|  | 
     
        |  |  |  |  
        |  |  
            
               | 
 
   
    |  | Das Geld als Grundlage der Nachfragetheorie des 20. Jahrhunderts |   
    |  | Johann Silvio Gesell: Das Nachfrageproblem als Geldhortungsproblem |  
    |  |  |  |  |  
    |  |  | Die Oberflächlichkeit der politischen Ökonomie zeigt sich u.a. darin, dass sie die Expansion und Kontraktion des Kredits, das bloße Symptom der Wechselperioden des industriellen Zyklus, zu deren Ursache macht.  |  |  
    |  |  | Karl Marx zur Kritik der monetaristischen Krisentheorien |  |  
    |  |  |  |  |  
  Die genialen Ideen sind  einfach, aber nicht jede einfache Idee ist auch genial. Ob eine einfache Idee wirklich  genial ist, stellt sich erst viel später heraus, wenn es sich endgültig erwiesen  hat, dass es möglich war, auf dieser Idee eine neue Theorie aufzubauen, mit der  sich Tatsachen besser vorhersagen oder verwirklichen lassen als bei den  früheren Theorien. Für die ökonomische Theorie vom gehorteten Geld von Silvio  Gesell gilt dies bestimmt nicht. Die Idee, die dieser Theorie zugrunde liegt,  ist zweifellos einfach, aber ganz bestimmt nicht genial. Möglicherweise hatte  sie dennoch einen inspirativen Einfluss auf spätere Theorien und Theoretiker,  etwa Keynes oder Fisher, so dass man ihr doch einen Platz im Museum der geschichtlichen  Entwicklung der ökonomischen Theorien einräumen sollte. Das wäre aber alles -  zumindest wie ich die Lehre von Gesell betrachte. Wenn ich doch ein bisschen  streng mit dieser Theorie bin, dann auch deshalb, weil ich die allgemeine  Weltanschauung von Gesell nicht nur plump und naiv, sondern in moralischer  Hinsicht sehr widrig finde. Er war nämlich ein Sozialdarwinist, und zwar nicht einer  aus purer Verzweiflung, wie etwa Malthus - was abstoßend genug ist -, sondern ein  Sozialdarwinist aus tiefster Überzeugung und teuflischer Begeisterung.  Die „Freiwirtschaftslehre“ -  wie Gesell sie bezeichnet hat - ist eine der radikalsten Lehren über die  freiheitliche (ökonomische und soziale) Ordnung. So wie alle solche Lehren, bedeutet  sie nichts anderes als nur eine analytische Vulgarisierung und moralische  Degenerierung der frühliberalen Theorie. Die Freiwirtschaftslehre geht also  davon aus, dass die uneingeschränkten Freiheiten im Prinzip zu einer optimalen  ökonomischen und sozialen Ordnung spontan führen würden. Gesell bekannte sich sogar  offen zum Manchesterliberalismus, wie man früher die marktradikalen Auffassungen  bezeichnete. Für die Gegner der uneingeschränkten ökonomischen Freiheit war  Manchestertum ein Schimpfwort, vor allem in Deutschland - so wie heute  Neoliberalismus. Woran sich Gesell von diesen Radikalliberalen unterscheidet,  war sein ehrlicher Bezug zu den Tatsachen. Er hat zugestanden, dass die freie (laissez-faire)  Marktwirtschaft in der Praxis doch nicht so ideal funktioniert, wie Say und  später die Gleichgewichtstheoretiker (Walras, Pareto, ...) es behaupteten und meinten  dies streng mathematisch „nachgewiesen“ zu haben. Gesell war also klar, reines  Laissez-faire müsse doch ein klitzekleines Problemchen haben, und er war überzeugt  davon, dieses herausgefunden zu haben. Es heißt: Geldhortung.  Angeblich sparen die Menschen  zu viel Geld, und bringen damit die Marktwirtschaft immer wieder zum Zusammenbruch.  Und das sollte für die Erklärung aller Probleme der Markwirtschaft schon völlig  ausreichen. Man fragt sich verwundert, wenn alles so einfach ist, wie konnte man  nicht schon viel früher darauf kommen. Wenn man mehr darüber nachdenkt, merkt  man, dass eigentlich jede ökonomische Theorie, welche die Freiheit auf ihre  Fahne schreibt, die Theorie von Marx eingeschlossen, verblüffend einfach ist. Dies  ergibt einen klaren Sinn: Jeder, der auch größere Probleme bei der Realisierung  einer freiheitlichen Ordnung vermuten würde, kann doch die Freiheit nicht  bewundern. Ein Freiheitsfanatiker muss dagegen fest daran glauben, dass die  Freiheit sozusagen mystische Kräfte besitzt. Deshalb ähneln alle  Freiheitsfanatiker dem Zauberer aus den Kindermärchen, der mit einer richtigen  Bewegung seines Zauberstabs die böse Kraft verschwinden lässt und danach wird  alles wunderbar. Es ist sehr peinlich für die Spezies homo sapiens, dass solche Scharlatane so viele Menschen schon seit  mehreren Jahrhunderten begeistern. Würde man diese Zauberstab-Patente zum wirtschaftlichen  Paradies nach der Zahl der überzeugten und begeisterten Anhänger messen, würde sich  Gesell etwa über den dritten Platz freuen können. Die ersten zwei Plätze lassen  sich genauer bestimmen, nur was die Reihenfolge betrifft, da dürfte sich  mittlerweile etwas geändert haben. Marxismus: 
    
      |  | Laissez-Faire |  | privates Kapital |  | Freiheits- und Wohlstandsparadies auf der Erde |  Neoliberalismus: 
    
      |  | Laissez-Faire |  | zu hohe Löhne |  | Freiheits- und Wohlstandsparadies auf der Erde |  Freiwirtschaftslehre: 
    
      |  | Laissez-Faire |  | Geldhortung |  | Freiheits- und Wohlstandsparadies auf der Erde |  Man wird hier aber sofort einwenden, dass Marxismus und  Neoliberalismus alles andere als einfach sind. In einer Hinsicht sind sie es  nicht, im Gegenteil. Marx hat in seine ökonomische Theorie so viel Versatzstücke  aus der deutschen klassischen (idealistischen) Philosophie hineingebaut, dass es  dem Laien schwindelig werden kann. Die Neoliberalen haben das monumentalste  mathematische Modell, das es am Ende des 19. Jahrhundert überhaupt gab, nämlich  das partikel-mechanische Modell der Newtonschen Physik abgekupfert. So rettete  der Marxismus den Ruf und die Ehre der gescheiterten deutschen klassischen  metaphysisch-mystischen Philosophie; die Neoliberalen hauchten einem physikalisches  Paradigma, das die Physik bereits bestattet hatte, neues Leben ein. Diese Frankensteindoktoren  - Walras, Pareto, ... - haben aus einem verwesten Leichnam ein Monster geschaffen,  das der Menschheit bereits mehr als ein Jahrhundert das Blut aussaugt. Und das  war leider im Großen und Ganzen alles, was die Wirtschaftswissenschaft im 19. Jahrhundert  - eigentlich bis Keynes - zu leisten vermochte. „Über diesen Göttern und ihrem Kampf waltet  das Schicksal, aber ganz gewiss keine Wissenschaft“, kann man hier mehr als  berechtigt die Redewendung von Max Weber zitieren.  Warum die einfachen, geradezu banalen  betriebswirtschaftlichen Beobachtungen oder „Ideen“ in immer weitere Schichten  von abstrakten mathematischen Formeln und rhetorischem Wortgeklingel  eingewickelt wurden, ist gar nicht so schwierig zu erraten. Würde man ihnen  nicht ständig ein neues Gewand verpassen, würde es schnell auffallen, dass der Kaiser  nackt ist.  Die schlichte Welt eines geistig beschränkten Autodidakten und Kaufmanns
  Johann Silvio Gesell  (1862 - 1930) wurde in Sankt Vith, Kreis Malmedy geboren, der damals zum  Deutschen Reich gehörte (heute Belgien). Da er schon früh selber für seinen  Lebensunterhalt sorgen musste, verzichtete er auf ein Studium und beschloss,  den Beruf eines Kaufmanns zu erlernen. 1887 ging er nach Argentinien (Buenos  Aires), wo er sich selbständig machte. Die heftigen Wirtschaftskrisen des  Landes, die seine Geschäftstätigkeit stark beeinflussten, regten ihn zum  Nachdenken über die Probleme der Marktwirtschaft an.  Gesell war also ein Händler. Man kann natürlich nicht  behaupten, ein Mensch könne nie die kulturellen, ideologischen und moralischen  Grenzen seines sozialen Milieus durchbrechen, aber eine überwältigende Mehrheit  kann es bestimmt nicht. Zu diesen gehörte auch Gesell. Er war mit Fleisch und  Seele ein Händler: ein Kaufmann oder Krämer. Es ist nicht ganz überflüssig,  sich im Universalwörterbuch  von Duden zu  vergewissern, was Kaufmann und Krämer bedeuten.  
    Kauf|mann,  der [Pl. ...leute]: 1. jmd., der [eine kaufmännische Lehre abgeschlossen hat u.] beruflich Handel, Kauf u. Verkauf betreibt: ein guter, schlechter, geschäftstüchtiger K.; seine Vorfahren waren Kaufleute; er lernt K. (macht eine kaufmännische Lehre); er verdient sein Geld als selbstständiger K. 2. (landsch.) Besitzer eines Kaufladens (1): zum K. gehen und Mehl holen. Krä|mer,  der; -s, - [mhd. kramære, ahd. kramari = Kleinhändler]: 1. (landsch., sonst veraltet) a) jmd., der einen kleinen Laden mit Lebensmitteln hat; b) (früher) jmd., der Handel treibt; Handelsherr. 2. (abwertend) jmd., der engherzig, in kleinlicher Weise eigennützig, gewinnsüchtig ist.       Wie sieht die Wirtschaft und  die Welt aus dem Blinkwinkel eines Händlers aus? Sein ureigenes Ziel ist bekanntlich,  die zahlungsfähigsten und willigsten Käufer aufzuspüren und zwar egal, wo diese  sich befinden. Dies setzt natürlich die uneingeschränkte Freiheit voraus. Ein Händler  weiß also die Freiheit zu schätzen, weil sie für seinen Laden so wichtig ist,  wie etwa gutes Leder für einen Schumacher. Je betriebsblinder und globalisierter  ein Händler ist, desto mehr wird er von der Freiheit besessen und fasziniert. Was  den Händler dagegen nicht interessiert und wovon er keine Ahnung hat, ist die  Produktion. Wenn also Gesell anstatt Produktion am liebsten den Begriff  „Arbeitsteilung“ benutzt, ist dies nicht eine stilistische Besonderheit,  sondern hat unmittelbar mit seiner Weltanschauung zu tun. Sein Schwadronieren  mit der „Arbeitsteilung“ ist ein Symptom eines stark oberflächlichen und  mangelhaften Verständnisses von dem, was in der Produktion wirklich geschieht. Kein  Wunder also, dass das Investieren und damit auch das Sparen (zu diesem Zweck)  bei Gesell nur am Rande des Geschehens stehen. Sie sind nur lose Anhängsel  seiner Theorie. Wen kann dann schon wundern, dass in der Freiwirtschaftslehre  den Themen und Begriffen die Hauptrollen zugeteilt werden, die wir schon aus  der vorkapitalistischen Zeit, also schon seit Jahrtausenden kennen. Dazu  gehören an der ersten Stelle Geld und Zins. Warum gerade sie, lässt sich  leicht nachvollziehen. Wenn man Güter kauft, nur um  sie gewinnbringend weiter zu verkaufen, wie es ein Händler tut, braucht man  zuerst Geld. Weil jedes Geschäft ein Risiko ist, sind die Menschen aber nicht  bereit, das Geld umsonst zu verleihen, sondern verlangen einen Zins dafür. Das  hat Gesell nie richtig begreifen können. Ein seltsames Vorgehen für jemanden,  der so die Gerechtigkeit und den Verdienst hochhebt wie er. Außerdem hat Gesell  den Zins als Kostenfaktor weit überschätzt. Auch hier können wir in ihm einen  Händler erkennen, der sehr mit Betriebsblindheit geschlagen ist. Ja,  im Handel ist das Geld besonders wichtig, so dass der Zins üblicherweise der  wichtigste Kostenfaktor ist. Daraus lässt sich schließen, warum der Händler den  Zins nicht weniger leidenschaftlich hasst, wie der Unternehmer die Löhne. Folglich  obstruieren die Händler immer gegen den Zins. Dort, wo sie Macht hatten, haben  sie ihn sogar abgeschafft. Da fällt einem sofort der Prophet Mohammed ein, der Händler  war, und den Zins verboten hat. Der Zins ist der größte Schurke in der Welt des  Händlers. Außerdem schützt das Zinsverbot diejenigen, die schon Geld haben und  mit ihm Handel treiben vor denjenigen, die handeln wollen aber kein Geld dafür  haben. So altruistisch ist also das Zinsverbot - von bestimmten fällen  abgesehen - gar nicht, wie es auf den ersten Blick erscheint. Und für die  Akkumulation der großen Kapitalien ist er sogar schädlich. Man könnte jetzt fragen, wozu jetzt  diese „unsachlichen Ausschweifungen“ von mir? Aus dem Blickwinkel der reinen  Theorie sei doch völlig uninteressant und unwichtig, welche moralische Meinung  man über Arbeiter (Löhne) oder Sparer (Zins) hegt. Dem kann man aber nur  bedingt zustimmen. In den Sozialwissenschaften lässt sich die Weltanschauung von  der „reinen“ Theorie bestimmt nicht trennen. Außerdem ist es manchmal sehr nützlich,  die Weltanschauung am Anfang einer Theorieerklärung zu stellen, weil sie den  Rahmen der Theorie absteckt. Insbesondere gilt dies bei Gesell. Seine ökonomische  Theorie ist nur die Innenausstattung seiner Weltanschauung. Mehr dazu in einem  der nächsten Beiträge. Jetzt gehen wir, mit den erläuterten weltanschaulichen Bemerkungen  im Hintergrund, zur ökonomischen Theorie von Gesell über. Das Sparen, das Geldhortungsproblem und das „wahre“ Wesen des Zinses 
  Das Sparen alleine - das haben  wir bereits bei Sismondi und Malthus feststellen können -, muss noch keine  Geldhortung bedeuten. Bei diesen Ökonomen - und erst recht bei Marx und dem  Soziologen Max Weber - spart man, um das ersparte Geld sofort zu investieren  bzw. das Kapital zu akkumulieren. Das Sparen muss also gar nicht bedeuten, dass  Güter nicht gekauft werden. Dazu hat sich noch Smith klar und eindeutig geäußert: 
    „Das Ersparnis in einem Jahr wird regelmäßig, wie die jährlichen Konsumausgaben, beinah in der gleichen Zeit verbraucht, allerdings von andren Personen.“ 
          Diese „anderen Personen“ sind  natürlich Unternehmer, die das Ersparte zum Kauf von Produktionsgütern  verwenden. Wenn man also die Produktion berücksichtigt, ist es prinzipiell  möglich uneingeschränkt zu sparen, ohne dass es zum Ungleichgewicht zwischen  Angebot und Nachfrage kommt. Rein theoretisch betrachtet, lässt sich der Konsum  Jahrzehnte lang auf einem gleichen niedrigen Niveau halten, so dass Ersparnisse  für den Bau neuer Produktionskapazitäten verwendet werden können. Aber  irgendwann wird man diese Kapazitäten doch aktivieren müssen, und dann würde  der Wohlstand in den Himmel schießen. Das war die Obsession von Marx. Die  Revolution würde dem kapitalistischen Spar- und Akkumulationswahnsinn auf  Kosten des Konsums ein Ende setzen und alles würde gut sein. Was für ein gigantischer  Irrtum!  Weil das investierte Sparen  keinen Nachfragemangel hervorrufen muss, sind die Überakkumulationstheorien -  die von Malthus ist die wichtigste - keine starken monetären Nachfragetheorien.  Bei ihnen steht das Geld am Rande des wirtschaftlichen Geschehens. Das Geld ist  in diesen Theorien nur das technische Mittel, mit dem Kauf und Verkauf erheblich  erleichtert wird: also ein Tauschmittel. Gesell war einer der Pioniere, der  sich um die Funktion des Geldes als Wertaufbewahrungsmittel (Hortungsmittel)  interessierte. Sein Ausgangspunkt ist derselbe, wie bei Sismondi: 
    „Die Erfindung des Geldes verlieh den Austauschen ein völlig neues Aussehen, denn in gewisser Weise zerfiel von nun an jedes Handelsgeschäft in zwei Teile. Früher mußte man zur gleichen Zeit das betrachten, was man erwerben und das, was man dafür geben wollte. Durch das Geld wird jeder dieser Vorgänge getrennt voneinander ausgeführt. Der Erwerb des Gewünschten heißt Kauf; die Weggabe von Überschüssigem nennt man Verkauf, wobei die beiden Geschäfte unabhängig voneinander ausgeführt werden.“ 
          Wo aber Sismondi das Geld aus der  Verantwortung entlässt, beginnt Gesell seine Anklage, und zwar in der besten  Manier des mittelalterlichen Inquisitors. Was Geld tut, sei angeblich nichts  anderes als eine gezielte und böswillige Sabotage. 
    „Das Angebot braucht die Nachfrage und zwar sofortige Nachrage, und der Nachfrage ist diese Notlage oder Zwangslage des Angebots bekannt. ...  Folglich wird die Nachfrage der Regel nach eine Sonderleistung zu fordern imstande sein für das Vorrecht, vom Markte fernbleiben zu können. 
      .“ 
         Das Geld würde den Verkäufer  schamlos erpressen. Und der Zins? Der Zins sei sozusagen eine Art des  Erpressungsgeldes. Dies ist nach Gesell das wahre „Wesen“ des Zinses. 
    „Es ist eine gesonderte Leistung, die das Geld für sich einzieht, eine Abgabe, die das Geld erheben kann, weil es frei ist vom stofflichen Angebotszwang, dem die Waren allgemein unterworfen sind. ... Die Ware muß dem Gelde diese Freiheit bezahlen, es geht nicht anders. Ohne diesen Tribut wird kein Geld angeboten; ohne dem Geld die Tauschvermittlung zu bezahlen, erreicht keine Ware den Bestimmungsort. Kann aus irgendwelchem Grunde das Geld seine gewohnte Steuer nicht erheben, so bleiben die Waren liegen, sie verderben, verfaulen, vergehen.“ 
          Die ökonomischen Krisen hätten  also ihre einzige Ursache - so Gesell - in dieser erpresserischen Machenschaft  des Geldes. Schauen wir uns dies genauer an.  Die Preissenkung, der Fisher-Effekt und die Ursache der ökonomischen Krisen 
  Die Zeit spielt für das Geld. Wenn  das Geld auf der Lauer liegt und sich verweigert zu dem Angebot zu gehen, wird  das reale Angebot immer nervöser: seine Preise werden gesenkt. Dass die  Preissenkung die Nachfrage mindert, hat schon Sismondi ausdrücklich behauptet,  aber es ist ihm nicht gelungen, dies überzeugend nachzuweisen. Gesell ist hier  wirklich eine gute Idee eingefallen.  
    „Nicht alle geben das Geld, das sie eingenommen haben, gleich wieder für Waren aus. Und für diese ist es durchaus nicht gleichgültig, ob sich die Preise in der Zeit zwischen Verkauf und Kauf verändert haben. Noch weniger gleichgültig sind die Preise für alle Schuldner und Gläubiger; ja für diese ist die Frage: wieviel werde ich von meinen Erzeugnissen für die Auftreibung von Zins und Tilgungsbeträgen meiner Schulden verkaufen müssen, eine Lebensfrage. Auch werden wir später sehen, daß die Frage nach den Preisen, von rein kaufmännischen Standpunkt betrachtet, die Entscheidung über Leben und Tod des Warentausches und demzufolge auch der Arbeitsteilung, der Grundlage unserer Wirtschaft, enthält. Hier wollen wir aber zur Beleuchtung der Wichtigkeit der Preise nur Verhältnisse zwischen Gläubiger und Schuldner betrachten.“ 
          Die Preissenkung bewirkt also die  Aufwertung (Deflation) der Schulden, so dass der Gläubiger zwar nominell  dasselbe zurück bekommt (plus Zinsen), aber nach der realen Kaufkraft gemessen  mehr. Mann nennt dies heute Fisher-Effekt. Je länger der Preisverfall fortbesteht,  desto schamloser plündert der Gläubiger den Kreditnehmer bzw. den Produzenten aus.  Die Bezeichnung schaffendes (in der Produktion) und raffendes (bei den Banken)  Kapital bringt diesen Zusammenhang klar zum Ausdruck. Und es sollte sich dabei in  der Praxis um gar keine kleinen Summen handeln. Gesell illustriert dies mit  einem Beispiel (ohne es natürlich näher zu begründen): 
    „Ein Rückgang der Warenpreise von durchschnittlich 1%, also ein Pfifferling für unsere gepriesene Goldwährung, bedeutet für die deutschen Schuldner mehr als was die fünf Milliarden Kriegsentschädigung von 1871 für die französische Bürger bedeuteten.“ 
          Weil Zinsen - nach Gesells  Überzeugung - der wichtigste Kostenfaktor sind, ruiniert die Preissenkung die  Produzenten massenweise. Ihnen will jetzt keiner das Geld leihen, so dass immer  mehr Geld zu Hause gehortet wird und die Nachfrage noch weiter schrumpft. 
    „Die Furcht, dass das, was heute so billig angeboten wird, morgen noch billiger sein wird, schnürt alle Börsen.
... Die Waren sind unverkäuflich, weil sie zu billig sind und noch billiger zu werden drohen. Die Krise
      .“ 
         Heben wir noch einmal hervor,  dass hier Gesell schlüssig erklärt, was Sismondi und Malthus nicht gelungen ist  und was die Angebotstheorie vehement ablehnt, dass es nämlich einen Zusammenhang  zwischen dem Preisniveau und der Nachfrage gibt. Seine monetäre Erklärung dieses  Zusammenhangs ist zweifellos schlüssig. Empirisch ist sie jedoch falsch: das  „begrabene Geld“ gibt es nicht. Dazu kommen wir später noch. Aber wie dem auch  sei, schon dadurch hat sich Gesell die Feindschaft der Angebotstheorie zugezogen.  Richtig gefährlich wurde Gesell für die neoliberale Theorie durch seine  Zinstheorie. Er behauptet, die Zinssenkung würde den Nachfragemangel  hervorrufen und das Wachstum schwächen bzw. erwürgen. Das ist das genaue  Gegenteil von dem, was die Angebotstheorie immer behauptet hat. Gesell hat hier  in der Tat eine ihrer wichtigsten Säulen gesprengt (die zweite Säule ist  natürlich die Lohnsenkung). Diese Kritik hat Keynes später weiterentwickelt, so  dass es angebracht ist, sich schon jetzt dieses Thema näher anzuschauen. In der neoliberalen Theorie sorgt  bekanntlich der flexible Zins automatisch dafür, dass das ganze Geld im  Kreislauf bleibt und nicht irgendwo abfließt. Wegen des sich frei bildenden Zinses  sollte also die Geldhortung unmöglich sein. Die Idee lässt sich schnell  erklären. Wenn der Absatz zurückgeht, investieren die Produzenten weniger, sie  fragen folglich auch weniger Geld nach, so dass der Zins sinkt. Bei niedrigeren  Zinsen lohnt es sich dann weniger, das Geld auszuleihen, so dass die  Geldbesitzer weniger sparen und mehr konsumieren. So einfach ist es - wäre die  neoliberalen Auffassung richtig. Dieses, durch den schwankenden Zins sich immer  wieder bildende Gleichgewicht wird mit der bekannten mathematischen Gleichung  veranschaulicht. Wir schreiben sie jetzt auf, weil wir uns mit ihr - wie eben  angedeutet - bei Keynes noch beschäftigen werden. S(i) = I(i) S sind Ersparnisse, I die  Investitionen, die beide vom Zins (i) abhängen. Das lässt sich mit Grafiken  darstellen, an denen man, wenn man Lust hat, beliebig lange mathematisch onanieren  kann. So entstehen die sogenannten neoliberalen Wachstumsmodelle, die nichts  taugen, weil sie mit der Realität nichts zu tun haben. Gesell hatte eine  scharfsinnige Erklärung, warum sie versagen. Er stellte sich die Frage, was geschehen  würde, wenn der Zins nahe Null ist und der Sparer ein rational denkender Mensch  ist. Dieser Sparer würde sein Geld nicht auf die Bank bringen, und zwar aus ganz  einfachen Gründen: Dieses Geld wird ihm (fast) nichts bringen, und es bestünde das  Risiko, dass die Bank das Geld irgendwo verspekuliert. Ein rational denkender  Sparer hebt sein Geld auf und parkt es zu Hause. Der (neoliberale)  Zinsmechanismus hat damit völlig versagt. 
    „Auch mögen viele das Geld bei sich sicherer halten als in fremden Händen, unter fremder Verwaltung. Alle diese Hemmungen, die bisher durch den hohen Zins überwunden wurden, gewinnen jetzt die Oberhand. Und ein Strom von Geld  ... fließt vom Geldamt über die Märkte, um in Millionen von Sparbüchsen zu münden. Und je mehr der Zins fällt, um so stärker fließt dieser Strom; schließlich, und noch bevor der Markt an Realkapital völlig gesättigt ist, schon wenn der Zins auf 1% abfällt ist, bringt niemand mehr seine Ersparnisse zur Sparkasse, alle behalten das Geld lieber unter eigener Aufsicht. Und dann wandern die gesamten Ersparnisse des Volkes in die Sparbüchse. Viele Milliarden
      .“ 
         Es geschieht nicht selten in der  Geschichte der Marktwirtschaft, dass die Sparer ihre Banken zu leeren  versuchen, wonach die reale Wirtschaft zusammenbricht. Um dies zu verhindern, pumpen  die Regierungen seit dem Herbst 2008 unvorstellbare Geldmengen in die Banken.  Dies müsste die Krise überwinden. Das sollte aber hier nur nebenbei bemerkt  werden. Wir werden sehen, was in den nächsten Monaten und Jahren passieren wird.  Vorerst wissen wir nur soviel, dass mittlerweile die reale Wirtschaft bzw. die  Produktion - China ausgenommen - erschreckend abschmiert.  Die niedrigen Zinsen sind, da hat  Gesell Recht, noch viel gefährlicher als sonst, wenn das Gold mit Gold gedeckt  ist: wenn es buchstäblich goldwert ist. Darauf kam Gesell aus eigener Erfahrung.  Er konnte nämlich beobachten, dass die Einführung einer mit Gold gedeckten  Währung, mit der man in Argentinien um 1890 der Wirtschaft helfen wollte, zu  einer Wirtschaftskrise führte. Möglicherweise hat sich Gesell genau hier in die  Vorstellung verrannt, die ihn sein ganzes Leben nie verlassen hat. Die  Vorstellung, es säßen überall feniste Herren mit Frack und Zylinder auf Säcken  mit Geld herum, das sie nicht wieder hergeben. Der wahre Schurke in Gesells  Stück ist also er: 
       Jawohl, das ist Dagobert Duck,  der den einzigen Sinn des Lebens darin sieht, seinen Speicher mit Geld zu  füllen. Der Kapitalist von Gesell ist also ein völlig anderer als der von Malthus,  Marx oder Max Weber, bei denen sozusagen der Hauseinbrecher keinen Pfifferling  finden würde, weil sie auch ihren letzten schon längst investiert haben. zu Teil 2   |  |  |   
       |  |  |  |  |  |