4. Phase des ökonomischen Zyklus der Marktwirtschaft: Der Abschwung (Rezession)
  Die objektive Grenze des Wachstums: Preise, Innovationen und Ressourcen
       
 
Die kapitalistische Produktionsweise findet an der Entwicklung der Produktivkräfte eine Schranke, die nichts mit der Produktion des Reichtums als solcher zu tun hat; und diese eigentümliche Schranke bezeugt die Beschränktheit und den nur historischen, vorübergehenden Charakter der kapitalistischen Produktionsweise; bezeugt, daß sie keine für die Produktion des Reichtums absolute Produktionsweise ist, vielmehr mit seiner Fortentwicklung auf gewisser Stufe in Konflikt tritt.
 
    Karl Marx    

Es spricht vieles dafür, dass die Wirtschaftswissenschaft mathematisch sein kann bzw. muss.dorthin Wir müssen aber zugeben, dass sich die Mathematik bisher in der Wirtschaftswissenschaft nicht als besonders nützlich und erfolgreich erwiesen hat, und von einem Vergleich mit den Naturwissenschaften kann schon keine Rede sein. Aber sie trägt keine Schuld daran, dass man sie auf falsche Weise anwendet. Sie tut immer nur das, was von ihr verlangt wird. Wird ihr gesagt, dass sich Gegenstände, durch Kräfte angetrieben, in Raum und Zeit frei bewegen und kombinieren lassen, dann wird die Mathematik mit ihren Gleichungen eine solche Welt entwerfen und beschreiben. Mit dieser Aufgabe wurde sie am Ende des 17. Jahrhunderts von der klassischen Physik beauftragt, und sie hat sie schon sehr bald bestens erledigt. Als es dem Dampflokingenieur Walras am Ende des 19. Jahrhunderts einfiel, dass sich die Wirtschaft auch als eine Welt der freien Bewegung interpretieren lassen könnte,dorthin hatte also die Mathematik mit der Beschreibung einer Welt der freien Bewegung durch Kräfte viel Erfahrung. Es gibt aber auch eine andere Möglichkeit, wie man sich die Wirtschaft vorstellen könnte, als ein System der geschlossenen Kreisläufe. Die Mathematik kann natürlich auch diese Welt in ihrer Sprache nacherzählen bzw. modellieren.

Es gibt also zwei Vorstellungen über den inneren Aufbau und die Funktionsweise der Marktwirtschaft, zwei, mehr aber nicht! Zumindest bisher ist keinem eine dritte Möglichkeit eingefallen. Um Missverständnissen vorzubeugen, heben wir ausdrücklich hervor, dass damit Weltanschauungen gemeint sind, die man auch als Totalmodelle bezeichnet, solche Modelle also, in denen auch die Eigenschaften der einzelnen Teile ausreichend berücksichtigt werden - in denen man sozusagen in die Tiefe gehen kann. Verschiedene verallgemeinernde Modelle, die sogenannten Eingut-Modelle und Robinsonaden, in denen alles auf einen Haufen geworfen wird oder bei denen ein Aspekt zum Ganzen (pars pro toto) erklärt wird, gibt es bekanntlich viele. Die lassen sich natürlich ebenfalls mathematisch gestalten, aber sie sind nichts anderes als mathematische Übungen mit einem ökonomischen Motiv. Diese Modelle brauchen wir aber nicht zu berücksichtigen, weil sie ihre wissenschaftliche Berechtigung noch nicht unter Beweis gestellt haben. Außerdem sind solche Modelle nur schlechte und überhastete Deduktionen, sozusagen Eselsbrücken, die aus den Totalmodellen abgeleitet sind. Noch einfacher ausgedrückt, sie sind nur Kinderspiele für Erwachsene, für Akademiker, damit sich diese von den Unterschichten absetzen und sich nicht mit ihnen solidarisieren.

Wir haben diese beiden (Total-)Modelle, das neoliberale partikel-mechanische und das kreislauftheoretische, auch bildlich dargestellt. Jetzt tun wir dies noch einmal, weil schon aus diesen Bildern ersichtlich ist, was dem partikel-mechanischen Modell fehlt und warum es durch das Kreislaufmodell ersetzt werden muss. Im ersten Modell - Bild links - gibt es nur den Tausch. Beim Tausch wird die verfügbare Gütermenge auf Produktion (mittlerer Kreis) und Konsum (äußerer Kreisring) zweigeteilt, abhängig von den Kosten bzw. dem Preis der Güter, die in der Produktion anwendbar sind. Je niedriger die Kosten bzw. der Preis dieser Güter sind, desto mehr davon werden in die Produktion (mittlerer Kreis) gehen, die Wirtschaft wird schneller wachsen und in der Zukunft auch mehr Konsumgüter produzieren können. Die Versorgung der Produktion mit Produktionsgütern - man sagt auch Produktionsfaktoren - ist alles, was in diesem Modell über die Produktion gesagt werden kann. Im Kreislaufmodell ist vieles anders. Es fällt gleich auf, dass die Produktion zweigeteilt ist, auf Unternehmen die Produktionsgüter (mittlerer Kreis) und solche, die Konsumgüter (innerer Kreisring) herstellen. Noch viel wichtiger ist, dass die Produktion kein freies Bewegen und Kombinieren ist, sondern eine ausgerichtete Struktur hat, die den weiteren Ablauf des Produktionsprozesses bestimmt. Das Kreislaufmodell kann also auch mit der Zeit umgehen.

          kreisModel

Jeder Neoliberale würde uns natürlich für verrückt erklären, wenn wir ihm unterstellen würden, dass er nicht wüsste, was mit den Gütern während der Produktion geschieht. Ihm ist es auch bekannt, dass die Produktionsgüter nicht beliebig kombinierbar sind und dass sich diese Kombinationen als produktionstechnische Konstanten auf die Zukunft des Systems auswirken. Ja, ihm ist dies und einiges mehr bestimmt gut bekannt, aber was bringt ihm das, wenn sich dies in sein Modell nicht (analytisch) einfügen und berücksichtigen lässt und sich damit auch die Folgen nicht untersuchen lassen. Das Schlimmste ist aber, dass dann der Neoliberale alles, was sein Modell analytisch nicht erfassen kann, als nicht relevant bzw. nicht existent zurückweist. Was die Realität ist und was sie nicht ist, entscheidet bei ihm allein die Theorie. Und eine solche Theorie will sich auch noch als Wissenschaft betrachten!

Im Rahmen des Kreislaufmodells dagegen, lassen sich auch die Struktur und die Reihenfolge des ganzen Güterflusses analytisch genau erfassen, so dass sich folglich auch die Änderungen dieses Zustandes quantitativ präzise verfolgen und simulieren lassen. Mit geeigneten analytischen Mitteln kommt man dadurch zum Ergebnis, dass die Sparquote nicht beliebig groß sein kann. Sie ist durch die Parameter des Systems oder Prozesses im jedem Augenblick eine feste Größe. Diese Sparquote, die zwar das summarische Ergebnis subjektiver Entscheidungen von vielen ist, die aber trotzdem von den Wünschen der Einzelnen unabhängig ist, haben wir schon als markteigene Sparquote bezeichnet. Eine solche, sozusagen objektive Sparquote des Systems oder Prozesses gibt es in dem neoliberalen Modell nicht. In dem neoliberalen Modell gibt es nur eine einzige Sparquote, die ausschließlich vom psychischen Hang der Einkommensbesitzer abhängt, und diese stört das Gleichgewicht angeblich nicht, solange das Ersparte vollständig investiert wird, unabhängig davon, wie groß das Ersparte ist. Das flexible Zinsniveau ist dann der automatische Mechanismus, der die psychologische Sparquote mit der psychologischen Investitionsquote zum Ausgleich bringt. Im Kreislaufmodell ist das Gleichgewicht also eine deutlich kompliziertere Angelegenheit, weil die psychologische Sparquote auch noch mit der markteigenen Sparquote gleich sein muss.

Mit den geeigneten analytischen Mitteln lässt sich im Kreislaufmodell auch herausfinden, welche Faktoren die markteigene Sparquote bestimmen. Das sind (1) Preisniveau, (2) Innovationen und (3) Wachstum. Wie das Preisniveau auf die Sparquote wirkt, lässt sich auch ohne Mathematik, ja sogar ohne Zahlen, mit einfachen Bildern, verdeutlichen und erklären. Wir haben dies bereits getan und gezeigt, wie durch sinkende Preise die markteigene Sparquote kleiner wird.dorthin Um auf eine anspruchsvolle mathematische Analyse zu verzichten - wenn es nicht nötig ist -, haben wir bisher auf numerische Beispiele zurückgegriffen. Zu diesem Zweck diente uns das dreisektorale numerische Beispiel, dessen Größen wir auch noch mit einem Simulator variiert haben. Auf diese numerische Weise werden wir außerdem zeigen, dass die Sparquote wirklich kleiner wird, wenn die Preise fallen, der Wirtschaft die Innovationen ausgehen und das Wachstum zurückgeht, um daran anknüpfend die zyklische Phase, den Abschwung (Rezession) zu erklären. 

Die Schlussfolgerung, dass die Sparquote im Kreislaufmodell kleiner wird, wenn die Faktoren (1) Preisniveau, (2) Innovationen und (3) Wachstum kleiner sind, ist ein rein logisches (und mathematisches) Ergebnis, wenn man sich entschieden hat, die Marktwirtschaft als Kreislauf zu betrachten. Es ist also im Grunde vorerst nur ein Ergebnis des abstrakten Denkens. Ob und wann die drei Faktoren, welche die Sparquote bestimmen, kleiner oder größer sind, dass lässt sich nicht durch reines Denken (a priori) bestimmen. Dies lässt sich einzig und allein aus dem vorherigen Zustand des Systems bzw. der Marktwirtschaft herausfinden. Hier beginnt das Kreislaufmodell ökonomisch zu sein. Wenn wir den Absturz der Marktwirtschaft, also das Phänomen der sprunghaften Ablösung einer ökonomischen Aufwärts- durch eine Abwärtsbewegung mit (1) sinkenden Preisen, (2) ausgebliebenen Investitionen und (3) zurückgehenden Wachstum erklären wollen, müssen wir zuerst nachweisen, dass dies alles nach der Hochkonjunktur zwangsläufig kommen muss. Diese nötige Vorarbeit für die Erklärung der zyklischen Phase Abschwung (Rezession) wollen wir in der Fortsetzung dieses Beitrags erledigen, im nächsten werden wir dann, uns auf diese Ergebnisse stützend, den Verlauf des Abschwungs analytisch genau verfolgen.

Wann und warum die Preise zu sinken beginnen

Es gibt mehrere Gründe, warum die Unternehmen ihre Preise senken. Ein Grund ist die zu große Produktion eines bestimmten Gutes. Schon seit Jahrtausenden war es zum Beispiel jedem Bauern klar, dass in einem Jahr, in dem das Wetter den Landwirten gnädig war und ihnen eine besonders gute Ernte bescherte, der Preis der landwirtschaftlichen Produkte fallen würde. Ein weiterer wichtiger Grund der Preissenkung hat mit dem Bemühen der einzelnen Unternehmen zu expandieren zu tun. Eine Möglichkeit dazu ist eine unlautere Konkurrenz, die man schon seit sehr langer Zeit kannte. Die Preise werden zuerst „künstlich“ gesenkt, also man verzichtet vorläufig auf einen „normalen“ Gewinn, verdrängt dadurch die Konkurrenten aus dem Markt und dann werden die Preise richtig erhöht. Diese zwei Gründe der Preissenkung können aber nicht als Ursache der ökonomischen Zyklen betrachtet werden, weil es keinen Grund gibt anzunehmen, dass sie nur irgendwann am Ende der Hochkonjunktur praktiziert würden.

Die wichtigste Ursache für die Preissenkung in der Marktwirtschaft sind Innovationen. Die erfolgreichen Innovationen senken die Kosten und machen damit das Sinken der Preise möglich, das aus zwei Gründen stattfindet: Die Innovationen werden nachgeahmt, so dass schon die Konkurrenz zur Preissenkung führt. Aber auch der steigende Absatz von neuen Produkten macht die Preissenkung für die Innovatoren rentabel, sogar dann, wenn sie den Markt monopolistisch oder oligopolistisch beherrschen. Dies ist ebenfalls keine neue Erkenntnis und keine neue gewinnmaximierende Strategie der Unternehmen. Eigentlich kennt jeder von uns dieses Phänomen unter dem Namen Rabatt beim Kauf von größeren Mengen. Dass die Innovationen zur Preissenkung führen, war den Ökonomen schon seit langer Zeit bekannt,dorthin Schumpeter hat mit den Innovationen bzw. dem Preisverfall versucht, den ökonomischen Zyklus zu erklären. 

„Dieses Auftreten der neuen Produkte bewirkt den Preisfall, der seinerseits dem Aufschwung ein Ende macht, zu einer Krise führen kann, zur Depression führen muß und alles weitere auslöst.“ ... >
„Eine weitere allgemeine Erkenntnis ergibt, daß nämlich das Hauptübel eines Konjunkturzyklus durch eine Deflationsphase und nicht durch seine Inflationsphase verursacht wird.“ ... >

Wir müssen aber bei Schumpeter vorsichtig sein. Genau genommen sind bei ihm nicht die Preise, sondern die Disproportionalitäten die Ursache des Abschwungs. Sie sind angeblich die Folge, dass zu viele Innovatoren in einer sehr kurzen Zeit, sozusagen in Schwärmen als Anbieter auf dem Markt auftauchen, so dass das Angebot stark ansteigt und die Preise dermaßen ruiniert, dass eine erhebliche Zahl der Innovatoren ihre Produkte entweder nicht absetzen kann oder unter den Kosten verkaufen müssen, so dass nach einem Dominoeffekt die Produktion in einem Chaos zusammenbrechen muss. Diese Auffassung hält jedoch der empirischen Prüfung nicht stand. Schumpeter hat sich über die Innovationen ein völlig realitätsfernes Märchen ausgedacht. Dazu gleich mehr, weil die Innovationen auch in unserer Erklärung eine wichtige Rolle spielen, jetzt bleiben wir nur auf die Preissenkung beschränkt.

Man kann Schumpeter nicht widersprechen, wenn er die Innovationen als Ursache für die Preissenkung sieht. Es stimmt aber bei Weitem nicht, dass sie so plötzlich und flächendeckend eintritt, wie er es behauptet. Aber wie dem auch sei, wir werden bei der kreislauftheoretischen Erklärung der sprunghaften Ablösung einer ökonomischen Aufwärts- durch eine Abwärtsbewegung nicht eine schlagartige Preissenkung brauchen. Uns reicht eine Preissenkung, die irgendwann im Laufe der Hochkonjunktur beginnt und die sich nur langsam verstärkt, so wie man es aus der Erfahrung kennt. Diese allmähliche Preissenkung sollte wie folgt verstanden und argumentiert werden:

Während der zyklischen Phasen Erholung und Hochkonjunktur investieren die Unternehmen in die Erweiterung ihrer Produktion, und zugleich innovieren sie sie. Wie alle anderen realen (physikalischen) Investitionen, brauchen auch die innovativen Investitionen Zeit, bis sie fertig sind. Einige dieser Investitionen werden schnell produktionsbereit sein, die anderen werden länger brauchen, aber im Laufe der Hochkonjunktur werden immer mehr dieser Investitionen fertig; es werden immer mehr Güter auf dem Markt angeboten und die Preise werden beginnen zu sinken. Weil aber die Zahl der Innovatoren meistens nie so groß ist, wie es sich Schumpeter ausgedacht hat, gibt es eine plötzliche Preissenkung nicht. Man braucht nur mit offenen Augen durch die Welt zu laufen, um herauszufinden, wie es sich mit neuen Produkten bzw. ihren Preisen sich verhält. Nehmen wir als Beispiel die Mikroprozessoren, die das Herz der PCs sind. Auch nach mehreren Jahrzehnten gibt es nur zwei bedeutende Produzenten (Intel und Athlon), und trotzdem ist der Preis der Mikroprozessoren ständig gesunken. Ein Massensterben bei den Produzenten gab es nicht. Es gab eigentlich gar nicht so viele, die mit der Produktion von Mikroprozessoren angefangen haben, weil sie sehr große Investitionen verlangen. Das Massensterben der Innovatoren und die kreative Zerstörung waren und bleiben immer noch nur ein Hirngespinst von realitätsfremden Professoren aus dem Elfenbeinturm. Man kann also innovative Investitionen in die Wirtschaft derart integrieren, dass dies zu keinen besonderen Disproportionalitäten führen müsste. Das muss natürlich nicht immer der Fall sein, aber wir werden bei unserer Erklärung des Abschwungs dies trotzdem annehmen und nur mit einer sanften Preissenkung arbeiten, weil sie uns theoretisch ausreicht und weil sie der Realität entspricht. Uns geht es nicht darum, herauszufinden, was die Wirtschaftsakteure falsch machen - sie können vieles falsch machen -, sondern darum die Konstruktionsfehler der freien Marktwirtschaft zu erklären.

Bemerkung: Auch die Geldmenge (und der Zins) bestimmt die Preise, sogar wesentlich, aber dies wollen wir in der Erklärung des ökonomischen Zyklus auch nicht berücksichtigen. Die Geldmenge ist ein exogener Faktor der Preisänderung, wir bleiben vorerst bei einer Wirtschaft, die von außen nicht beeinflusst und manipuliert wird.

Wann und warum die Innovationen ausbleiben

Die Innovatoren treten laut Schumpeter nicht nur als Anbieter neuer Produkte in Schwärmen auf dem Markt, sondern schon das Investieren in innovative Produkte geschieht schubweise. Die innovativen Investitionen sollten also einen festen Anfang und ein festes Ende haben. Wie erklärt nun Schumpeter den gleichzeitigen Anfang der innovativen Investitionen?

Die innovativen Investitionen sollten angeblich von sehr vielen Unternehmen in dem Augenblick in Angriff genommen werden, wenn ihnen zugrunde liegende Entdeckungen gemacht wurden, und diese Entdeckungen geschehen plötzlich und massenweise. In kurzer Zeit würden sehr viele ökonomisch anwendbare Entdeckungen gemacht, danach würde eine längere Pause folgen, wo kaum etwas geschieht, dann kommt die nächste Welle und so weiter. Diesen Zyklus der (theoretischen) Entdeckungen gibt es aber nicht. Die Periodizität bei den Entdeckungen ist nur ein Hirngespinst. Sogar wenn es diesen Zyklus gäbe, irrt Schumpeter, wenn er daraus stillschweigend folgert, dass die Fertigungszeit der Investitionen gleich sein würde, so dass die Innovatoren auch als Anbieter der neuen Produkte schwarmartig auf dem Markt mit neuen Produkten auftreten. Die Schumpetersche Theorie der zyklischen Innovationsschübe ist ein Opfer der sogenannten Scheinkorrelation. Das Phänomen ist seit den Anfangstagen der Statistik bekannt. Auf Englisch bezeichnet man es als spurious correlation (H. A. Simon, 1954), die deutsche Übersetzung ist aber sehr missverständlich, da es nicht um Schein geht, vielmehr eine Korrelation tatsächlich vorliegt, jedoch keine Kausalität. Mit einem Beispiel lässt sich dies schnell und einfach verdeutlichen.

Wenn Weintrinker gesünder sind als die anderen, bedeutet das dann, dass Wein trinken gesund macht? Nein. Es kann nur bedeuten, dass gesündere Menschen gern Wein trinken. Die Erklärung der ökonomischen Zyklen von Schumpeter ist eine solche Scheinkorrelation wie aus dem Bilderbuch. Es ist nämlich nicht der Zeitpunkt von Erfindungen oder neuen Entwicklungen, sozusagen die theoretische Geburt der Innovation, der über reale (physikalische) Investitionen entscheidet, sondern die allgemeine Wirtschaftslage. Die Unternehmen ziehen ihre verstaubten Konstruktionspläne dann aus den Schubladen, wenn sie sich erhoffen, dass sich mit ihnen in absehbarer Zukunft ein rentables Angebot realisieren lässt. Das ist der Regel dann der Fall, wenn die Wirtschaft sich sichtlich zu erholen begonnen hat. Dann wagt sich ein Unternehmen nach dem anderen aus der Deckung, und es wird mutig investiert. Auf den Punkt gebracht: Es ist nicht die Periodizität der (theoretischen) Endeckungen, der den (realen) ökonomischen Zyklus verursacht, sondern es ist genau umgekehrt.

Gerade weil es keine Periodizität bei den Entdeckungen gibt, hat sich Schumpeter drei Arten von Zyklen ausgedacht, kurze, mittlere und lange Wellen, um mit ihrer Kombination hinterher (ex post) das zu bekommen, was man brauchte. Als Tatsache bleibt, dass es reale Innovationsschübe gibt, immer dann wenn die Konjunktur angezogen hat. Wenn aber im Laufe der Konjunktur die innovativen Investitionen immer seltener werden, hier muss man Schumpeter Recht geben, hat dies damit zu tun, dass die Investoren ihre neuen Investitionen - sei es mit oder ohne Innovationen - zuerst amortisieren wollen. Deshalb müssen die Konstruktionspläne für die nächsten Investitionen mit neuen Entdeckungen bzw. Innovationen vorläufig in der Schublade verschwinden. Dazwischen kommt noch die Krise, und erst irgendwann später wird man diese Konstruktionspläne abstauben und zu realisieren beginnen, also am Anfang des neuen Aufschwungs. Das verursacht eine gewisse Häufung der innovativen Investitionen, man darf sie aber nicht überbewerten. Und weil die Fertigstellung dieser Investitionen zeitlich unterschiedlich ist, gibt es eine nennenswerte Häufung bei der Inbetriebnahme nicht. Deshalb werden wir in unserer Erklärung für die sprunghafte Ablösung einer ökonomischen Aufwärts- durch eine Abwärtsbewegung darauf verzichten. Uns wird es völlig ausreichen, wenn diese im Laufe der Hochkonjunktur sanft auslaufen, weil die besten Ideen bzw. Entdeckungen schon materialisiert worden sind.

Arbeitskraft als limitierende Ressource des Wachstums

Über die Grenzen des Wachstums ist schon seit langer Zeit gesprochen worden, schon seit dem Entstehen des Kapitalismus. Angeblich sind die Ressourcen, die man für das weitere Wachstum braucht, erschöpflich. Aber welche Ressourcen? Es gibt keinen Produktionsfaktor, für den nicht ein namhafter Ökonom behaupten würde, dass er sich sehr bald erschöpfen würde, so dass ein endgültiges „Ende des Wachstums“ unmittelbar bevor stünde. Als Zugabe kam dann von ihm zumindest eine kleine Katastrophe für die Menschheit, wenn nicht sogar eine richtige Apokalypse. Erwähnen wir nur kurz die wichtigsten dieser pessimistischen Stagnationstheorien, wie man sie seit Anfang des 19. Jahrhunderts bezeichnete.

Bei Robert Malthus (1766-1834) war der Boden die endgültige und unüberwindbare Grenze des ökonomischen Wachstums. Weil die Menschen vom Sexualtrieb geradezu besessen seien, würden sie sich so schnell vermehren, dass es bald nicht genug Boden geben würde, sie alle zu ernähren. Erstaunlicherweise hielt der Begründer der ökonomischen Theorie, Adam Smith, von dieser Überbevölkerungsthese nichts. Aber auch er war besorgt, dass das Wachstum nicht schnell genug vor sich gehen würde, und zwar deshalb, weil man nicht genug einsparen bzw. investieren würde, um jeden Arbeiter in Lohn und Brot zu bringen. Die Investitionen würden angeblich - Smith sagt: „in der Regel“ - immer mehr Kapital pro Arbeiter benötigen, und zwar wegen der Produktivitätssteigerung. Marx hat diese falsche Auffassung bis zum Extrem getrieben und in der Fortentwicklung des Kapitalismus eine tendenzielle Steigerung der Arbeitslosigkeit und der Armut gesehen. Seine Apokalypse sollte aber in einem Paradies enden. Und nun in unserer Zeit heißt es, die Rohstoffe und Energie würden sehr bald das Wachstum zum Erliegen bringen. Das verdient ein paar Worte mehr.

Eine Prognose darüber hat schon im Jahre 1972 der Club of Rome ausgearbeitet, die unter dem eindrucksvollen Namen Die Grenzen des Wachstums die Welt erblickte und ein bisschen erschütterte. Die Studie wurde unter Verwendung einer im MIT entwickelten Methodik zur ganzheitlichen Analyse und Modellsimulation komplexer und dynamischer Systeme („System Dynamics“) verfestigt, so dass durch sie abgeleitete Szenarien bzw. Prognosen für die zukünftige Weiterentwicklung der Welt nie in Frage gestellt werden sollten. Nur hat sich ein kleiner Fehler eingeschlichen: man hat versäumt, diese Prognosen der Realität rechtzeitig mitzuteilen, so dass die ganze Mühe umsonst war. Ganz entgegen den prognostizierten Rohstoffengpässen schwimmt die Welt immer noch in Vorräten. Sogar die Vorräte an Rohstoffen, über die man sich am meisten Sorgen machte, wie etwa Aluminium, Kupfer, Zink, Nickel, Öl oder Erdgas sind nicht erschöpft, im Gegenteil, ihre Vorräte haben sich seitdem verdoppelt bis verfünffacht. Das ist eigentlich der wahre Grund, warum die Einbauteile auch für die trivialsten Produkte, seien es Bügeleisen, Rasierapparate oder anderes, an zahlreichen voneinander entfernten Produktionsstätten hergestellt und dann um den Globus gejagt werden. Eine weitere Folge dieses Überflusses ist, dass wir unsere Güter, zum Beispiel Autos, nach wenigen Jahren vollständig verschrotten, die Oldtimer können jedoch immer noch stolz auf unseren Straßen herumkutschiert werden. Die Kurzlebigkeit unserer Autos - sowie aller anderer Produkte - hat ganz bestimmt nicht damit zu tun, dass die Ingenieure vor einem Jahrhundert viel gescheiter als die heutigen waren, oder dass die heutigen etwas verlernt haben. Es hat vor allem damit zu tun, dass die Rohstoffe und die Energie eben nicht knapp sind, so dass wir sie verschwenden können und zugleich obendrein noch die Umwelt erfolgreich wie nie zuvor vernichten.

Es spricht kaum etwas dafür, dass auch unsere Enkel und Urenkel nicht genug Rohstoffe in der Erdkruste und unter den Ozeanen finden würden, sollte sie diese überhaupt noch brauchen, was aber nicht sehr wahrscheinlich ist. Wir wissen nämlich sehr gut, was passiert, sobald ein Rohstoff knapper wird. Die Firmen investieren einfach in die Forschung, um den knappen Rohstoff zu ersetzen. Ein Beispiel dafür ist Kautschuk. Als er im Zweiten Weltkrieg knapp wurde, weil an den Fronten viele Reifen schnell kaputt gegangen sind, erfanden die Forscher kurzerhand das synthetische Gummi. Seitdem werden immer weitere künstliche Materialien erfunden, die leichter, stabiler und sauberer als bisher bekannte Stoffe sind und diese schlichtweg überflüssig machen.

Wir wissen aber nicht, ob der wissenschaftliche Fortschritt auch weiter andauern wird, allerdings haben wir keine Anzeichen, dass dem nicht so sein sollte. Wie es auch bisher oft der Fall war, können wir da vieles von der Natur abgucken. Die ganze Natur ist ein idealer Kreislauf, und warum sollte es der Wissenschaft unmöglich werden, so etwas auch für die menschliche Existenz zu realisieren. Wenn man schon über neue Wesen aus dem Reagenzglas nachdenkt - was nicht unbedingt begeistern muss -, warum sollte es der Wissenschaft horribile dictu nicht gelingen, auch Stoffe und Energien zu entdecken, die vollständig regenerativ sind - so wie es die Natur seit Millionen Jahren  kann.

Seitdem es den Kapitalismus gibt, ist nur ein Produktionsfaktor nie knapp gewesen, die Arbeitskraft. Das war schon der Fall, als sich - nach Malthus Auffassung - die Menschen wie Karnickel vermehrt hatten, das gilt auch für die heutigen alten kapitalistischen Länder, in denen die Bevölkerung zurückgeht. Die Alten verlieren ihren Arbeitsplatz, wenn sie schon über fünfzig sind, die Jungen bekommen ihn nicht weil, weil, ... Die Arbeitslosigkeit im Kapitalismus hat offensichtlich keine objektiven Ursachen. Sie hat gar nichts mit irgendwelcher Knappheit zu tun, sie ist ein Konstruktionsfehler der ökonomischen Ordnung genannt Marktwirtschaft. Die freie Marktwirtschaft kann es nicht anders. Sie kann nur bei der Erholung und der Hochkonjunktur Arbeitsplätze schaffen, und dies manchmal gar nicht schlecht. Gerade nach den Kriegen, als (reales) Kapital ganz bestimmt sehr knapp war, sind die Arbeitsplätze besonders schnell und umfangreich entstanden. Wenn dass nicht schon alles über die „knappen Ressourcen“ sagt?

Betrachtet man die letzten zwei Jahrhunderte, war es für die Marktwirtschaft kein Problem, bei der Arbeitslosigkeit mehrere Prozentpunkte pro Jahr abzubauen, obwohl die Produktivität zugleich gestiegen ist. Das war manchmal fast schon ausreichend, so dass die Arbeitslosigkeit oder zumindest die Reservearmee mehr oder weniger verschwand. Nie ist es aber der Marktwirtschaft gelungen, diesen Stand zu halten. Als man sich auf die Schulter klopfte und wieder einmal der Wirtschaftswissenschaft zu ihren großen Fortschritten bei der Lüftung des Geheimnisses des ewig andauernden Wachstums gratulierte, kam der Absturz. Die Arbeitslosigkeit schoss mit zweistelligen Prozentpunkten nach oben, und es dauerte, bis sie zu sinken begann.

Wir stellen also fest: Würde es diese Krisen der freien Marktwirtschaft nicht geben, dann ließe sich folgern, dass der einzige objektive Faktor, der dem ökonomischen Wachstum  Grenzen setzen würde, nur die verfügbare Arbeitskraft wäre. Die immer weitere Innovation bzw. die Produktivitätssteigerung würde zwar immer einen Teil der Beschäftigten überflüssig machen, diese würde man aber durch reale Investitionen problemlos wieder in die Produktion zurückholen können. Deshalb werden wir bei der Erklärung des Abschwungs (Rezession) die Arbeitskraft als limitierende Ressource des Wachstums betrachten. Das wird konkret bedeuten, dass die Unternehmen als rationale Menschen mit den Investitionen aufhören, wenn sie merken, dass es für diese nicht genug Arbeitskräfte zur Verfügung stehen würden. Damit werden wir die Fehler der Wirtschaftsakteure, also die reale Disproportionalität im Sinne der Überakkumulation als eine menschliche Ursache des Abschwungs (Rezession) von vornherein ausschließen.

 
 
     
 
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