2. Phase des ökonomischen Zyklus der Marktwirtschaft: Die Erholung (Aufschwung)
  Die Lösung des alten Rätsels: Warum mehr Kanonen mehr Butter bedeuten
       
 
Es verwundert daher nicht, daß die wirtschaftliche Entwicklung häufig ein Nebenprodukt des Strebens nach politischer und militärischer Stärke ist.
 
  Albert O. Hirschman, Die Strategie der wirtschaftlichen Entwicklung, 1967    
       
 
Da Amerikas äußere Macht auf der Stärke seiner Wirtschaft beruht, haben wir es mit einem Paradox zu tun: Traditionell standen Imperien vor der Wahl zwischen „Kanonen“ und „Butter“ - zwischen Militärausgaben und Konsum - und wurden durch extreme Verschuldung eingeschränkt. Das amerikanische Imperium hingegen braucht den Konsum, um das Wirtschaftswachstum anzuregen, was es ihm wiederum ermöglicht, mit solcher Leichtigkeit seine Militärausgaben zu bestreiten.
 
  Niall Ferguson, Das verleugnete Imperium, 2004    

Die neoliberale Theorie hat uns weisgemacht, über Hitler und die Naziherrschaft lasse sich nicht wie über eine beliebige „normale“ historische Epoche sprechen, sonst würde man sich verdächtig machen. Dies war für sie ein Befreiungsschlag, und zwar  in zweierlei Hinsicht: Zum einen entzieht sie sich der Verantwortung für die Umstände, die diese Epoche erst möglich gemacht haben, und zum anderen verschleiert sie die ökonomischen Erfolge, die auf eine reale ökonomische Alternative zur laissez-faire Marktwirtschaft hinweisen. Dadurch dürfen wir uns aber nicht einschüchterm lassen, im Gegenteil, sondern es verpflichtet uns umso mehr, über diese Epoche zu sprechen. Etwas anderes wäre nicht nur fahrlässig, sondern sogar wissenschaftlich unseriös. Wir wissen, dass die Medizin ihre Kenntnisse über die Funktionsweise des Organismus sehr oft der Erforschung von Krankheiten zu verdanken hat, also der Erforschung sehr spezifischer und extremer Situationen. Und auch die Experimente in den anderen Naturwissenschaften werden sehr oft absichtlich so gestaltet, dass die Umstände des untersuchten Phänomens sehr spezifisch oder gar extrem sind. Wie makaber es auch klingen mag, der Nationalsozialismus ist ein vorzügliches, wenn auch brutales Experiment für die Wirtschaftswissenschaft.

Dank des nationalsozialistischen „Experiments“ wissen wir, was die Ausgaben des Staates tatsächlich bewirken, und dass sie gar keine Deckung und Rückzahlung brauchen. Ihre Rückzahlung seien die durch sie geschaffenen öffentlichen Güter, sagte Hitler immer wieder. Bis dahin kann man ihm nicht nur folgen, sondern man muss ihm uneingeschränkt Recht geben. Leider gehörten nach seiner Auffassung zu den öffentlichen Gütern auch Waffen, oder besser gesagt diese erst recht. Wen wundert also, dass die Verfechter der neoliberalen Theorie allzu gern die damaligen Staatsausgaben mit den Rüstungsausgaben gleichsetzen und dies als Totschlagargument gegen die Staatsausgaben (deficit spending) verwenden. Deshalb ist es angebracht, hier Klarheit zu schaffen.

Die Verleumdung von Hitlers Erfolgen als einen fatalen Rüstungskeynesianismus

Für Diktaturen war es bekanntlich nie ein Problem, jeden arbeitsfähigen Bürger zur Arbeit zu zwingen, und zwar nicht zu irgendwelcher Arbeit, sondern zu einer gesellschaftlich nützlichen. Einer Gesellschaft kann nämlich die Arbeit nie ausgehen. Daraus lässt sich unmittelbar folgern, dass es für Diktaturen auch kein Problem sein dürfte, die Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Dies könnte als ein Grund angeführt werden, warum Hitler so erfolgreich die Arbeitslosigkeit beseitigte. Nun ist es aber so, dass Hitler kein kommunistischer Planer war, der für jeden einzelnen genau bestimmte, wo und was er arbeiten solle, sondern dies wurde ohne nennenswerte Ausnahmen dem Markt überlassen. Wenn also die Naziwirtschaft keine Planwirtschaft war und es ihr trotzdem gelungen ist, die Arbeitslosigkeit derartig erfolgreich zu besiegen, was war dann das Geheimnis von Hitler? Nach der neoliberalen Theorie müsste es nur darin liegen, dass er die Löhne und Sozialausgaben drastisch gesenkt hat. Ein anderes Rezept gegen die Arbeitslosigkeit kennt diese Theorie bekanntlich nicht. Das trifft aber für Hitler nicht zu. Es waren Hitlers Vorgänger, die immer wieder die Löhne und Sozialausgaben gesenkt und nur mehr Arbeitslose produziert haben, Hitler hat dies nicht getan. So hat sich noch einmal empirisch erwiesen, dass nichts von dem, was die neoliberale Theorie behauptet, richtig ist. Was bleibt da von dieser falschen und menschenverachtenden Theorie noch übrig?

Eigentlich nichts, aber sie musste sich etwas ausdenken, um ihre Verantwortung für den Nationalsozialismus von sich zu weisen. Wen wundert also, dass man so viel Unsinn über die Ursachen des Nationalsozialismus liest. Sogar ernstzunehmende Biographen von Hitler sprechen mit einer seltsamen Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit von der „Dämonie der Macht“, „hypnotischen Augen“ oder gar „okkulten Kräften eines afrikanischen Medizinmannes oder eines asiatischen Schamanen“. Hatte Hitler etwa die Massen hypnotisiert, sie in die Rüstungsbetriebe gepfercht und sie gezwungen, Waffen zusammenzuschrauben? Die Tatsachen sprechen aber eine andere Sprache.

„Die Vollbeschäftigung für alle Arbeitsfähigen wird bis 1936/37, entgegen zäher Legende, nicht erreicht durch ... Aufrüstung. Die Wende auf dem Arbeitsmarkt wird erreicht, als Rüstungsaufträge und Truppenverstärkung nur bescheidene Umfänge aufwiesen. ... Für den Wirtschaftsaufschwung spielen die Aufwendungen für die Aufrüstung 1933 bis 1935 nur eine verhältnismäßig geringe, 1936 bis 1937 eine normale bis große und erst 1938 bis 1939 eine riesige Rolle.“ ... >

In den konkreten Zahlen (in Mrd. RM) sieht es dann so aus:

1928 1932 1933 1934 1935 1936 1937 1938    
  Rüstung: 0,8 0,6 0,7 3,3 5,2 9,0 10,9 15,5    
  Sonstige: 9,5 5,0 5,6 5,9 7,3 7,9 9,5 10,7 ... >

Aber auch das ist noch nicht die ganze Wahrheit:

„So waren 1939 die Militärausgaben im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt kaum höher als in Großbritannien.“ ... >
„Es wäre ein Irrtum zu glauben, das Ausmaß der Rüstung wäre von Anfang an übermäßig hoch gewesen. Verglichen mit den Rüstungsausgaben anderer Staaten wird man das frühestens vom Herbst des Jahres 1936 an behaupten dürfen. Die Rüstung lief allmählich an, zum großen Teil mußten Rüstungswerke erst wieder aufgebaut werden. Die Bestimmungen des Versailler Vertrages über die deutsche Abrüstung waren von derartig einschneidender Wirkung gewesen, daß es einen überhaupt wunder nimmt, wie es möglich war, in 5 Jahren eine deutsche Wiederaufrüstung durchzuführen, die Deutschland befähigte einen sechsjährigen Krieg zu führen, und die es zum Schrecken der Welt werden ließ.“ ... >

Es waren also nicht die Rüstungsausgaben, mit denen Hitler die Arbeitslosigkeit besiegte. Sein Sieg über die Arbeitslosigkeit war kein Nebenprodukt der Kriegsvorbereitung, wie die neoliberalen Wirklichkeitsverdreher und Manipulatoren es gern hätten. Und es ist auch gut, dass es nicht so war. Wir können nämlich davon ausgehen, dass auch heute wie schon damals es möglich wäre, mit schuldenfinanzierten Investitionen des Staates die Arbeitslosigkeit zu besiegen.

„Deutschland bildet das beste Beispiel dafür, daß durch systematisch vorgenommene Investitionen in einer rückständigen Wirtschaft mit hohem Potenzial hervorragende Ergebnisse erzielt werden können.“ ... >

Die vom Staat schuldenfinanzierten Ausgaben sind also nicht nach einem kurzen „Strohfeuer“ in der Inflation ohne reale Effekte verpufft, wie die Neoliberalen es immer wieder sakrosankt behaupten, im Gegenteil. Sie haben für ein nachhaltiges und sogar beschleunigtes Wachstum gesorgt, und zwar auch mit einer steigenden Konsumproduktion. Zuerst ist der Konsum nur durch die höhere Zahl der Beschäftigten, später auch durch real steigende Stundenlöhne gestiegen. Erst dann begann Hitler, seine Waffenproduktion zu steigern. Das geschah im Jahre 1936. Was hätte dann, nach der neoliberalen Auffassung, passieren müssen? Dies ist eine gute Gelegenheit, ihre theoretischen Aussagen praktisch zu testen.

Nach der neoliberalen Auffassung musste spätestens dann die Konsumproduktion kräftig zurückgehen. Die Produktion und das Wachstum seien angeblich immer durch „knappe Ressourcen“ beschränkt. Auch hier hat die Realität die Theorie Lügen gestraft. Als Hitler mit der Aufrüstung begonnen hatte, begannen sogar auch die realen Löhne zu steigen. Wenn also Butter und Kanonen gleichzeitig möglich sind, ist dies ein stichhaltiger indirekter Beweis dafür, dass der freie Markt nicht für die optimale Allokation der knappen Ressourcen sorgt. Diese angebliche Ressourcen-Knappheit war immer schon ein Mythos und zugleich der ideologische Betrug der neoliberalen Theorie.

Die Produktionsverhältnisse als Fesseln für die Entwicklung der Produktivkräfte

Das mit den knappen Ressourcen wäre eine lustige Angelegenheit, wenn man sie nicht zu einer „seriösen Wissenschaft“ gemacht hätte. So fiel dem Professor Lionel Robbins (1898-1984) ein, dass man bei der Marktwirtschaft vor allem ihre Fähigkeit bewundern sollte, mit knappen Ressourcen optimal umzugehen. Das Bemerkenswerte an dieser Idee ist der Umstand, dass „Baron Robbins“ gerade während der Großen Depression auf sie kam, als die Hälfte aller produktionsfähigen Kapazitäten brach lag und ganze Armeen von Arbeitslosen ziellos durch die Straßen irrten. Wie realitätsblind kann ein Mensch nur sein. Nebenbei gesagt, Robbins wurde 1929 zum Chef der ökonomischen Abteilung der London School of Economics und er holte bald Friedrich August von Hayek an sein Institut.

Schon weil es ökonomische Krisen gibt, so damals Keynes, kann keine Rede davon sein, dass die freie Marktwirtschaft spontan aus den ihr zu Verfügung stehenden Ressourcen (Produktionsfaktoren), ein Maximum am Wohlstand erzielen würde:

„Denn unser ökonomisches System gestattet uns tatsächlich nicht, den höchsten Stand ökonomischer Wohlfahrt zu erreichen, der durch den Fortschritt unserer Technik ermöglicht wird, sondern bleibt weit dahinter zurück und lässt in uns das Empfinden aufkommen, dass wir den Ertrag besser hätten verwenden können.“ ... >

Natürlich war Keynes nicht der erste, der dem freien Markt die Fähigkeit, die Produktionsfaktoren optimal zu nutzen („kombinieren“), abgestritten hat. Bei Marx ist gerade diese Problematik eine der tragenden Säulen seiner Kapitalismuskritik, die meiner Meinung nach zugleich die stärkste ist. Es geht um seine berühmte These über den Widerspruch zwischen den Produktivkräften (Basis) und Produktionsverhältnissen (Überbau):

„Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen, oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt haben. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein. Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau (die rechtlichen und politischen Einrichtungen, denen bestimmte gesellschaftliche Bewusstseinsformen entsprechen) langsamer oder rascher um.“ ... >

Marx hat sich nie mit weniger als mit der Erklärung der ganzen Geschichte zufrieden gegeben, und da hat er - wieder einmal - über das Ziel hinaus geschossen. Das Muster des historischen Materialismus, wie man diese Auffassung später genannt hat, die kontinuierliche Entwicklung der Produktivkräfte und die Umgestaltung der Produktionsverhältnisse nur durch periodische Revolutionen, entspricht dem wahren Verlauf der Geschichte nicht. Es entspricht nicht einmal der europäischen Geschichte, weil es sich auf den Feudalismus nicht anwenden lässt. Nach dem Niedergang des Römischen Reiches war nämlich die Produktivität fast anderthalb Jahrtausende deutlich unter dem Niveau von manchen früheren Zivilisationen. Mit Ausnahme der großen Kathedralen wurde kein Bau mehr errichtet, der mehrere Jahrhunderte überlebte. Die von den Römern erbauten Straßen waren immer noch die besten auf dem Kontinent, auch wenn sie kaum mehr repariert wurden. Die landwirtschaftlichen Erträge gingen zurück, und selbst die Lebensqualität der mächtigsten Feudalherren lag weit unter derjenigen, der sich der durchschnittliche Bürger Roms hatte erfreuen können. Die Geschichte hat also nicht dafür gesorgt, dass sich die Produktivkräfte immer weiter entwickeln. Auch später, im Sozialismus, war dies nicht der Fall. Die Produktivitätsentwicklung als ein Selbstläufer ist also eine durch die Geschichte eindeutig und endgültig widerlegte These. Viel besser passt aber der historische Materialismus als Beschreibung des Kapitalismus.

Der Kapitalismus steigert die Produktivität in der Tat ständig, aber dahinter steht keine geheimnisvolle Mission der Geschichte, sondern die freie Konkurrenz. Anders gesagt, es sind die Produktionsverhältnisse - die rechtlichen und politischen Einrichtungen -, die für die Entwicklung der Produktivkräfte sorgen. Und sie sorgen unvermindert weiter dafür, dass sich die Produktivkräfte entwickeln, was nicht ganz zu dem historischen Materialismus passt. Es stimmt aber, dass dieselben Produktionsverhältnisse zugleich verhindern, dass mit den vorhandenen Produktivkräften der maximale Wohlstand erzeugt wird. Aber aus welchen konkreten Gründen?

Der offensichtlichste Beweis, dass der Kapitalismus bzw. die freie Marktwirtschaft ihre produktiven Potentiale nicht optimal nutzt, sind die ökonomischen Krisen. Marx war der Auffassung, sie würden in immer kürzerem Abstand kommen und sie würden immer heftiger. Er hat sie auf die Anarchie der kapitalistischen Produktionsweise zurückgeführt. Damit erklärt man alles und nichts. Aber er hatte noch eine andere Erklärung für die sich immer weiter verbreiternde Kluft zwischen den Produktivkräften und der Umgestaltung der Produktionsverhältnisse: die Abweichung der Marktpreise von den Arbeitspreisen.

Der Profit, der auf die Kosten aufgeschlagen wird, verhindert laut Marx, dass in der Wirtschaft die arbeitssparendsten Produktionsmethoden angewandt werden. Anders gesagt: die sinkenden Löhne (Lohnquote) sind es, die die Produktivitätssteigerung verhindern. Ein strenger Beweis für diese Behauptung wurde erst Mitte des 20. Jahrhunderts erbracht, in der berühmten Cambridge-Cambridge-Kontroverse.mehr Der neoliberalen Theorie ist es trotzdem gelungen, diese katastrophale theoretische Niederlage zu verkraften, aber die Realität konnte sie weder austricksen noch besiegen. Die sinkende Lohnquote in den letzten drei Jahrzehnten ist eine hinreichende Erklärung dafür, warum in dieser Zeit das Wachstum und Produktivitätswachstum gesunken ist

   

Das durchschnittliche Wachstum ist in den neoliberalen Jahrzehnten von 4.8% auf 3.2% heruntergegangen - wobei ohne China alles noch deutlich schlimmer wäre. Ein Unterschied von 1.6 Prozentpunkten mag nicht sehr groß erscheinen. Doch hätten wir sie gehabt, wäre das BIP heute um 50% größer. Fast in einem Jahr könnten wir alle unsere Staatsschulden tilgen. Im nächsten Jahr könnten wir etwa alle unsere Straßen, Schienennetze, Bahnhöfe, Verkehrsanlagen sowie Kulturbauten aller Art, Theater, Krankenhäuser, Kirchen, Schulen, Universitäts- und Forschungsinstitute, Bäder, Sportanlagen, Schwimmhallen, Altersheime und Bibliotheken auf den neusten Stand bringen, ... Der Neoliberalismus hat sich wieder einmal als eine Katastrophe erwiesen. Trotz der gewaltigen wissenschaftlich-technischen Fortschritte - man spricht sogar von der neuen industriellen Revolution -, hat sich  Wachstum und Produktivitätswachstum in den kapitalistischen Wirtschaften verlangsamt. Wir können nur ahnen, welche Potenziale in dem heute verfügbaren technischen Wissen schlummern, hätte die neoliberale Konterrevolution nicht verhindert, dass dieses Wissen richtig angewandt wird.

Den Nachfragemangel würde man bei Marx als eine Erklärung des „dialektischen Widerspruches“ zwischen den Produktivkräften und Produktionsverhältnissen nirgendwo finden. Aber erst der Nachfragemangel kann stichhaltig erklären, warum Hitler mit den schuldenfinanzierten Ausgaben so erfolgreich war. Die Ressourcen während der Großen Depression waren alles andere als knapp, es fehlte nur die Nachfrage, sie zu nutzen und damit die Produktion erheblich zu erhöhen. Der Nachfragemangel war offensichtlich so groß, dass Hitler später der Wirtschaft noch eine massenhafte Waffenproduktion aufzwingen konnte, ohne zugleich die Produktion der Konsumgüter drosseln zu müssen. Diese Tatsache wirft auch die Frage auf, ob die Rüstung nicht eine besonders effiziente Maßnahme zur Steigerung der Kaufkraft ist und damit zum Wirtschaftswachstum beiträgt?

Die Rüstung als „öffentliches Gut“ zur Steigerung der Kaufkraft

Den Historikern ist es in der Tat schon längst aufgefallen, dass die wirtschaftliche Entwicklung häufig ein Nebenprodukt des Strebens nach militärischer Stärke ist. Die deutsche Geschichte ist der beste Beweis dafür. Die Industrialisierung Deutschlands begann bekanntlich in dem damals militarisiertesten Land, in Preußen. Ein rückständiges Land, ohne irgendwelche bedeutenden Naturressourcen, hat in wenigen Jahrzehnten das British Empire eingeholt, über dessen Kolonialreich die Sonne nie unterging. Dass man mit Rüstungsausgaben immer noch die Konjunktur beleben kann, bestätigen die schuldenfinanzierten Rüstungsausgaben des Präsidenten Reagan. Der Fehlbetrag des US-Bundeshaushaltes erhöhte sich von knapp 58 Milliarden Dollar im Jahr 1981 über 111 Milliarden Dollar in 1982 auf 208 Milliarden Dollar in 1983. Das lässt sich in der Tat gut erklären.

Wir könnten jetzt die Produktion der Waffen mit Hilfe unseres numerischen Beispiels simulieren, aber das brauchen wir nicht zu tun. Aus der allgemeinen Gleichung des Sparens können wir die gesuchte Antwort einfacher und schneller bekommen.

 
= =  
 
  spezielle Gleichgewichtsbedingung
 allgeimeine  Gleichgewichtsbedingung
YK′ :     Produktionszuwachs von Produktionsgütern
(Rohstoffe, Halberzeugnisse und Maschinen)
I′  :     Nettoinvestitionen
S′  :     Nettoersparnisse
 

Diese allgemeine Formel des Gleichgewichts bzw. Ungleichgewichts wurde im Rahmen unserer kreislauftheoretischen Analyse der Marktwirtschaft mathematisch hergeleitet. Sie besagt, dass man nicht beliebig viel investieren und damit auch sparen kann, wenn die Wirtschaft im Gleichgewicht bleiben soll. Es ist die Variable YK, die quantitativ genau bestimmt, wie viel investiert und gespart werden kann. Ihren nummerischen Wert bekommt man, wenn von der Summe aller hergestellten Produktionsgüter in der betrachteten Reproduktionsperiode die Summe aller hergestellten Produktionsgüter der vorigen Reproduktionsperiode subtrahiert wird. Die Produktionsgüter werden dabei jeweils nach ihren nominalen Preisen zusammengerechnet, so dass die Preise die Variable YK wesentlich bestimmen. Je stärker die Preise gestiegen sind, desto größer wird diese Variable, und desto mehr kann man investieren und sparen. Was hat aber die Produktion von Waffen mit diesen Preisen zu tun?

Einerseits erfordert die Waffenproduktion große Mengen von Rohstoffen, Halberzeugnissen und Maschinen, also von Produktionsgütern, andererseits tauchen die Waffen als fertige Produkte nicht auf dem Markt der Produktionsgüter auf. Die Waffenproduktion erhöht also die Nachfrage auf dem Markt der Produktionsgüter, ohne dass dem Markt etwas von der Angebotsseite hinzugefügt wird. Dies nützt natürlich den Herstellern von Produktionsgütern. Ihr Absatz steigt auch bei steigenden Produktionsmengen, so dass sie ihre Preise auch nicht senken müssen, oder sie können sie sogar anheben. Dadurch wird die Variable YK größer, was mehr Ersparnisse und Investitionen möglich macht, mehr als es die Waffenproduktion für sich beansprucht. Der Rest kann sowohl bei den Produzenten von Produktionsgütern als auch von Konsumgütern angewandt werden. Wir haben es also mit einem sogenannten Multiplikatoreffekt zu tun.

Wir werden uns bei der Untersuchung der nächsten Phase des ökonomischen Zyklus, also der Hochkonjunktur (Boom) noch den Zusammenhang zwischen der Preissteigerung bei den Produktionsgütern und den Investitionen genauer anschauen, so dass jetzt darüber nicht mehr gesagt werden muss. 

Zur Vervollständigung sollte man zu Hitlers Rüstungsproduktion noch folgendes bemerken. Deutschland durfte nach dem Ersten Weltkrieg gar nicht aufrüsten, aber schon nach wenigen Jahren der Naziherrschaft verfügte es über eine solche Zahl von besten Waffen, dass es die ganze Welt angreifen konnte. Dies ist ein weiterer indirekter Beweis dafür, wie damals die Wirtschaft unter dem Nachfragemangel gelitten hat. Was die damaligen Techniken und Technologien imstande waren zu leisten, wurde erst nach dem Krieg deutlich. Als die Ressourcen (Produktivkräfte) auf die Produktion der zivilen Güter umgelenkt wurden, stieg der Wohlstand so stark wie nie in der Geschichte.

 
 
     
 
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