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  Der Exportweltmeister und der brave Michel in der eigenen Falle (Teil I)
 
 
Es gibt kein gutmütigeres, aber auch kein leichtgläubigeres Volk als das deutsche. … Keine Lüge kann grob genug ersonnen werden: Die Deutschen glauben sie. Um eine Parole, die man ihnen gab, verfolgten sie ihre Landsleute mit größerer Erbitterung als ihre wahren Feinde .
 
    Napoleon Bonaparte        
 
Die Deutschen scheinen ein tragisches Volk zu sein: Sie arbeiten hart, nehmen Gehaltseinbußen hin, um Arbeitsplatz und Export zu sichern, verdienen gut, sparen viel und werden doch immer ärmer. Das kommt davon, wenn man sich auf Staat und Politiker verlässt, die zwar üppige Sozialleistungen versprechen, doch nur trocken Brot liefern - bestenfalls. ... Das Volk mit der größten Wirtschaft in Europa fürchtet Massenarmut im Alter, wo doch die deutsche Wirtschaft von einem Erfolg zum nächsten eilt. Nur eben ohne die Deutschen.
 
  Der Chefredakteur der neoliberalen Wirtschaftswoche (25. November 2013) Roland Tichy        
 
Denk' ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht.
 
    Heinrich Heine        

Wenn in Deutschland über die wirtschaftliche Lage gesprochen wird, protz man mit den Exportüberschüssen und fühlt sich von der ganzen Welt beneidet zu sein. Das gilt sowohl für Fachgespräche unter ökonomisch formal gebildeten als auch für Plaudereien der nicht Sachkundigen. Der Stolz darauf, den selbstverliehenen Titel des „Exportweltmeisters“ wieder einmal errungen zu haben, gehört praktisch zur nationalen Identität. Zudem herrscht eine unerschütterliche Gewissheit, mit der sogenannten „sozialen Marktwirtschaft“ auch eine humane und gerechte Wirtschaftsordnung „Made in Germany“ zu haben, wie es in der Welt nicht noch einmal gibt. Beides zusammen bildet die Grundlage für ein strotzendes Selbstbewusstsein Deutschlands. Leider ist beides nur eine Selbsttäuschung, die sehr wahrscheinlich fatal enden wird.

Die deutsche Wirtschaft ist nämlich ganz und gar nicht eine „soziale Marktwirtschaft“, die mit dem Kapitalismus so gut wie nichts gemeinsam hätte, im Gegenteil. Sie ist nichts anderes als ein „üblicher“ oder „klassischer“ Kapitalismus unter bestimmten Umständen. Es waren nur spezifische geopolitische und historische Gründe oder Faktoren, warum der Kapitalismus in Deutschland für mehrere Jahrzehnte sozial war, genauer gesagt warum er sozial sein musste und nicht wollte - was natürlich ein wesentlicher Unterschied ist. Und diese Gründe oder Faktoren waren zugleich diejenigen, die den deutschen Kapitalismus auch zum Exportweltmeister gemacht haben. Um diese historisch einmaligen Umstände einfach wie möglich zu erklären, betrachten wir zuerst die relevanten Aspekte der Entwicklung bzw. des Entstehens des Kapitalismus im Allgemeinen. In dem folgenden Blogposting gehen wir dann auf die spezifische Situation Deutschland ein.

Der Markt mit der Konkurrenz und dem privaten Angebot ist eine sehr alte historische Erscheinung, der Kapitalismus aber nicht. Der Markt gehört zu ihm, er ist aber mehr als ein großer Markt. Er ist die erste Wirtschaftsform in der Geschichte, in der mit Maschinen produziert wird, die hauptsächlich aus Geldersparnissen gekauft werden. In der ökonomischen Sprache spricht man über Investieren von Geldkapital. Es ist nur folgerichtig, dass eine solche Wirtschaftsform, die das Geld als Kapital in die Produktionsmittel akkumuliert, den Namen Kapitalismus bekommen hat. Zu der Frage, wie sich die heute entwickelten Wirtschaften seinerzeit industrialisiert haben - kapitalistisch geworden sind -, gibt es zwei sehr unterschiedliche Auffassungen:

  • Die eine ist die von den Neoliberalen: Am Anfang jeder erfolgreichen ökonomischen Entwicklung hätte sich angeblich der Staat aus der Wirtschaft zurückgezogen. Danach konnten die Produktionsfaktoren optimal kombiniert werden und die private Initiative konnte sich spontan („frei“) immer mehr entfalten. Diese Erklärung hat alles, was ein gutes Märchen braucht. Sie hat einen epischen Helden, den Unternehmer, und natürlich auch ein Wunder, die Freiheit, die auf eine unergründliche und mystische Weise über allem steht und waltet und für das glückliche Märchenende sorgt.

  • Die andere Auffassung ist die von den Historikern: Nach ihnen sind die heute hochentwickelten Wirtschaften ganz anders entstanden. Aus ihren empirischen Forschungen hat sich nämlich klar ergeben, dass die Schlüsselrolle bei der Entwicklung jeder Marktwirtschaft der starke Staat spielte. Und zwar ein Staat, der die wichtigsten Wirtschaftszweige finanziell und auf andere Weise unterstützte, die Konkurrenz zwischen ihnen förderte, aber sie zugleich mit strengen Maßnahmen vor der Konkurrenz aus dem Weltmarkt schützte.

Was die Neoliberalen erzählen ist völlig falsch - ein Nonsens. Entweder sind es bewusste Lügen, oder es wird einfach nur unkritisch nachgeplappert, was man in den Schulen und an den Unis gelernt hat und was die Medien propagieren. Natürlich geschieht das nicht spontan und schon gar nicht wäre dem so, dass die neoliberale Lehre dem rational denkenden Menschen schon spontan überzeugend vorkäme. Es handelt sich um die Ideologie der heute herrschenden Machteliten, die zur Legitimation der sogenannten „liberalen Demokratie“ dient - also des „tiefen Staates“. Das Bekenntnis zu dieser Ideologie ist eine unabdingbare Voraussetzung für eine Kariere im real existierenden Kapitalismus. „Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken, d. h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht. Die Klasse, die die Mittel zur materiellen Produktion zu ihrer Verfügung hat, disponiert damit zugleich über die Mittel zur geistigen Produktion, sodaß ihr damit zugleich im Durchschnitt die Gedanken derer, denen die Mittel zur geistigen Produktion abgehen, unterworfen sind. Die herrschenden Gedanken sind weiter Nichts als der ideelle Ausdruck der herrschenden materiellen Verhältnisse, die als Gedanken gefaßten, herrschenden materiellen Verhältnisse; also der Verhältnisse die eben die eine Klasse zur herrschenden machen, also die Gedanken ihrer Herrschaft.“ So Marx in der Deutschen Ideologie. Will man den Historikern nicht so recht glauben, dass sich nämlich die Neoliberalen als gebildete und belesene Menschen so sehr täuschen könnten  - oder uns nur dreist belügen -, so lässt sich auf Tatsachen verweisen, die uns zeitlich ganz nah sind und uns selbst mehr oder weniger zugänglich sind. Das beste Beispiel ist der Vergleich der ökonomischen Entwicklung von Russland und China in den vergangenen 30 Jahren.

Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus hat Russland die extremen neoliberalen Rezepte der Schocktherapie blind befolgt. Der Übergang zur „freien Marktwirtschaft“ war bekanntlich ein gewaltiges Desaster. „Russland erlitt größere volkswirtschaftliche Verluste - gemessen am Rückgang des BIP - als während des Zweiten Weltkriegs“.... > Zu Beginn der Schocktherapie in Russland erklärte einer der Haupttäter, Gaidar, vor der Presse - freimutig lachend! - der „Reformprozess“ werde wohl Millionen Tote kosten. Das hat sich als außergewöhnlich weitsichtig bestätigt. Die Bevölkerungsverluste der Jelzin-Gaidar-Zeit, in der die Menschen in den Wintern erfroren und an Unterernährung und Krankheiten starben - bei gestrichener medizinischer Versorgung -, in der die allgemeine Lebenserwartung von 72 auf 55 Jahre sank, werden auf 10-15 Millionen Tote geschätzt. Das postkommunistische Russland ist zum gigantischen Denkmal des neoliberalen Misserfolgs, besser gesagt des sozialen Genozids geworden. Kein Wunder, dass heute in Russland das Wort „liberal“ als Schmach- und Schimpfort gilt. Alles in allem ist die Bilanz aller ehemaligen kommunistischen Länder nach fast drei Jahrzehnten des Experimentierens mit dem Neoliberalismus sehr negativ. Abgesehen von wenigen Superreichen geht es den meisten Menschen nicht besser als früher, vielen sogar deutlich schlechter - darüber ein anderes Mal. Vielleich soll dazu noch der ganz aktuelle Fall erwähnt werden: Ukraine nach dem vom Westen organisierten Putsch und zwar Hand in Hand mit den ukrainischen Faschisten.dorthin Und so wie damals Russland, nach der neoliberalen Weise wurde auch Ukraine zugrunde gerichtet. Die Wirtschaft ist kollabiert und 12 Millionen arbeitsfähige Ukrainer haben das Land verlassen. Das Gegenstück dazu ist die Entwicklung Chinas, das offensichtlich die paternalistische Marktwirtschaft seiner erfolgreichen Nachbarn - der vier kleinen Tiger - fleißig kopiert, aber nicht (nur) mit konfuzianischem, sondern mit marxistischem Ethos. China hat die Schlüsselindustrien nicht verstaatlicht, die Banken sowie die Geldschöpfung nie aus der Hand des Staates gelassen usw. Diese marktwirtschaftliche Strategie der chinesischen Kommunisten hat sich als ein großartiger Erfolg erwiesen.

Damit bestätigt sich, was wir oben über die beiden Auffassungen zur Industrialisierung einer rückständigen Wirtschaft gesagt haben. Die historische Erfahrung lehrt uns aber noch eine wichtige Lektion, nämlich was passiert, nachdem sich eine kapitalistische Wirtschaft so weit entwickelt hat, dass sie auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig ist. Dann wird immer und ausnahmslos die ursprüngliche Entwicklungsstrategie plötzlich geändert. Auf einmal gelten der starke Staat und der Protektionismus als Irrglaube und die Teilnahme am offenen Weltmarkt - heute sagen wir dazu Globalisierung - als der Weisheit letzter Schluss. Es gibt zwei Argumente, mit denen dieser Schritt von jeher „wissenschaftlich“ verteidigt worden ist:

1. Arbeitsteilung

Kein Mensch kann alles gleich gut machen. Deshalb spezialisieren sich die Menschen. Außerdem sind die Naturressourcen nicht gleichmäßig zwischen den Völkern und Staaten aufgeteilt. Wenn z. B. jemand einen guten Boden und viel Sonne für den Weinbau hat, wie etwa Portugal, dann soll er Wein produzieren. England kann dann zum Beispiel Textilien herstellen.

2. Komparative Vorteile (David Ricardo, 1772-1823 )

Während das Argument der Arbeitsteilung dem gesunden Menschenverstand recht plausibel erscheint, so stellt sich dabei aber doch die Frage, ob England und Portugal - sie hat der bekannte klassische Ökonom David Ricardo in seinem berühmten Rechenbeispiel genommen - auch dann Handel treiben sollen, wenn England den Wein genauso produktiv wie Portugal herstellen könnte. Die Neoliberalen verweisen da gern auf diesen Beweis von Ricardo, nach dem der freie Handel immer beiden Seiten nützlich sei. Als er diesen Beweis vortrug (1817), war allerdings noch nicht entschieden, ob England oder Portugal zu einer ökonomischen Weltmacht werden würde. Eigentlich hätte der Freihandel beiden zuträglich sein sollen. Es war aber ganz anders. Sehr bald war England Sieger und Portugal ein großer Verlierer der Geschichte. War also die Argumentation von Ricardo falsch?

Nein. Weder das Argument der Arbeitsteilung ist falsch, noch das von Ricardo. Besser gesagt, das Argument von Ricardo ist nicht an sich betrachtet schon falsch. Es würde aber in der Praxis nur dann gelten, wenn andere Faktoren nicht relevant wirken würden (ceteris paribus). Gäbe es nämlich nach 1817 keinen ökonomischen Fortschritt in der Produktion von Wein in Portugal und in der Produktion von Textilien in England, also in dem Fall einer stationären Wirtschaft, so wäre es sowohl für England als auch für Portugal tatsächlich am besten, sich auf Weinproduktion bzw. Textilien zu spezialisieren und Handel zu treiben. Es hat sich aber herausgestellt, dass sich die Industrie immer weiterentwickeln kann, die Landwirtschaft nur viel langsamer. Auch dann brächte zwar der Handel komparative Vorteile, sowohl für England als auch für Portugal - also Ricardo wäre im Recht. Aber! Warum sollten dann die Engländer mit ihrer weiterentwickelten Industrie nur weiter Handel treiben und nicht etwas Anderes tun wollen? Dieses „Andere“ haben sie eben getan und das war für Portugal fatal.

Wer Maschinen für die Textilproduktion herstellen kann, beherrscht ein solides technisches Wissen, mit dem sich auch gute Waffen herstellen lassen. Die Portugiesen dagegen konnten nicht einmal bessere und teurere Weine herstellen, mit denen sie genug verdienen konnten, um sich immer bessere und teurere Waffen zumindest zu kaufen. Wegen der militärischen Schwäche hat Portugal immer weiter seine Kolonien an England verloren. Militärisch besiegt, spielte Portugal geopolitisch bald keine Rolle mehr. Dieser historische Fall ist nicht nur rein ökonomisch interessant, sondern auch sozial-politisch. Deshalb ist ein kurzer Exkurs dazu angebracht:

Es war eigentlich der gute Boden, der Portugal zum Verhängnis wurde. Er war das Hindernis, warum sich Portugal nicht industrialisiert hat, obwohl seine Voraussetzungen am Anfang gleich gut waren wie in England. Wenn nämlich der Boden gut ist, können die Herrscher mehr Staatsideologen und Staatswächter bezahlen und die Bodenbesitzer vor den eigenen Untertanen beschützen, um sich damit einzubilden, dass ihre Herrschaft (status quo) für die Ewigkeit gesichert sei. Das industriell entwickelte England hat das Problem des inneren sozialen Friedens anders gelöst. Mit besseren Waffen wurde es zum Plünderer und zum Ausbeuter der Welt und konnte seine Untertanen ruhigstellen, indem man ihnen ein paar Krümel der Beute überließ. So ist in kurzer Zeit das British Empire entstanden. Die Folgen für den Rest der Welt waren fatal. Die Briten haben nicht nur die Meere beherrscht, sondern sie regelmäßig auch mit dem Blut der „unterentwickelten“ Völker rot gefärbt. Es lassen sich beliebig viele Beispiele dafür anführen. Wir erwähnen hier den Opiumkrieg und die Kanonenbootdiplomatie, da sich diese Dinge in China ereignet haben, das sich nach dem „Jahrhundert der Erniedrigung“, wie es die Chinesen sagen, in die Geschichte zurückmeldet.

Der Chinesische Kaiser war am freien Handel mit offenen Grenzen gar nicht interessiert und die vielen Boten aus England konnten ihn dazu nicht überreden. Seine Position war somit gar keine andere als die englische, bis England sich industriell entwickelte. England hob nämlich seine protektionistische Politik erst dann auf, als es sich (seit 1830) seiner industriellen Überlegenheit auf dem Weltmarkt sicher war. Noch 1813 wurden die um 50 bis 60 % billigeren indischen Kattun- und Seidenerzeugnisse in England mit einem Importzoll von 70 bis 80 % belegt. Als die Wirtschaft ihre Produktivität durch Mechanisierungen deutlich steigern konnte, wich die protektionistische Politik dem Open-door-Imperialismus des Freihandels. Unter solchen Umständen ist es natürlich ein Vergnügen, sich für zollfreien Wettbewerb einzusetzen. Als der chinesische Kaiser nicht nachgeben wollte, haben sich die Briten für klarere Argumente entschieden: Kanonenboote. So haben sie alle größeren Städte nahe der Küste solange beschossen, bis der Kaiser vom Segen des freien Handels mit komparativen Vorteilen „überzeugt“ war. Nicht nur den ungestörten Import von Opium musste er danach den Briten garantieren, sondern sich sogar verpflichten, die in China lebenden Engländer - also die britischen Drogenhändler - dem britischen Recht zu unterstellen. Was dann folgte, werden die Chinesen nie vergessen. Millionen von Chinesen sind durch Opiumsucht umgekommen und die alte Zivilisation wurde völlig zerstört. Sogar in Wikipedia, wo unsere westliche moralische Unschuld und Überlegenheit mit allen Mitteln verteidigt wird, findet man folgende Angaben: „Nach der Niederlage wurde China zur Öffnung seiner Märkte und insbesondere zur Duldung des Opiumhandels gezwungen. … In den Jahren zwischen 1830 und 1840 war die East India Company der weltweit größte Drogenhändler.“ Eine ähnliche Bescherung hat der freie Handel auch dem chinesischen Nachbar Indien gebracht. Nachdem Indien gezwungen wurde seine Grenzen zu öffnen, „bleichen die Knochen der Baumwollweber in den Ebenen von Indien“, schrieb der damalige britische Generalgouverneur 1833/34. Nach offiziellen Schätzungen waren es etwa 20 Millionen Toten, tatsächlich kann man von einer viel höheren Zahl ausgehen.

Marx hat im Kapital die koloniale Praxis des Kapitalismus ausführlich beschrieben und zusammengefasst: „Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens.“ War das eine Übertreibung? Wenn nicht, warum hat dann Jesus verkündet, dass ein Kamel leichter durch ein Nadelöhr gehe als ein Reicher ins Reich Gottes komme (Mk. 10,25). Er hat die Seele der Reichen offensichtlich sehr gut gekannt. Nicht anders hat es mehrere Jahrhunderte davor Platon gesehen. Man kann es so zusammenfassen: Zwischen den Eigenschaften reich und böse wirkt eine Anziehungskraft, die so zwangsläufig gilt, wie die physikalische Gravitationskraft zwischen zwei Massen. Die Moral der Reichen im Kapitalismus ist vielleicht nicht schlechter als der Reichen immer und überall, aber das kann kein Trost sein. Sie bedeutet rücksichtslos und brutal „zu lügen, zu betrügen und zu stehlen“ - was manchmal sogar zugegeben wird.dorthin Der Synergieeffekt des Bündnisses der niedrigsten Triebe mit dem Profit hat schließlich immer dieselben Ergebnisse gebracht. Neben vielen, die das richtig gesehen haben, erwähnen wir nur noch den bekannten deutschen Ökonomen Werner Sombart (1863-1941), der vor dem Zweiten Weltkrieg ernüchternd feststellte: „Alles in allem: Wir sind nun auch reif für eine stationäre Wirtschaft und schicken die ,dynamische‘ Wirtschaft des Kapitalismus dahin, woher sie gekommen ist: zum Teufel.“ In der ökonomischen Sprache gefasst: Für Reichtum, Ehre und Macht gilt nicht das Gesetzt des abnehmenden Nutzens. Man kann es fast nicht glauben. Gerade der Nutzen ist bekanntlich die Kategorie, auf dem die ganze neoliberale Theorie steht. Voilà! Auch diesbezüglich hat sich Sombart klar geäußert: „Manche Vertreter des ,Nutzprinzips‘ haben Ernst mit ihrer Auffassung gemacht, indem sie die Folgerung gezogen haben, daß die Nationalökonomie zu einer allgemeinen ,Genußlehre‘ auszubauen sei. Der erste, der diesen Gedanken gefaßt hat, ist wohl der geniale Idiot Hermann Gossen gewesen, dessen Werk über Die Gesetze des menschlichen Verkehrs die Veranlassung zu allem möglichen Unfug geworden ist“.... > Vorerst geht es uns aber nicht um theoretische Fragen, wir bleiben bei Tatsachen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die USA das kapitalistische Imperium übernommen. Zugleich auch die gut bewährte „Kanonenbootdiplomatie“, nur mit einer „Nachbesserung“. Wenn die USA ein Land zur Steinzeit zurückbomben um es zu versklaven und auszuplündern, ist das mit den besten und edelsten Absichten gemacht: Menschenrechte, Freiheit, Demokratie, Befreiung von Diktatoren, … Die aktuellsten Beispiele dafür sind (Ex-)Jugoslawien, Irak, Libyen, Syrien. So viele Tote, die solche „humanitären Interventionen“ immer mit sich bringen, hätten diesen Völkern die „Diktatoren“ nicht bewerkstelligen könnten, sogar wenn sie Tausend Jahre leben würden. Von dem Elend, das dann die „komparativen Vorteile“ schleichend nach sich ziehen, ganz zu schwiegen. Es hat also einen guten Grund, warum die Amerikaner dem internationalen Gerichtshof (International Court of Justice, ICJ) im niederländischen Den Haag nicht für ihre Mitbürger zuständig halten. Jimmy Carter, der einzige US-Präsident unter dem die Vereinigten Staaten keinen Krieg geführt haben, erinnerte kürzlich in seiner Kritik an Trump in der Maranatha Baptist Church im US-Bundesstaat Georgia daran, dass die USA in ihrer 242-jährigen Geschichte nur 16 Jahre in Frieden gelebt haben, wodurch das Land „zur kriegerischsten Nation in der Geschichte der Welt“ wäre.dorthin Krieg ist für die USA zum natürlichen Zustand geworden, zum Way of Life, zur Raison d'être. Sie brauchen den Krieg, damit ihr plutokratisches System funktionsfähig bleibt. Das System ist einer "Kriegssucht" (Philip Giraldi) verfallen. Nicht weniger tragische Tötung als die mit Waffen ist eine andere, übrigens auch eine alte aber innovierte Taktik. Städte mit Mauern wurden früher belagert, um die Verteidiger so lange hungern zu lassen, bis sie sich ergeben haben. Die bekannteste Belagerung ist die von Troja, die Homer in der Ilias schilderte. Heute bezeichnet man diese alte aber innovierte Taktik zynisch als „Sanktionen“. Man sanktioniert, also bestraft diejenigen, die sich nicht versklaven und ausrauben lassen. Der aktuellste Fall ist Venezuela. Als eine originelle und neue Entdeckung, um die imperialen Eroberungen zu rechtfertigen, sind die inszenierten Chemieangriffe des „Diktators gegen das Volk“, wie die der Weißhelme in Syrien.

So viel - oder besser gesagt: so kurz - zu dem allgemeinen Weg der Völker zum Kapitalismus. Und wie war es in Deutschland?

„Die entwickelten Länder zeigen den rückständigen Ländern ihre Zukunft“, stellte damals in England lebender Marx fest. Als sich das auch für Deutschland bestätigte, war er aber schon tot. Deutschland hat sich also an der Geschichte des Kapitalismus erst sehr verspätet beteiligt. So verspätet, dass die Umstände oder Faktoren, denen der Kapitalismus seine Entstehung verdankt, nicht mehr wesentlich wirken konnten. Zu diesen Faktoren gehört vor allem der Zustrom von Silber und Gold nach Westeuropa, der eine in der Geschichte nie zuvor dagewesene Nachfrage für die neue ökonomische Ordnung geschaffen hat, sowie die Auswanderung der Bevölkerung in die neue Welt, die in Europa zur Lohnsteigerung führte und dadurch die Ursache für die Industrialisierung war - also für die erste Akkumulation des (Geld-)Kapitals in der Geschichte. Dazu mehr im e-Book. Schon aus diesem Grund konnte der Anfang des Kapitalismus in Deutschland nicht gleich sein, wie bei den westlichen Nachbarn, die bereits kapitalistisch bzw. industrialisiert gewesen sind. Aber auch wenn die „nachholende Entwicklung“ des Kapitalismus in Deutschland etwas anders begonnen hat, sehr schnell ist Deutschland so geworden, wie der real existierende Kapitalismus immer und überall. Nach einem halben Jahrhundert wollte man aber die freie Marktwirtschaft in Deutschland nicht mehr als Kapitalismus bezeichnen. Sie wäre angeblich eine „soziale Marktwirtschaft“. Einen gewichtigen Grund dafür musste es geben. Ja, einen ideologischen. Die angeblich „soziale Marktwirtschaft“ war von Anfang an nur eine ideologische Täuschung oder Betrug. Einen spezifisch deutschen Kapitalismus „Made in Germany“ gab es nie: weder in der Theorie noch in der Praxis.

Fortsetzung folgt

     
Keywords und Lesehinweise  
#Komparative Vorteile  
 
Ausführliche Fachartikel auf der Website:  
Die sogenannten komparativen Vorteile in der heutigen globalen Wirtschaft lesen
 
     
#Die Nachfrage und der Anfang der kapitalistischen (freien) Wirtschaft  
 
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Marktwirtschaft neu denken: Teil I, Kapitel 4  
 
     
     
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