Es ist allgemein bekannt, dass auch die vorkapitalistischen Wirtschaften nicht von großen Störungen und Verwerfungen verschont waren. Es gab bekanntlich immer wieder Naturkatastrophen, Seuchen und Kriege, mit der Folge, dass dann auch die Wirtschaft zusammengebrochen ist. Aber abgesehen von solchen nicht ökonomischen (exogenen) Ereignissen, waren diese Wirtschaften zweifellos im Stande, viele Jahre oder Jahrzehnte lang auf eine ziemlich gleiche Weise und mit einer ziemlich gleichen Leistung zu funktionieren. Schumpeter hat dies auf den Punkt gebracht:
„Die mittelalterliche Gesellschaft sicherte im Prinzip jedem anerkannten Mitglied die Existenz. ... Massenarbeitslosigkeit, die ohne persönliches Verschulden der Arbeitslosen eintrat, war im Mittelalter unbekannt, es sei denn als Folge gesellschaftlicher Katastrophen wie Verwüstungen durch Kriege oder Epidemien.“
Dies war jedoch ganz bestimmt kein Ergebnis irgendwelcher Klugheit und Weitsicht der damaligen Herrscher. Es handelte sich einfach darum, dass bei diesen Wirtschaften makroökonomische Störungen und Verwerfungen nicht möglich waren. Die Arbeitsteilung war nur eine Randerscheinung, die wirtschaftlichen Einheiten waren weitgehend in sich geschlossene Vorgehensweisen, so dass die Volkswirtschaft eine einfache Summe von autonomen Teilen war. Jeder konnte - innerhalb der großen Familie und Sippe - fast vollständig für sich selbst sorgen, so dass die lokalen Entscheidungen und Handlungen auch nur lokale Auswirkungen hatten. Wenn dann einige Einheiten versagt haben, war der Rest kaum oder gar nicht davon betroffen.
Wen soll dann noch wundern, dass bei den Frühliberalen so etwas wie ökonomische Zyklen jenseits jeder Vorstellung lagen. Erst im Laufe des 18. Jahrhunderts beginnt man zu begreifen, dass die freie Marktwirtschaft irgendwelche seltsamen, bis da nie beobachteten ökonomischen Probleme hat. Mehrere Jahre läuft alles ziemlich gut, die Produktion wächst und die Beschäftigung steigt, und dann, ohne dass jemand etwas zu ahnen vermochte, geht auf einmal nichts mehr. Der Absatz geht flächendeckend zurück, die Arbeiter verlieren massenhaft ihre Arbeitsplätze, und viele Firmen gehen in Konkurs. Dies dauert mehrere Jahre an, bis es der Wirtschaft wieder gelingt zu wachsen, und sich dann alles wiederholt. Was die Länge der Periode eines Zyklus betrifft, da ist sich die Mehrheit der Ökonomen ziemlich einig, dass es zwischen 8 und 10 Jahre sind. Die Konjunkturforscher haben zwischen 1795 und 1937 in den USA etwa 17 Zyklen gezählt, was eine durchschnittliche Dauer (Periode) von 8.35 Jahren ergibt. Es ist üblich, den ökonomischen Zyklus als mathematische Sinuskurve darzustellen, die in vier Phasen eingeteilt wird:
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1) Depresssion
2) Erholung
3) Hochkonjunktur
4) Abschwung |
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Diese Darstellung ist aber keine gute Abbildung dessen, was in der Wirtschaft wirklich geschieht. Die ökonomischen Zyklen ähneln eher einer deformierten Sinuskurve, einer, die stark nach rechts geneigt ist.
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1) Depression
2) Erholung
3) Hochkonjunktur
4) Abschwung |
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Die Zyklen haben also keine symmetrische Form, wie es die Sinuskurve nahe legt, mit der sie üblicherweise dargestellt wird. Sie ähneln eher den Zähnen einer Säge, als etwa den Wellen auf der Wasseroberfläche. Die Erholung ist ein mühseliger und langsamer Prozess, der Absturz dagegen vollzieht sich in einer sehr kurzen Zeit. Mit Recht hebt Keynes gerade diese Eigenschaft der ökonomischen Zyklen hervor:
„Es gibt jedoch noch ein weiteres Merkmal des sogenannten Konjunkturzyklus, das unsere Erklärung decken muß, wenn sie angemessen sein soll, nämlich die Erscheinung ... , daß die Ablösung einer Aufwärts- durch eine Abwärtsneigung oft plötzlich und heftig eintritt, während es in der Regel keinen solchen scharfen Wendepunkt gibt, wenn eine Abwärts- durch eine Aufwärtsneigung abgelöst wird.“
Dieser auffällige Unterschied zwischen dem oberen und dem unteren Wendepunkt, das mühselige und langsame Ansammeln der Kräfte beim Durchstarten der Wirtschaft (der untere Wendepunkt) und dann ihr jäher Absturz in die Tiefe (der obere Wendepunkt), ist die theoretische Herausforderung von erstrangiger Bedeutung, wenn es um die Erklärung der Zyklen geht. Eine Theorie, in der sich diese zwei Wendepunkte nicht mit den analytischen Mitteln erklären lassen, welche schon in den allgemeinen Grundlagen ihres theoretischen Systems gehören, taugt nicht zur Erklärung der geschichtlichen Erfahrung mit den Wirtschaftskrisen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die ökonomischen Zyklen ihre frühere Form stark eingebüßt, so dass aus ihnen nur kurze und kleine Spitzen nach oben und unten übrig gebelieben sind. Nachdem dann der neoliberale Wahn der Deregulierung und der Privatisierung begonnen hat, ähneln auch die Zyklen immer mehr denjenigen aus dem 19. Jahrhundert.
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Einer guten Theorie sollte es möglich sein, auch dies im Rahmen ihres allgemeinen Gedankenganges zu erklären. Um nicht in eine erkenntnistheoretische Diskussion einzusteigen, reicht es jetzt nur Folgendes dazu zu sagen: Es ist bekannt, dass wirklich jede, gewissermaßen schlüssige und komplexe Theorie mit spitzfindigen Ad-hoc-Hypothesen hinterher alle empirischen Ereignisse erklären kann. Deshalb sind solche „Erklärungen“ völlig nutzlos. Eine ex post Aufzählung verschiedenen unglücklichen bzw. glücklichen Umstände, die zweifellos „auch etwas“ mit einem Phänomen zu tun haben, die „zusätzlich“ dazu beitragen „es zu verstehen“ was geschehen war, sind nichts mehr als nur eine willkürliche Kombinatorik, ein Produkt der Phantasie, das mit der Wissenschaft nichts zu tun hat. Mit Ad-hoc-Hypothesen wächst die Theorie nicht, sondern sie „degeneriert“ (Imre Lakatos). Deshalb sollte eine überzeugende Theorie der ökonomischen Zyklen auch diesen langfristigen Ablauf der westlichen Wirtschaften, also die Tatsache, dass die ökonomischen Zyklen zurückgekehrt sind, ohne Ad-hoc-Hypothesen erklären können. Die Theorie, die wir uns in diesem thematischen Punkt anschauen werden, wird dazu im Stande sein. Daraus lässt sich schon erahnen, dass es uns im Folgenden nicht ausschließlich um eine Konjunktur- oder Zyklentheorie gehen wird. Dem ist in der Tat so.
Die Erklärung der ökonomischen Zyklen der realen Nachfragetheorie, die im Hintergrund das Kreislaufmodells bzw. aus ihm hergeleitete allgemeinen Gleichung des Sparens steht, ist eigentlich eine Erklärung der Funktionsweise der Marktwirtschaft. Die zyklische Fortentwicklung der Marktwirtschaft - genauer gesagt der laissez-faire Marktwirtschaft - ist nichts anderes als die eigentliche Funktionsweise dieser ökonomischen Ordnung. Die Ökonomischen Zyklen sind nicht ihre Störungen im echten Sinne des Wortes, sondern sie sind die Art und Weise, wie sie wirklich funktioniert - wie sie funktionieren kann und muss. Was Keynes über Zyklen sagt, gilt genau genommen für die Funktionsweise der Marktwirtschaft.
„Unter einer zyklischen Bewegung verstehen wir, daß beim Fortschreiten des Systems, zum Beispiel in der Richtung nach oben, die Kräfte, die es nach aufwärts treiben, zuerst Kräfte sammeln und eine sich gegenseitig steigernde Wirkung haben, allmählich aber ihre Kraft verlieren, bis sie auf einem gewissen Punkt die Neigung haben, durch Kräfte ersetzt zu werden, die in der entgegengesetzten Richtung wirken; diese Kräfte werden ihrerseits eine Zeitlang Kräfte sammeln und sich gegenseitig steigern, bis auch sie, nachdem sie ihre höchste Entwicklung erreicht haben, schwinden und ihren entgegengesetzten Kräften Platz machen.“