|
|
|
|
|
Fortsetzung:
Die ökonomische Krise und der Staat. Warum er angeblich alles nur schlimmer macht
Wenn sich das Geld gegen das Angebot verschwört, wenn es sich nach dem herabgesetzten Zins in die privaten Sparbüchsen zurückzieht, könnte der Staat das fehlende Geld einfach ersetzen - nachdrucken. Dies wäre nichts Neues. Der Staat sagt:
„Gut, so lassen wir die Sparer und Sparkassen im Besitz des Geldes. Sie mögen das Geld verscharren. Und wir drucken neues dafür. Der Staat verfertigt Geld und liefert es den Unternehmern, wenn die Sparer und Kapitalisten es ihnen vorenthalten. ... Und wenn es sein muß, zu 0%.
Das klingt ja gut; der Vorschlag ist einfach, und man hält ihn für vernünftig. Aber es klingt nur gut für den Laien
.“
Warum dies nur „für den Laien gut klingt“, hat uns Gesell nicht richtig erklärt. Vermutlich war er der Meinung, der Laie sei nicht im Stande, sich die Zusammenhänge quantitativ richtig vorzustellen. Er würde nicht verstehen, wie kleine Ursachen kettenartige Reaktionen auslösen und fatale Folgen hätten. (In der Chaostheorie würde man dazu den Schmetterlingseffekt zur Erklärung heranziehen.) Na ja. Immer wenn man in Erklärungsnot gerät, wie es hier bei Gesell offensichtlich der Fall ist, lässt sich bekanntlich auf eine schon längst erprobte Taktik zurückgreifen: übertreiben und skandalisieren. So lesen wir bei ihm weiter:
„Fällt der Zins auf 1%, so verdoppeln sich die Einnahmen des werktätigen Volkes, und bei verdoppelten Einnahmen verzehnfachen sich die Ersparnisse, ... Und all dies Geld soll der Staat ersetzen, jährlich ersetzen!
Fällt die Zinsvergütung (der Diskont) weg, so kauft (diskontiert) auch niemand mehr einen Wechsel. Diese werden für Handelszwecke unbrauchbar, und der Staat muß entsprechend mehr Geld ausgeben. Viele Hunderte von Milliarden wären dazu nötig. Mit 100 Pressen, die jahraus, jahrein Tausendmarkzettel drucken, könnte der Staat solchen Bedarf kaum decken. Hunderte von Milliarden an verscharrter Nachfrage, täglich fälliger Nachfrage!
.“
Man bekommt bei Gesell den Eindruck, bei fallenden Zinsen und Preisen würden die Menschen nicht einmal essen, sich kleiden, heizen, ... sie würden nur horten. Und wenn alle zu verrückten Dagobert Ducks würden, muss angeblich der Staat noch viel verrückter spielen: Er druckt folglich das Geld was das Zeug hält. Na ja. Immer wenn Gesell auf den Staat stößt, treibt seine Phantasie seltsame Blüten. Aber lassen wir uns damit nicht aufhalten. Weil ein solcher irrationaler Zustand nicht ewig andauern kann, so Gesell weiter, kommt das dicke Ende. Das Pendel schlägt irgendwann in die Gegenrichtung aus.
„Wie nun, wenn aus irgend einem Anlaß diese Nachfrage lebendig würde und auf den Markt ginge? Wo wäre das dazu gehörige Angebot von Waren? Und wenn das Angebot fehlt, dann steigen die Preise ... die Nachfrage steigt in die Milliarden, und da das Angebot natürlich fehlt, so schießen die Preise in die Höhe. Die Preissteigerung macht die Ersparnisse zunichte - und mit dem Papiergeld tapeziert man wieder den Kuhstall - nach alter Weise, wie es während der französischen Revolution mit den „Assignaten“ geschah.“
Gesell schrieb dies im Jahre 1911, also vor der großen deutschen Inflation im Jahre 1919-23. Es ist hier angebracht, auf die damalige Lage der Weltwirtschaft ein Auge zu werfen. In dieser Zeit versank die Weltwirtschaft in eine Rezession. Die USA und Großbritannien achteten auf die Stabilität ihrer Währung und nahmen hohe Arbeitslosenraten von bis zu 20 Prozent in Kauf. Die Weimarer Regierungen verhielten sich aber umgekehrt, weil ihnen eigentlich was anderes nicht übrig blieb. Der Plan, die besiegten Völker würden die deutschen Staatsanleihen bzw. Kriegskredite abzahlen, ging nicht auf, so dass man diesen Ausfall nur durch Gelddrucken bzw. Inflationssteuer - wie man dies folgerichtig auch bezeichnet - wegbekommen konnte. Aber sieh mal da, die Folgen im Bereich der sog. realen Wirtschaft, also in der Produktion, waren völlig anders, als es Gesell vorhergesagt hätte. Die deutsche Industrie wuchs, die Arbeitslosenquote sank, im Jahre 1922 auf unter ein Prozent, die Reallöhne stiegen ordentlich. Das „Schmiermittel der Inflation“, so der bekannte Wirtschaftshistoriker Carl-Ludwig Holtfrerich, habe die private Wirtschaftstätigkeit wiederbelebt: die deutsche inflationsgeplagte Wirtschaft wurde zur „Lokomotive“ der Weltwirtschaft.
„Die Inflation erleichterte im Inland die jeweiligen Umstellungen der Produktionstätigkeit von Friedens- auf Kriegsproduktion 1914 und umgekehrt 1918/19. Sie förderte Wachstum und Vollbeschäftigung in den Nachkriegsjahren in Deutschland besonders, als depressive Einflüsse von der Weltkonjunktur 1920/21 ausgingen.
Darüberhinaus dürfte sie einen wesentlichen Beitrag zur schnellen Überwindung der Weltwirtschaftskrise 1920/21 geleistet haben, insbesondere dadurch, daß sie zu einer Verdoppelung der Volumina der deutschen Primärgüterimporte aus den USA führte, darüberhinaus aber auch die Importe aus anderen wichtigen Ländern anregte. Die inflationsbelebte deutsche Volkswirtschaft spielte insofern als einzige unter den bedeutenden Industriestaaten die Rolle einer „Lokomotive“ für die Weltwirtschaft. Die inflationäre Politik in Deutschland dürfte insofern eine Erklärung dafür sein, daß der scharfe Einbruch in der Weltkonjunktur 1920/21 schon 1922 überwunden war und nicht - wie der viel gemäßigtere Einbruch in der Weltkonjunktur nach 1929 - in einer lang anhaltenden Weltwirtschaftskrise mit all ihren politischen Konsequenzen endete.
Insbesondere unter Berücksichtigung der verminderten Arbeitszeit hatte sich die Reallohnposition der Arbeitnehmer in den Jahren 1919 bis Mitte 1922, dem Beginn der Hyperinflation, teilweise sogar absolut gegenüber 1913, im allgemeinen jedoch relativ zur jeweiligen Höhe des Volkseinkommens verbessert.“
Natürlich will sich keiner eine solche Hyperinflation wünschen - sie macht die Menschen verrückt -, uns geht es jetzt aber alleine darum, ob steigende Preise - wie es schon Malthus behauptete - die reale Wirtschaft fördern. Die deutsche Hyperinflation hat dies doch eindeutig bestätigt. Man kann problemlos sogar so weit gehen und behaupten, dass das Gelddrucken Deutschland vorerst vor der Weltkrise gerettet hat. Die richtig katastrophale Krise, die Große Depression, kam erst später, im Jahre 1929. Diesmal haben die Staaten kein Geld gedruckt und es gab keine Inflation. Der deutsche Kanzler Brüning ließ die Löhne um 20% senken, mit dem bekannten Ergebnis, dass die reale Wirtschaft zusammenbrach. Man kann vielleicht sagen, dass Gesell nicht wissen konnte, dass diesmal die Regierungen kein Geld drucken würden. Was aber gar nicht in die Krisentheorie von Gesell passt, ist die Tatsache, dass keiner vor der Großen Depression festgestellt hat, dass die Menschen im großen Stil begonnen hätten, das Geld zu verbuddeln. Das „vergrabene Geld“ gibt es nicht: Dies war von Anfang an nur eine Schnapsidee.
Und wie sieht es heute aus, nach dem Herbst 2008? Die Regierungen der Welt haben den Banken Unsummen von Geld geschenkt, aber die von Gesell befürchtete Deflation ist trotzdem ausgeblieben. Schlimmer noch für Gesells Krisentheorie ist die Tatsache, dass die Notenbanken in den Jahrzehnten davor sehr erfolgreich waren, die Preise in einem schmalen Bereich zu halten, und zwar auf einem Niveau von einigen Prozent. In dieser Zeit gab es auch Zinssenkungen, die aber keine Katastrophen verursacht hatten. Der Zusammenbruch des Banksystems, mit dem die Krise begann, wurde nicht durch Zinsabsturz und einer ihr folgenden Deflation verursacht, und schon gar nicht konnte man vor dem Herbst 2008 feststellen, dass die Sparer begonnen hätten, die Banken leer zu räumen. Es ist also auch diesmal viel zu viel passiert, was in das Szenario der ökonomischen Krisen von Gesell gar nicht passt.
Vor allem ist es nicht empirisch nachvollziehbar, warum der Staat immer derjenige sein sollte, der - um die sonst harmlosen Schwankungen zu beseitigen - die ganze Wirtschaft zum Einbruch bringt. In Wahrheit war der Staat immer nur ein Reparaturbetrieb des Kapitalismus - nicht weniger aber auch nicht mehr. Was wirklich dahinter steckt, wenn man den Staat zum Schurken macht, lässt sich mit diesem Gleichnis gut verdeutlichen:
Ein Mensch bekommt schreckliches Fieber und fällt ins Bett. Er schwitzt und zittert am ganzen Körper, übergibt sich und beginnt zu haluzinieren. Er bettelt den Arzt an, ihn unverzüglich zu besuchen. Dieser verschreibt ihm verschiedene Medikamente, sagt ihm, was er tun soll und was er auf keinen Fall tun darf. Nach zwei Wochen ist der Kranke weitgehend gesund. Und was macht er jetzt?
Er teilt dem Arzt mit, er würde ihm nichts zahlen. Er würde ihn sogar verklagen. Der Arzt hätte angeblich wissen müssen, dass er mit ihm gar nichts zu machen brauchte. Dann wäre er ganz bestimmt noch schneller gesund geworden. (Er sei doch ein Mensch, der von Natur aus gesund sei.) Eigentlich sei dieser Arzt nur ein Ganove, der trotz besseren Wissens etwas getan hätte, nur um ihm zu schaden und selber davon zu profitieren.
Damit man ein solches abgekartetes Spiel der kapitalistischen Machteliten nicht sofort durchschaut, wird die Rolle des Arztes auf zwei gesellschaftlichen Gruppen aufgeteilt, die abwechselnd den Schuldigen spielen. Bricht die ökonomische Krise aus, drängt die Wirtschaft die Politiker etwas zu unternehmen. Wenn es um die Rettung der Profite geht, gibt es für die Geld- und Kapitalbesitzer keine Lehre, die so heilig wäre, dass man sie nicht opfern darf. Wenn die Krise irgendwann vorbei ist, drehen dieselben die Platte um. Sie heuern in verschiedenen Instituten, Stiftungen und Think-tanks korrupte „Experten“ und „Wissenschaftler“ an, welche die staatlichen Maßnahmen, mit denen man während des wirtschaftlichen Absturzes den Zusammenbruch des ganzen Systems der kapitalistischen Ausbeutung gerettet hat, als allerletzten Unsinn anprangern: Das alles hätten sich dumme und populistische Politiker ausgedacht und damit Unheil angerichtet.
Will man großzügig sein, dann würde man sagen können: Auch die Machteliten - die Kapitalisten und Bankiers - sind nur Menschen mit einem kurzen Gedächtnis. Die Krise wird also immer schnell vergessen und sie wollen wieder schalten und walten, wie es ihnen gefällt. Die Politik und Demokratie sollte sich bitte auf die Shows begrenzen, mit denen die Legitimation der Privatwirtschaft vorgetäuscht wird.
Die Milchmädchenrechnungen und die grundlegenden Fehler der Gesells Nachfragetheorie
Wir stellen also fest, dass die Krisentheorie von Gesell keinen empirisch verifizierbaren Anfang besitzt: die allererste Ursache für den Absturz der Marktwirtschaft in die Rezession. Das Verschwinden des Geldes aus dem Kreislauf kann nämlich diese Ursache nicht sein, aus einem plausiblen Grund: Das „vergrabene Geld“ war nie auffindbar. Oder doch? Man kann nämlich immer erwidern, woher können wir dies wissen?
Wir werden in der Tat nie genau erfahren können, wie viel Geld jemand zu Hause versteckt. Über Geld spricht man nicht - sagt schon der Volksmund. Vor allem die Reichen würden uns dies nie ermöglichen zu erfahren. Das ist das Gute am Geld, könnte man jetzt ironisch bemerken. Weil es immer so verdammt schwierig ist, etwas mehr darüber zu erfahren, wo es sich aufhält, lassen sich die Statistiken über Geld auf ihre Richtigkeit nie genau überprüfen und beurteilen. Folglich kann man sich solche Statistiken nach Wunsch fertigen lassen, ohne ein echtes Risiko einzugehen, dass man auffliegen würde. Wen soll es also wundern, dass alle schwachen und ideologisch motivierten Ökonomen so gern das Geld ins Zentrum ihres Interesses stellen, also die Funktionsweise der Wirtschaft mit Geld erklären wollen. Erwähnen wir jetzt nur zwei solche Ökonomen, die mit ihren Geldpossen berühmt geworden sind: Hayek und Friedman. Sie passen gut zu Gesell, nicht nur als Geldtheoretiker, sondern auch als Marktgläubige und Staatshasser.
Was die Geldhortung betriff, davon würden Hayek und Friedman bestimmt nichts hören wollen. Sie würden Gesell aber immer zur Seite stehen, wenn er über den Staat herzieht, wenn er ihm - wie bereits geschildert - unterstellt, er könnte nie etwas richtig machen. Dass auch die Große Depression auf das Konto des Staates gehen müsse, da wären sie sich alle drei einig. Der Staat habe damals die Wirtschaft, um eine an sich harmlose ökonomische Wachstumsdelle zu verhindern, zum fatalen Absturz gebracht. Was aber damals der Staat konkret falsch gemacht habe, darüber gehen die Meinungen auseinander. Er habe, so Friedman, der Wirtschaft nicht rechtzeitig genug Geld zur Verfügung gestellt - also nicht genug Geld gedruckt. Der Staat hat also nicht das gemacht, was er nach Gesell und Hayek auch nicht machen durfte.
Friedman hat für seine Version des Staatsversagens während der Großen Depression eine beeindruckende Menge an Tatsachen gesammelt, wofür er dann auch den Nobelpreis (1976) bekommen hat. Aber, wie eben gesagt, Geld ist geduldig: Es lässt alles mit sich machen und erträgt jede Interpretation. Deshalb ist der wirtschaftliche Einbruch vom Herbst 2008 eine hervorragende Gelegenheit, die Richtigkeit der Friedmanschen Theorie zu prüfen. Im festen Glauben an diese Theorie schmeißen seit Herbst 2008 die Regierungen aller Staaten massenhaft das Geld den Banken nach. Man tut zugleich auch einiges auf der Nachfrageseite (etwa die Abwrackprämie, die Krankenversicherung von Obama, ...), die reale Wirtschaft „schmiert“ trotzdem ab. Dies alles entspricht gar nicht dem, was uns Friedman zu sagen hätte. Ein richtiger Witz wäre es zu behaupten, dass der Auslöser dieser neuesten Krise eine davor vom Staate angeordnete Geldknappheit wäre - was laut Friedman damals der Fall gewesen sei. Was Gesell betrifft, müssten wir ihm zufolge schon längst eine große Deflation erlebt haben. Wir haben sie aber nicht - bis jetzt nicht. Wir können schon ahnen, dass zum Schluss Hayek Recht behalten wird. Das ist jetzt aber ironisch gemeint:
Hayek, diese menschenähnliche Hyäne, ließ sich nie durch Tatsachen verwirren. Er ist ein spätes Produkt der deutschen klassischen (idealistischen) Philosophie nach dem Motto: Umso schlimmer für die Tatsachen. Wen interessieren bitte die Tatsachen: das Wesen der Welt erklärt man erst durch Gut und Böse. Das Böse ist der Staat, weil er nie etwas richtig zu machen vermochte. Man kann also dem Staat immer und alles in die Schuhe schieben: Er habe zu früh oder zu spät reagiert, oder zu viel oder zu wenig getan. Er habe nicht reguliert, oder er habe zu stark, zu schwach oder einfach falsch reguliert - so wie es einem gerade passt. Deshalb gibt es immer nur „Staatsversagen“ - womit sich ein Marktversagen automatisch ausschließt. Wegen dieser angeblichen Unfähigkeit des Staates, wäre Hayek - ganz anders als Friedman und vor allem Gesell - nichts lieber als ein Goldstandard. Seltsamerweise hat Hayek für diese seine ökonomische Theorie, welche die monetäre Theorie über die Geldregelung des (Papier-)Geldes des Nobelpreisträgers Friedman frontal angreift, ebenfalls einen Nobelpreis bekommen (1974). Damit es noch lustiger wird, teilte sich Hayek damals den Nobelpreis mit Gunnar Myrdal, der sich entscheiden gegen das Laissez-Faire und für den Staat einsetzte. Der Ökonom Joseph Stiglitz dazu:
„Die Ökonomie ist die einzige Wissenschaft, in der sich zwei Menschen den Nobelpreis teilen können, weil ihre Theorien sich gegenseitig widerlegen.“
Eigentlich sah der Dynamit-Erfinder Alfred Nobel, der Begründer der Stiftung (1896), in seinem Testament nur die Preise für Physik, Chemie und Medizin sowie für Literatur und den Einsatz für den Frieden vor. Die Wirtschaftswissenschaften waren dem Chemiker und Industriellen Nobel dagegen Zeit seines Lebens suspekt - und schienen ihm nicht preiswürdig. Eins haben diese Wissenschaften aber unter Beweis gestellt: Sie sind in der Tat erstaunlich fähig sich anzueignen, was ihnen gar nicht gehört: sogar den Nobelpreis! Wen soll noch wundern, dass unter anderem auch Nobels Urenkel seit den neunziger Jahren die Abschaffung des Wirtschaftspreises verlangen. Sie begründen dies mit der Verletzung des Testamentes und einer daraus folgenden „Verwässerung“ der klassischen Nobelpreise. Das mit der „Verwässerung“ ist aber noch sehr nett und diplomatisch ausgedrückt. Wenn sich die Kenner der exakten Wissenschaften die Ergebnisse ihrer Kollegen Wirtschaftswissenschaftler anschauen, müssen sie vor heftigen Lachausbrüchen zu Boden fallen und sich in Krämpfen wälzen.
Friedmans monetäre Theorie, die den Goldstandard auch im neoliberalen Lager endgültig fallen lässt, ist indirekt ein Beweis dafür, dass das von Gesell verlangte Papiergeld richtig war. Dazu mehr im nächsten Beitrag. Heute würde man kaum einen seriösen Ökonomen finden, der verlangen würde, zur Golddeckung des Geldes zurückzukehren. Und schon gar nicht würde jemand behaupten, der Goldstandard würde vor ökonomischen Zyklen schützen. Wie wir wissen - und was auch Gesell sehr bewusst war -, galt der Goldstandard seit dem Entstehen des Kapitalismus viele Jahrzehnte bei fast allen Marktanhängern als ein unantastbares Dogma. Gab es damals keine zyklischen ökonomischen Krisen? Und ob. Dass gerade eine der ersten Maßnahmen, die Depression noch abzuwenden, die Rückkehr zum Goldstandard war, dürfte dem Scharlatan Hayek auch völlig entgangen sein.
„Ob das Gold selber Wert habe, weil es Arbeitsleistung verkörpere, wie die Sozialisten meinten, oder weil es nützlich und selten war, wie die traditionelle Lehre verkündete, machte in diesem Fall keinen Unterschied. Der Krieg zwischen Himmel und Hölle ließ die Geldfrage völlig außer Acht, so daß Kapitalisten und Sozialisten auf wunderbare Weise sich völlig einig waren. Wo sich Ricardo und Marx eins waren, konnte das 19. Jahrhundert keinen Zweifel haben. Bismarck und Lassalle, John Stuart Mill und Henry George, Philip Snowden und Calvin Coolidge, Mises und Trotzki akzeptierten gleichermaßen diesen Glauben. ... Der russische Bolschewik Sokolnikow war der erste Staatsmann nach dem Krieg, der den Wert der Währung seines Landes wiederum auf das Gold ausrichtete; der deutsche Sozialdemokrat Hilferding gefährdete durch sein festes Eintreten für eine gesunde Währung die Einheit seiner Partei. Der österreichische Sozialdemokrat Otto Bauer unterstützte die von seinem Hauptgegner Seipel bei dessen Versuch zur Rettung der Krone angewandten monetären Grundsätze; der englische Sozialist Philip Snowden wandte sich gegen die Arbeiterpartei, als er zur Ansicht gelangte, das Pfund sei bei ihnen nicht gut aufgehoben; und der Duce ließ den Goldwert der Lira bei 90 in Stein meißeln und schwor, für dessen Verteidigung sterben zu wollen.“
Nebenbei wäre zu bemerken, dass es ein richtiges Kunstwerk der Heuchelei ist, gerade in den Notenbanken den „bösen“ Staat zu erblicken. Gerade die Notenbanken sind die am besten vor politischem Zugriff geschützte Institution, deren Beamte für gar nichts eine persönliche Verantwortung tragen. André Kostolany, der „schlaue alte Börsenfuchs“ bemerkte ironisch aber gar nicht realitätsfremd dazu:
„Ist ein Mitglied des Zentralbankrates erst einmal ernannt, wird man es kaum wieder los, wen es nicht gerade goldene Löffel klaut.“
Die deutsche Notenbank - die zum Vorbild der europäischen Zentralbank wurde - ist ein gutes Beispiel dafür. Es gibt keine so undemokratische Institution wie die Notenbank. Bei der amerikanischen (FED) ist es gar nicht unberechtigt, die Frage zu stellen, ob sie staatlich oder privat ist.
Wie sehr könnte sich also Marx heute mit seiner Behauptung bestätigt fühlen, dass alle Krisentheorien, welche „die Expansion und Kontraktion des Kredits, das bloße Symptom der Wechselperioden des industriellen Zyklus, zu deren Ursache machen“, falsch seien. Sie erklären gar nichts. Wer einen richtigen Eindruck bekommen will, was für eine komische Gewaltanstrengung der Ohnmacht diese Theorien sind, soll einfach das Buch von Hayek „Geldtheorie und Konjunkturtheorie“ in die Hand nehmen.
Die Freiwirtschaftslehre von Gesell ist also eine falsche Krisentheorie, aber das ist nicht das einzige Problem seiner Freiwirtschaftslehre. Seine Lehre kann ebenso nicht erklären, warum es immer wieder Stagnation in der Marktwirtschaft gibt. Die erste Generation der Ökonomen nach Smith wurden deshalb als Pessimisten bezeichnet, weil der Kapitalismus von einer längeren Stagnation heimgesucht wurde. Die Erfahrung zeigt, dass eine Marktwirtschaft trotz niedriger Löhne, niedriger Zinsen und stabilen Preisen lange mit hoher Arbeitslosigkeit und nicht ausgelasteten Kapazitäten vor sich her trödeln kann. Darüber hat sich Gesell keine großen Gedanken gemacht; erst Keynes versuchte dies zu erklären. Deshalb verwundert es ein wenig, wenn dieser in seiner Allgemeinen Theorie schreibt:
„Gesells Hauptwerk ist in kühler, wissenschaftlicher Sprache geschrieben, obschon es durchweg von einer leidenschaftlicheren, erregteren Hingabe für gesellschaftliche Gerechtigkeit durchströmt ist, als manche für einen Gelehrten schicklich finden. ... Ich glaube, dass die Zukunft mehr vom Geiste Gesells als von jenem von Marx lernen wird.“
Dieses Lob verwundert desto mehr, als Keynes nicht die Geldhortung, sondern die Liquiditätspräferenz für den Nachfragemangel verantwortlich macht. Er ließ sich also vom Märchen über die feinsten Herren mit Frack und Zylinder, die auf Säcken voller Geld herum säßen, nicht überzeugen. Nicht nur deshalb, weil man die gebunkerten Unmengen von Geld nie finden konnte, sondern aus einem plausiblen Grund, der noch abschließend angesprochen werden soll. Wir gehen auf diesen Grund jetzt kurz ein, und dann verabschieden wir uns von dem gescheiterten Versuchs Gesells, die Funktionsweise der Marktwirtschaft monetär zu erklären.
Man darf nie aus den Augen verlieren, dass Gesell ein kleiner Händler war. Ein Händler macht bekanntlich nichts anderes, als Güter zu kaufen und zu verkaufen. Dafür braucht man Geld, genug Geld ... ja viel Geld. Die Kunst des Händlers besteht darin, dieses Geld zu beschaffen, Güter zu kaufen ist das kleinste Problem. Solche Umstände verursachen falsche Eindrücke, eine völlig überzogene Vorstellung über die Geldmenge, welche eine Wirtschaft benötigt. Beim Händler ist es bekanntlich so, dass er z.B. für 100 € der gekauften Güter auch 100 € zahlen muss, und er erwirbt (nehmen wir an) 120 € als Geldsumme, nachdem er die Güter für 120 € verkauft hat. Die Geldsumme ist beim Tausch immer dem Warenwert gleich. Vor allem in unsicheren Zeiten ist dieses Geld meistens Bargeld. Mit Recht stellt Marx fest:
„Die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel schließt einen unvermittelten Widerspruch ein. ... Dieser Widerspruch eklatiert in dem Moment der Produktions- und Handelskrisen, der Geldkrise heißt. ... Mit allgemeineren Störungen dieses Mechanismus ... schlägt das Geld plötzlich und unvermittelt um aus der nur ideellen Gestalt des Rechengeldes in hartes Geld. ... Eben noch erklärte der Bürger in prosperitätstrunknem Aufklärungsdünkel das Geld für leeren Wahn. Nur die Ware ist Geld. Nur das Geld ist Ware! gellt's jetzt über den Weltmarkt. Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit seine Seele nach Geld, dem einzigen Reichtum.“
Sobald die Zeiten besser geworden sind, verschwindet das „wahre“ Geld sozusagen von alleine, und der Tausch wird hauptsächlich mit Buchgeld abgewickelt. Man braucht dann keine großen Summen Bargeld, um eine ganze Wirtschaft am Laufen zu halten. Die Geldmenge beträgt in solchen „normalen“ Zeiten nur einige Prozent vom Produktionsoutput der Wirtschaft. Folglich könnte die Geldhortung, sollte sie im nennenswerten Umfang stattfinden, nicht zur Erklärung des Abschwungs und schon gar nicht der Stagnation dienen. Dagobert Duck ist bestimmt eine amüsante Trickfilmfigur, ihn zum Erklärungsmuster der Funktionsweise der Marktwirtschaft zu machen, war eine ziemliche Naivität. Gesell hat die psychische Neigung des Menschen zu sparen mit dem technischen Mittel Geld verwechselt.
zu Teil 1
|
|
|
|
|
|
|
|