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Die EU: Ein neoliberales Projekt nach dem Vorbild des deutschen Merkantilismus |
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Unter deutscher Führung hinein in Nationalantagonismus und Postdemokratie |
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Ein Gastartikel |
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Wir leben ja in einer Demokratie und das ist eine parlamentarische Demokratie und deshalb ist das Budgetrecht ein Kernrecht des Parlaments und insofern werden wir Wege finden, wie die parlamentarische Mitbestimmung so gestaltet wird, dass sie trotzdem auch marktkonform ist. |
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Angela Merkel, 8. deutsche Bundeskanzlerin |
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Die von Deutschland verfolgte Strategie, eigene wirtschaftliche Erfolge auf Kosten anderer Länder erreichen zu wollen, treibt seit Ausbruch der Krise besonders seltsame Blüten. Der ehemalige angebliche „kranke Mann“ Europas ist nun zum sprichwörtlichen starken Mann geworden, und das nicht nur verbal. Die so genannten „Rettungsschirme“ werden zum großen Teil von Deutschland getragen. Ja, der mehrfache Exportweltmeister gilt jetzt sogar als Vorbild, was vor allem damit gerechtfertigt wird, wie gut er die Krise überstanden habe. Man sollte sich da natürlich fragen, warum überhaupt, wenn auch nur implizit, von einem Ende der Krise gesprochen wird, wo diese doch noch längst nicht ausgestanden ist, sondern erst richtig Fahrt aufnimmt. Ohne zu weit vorzugreifen können wir durchaus sagen, dass die Vorbildfunktion der in Deutschland betriebenen Politik von interessierten Kreisen gerade jetzt so intensiv genutzt wird, weil es noch funktioniert. In nicht allzu ferner Zukunft wird jedoch jeder erkennen können, wie ein Land, das seinen Erfolg von anderen Ländern abhängig macht, die Krise nicht etwa besser übersteht, sondern lediglich als letzter von ihr voll erfasst wird. Bis dahin soll aber die Ideologie vom „Standortwettbewerb“ fest in der Politik Europas verankert sein, auch und gerade wenn das auf Kosten der Demokratie geht.
Wie der „Standortwettbewerb“ aggressiven Nationalismus fördert
Es ist schon erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit Deutschland als wirtschaftlich erfolgreiche Nation bezeichnet wird. In der Öffentlichkeit wird alle Aufmerksamkeit auf die Exportüberschüsse gelenkt, die in der Tat beachtliche Ausmaße erreicht haben. Aber ist das wirklich Erfolg? In Deutschland stagnieren die Löhne seit Jahren oder sinken sogar, Minijobs und Teilzeitstellen breiten sich seuchenartig aus und die Sozialsysteme werden immer weiter abgebaut, während die Unternehmens- und Vermögenseinkommen seit den Agenda 2010-Reformen explodierten. Doch diese Tatsachen werden ausgeblendet. Stattdessen empfiehlt man den anderen Nationen Europas, einfach das gleiche zu tun, um „wettbewerbsfähig“ zu werden und geht auf vollen Konfrontationskurs. Den führenden deutschen Politikern ist dabei kein Manöver zu platt. Außerdem werden sie von der – demokratisch ohnehin niemals legitimierten - EZB nach Kräften unterstützt. Deren Präsident Mario Draghi leistete sich eine besonders freche Dreistigkeit. Er präsentierte auf einem Gipfeltreffen der EU-Regierungen Grafiken, die beweisen sollten, dass in den Defizitländern die Löhne viel zu schnell, d. h. stärker als die Produktivität zugelegt hätten. Insbesondere an die Adresse des französischen Regierungschefs Hollande, der sich kritisch gegenüber Deutschland geäußert hatte, behauptete Draghi, man könne den Überschussländern keinen Vorwurf machen und die defizitären Volkswirtschaften sollten auf den deutschen Kurs einschwenken. Draghis Kunstgriff war aber wenig raffiniert, wie der deutsche Journalist Harald Schumann berichtet: :
„Draghis Grafiken waren ein plumper Trick, und Hollande hätte allen Grund gehabt, zu widersprechen. Der vermeintlich unpolitische Zentralbanker hatte Äpfel mit Birnen verglichen. Der Ökonom Andrew Watt vom Düsseldorfer Institut für Makroökonomie erkannte den „schwerwiegenden Fehler“ beim Blick auf die von der EZB veröffentlichten Grafiken sofort. Da waren die Werte für die Produktivität real berechnet, also nach Abzug der Inflation. Die Daten für die Lohnentwicklung dagegen hatte sich Draghi nominal auftragen lassen, ohne die Geldentwertung zu berechnen – ein grober Schnitzer, mit dem jeder Wirtschaftsstudent durchs Examen fallen würde.“
Ja, da hat der Präsident der EZB wohl darauf gesetzt, dass man ihm einen dermaßen billigen Trick gar nicht zutrauen würde. In einer Verhandlung, die den Teilnehmern nicht genug Zeit lässt, die vorgelegten Daten in Ruhe zu studieren, kann man dem Gegner mit einem noch so simplen Kunstgriff ein Schnippchen schlagen, wenn man selbstbewusst genug auftritt. Draghi dürfte einkalkuliert haben, dass die zahlreichen kritischen Anmerkungen zu seinen Grafiken längst nicht so viel Aufmerksamkeit in den Medien erhalten würden wie sein rhetorisches Duell mit Hollande. Es ist viel effektiver, als Sieger in einem persönlichen Treffen zu erscheinen, das weithin wahrgenommen wird, als Inhalte zu bieten, die nur Fachleute beurteilen können.
Es ist aufschlussreich und alarmierend zugleich, sich Draghis Behauptungen näher anzusehen. Denn selbst wenn wahr wäre was er sagte, fiele immer noch nicht alle Schuld an den Leistungsbilanzungleichgewichten den Defizitländern zu. Hätten diese mit ihren Lohnerhöhungen tatsächlich die eigene Wirtschaft überfordert, wo hätten sie dann einkaufen sollen, wenn sie nicht auf deutsche Exportwaren hätten zurückgreifen können? Da diese Länder in Wirklichkeit aber nichts Anderes taten, als ihre Bürger am Wachstumsfortschritt voll zu beteiligen, bleibt für Deutschland nur eine Schlussfolgerung übrig: Hier hat man den Bürgern den selbst erarbeiteten Zuwachs der Produktion zu großen Teilen vorenthalten, um international günstig anbieten zu können, was sich mit einem einzigen Wort umschreiben lässt, nämlich Dumping. Eine solche Strategie kann auf Dauer nicht erfolgreich sein. Das hätte man aber auch schon vorher wissen können. Hätte die deutsche Exportwirtschaft sich gegen Zahlungsausfall versichert, könnte die Versicherungsgesellschaft angesichts der völlig überzogenen Überschüsse mit Recht auf Fahrlässigkeit plädieren und die Leistung verweigern.
Aber offensichtlich geht es in der europäischen Politik gar nicht um Logik und wirtschaftlichen Sachverstand, sondern um die Umverteilung von unten nach oben, wie wir sie für Deutschland eingangs kurz beschrieben haben. Zu diesem Zweck werden die Völker Europas gegeneinander ausgespielt, was der deutsche Journalist Silvio Duwe am Beispiel Italiens beschreibt. Dort regierte bis vor kurzem der bekanntlich nicht demokratisch gewählte Ministerpräsident Mario Monti, dessen Handeln keinen Zweifel an seinen Absichten zuließ:
„Zudem ist Verlass darauf, dass Monti die derzeitige Logik der Krisenbewältigung nicht in Frage stellen, sondern sogar energisch vorantreiben wird. Mit harten Einschnitten bei den Arbeitnehmern und im "nationalen Interesse" soll in Italien nach deutschem Vorbild ein "Arbeitsmarkt mit größtmöglicher Flexibilität" geschaffen werden. Dahinter steckt eine Standortlogik, die einen Wettlauf um immer billigere Arbeit und immer niedrigere Steuern in Europa und weltweit befeuert. Der Sozialpsychologe Oliver Decker sieht darin eine kaum verdeckte Nationalstaatslogik, die alle unter dem angeblich gemeinsamen Interesse der wirtschaftlichen Prosperität zu sammeln versuche. "Das ist Nationalismus und eigentlich antidemokratisch. Denn es gibt ja gar kein gemeinsames Interesse, weil vom Wohlstand längst nicht alle profitieren", so Decker.“
Den aufgebrachten Bürgern in den defizitären Ländern, den die neoliberalen „Reformen“ aufgezwungen werden, kann man nun ein Feindbild präsentieren: Deutschland. Die Regierungschefs können sich immer darauf berufen, die Deutschen würden sie dazu zwingen und es gäbe für sie keine Alternative zu ihrer Politik. Den Deutschen erzählt man, ihr Land sei so etwas wie eine Insel der wirtschaftlichen Vernunft, deren Bewohner mit ihren Steuergeldern angeblich die „Schuldensünder“ aus dem Süden vor den Folgen ihrer Nachlässigkeit bzw. Unfähigkeit bewahren und dafür auch noch Undank ernten würden. Mit so einer Schmierenkomödie können die wütenden Völker gegeneinander ausgespielt werden, während die Politiker ungestört ihre „Reformen“ brutalstmöglich durchziehen und sich dabei auch noch auf das Wohl der Bürger und den Frieden in Europa berufen. Schon heute wird vielfach darauf bestanden, dass bei der Durchsetzung der „alternativlosen“ Beschlüsse so wenig Zeit wie möglich verloren gehen dürfe und demokratische Entscheidungsprozesse dafür hinderlich seien.
„Standortnachteil“ Demokratie
Selbstverständlich wird die Demokratie von den „Reformern“ nicht offen abgelehnt, sondern mit der Krise eine Art Ausnahmezustand konstruiert. Normalerweise hielte man ja sehr viel von demokratischer Entscheidungsfindung, aber jetzt dränge eben die Zeit und man müsse sich eilen, um noch rechtzeitig die richtigen Maßnahmen umzusetzen zu können. Doch bevor wir uns den gegenwärtigen Ereignissen zuwenden, sollten wir noch einen Blick in die Vergangenheit werfen. Immerhin wurde mit den „Reformen“, die jetzt ganz Europa aufgenötigt werden, in Deutschland schon vor über zehn Jahren begonnen.
Damals begründete man wie eingangs angesprochen die Notwendigkeit dieser Maßnahmen mit dem angeblich so schlechten Zustand der deutschen Wirtschaft. Da durch die Wiedervereinigung die zuvor angesammelten Exportüberschüsse vorläufig ausgeglichen worden waren, ließ sich ein überzeugendes Szenario der Wettbewerbsschwäche entwerfen. Im traditionell exportfixierten Deutschland hörte man den wenigen Stimmen, die für die Stärkung der Binnenkonjunktur plädierten, anstatt immer nur an der Nachfrage anderer Länder zu parasitieren, ohnehin nicht zu. Deswegen konnte die Ideologie vom internationalen Wettbewerb besonders gut Fuß fassen. So wurde damals ganz ähnlich wie heute eine Krise konstatiert, aus der es nur den Ausweg gebe, die „nationale Wettbewerbsfähigkeit“ zu stärken, und das so schnell wie möglich. Dabei wurde das Missfallen an der demokratischen Diskussionskultur 1997 von höchster Stelle unterstützt, als der damalige Bundespräsident Herzog den berühmten Ruck forderte, der durch Deutschland gehen müsse, um das längst als angeblich notwendig und richtig erachtete doch endlich durchzuführen. Schließlich drückte die rot-grüne Koalition in der Zeit um die Jahrhundertwende innerhalb kurzer Zeit radikale neoliberale Reformen durch. Der an ihrer Spitze stehende Bundeskanzler Schröder erhielt noch während seiner Amtszeit den Spitznamen „Basta-Kanzler“, nach dem häufig von ihm geäußerten Wort, wenn er genug vom Diskutieren hatte und etwas „durchziehen“ wollte. Der Vizekanzler und Außenminister Joschka Fischer tat seinerzeit auch seine Überzeugung kund, man könne unmöglich Politik gegen die Finanzmärkte machen. Dem nach nur wenigen Monaten von allen politischen Ämtern zurückgetretene Finanzminister Oscar Lafontaine, der diese Anbiederung an die monetären Eliten nicht mitmachen wollte, wird bis heute immer wieder gern vorgeworfen, er habe hingeschmissen, weil seine Kompetenz nicht ausreichend gewesen sei. Das wird heute oft mit dem Verweis darauf „belegt“, wie gut doch die Agenda-Reformen funktioniert hätten, ohne die Deutschland heute nicht so gut dastünde.
Das bringt uns wieder in die Gegenwart zurück, zur Krise und zum Abbau der Demokratie. Der mittlerweile schon zum geflügelten Wort avancierte Ausspruch der Bundeskanzlerin, den wir als Motto für diesen Beitrag benutzt haben stammt aus dem Jahr 2011. Damit fasste sie aber nur in Worte, was ohnehin schon der Fall war. Bereits im Jahr davor hatte in Spanien ausgerechnet die sozialistische Regierung unter Führung der Partei PSOE einen Streik der Fluglotsen gewaltsam aufgelöst und sie mit militärischer Gewalt und Strafandrohungen auf ihre Posten zurückgezwungen. Der deutsche Journalist Sebastian Müller schrieb dazu:
„Selbst die spanische Tageszeitung El Pais, die der PSOE eigentlich nahe steht, kommentierte das Vorgehen mit scharfer Kritik: „Das Vorgehen der Regierung ist in Zeiten demokratischer Herrschaftsform ohne Beispiel.“ Im Klartext heißt das: Eine Regierung, die das Wirtschaftsleben derart militarisiert und auf dem Streikrecht herumtrampelt, ist kurz davor, in eine offene Diktatur abzugleiten. Die massiven Lohn- und Sozialkürzungen in Spanien und in anderen europäischen Ländern wegen der Wirtschaftskrise sind mit demokratischen Verhältnissen nicht länger kompatibel.“
In den Jahren danach konnte man beobachten, dass in den marktkonformen Demokratien die Mitbestimmung der Bürger offensichtlich nicht gefragt, ja sogar eher lästig ist. Fürwahr ein seltsames Verständnis von Demokratie. Eine komplette Abschaffung der politischen Regierungen und die völlig Machtübernahme durch die Märkte ist aber dennoch nicht zu erwarten, denn die Marktwirtschaft hat auch für die Reichen unangenehme Eigenschaften, vor denen sich diese vom Staat nur allzu gern schützen lassen, wie an vielen Stellen dieser Website bereits vielfach erörtert wurde. Zu diesem Zweck werden wichtige Positionen gezielt mit den eigenen Leuten besetzt. Ein wahrer Meister dieses Vorgehens ist eine berühmt-berüchtigte amerikanische Großbank. Der deutsche Journalist Hebbert Maisenkaiser hat eine ganze Liste dieser Leute zusammengestellt und weist zu Beginn darauf hin:
„Kein anderes Unternehmen und besonders keine andere Bank, hat so viele ehemalige Mitarbeiter in Machtpositionen untergebracht wie Goldman Sachs. Besonders stark ist der Einfluss in Europa und den USA.“
Sein Kollege Rainer Sommer ergänzt unter dem Titel „Goldman übernimmt Bank of England“:
„Mit dem früheren Goldman-Sachs-Direktor Mark Carney stehen bald die drei für die Finanzmärkte wichtigsten Notenbanken unter der Führung von ehemaligen Goldman-Direktoren.“
Auch der oben erwähnte Mario Draghi gehört zur „Goldman-Clique“. Dieser zog Anfang 2012 Aufmerksamkeit auf sich, weil er sehr offen über von ihm favorisierte wirtschaftspolitische Maßnahmen gesprochen und das europäische Sozialstaatsmodell für abgeschafft erklärt hatte. Die deutsche Zeitung „Die Presse“ kommentierte damals:
„Ein Novum ist aber auch, dass sich einer der mächtigsten Notenbanker der Welt überhaupt so klar zu wirtschaftspolitischen Themen äußert. Einst galt die Regel, dass sich Politiker aus der Geldpolitik der Notenbanken heraushalten sollten und sich im Gegenzug Notenbanker mit wirtschaftspolitischen Empfehlungen eher zurückhalten. Seit dem Ausbruch der Eurokrise verfließen diese Grenzen zunehmend.“
Wenn das jedoch mit den eben dargelegten Tatsachen im Hinterkopf lesen, sieht es deutlich anders aus. Dann sind Draghis Aussagen nämlich keine wirtschaftspolitischen Empfehlungen, sondern eine Ankündigung, was er und seine Kumpanen vor haben zu tun. Und es sieht derzeit nicht danach aus, als würden sie dabei auf ernstzunehmenden Widerstand treffen. Schon gar nicht aus Deutschland, von den amtierenden Politikern erst recht nicht, aber auch von den Bürgern nicht. Diese scheinen nicht begriffen zu haben, dass sie sich mit ihrer Haltung, die sie zu Tiraden gegen die „faulen Schuldensünder“ hinreißt, die mit ihren Steuergeldern „gerettet“ werden, nur ins eigene Fleisch schneiden. Als deutscher Staatsbürger wünscht man sich nur zu sehr, das Heimatland möge doch endlich einmal aus der negativen Sonderrolle in der Weltgeschichte herausfinden. Doch leider sieht es ganz danach aus, als würde es auch in dieser Krise nicht dazu kommen.
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