Immer wieder erzählt Trump über den „Jobklau“ der chinesischen Wirtschaft. Das ist schon aus einem trivialen Grund falsch. China hat die Arbeitsplätze nicht gestohlen, sondern die amerikanischen Unternehmen haben die Arbeitsplätze in der Zeit nach der neoliberalen Konterrevolution gezielt dorthin verlagert (offshoring). Durch die dort niedrigen Löhne konnten die Kapitalbesitzer ihre Profite enorm steigern und die amerikanischen Bürger die aus China importierten Konsumgüter billig kaufen. Dieser märchenhafte Zustand konnte aber nicht ewig dauern. Mit dem Kapital wurden nämlich auch die Arbeitsplätze verlagert. Dies führte die amerikanische Realwirtschaft immer tiefer in die Agonie. Der ehemalige innovative und blühende manufacturing belt wurde zum rust belt und er verrostet nun in rasantem Tempo immer mehr. Das bekam zuerst die underclass zu spüren, aber bald wurde auch die middle-class Opfer dieser Entwicklung. Gerade dank dieser middle-class wurde Trump zum Präsidenten gewählt, der versprach den rust belt zu alt-neuem Glanz zu verhelfen. Und zwar durch Protektionismus. Doch wird er die Arbeitsplätze aus China nicht zurückholen. Warum, das zeigt uns die Reswitching-Analyse.
Reswitching ist das Gegenteil von Substitution. Aber was ist Substitution? Auf Deutsch bedeutet das Wort „ersetzen“ oder „austauschen“. Jetzt geht es uns um die Substitution in der neoliberalen Wirtschaft-„Wissenschaft“. Dort ist sie so etwas wie die Newtonschen Gesetze in der klassischen Mechanik. Diese Gesetze sind von der Idee her genial einfach, das neoliberale Gesetz Substitution ist nur einfach. Es sagt nichts anderes und nicht mehr als:
Damit es der Wirtschaft gut und immer besser geht, sollen die Armen ärmer und die Reichen reicher gemacht werden.
Es ist klar, dass die Neoliberalen es so nie öffentlich sagen werden. Sie tarnen die Substitution in eine verschrobene Sprache und mathematische Exhibitionen. Das soll zugleich die Laien beeindrucken und sie davon abzuraten, noch welche Fragen zu stellen. Sie formulieren und argumentieren die Idee der Substitution etwas anders als oben, die ist auch nicht schwer zu begreifen:
Bei der Güterproduktion werden die Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital gemeinsam eingesetzt, also „kombiniert“, wie es die Ökonomen sagen. Jedes Unternehmen „kombiniert“ diese Produktionsfaktoren so, dass die Produktionskosten (pro Output) minimal sind. Gesamtwirtschaftlich gesehen stehen die gesamten Kosten des Kapitals zu denen der Arbeit quantitativ in einem bestimmten Verhältnis, das von den Kombinationen in den einzelnen Unternehmen abhängt. Was geschieht nun, wenn die Löhne fallen? Dann werden in manchen Betrieben Produktionsmethoden ausgetauscht. Ein Teil des Kapitals wird gegen die nun billig gewordene Arbeit ausgetauscht - also substituiert. Die Folge dieses freigesetzten Kapitals ist wunderschön: Auch wenn die Menge des Kapitals in der Wirtschaft gleich geblieben ist, wächst durch die Lohnsenkung die Zahl der Beschäftigten und die gesamte Wirtschaft ebenfalls. Also: An hoher Arbeitslosigkeit und schwachem Wachstum seien daher nur die überzogenen Lohnansprüche der Arbeitnehmer schuld. Voilà!
Lieber Leser, denken Sie einmal nach. Was stimmt da nicht und zwar offensichtlich? Was geschieht nämlich sehr bald nachdem die die Löhne gefallen sind? Richtig! Die Kosten der Unternehmen, die Kapitalgüter herstellen, sinken. Damit sinkt aber auch der Wert des Kapitals. Ups! Die Lohnsenkung kann höchstens nur kurzfristig das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit ändern. Die Substitution ist ein akademischer Unsinn aber zugleich die Ideologie der Reichen in dem real existierenden Kapitalismus. Wie sieht es wirklich mit der langen Frist aus? Damit haben sich auch die nicht neoliberalen Ökonomen beschäftigt und sind schon Mitte des vorigen Jahrhunderts zu den folgenden beiden Schlussfolgerungen gekommen, die sich genauso mathematisch streng herleiten lassen, wie es die Neoliberalen so gerne haben:
1: Fallen die Löhne, ändert sich langfristig das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit. Aber nicht linear, wie es die Neoliberalen behaupten! (Mathematisch gesprochen: nicht monoton!) Es wird nicht immer weniger Kapital und immer mehr Arbeit eingesetzt. Das quantitative Verhältnis Kapital/Arbeit vom betrachteten Anfang - wie auch immer dieses Verhältnis gewesen ist - kann sich bei weiterer Lohnsenkung immer wieder einstellen. Es kommt zur „Wiederumschaltung“ auf den früheren Zustand, auf Englisch: Reswitching.
2: Wenn für den Einsatz des Kapitals weder Zinsen noch Profite zu entrichten wären, also wenn die Arbeiter den ganzen Netto-Verdienst bekämen, ergäbe das kostenoptimale Verhältnis von Kapital und Arbeit die maximale Arbeitsproduktivität und umgekehrt. Steigen also die Profite, fällt die Arbeitsproduktivität der Wirtschaft höchstwahrscheinlich immer mehr (ceteris paribus).
Die neoliberalen Ökonomen im Dienste der Kapitalbesitzer haben sich wieder einmal mit ihrer Theorie aus dem Zeitalter von Dampflok und Postkutsche blamiert. Und was hat das mit China und den USA bzw. Trump zu tun? Sehr viel:
• Mit dem nach China verlagerten Kapital sind zunächst die Arbeitsplätze aus den USA abgezogen worden, die maximale Profite bei niedrigen Löhnen brachten. Es handelte sich also um wenig produktive Tätigkeiten. Würde Trump diese Arbeitsplätze bzw. Technologien zurückholen, brächten diese den amerikanischen Arbeitern nicht einmal bei viel kleineren Profiten anständige Löhne ein. Auch mit massiven Steuersenkungen würde man daran nichts merklich ändern können Mr. President.
• Die Verbreitung der Kenntnisse über neue Technologien in den (ehemaligen) Niedriglohn-Kolonien wird von den westlichen Medien als „Ideenklau“ und „Wirtschaftsspionage“ angeprangert, obwohl der Westen selbst diese Technologien dort hingebracht hat. Die chinesischen Unternehmen werden mit geheuchelter Empörung drangsaliert und diskriminiert, es werden geradezu inquisitorisch inszenierte Schauprozesse gegen den „Wissensklau“ veranstaltet (z.B. Huawei). Dabei ist es in der Geschichte nichts Neues, sich das Wissen über die Technologien anzueignen, mit denen man in Berührung kommt. Die Völker des europäischen Kulturkreises (Germanen, Romanen, Slawen) galten noch vor wenigen Jahrhunderten als extrem rückständig, haben der Zivilisation gar nichts beigetragen, aber am Anfang ihrer kometenartigen Entwicklung vor etwa drei Jahrhunderten hatten sie sich alle damaligen zivilisatorischen Errungenschaften aneignet. Warum hatten die „Langnasen“ damals keine moralischen Skrupel damit - fragen sich die Chinesen heute. Und sie erinnern sich auch an die britische „Kanonenbootdiplomatie“, die berühmte „Hunnenrede“ von Kaiser Wilhelms II usw. Ja, das ist für sie der „Wertewesten“, aber bleiben wir im Rahmen der Ökonomie. Deshalb ist den Chinesen die Selbstgerechtigkeit und Wichtigtuerei der „Langnasen“ abscheulich aber allmählich auch herzlich egal. Sie haben den Untergang ihrer einmal hochentwickelten Zivilisation überwunden und sind mittlerweile dabei, den technischen Fortschritt selber voranzubringen, und es spricht einiges für ihren Erfolg. Dies gilt insbesondere für die Tatsache, dass die chinesische Regierung die Reswitching-Falle erkannt hat und nicht zulassen wird, dass die Reichen die arbeitende Bevölkerung ausnehmen, so wie es im Westen geschieht. Für die Sozialisten und Kommunisten zählten bekanntlich schon immer Wohlstand und Gleichheit zu den höchsten Werten. Sowie für die Frühliberalen, wie etwa Adam Smith und John Locke, nicht die Freiheit des Stärkeren wie bei den Neoliberalen. Das aber jetzt nur nebenbei.
• Die Produktivitätssteigerung des Westens hat sich nach der neoliberalen Konterrevolution in den 1970er Jahren immer weiter verlangsamt. „Zwischen 1950 und 1973 wuchs die europäische Produktivität um 4,44 Prozent, die amerikanische um 2,68, von 1973 bis 2000 nahm sie in Europa um 2,4 Prozent zu, in den USA um 1,37 Prozent.“ Und seit der so genannten Finanzkrise (2008) wächst sie kaum noch. Deutschland gehört hier zu den größten Versagern. Nach den Hartz I bis IV-Reformen (Agenda 2010) steckt die deutsche Wirtschaft in der Reswitching-Falle. Dank des Lohndumpings, also der Strategie „beggar-my-neighbour“, läuft die deutsche Wirtschaft in den letzten Jahren zwar relativ gut, genauer gesagt ist sie nur ein Einäugiger unter ihren blinden Nachbarn. Um anschaulich zu machen, was die vorgelegten Zahlen und das Gerede von einem „Boom“ in Deutschland wirklich bedeuten, hilft uns ein einfaches Zahlenbeispiel. Mit dem durchschnittlichen Produktivitätswachstum von 4,44% aus der Zeit der keynesianischen Wirtschaftspolitik - des goldenen Zeitalters des Kapitalismus - in Bezug auf das heutige Nullwachstum, hätte sich das Bruttosozialprodukt Deutschlands in nur 17 Jahren mehr als verdoppelt. Verdoppelt hat sich jedoch nur der Reichtum des Reichsten.
Zusammenfassung:
Die neoliberalen Wirtschaftsreformen haben das bewirkt, was sie bewirken mussten. Durch die rücksichtslose Ausplünderung der eigenen arbeitenden Bevölkerung ist der westliche Kapitalismus in die Reswitching-Falle getappt. Er hat abgewirtschaftet. Die wirtschaftliche Dynamik wandert nach China, Indien, Russland, Brasilien usw. Mag der Westen so dreist, rücksichtslos und böse sein wie es ihm nur möglich ist, den ökonomischen Fortschritt dieser „neuen Tiger“ wird er nicht stoppen. Ren Zhengfei, der Chef des chinesischen Konzerns Huawei, der mittlerweile weltweit so erfolgreich ist, dass ihm der vereinigte Westen den Handelskrieg erklären musste, nahm es gerade im britischen BBC zum Anlas zu verkünden: „Wenn die Lichter im Westen ausgehen, wird der Osten scheinen.“ Noch weniger zu erwarten ist, dass sich der westliche Kapitalismus aus eigener Kraft rettet. Einer der besten Beweise dafür sind auch Sie Mr. President. Bisher konnte sich der Kapitalismus immer durch imperialistische Räubereien und Weltkriege retten, daher wundert es nicht, wie die westlichen Medien und Politiker leidenschaftlich schon wieder die Kriegstrommel schlagen. Und wie immer wird dabei die Devise (casus belli) ausgegeben, man sei einem potenziellen Angriff ausgesetzt und dem müsse man zuvorkommen. Putin steht vor der Tür! Trump scheint es dort eher die Chinesen zu erblicken! Eric Hobsbawm, der vor wenigen Jahren gestorbene große britische Universalhistoriker, der in seinen 95 Jahren viel erlebte, dürfte also wissen wovon er sprach: „Es wird Blut fließen, viel Blut, das Leid der Menschen wird zunehmen, auch die Zahl der Flüchtlinge. Und noch etwas möchte ich nicht ausschließen: einen Krieg, der dann zum Weltkrieg werden würde - zwischen den USA und China.“ Aber Hobsbawm war auch nur ein Mensch und irren ist bekanntlich menschlich. Kriege sind hauptsächlich politische und persönliche Entscheidungen und als solche folgen sie nicht unentrinnbaren Gesetzmäßigkeiten wie das Reswitching. Aus der Reswitching-Falle wird also auch Trump die westliche Welt nicht retten können. Wir können nur hoffen, dass er nicht versuchen wird - wie im Westen in den letzten Jahrhunderten üblich - den Untergang des Kapitalismus durch einen Weltkrieg zu verhindern. Den Kapitalismus, wie wir ihn kennen, wird er diesmal bestimmt nicht mehr retten können, die zivilisierte Existenz des Menschen auf unserem Planeten zu erlöschen, könnte ihm eher gelingen.
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