpreis bekam - zur gewaltigen Inflation kommen müsste? Würde man aber damit nicht gerade das tun, was Friedman als die Ursache für die Große Depression diagnostiziert hat?

Der Monetarismus ist gescheitert. Trotzdem war nicht alles falsch bei ihm. Friedmans Auffassung, für das Geld keine Deckung zu suchen, sondern seine Menge kontinuierlich zu erhöhen, damit sie mit dem Wachstum Schritt hält, war bestimmt eine bessere Alternative als der Goldstandard, aber noch keine Lösung um das Marktversagen zu verhindern. Alles andere, wofür sich der Monetarismus eingesetzt hat, war nichts anderes als eine Version des althergebrachten Neoliberalismus mit fatalen praktischen Folgen. Daran lässt sich heute nicht im Geringsten zweifeln. Wenn überhaupt, dann bleibt nur noch zu klären, ob der Monetarismus Dummheit oder Absicht war. Aber darum geht es uns jetzt nicht. Wir wollen mit unserem Beispiel nur zeigen, warum die schuldenfinanzierten Investitionen des Staates zur Vermeidung der heutige Krise hätten beitragen können und wie sie zur Rettung aus der Sackgasse, in der sich die Marktwirtschaft im Augenblick befindet, beitragen können. Unser numerisches Beispiel soll sich auf den letzteren Fall beziehen, nicht nur weil dies den aktuellen Umständen besser entspricht, sondern weil die Schlussfolgerungen damit aussagekräftiger sein werden.

Die Ausgangsbedingungen unseres Beispiels sind also die der Depression: die allgemeine Überproduktion. Das bedeutet, dass mehr oder weniger alle Unternehmen Absatzprobleme und damit Zahlungsprobleme haben. Diesen Unternehmen können dann nur die Banken helfen, aber auch wenn sie es wollten, allen würden sie nicht finanziell unter die Arme greifen können. In einer freien privaten Wirtschaft ist dies auch nicht ihre Aufgabe. Ihre Aufgabe ist es, mit Geld mehr Geld zu verdienen, und wann wird man mehr verdienen können, als wenn man die in Schwierigkeiten geratenen Unternehmen erpressen kann. Deshalb beginnen sie nach dem Absturz der Wirtschaft wie Geier, die den Geruch der Verwesung gewittert haben, ihre Kreise über den gefährdeten Unternehmen zu drehen.

Der Marktwert der Unternehmen, die nicht genug Finanzmittel für ihr Überleben besorgen könnten, wird schnell auf Null zurückgehen, obwohl ihre Produktionskapazitäten noch voll funktionsfähig sind. Nehmen wir an, dies ist der Fall mit dem Unternehmen X. Es hat nichts falsch gemacht, im Gegenteil. Es war während der Hochkonjunktur sehr erfolgreich und hat sich - nach gründlichen Überlegungen und Marktforschungen - entschieden, kräftig zu investieren, und seine Bank hat ihm noch bereitwillig Kredit genehmigt. Damals konnte es sogar sehr gute Kreditkonditionen aushandeln. Nun brach die Wirtschaft zusammen und das Unternehmen X hat keine Möglichkeit, seine Schulden zurückzuzahlen. Als den Forderungen aller Geschäftspartner irgendwie nachgegangen wurde, blieb von ihm eine schwarze Null. Der Staat müsste dann, im Rahmen des Konkursverfahrens, das hinterbliebene reale Vermögen noch auf eigene Kosten entsorgen. Da setzen wir mit unserem Beispiel an. Wir lassen jetzt den Staat anders vorgehen. Er sollte das Unternehmen nicht abwickeln, sondern es übernehmen und ihm mit eigenen Krediten ermöglichen, öffentliche Güter herzustellen. Welche Güter es konkret sein sollen, ist nicht wichtig - es hängt von der realen Struktur der konkreten Wirtschaft ab.

Damit unser Beispiel besser zu den obigen Flussdiagrammen passt, nehmen wir an, dass der Staat vom Unternehmen X Produktionsmittel im Wert von 120 übernommen hat. Ihr Marktwert ist Null und sie sind buchhalterisch abgeschrieben, so dass der Staat für sie nicht aufkommen muss. Die einzigen Kosten für die staatlich organisierte Produktion der öffentlichen Güter reduzieren sich somit auf die Kosten der Beschäftigten. Nehmen wir ferner an, dass diese Kosten für die Nettoeinkünfte während der Reproduktionsperiode t+1 nominal dem Wert 120 entsprechen. Der Staat soll aber diese Kosten weder aus Steuern noch aus Schulden finanzieren, sondern mit dem Giralgeld, das er aus nichts schafft. Das kann der Staat heute natürlich nicht tun, aber wir nehmen an, er würde dies dürfen. Um zu quantitativen Schlussfolgerungen zu gelangen, zeichnen wir uns gleich die Tauschtabelle für diese Reproduktionsperiode. Die Daten die uns fehlen entnehmen wir aus den vorigen Flussdiagrammen.

   
1 2 3 4
 
    5     6     7       8     9  
 
 
ANGEBOT 
  Sektor 1     Sektor 2        Staat        Sektor 3  
    t + 1    
geier   Sektor 1     Sektor 2       Staat       Sektor 3         GELD      
-   /   +
NACHFRAGE  
  1
  2
  3
  4
  Sektor 1     
  Sektor 2     
Staat      
  Sektor 3     
    1620                1880   
2500               
              
1000    880    120    2000   
=
=
=
=
      2500               1000      
   1620           880      
(120!)           120        -120   
   1880           2000    120    
       Sektor 1    
       Sektor 2    
       Staat
       Sektor 3    

Obwohl Sektor 2 jetzt genauso viel aus eigenem Einkommen eingespart und investiert hat, wie in dem rechten Flussdiagramm, bleibt die Wirtschaft trotzdem im Gleichgewicht. Das dürfte uns nicht überraschen. Die gleiche Auswirkung der schuldenfinanzierten Investitionen konnten wir nämlich schon feststellen, als wir im vorigen Beitrag die Kredite der privaten Banken untersucht haben.dorthin Aus der obigen Tauschtabelle lässt sich auch unmittelbar entnehmen, dass der - aus dem Nichts geschaffene - Kredit des Staates, der ursprünglich für die Zahlung der Nettoeinkünfte in dem staatlichen Unternehmen nötig war, letztendlich zum Einkommen des Sektors 3 wurde. Auch wenn das Giralgeld aus nichts geschaffenes Geld war, ist es also nirgendwo verschwunden, sondern an einer Stelle des Systems als ein ganz normales Einkommen aufgetaucht. Da diesem Einkommen keine Güter gegenüber stehen, kann es nur eingespart werden. Wir erinnern uns, dass auch dies bei den privaten Banken nicht anders war. Im Folgenden wollen wir nun herausfinden, was die schuldenfinanzierten Investitionen der Banken und des Staates nicht gemeinsam haben. Wir belassen es bei den drei wichtigsten Punkten:

  Heben wir noch einmal ausdrücklich hervor, dass aus nichts geschaffene Geld immer irgendwann als Einkommen zurückkommen muss, weil Kauf und Verkauf zwei Seiten derselben Medaille sind: die Ausgaben des einen sind die Einnahmen des anderen. Dabei bleibt sich gleich, ob als Zahlungsmittel „richtiges“ Geld oder „nur“ Giralgeld benutzt wird. Auch wenn der Staat das neue Geld schafft, das Einkommen, das diesem Geld korrespondiert, wird nachher bei den privaten Banken eingelegt werden können. Aber der Staat könnte dieses Einkommen auch bei sich sparen lassen. Das wäre sinnvoll, wenn es zu erwarten wäre, dass sonst die Preise auf dem Konsummarkt stark steigen würden. Ist dies nicht der Fall, hat der Staat keinen Grund dies zu tun. Er könnte problemlos die potenziellen Sparer den privaten Banken überlassen, die dann die Ersparnisse an die willigen Konsumenten oder Investoren weiter reichen würden. Dann hat der Staat sozusagen der Wirtschaft zum zweiten Mal neue Kaufkraft geschenkt, und das ist im Prinzip auch gut so, angesichts der Tatsache, dass die Wirtschaft immer von der Nachfrageseite gefährdet ist. Das können wir mit einer alten Metapher verdeutlichen: Eine lange Beobachtung der Tatsachen hat schon die klassischen Ökonomen auf den Gedanken gebracht, das Geld mit dem Öl der Wirtschaft zu vergleichen: Es sei ein Mittel, mit dem die ökonomische Maschine geschmiert wird. Dieser Vergleich muss aber weitergeführt werden. Die Wirtschaft ist genauer gesagt eine Maschine, die ständig Öl verliert, das folglich ständig ersetzt werden muss, soll sie sich nicht festfressen. 

  Die verschuldeten Unternehmen wollen ihre Kredite immer tilgen, um nicht immer weiter Zinsen zahlen zu müssen. Ohne Zinsen bleibt die Bank ohne Einkünfte. Für sie wird dies bestimmt vom Nachteil sein, wenn sie keinen neuen Schuldner finden würde. Die plötzliche Tilgung einer größeren Menge von Bankkrediten kann aber für die ganze Wirtschaft, also makroökonomisch betrachtet, zum Problem werden. Wenn an der Stelle der alten Schuldner nicht gleichzeitig neue Schuldner treten, könnte die schrumpfende Nachfrage das Wachstum verlangsamen und zum konjunkturellen Einbruch führen. Das ist der große Nachteil der schuldenfinanzierten Investitionen, wenn sie von den privaten Banken geschaffen werden. Weil es sich dabei nicht um Missbrauch handelt, wird man dagegen nie etwas tun können. Es ist ein Nachteil, der dem Kreditsystem immanent ist. Tilgung gehört zur Funktionsweise der Marktwirtschaft und sie ist normalerweise nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig. Sonst würden die Unternehmen die Ersparnisse der anderen in die eigene Tasche stecken können. In unserem Beispiel dagegen, wo ein staatliches Unternehmen öffentliche Güter produziert, hat die Tilgung bzw. Rückzahlung der Kredite keinen Sinn. Im 19. Jahrhundert, als das Geld noch an Gold gekoppelt war, war das noch anders. Als der Staat mit Gold-Geld etwas finanzierte, musste er sich durch Steuern sein Gold-Geld zurückholen, wenn er noch je etwas finanzieren wollte. Vor diesem Hintergrund betrachtet, ist es einleuchtend, warum der „Frühkeynesianer“ Heinrich Gall - siehe Motto - es für wichtig hielt, dass das vom Staat ausgegebene Geld für die Finanzierung des öffentliches Gutes „noch bis zum letzten Pfennig im Lande seyn wird“. Bei dem Giralgeld, das nichts anderes als eine niedergeschriebene Zahl ist, hat der Staat keinen vernünftigen Grund, sein „Geld“ von irgendjemand zurückzufordern, aber einen gewichtigen Grund dafür, dies nicht zu tun. Er würde damit der Wirtschaft um den gleichen Wert die Nachfrage vermindern. Auch hier kann uns der Vergleich mit dem Öl und der Maschine die Problematik verdeutlichen. Wenn die Maschine ständig Öl verliert, kann man nicht „antizyklisch“ denken und sagen: Mit dem zusätzlichen Öl hat es gut funktioniert, man kann jetzt die nachgefüllte Menge wieder abzapfen.

  Während der Depression, so Keynes, wäre es besser als nichts zu tun, wenn das Schatzamt alte Flaschen mit Banknoten füllen und vergraben würde und sie dann von den privaten Unternehmen ausgraben ließe. Ob dies als ein Stück trockenen englischen Humors angesehen werden sollte? Das auch, aber voraussichtlich nicht nur. Keynes konnte sich denken, mit welchen Hindernissen der Staat - im Würgegriff der Lobbyisten der Kapitalbesitzer und Reichen - rechnen muss, wenn er etwas Vernünftiges machen will. Aus der Sicht der Privatwirtschaft kann der Staat wirklich niemals etwas richtig machen, und es lässt sich unschwer verstehen, was hinter dieser Auffassung steht. Wird ein bankrottes Unternehmen nicht gerettet, sondern einfach liquidiert, ist dies für alle Unternehmen aus der gleichen Branche das Beste, was ihnen überhaupt zustoßen kann. Sie haben sich eines potenziellen Konkurrenten für immer entledigt. So werden den privaten egoistischen Interessen zuliebe die intakten Maschinen verschrottet, im Hochofen eingeschmolzen, damit später die gleichen Maschinen mit Profit hergestellt werden können; die nicht fertig gestellten Bauten werden abgerissen, damit sie später, wieder mit Profit, aufgebaut werden können; die Arbeiten an der Infrastruktur werden rückgängig gemacht, damit man später alles von vorne beginnen kann usw. In der Sprache der Marktgläubigen spricht man von Optimierung, Gesundschrumpfen, Beseitigung der strukturellen Ungleichgewichte und ähnlichem. So wird ein heller Wahnsinn in einer perversen Sprache, der die Neusprache von Orwell Ehre machen würde, noch als etwas Positives verkauft. Diese Zerschlagung von bereits geschaffenen Werten kann nur der Staat verhindern. Mit unserem Beispiel wurde dies verdeutlicht. Dort hat das aus nichts geschaffene Geld des Staats materielle Güter (Produktionsmittel) im Wert von 120 vor der Zerstörung gerettet und im Endergebnis der Gesellschaft ein öffentliches Gut im Wert von 240 geschenkt.

 
 
     
 
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