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  Der real existierende Kapitalismus und Kriege als sein Schicksal und Verhängnis (3)
 

Das Verlassen des Keynesianismus und die neoliberale Konterrevolution waren für die deutsche akademische Wirtschaftswissenschaft nur ein weiterer Beweis dafür, dass die Auffassung von einem Nachfragemangel schon immer ein Irrtum war. Nun konnten sich die deutschen „Eliten“ berechtigt fühlen, die unsozialen neoliberalen Reformen rücksichtslos umzusetzen. Bei solchen Reformen wird immer erklärt, dass vorerst alles schlimmer sein werde, aber irgendwann dann alles besser. Bald war es tatsächlich besser, aber nicht wegen dieser Reformen. Völlig unerwartet ist nämlich der Kommunismus in sich zusammengebrochen. Musste davor die „verspätete Nation“ (Helmuth Plessner) für Absatzmärkte und Kolonien mit alten kapitalistischen Nationen brutal kämpfen, ist ihr jetzt alles einfach so in den Schoss gefallen. Was man in der DDR angerichtet hat, hat Wenzel (Was war die DDR wert?) ausführlich beschrieben. Die in Jahrzehnten des Kommunismus geschaffenen Technologien waren um etwa ein Drittel weniger produktiv als die westlichen, was im internationalen Rahmen außerordentlich gut war, man hat aber gleichwohl alle Produktionskapazitäten „verschrottet“, um den westdeutschen einen leeren Absatzmarkt zu schaffen. Dabei ging es auch darum, die dortigen Kader aus den höheren Positionen zu beseitigen und mit westlichen zu ersetzen - wie man es auch sonst bei besiegten Ländern immer macht. Die neuen deutschen Länder hatten dabei noch Glück, da hier das westliche Kapital auch einige soziale Verpflichtungen übernommen hat, mit anderen exsozialistischen Ländern ging man unheimlich brutaler um. Genauer brauchen wir diese Problematik hier nicht zu behandeln, nur noch eines verdient doch angemerkt zu werden. Im Allgemeinen betrachtet hat die ökonomische Kolonisierung der exsozialistischen Länder dem Westen neben den neuen Absatzmärkten etwas gebracht, was bei den früheren Kolonien nicht der Fall war. Die Kommunisten haben viel in Gesundheit, Sport und Bildung investiert, da  für den „neuen Menschen“ das höchste Ziel die geistige und körperliche Selbstverwirklichung sein sollte, und diese menschliche Ressource („Humankapital“) konnten  die westlichen Unternehmen sofort als Extraprofit verbuchen. Was die kapitalistische Wirtschaft prinzipiell unfähig ist zu produzieren, also Kinder, Gesundheit und Bildung, ist ihr wie Manna vom Himmel gefallen.

Die deutschen Reformen waren aus noch einem Grund erfolgreich, aus einem niederträchtigen Grund. Da in der EU mit dem Euro eine gemeinsame Währung eingeführt wurde, konnte Deutschland durch Lohn- und Sozialdumping seine Konkurrenzfähigkeit verbessern und dadurch ist es ihm tatsächlich gelungen, zum Exportweltmeister zu werden. Aber einmal abgesehen davon, dass die Reformen niederträchtig und unsozial waren, hat man aus  neoliberaler Sicht sowohl in Deutschland als auch in anderen westlichen Staaten alles richtig gemacht. Es sollte zumindest ein längerer kräftiger Aufschwung kommen - wenn nicht sogar ein neues Wirtschaftswunder -, es kam aber was kommen musste, nämlich die periodische Krise, die sogenannte „globale Banken- und Finanzkrise“ im Jahre 2008. Sie hat sich nicht zu einer nächsten Großen Depression, ähnlich der des Jahres 1929, ausgewachsen, vor allem deshalb, weil sich die Regierungen an den prominentesten neoliberalen Konterrevolutionär Friedman erinnert haben. Die Große Depression hätte nach Friedman die Regierung bzw. die Notenbank verursacht, indem sie die Geldmenge verknappte. Um den gleichen Fehler nicht zu wiederholen, hat man nun so viel Geld gedruckt, wie die Banken sich gewünscht haben. Man war sich danach auch sicher, alle „strukturellen Ungleichgewichte“ beseitigt zu haben - das sagen die „Wirtschaftsexperten“ immer, wenn sie konkret nichts sagen können -, und wieder auf Aufschwung gewartet, der sich bis heute nicht einmal ansatzweise gezeigt hat, im Gegenteil. Mehr als zwei Jahrzehnte danach wächst nur Armut und Unsicherheit. Nachdem die alte westliche Oligarchenkaste schon genug Erfahrung damit hat, was die Krise wirklich bedeutet und dass sie nicht einfach so verschwindet, ist ihr klar geworden, was zu tun ist. Nämlich sich umzuschauen, wo es noch Absatzmärkte und Ressourcen auf unserem Planeten gibt, die man ergattern kann, entweder durch regime change, also „human“, oder auf die klassische Weise, also durch einen „gerechten“ Krieg. Wie es Winston Churchill auf seine zynische Weise zum Ausdruck brachte: „Never waste a good crisis“ - also vergeuden Sie nie eine gute Krise. Das dürfte wieder einmal genau so einfach sein wie bei der Entdeckung der neuen Kontinente, nachdem der Westen ohne eigene Verdienste den Kommunismus als Konkurrenten losgeworden  und zum unbestrittenen Hegemon geworden ist.

Die ersten Opfer waren schwache Länder, wie Jugoslawien, Irak, Syrien, Libyen. Diese Kriege werden auch als asymmetrisch bezeichnet, was nur ein Euphemismus für die Ausraubung des Schwächeren durch einen unverhältnismäßig Stärkeren ist. Die Kosten waren niedrig und die ökonomischen Gewinne erheblich. Nebenbei bemerkt, den wertvollsten Teil der Beute, also die Naturressourcen, haben die Amerikaner für sich behalten und europäische Globalplayer, vor allem deutsche, haben neue Absatzmärkte erhalten. Alles ist also gut gelaufen für die Kapitalisten. Nachdem aber die Krise im Westen andauerte, hat man Lust bekommen, sich weitere Absatzmärkte und Ressourcen zu ergattern. Die Aufgabe der Politiker dabei ist wie immer, die Zustimmung für Kriege beim Volk zu erzeugen, also kollektive Instinkte für eine Selbstopferung zu wecken. Dazu diente schon immer - auch in vormodernen und vorzivilisatorischen Epochen der Menschheitsgeschichte - die Ethik von Gut und Böse, was im nächsten Kapitel ausführlich behandelt wird. Der Name für das Gute ändert sich in der Geschichte, sein heutiger ist bekanntlich Demokratie und Menschenrechte. Es ist überflüssig über den kulminierten westlichen Bellizismus zu sprechen, als Beleg dafür reicht an dieser Stelle nur ein Beispiel vorzulegen. Erinnern wir uns etwa an den EU- Chefdiplomaten Borrell, der bei einem Treffen mit jungen Diplomaten (Brügge, 13.10.2022) die Zielrichtung klar bezeichnete: „Wir sind ein Garten ... der Rest der Welt ist ein Dschungel. Die Gärtner müssen in den Dschungel gehen.“ Manche sagen schon, dass der nächste Weltkrieg des kollektiven Westens gegen den globalen Süden bereits begonnen habe, und zwar als Stellvertreterkrieg in der Ukraine. Und es wird ständig auch über einen unvermeidbaren Krieg mit China gesprochen. Aber schon der Krieg mit Russland hat sich nicht als einer der gewohnten „asymmetrischen“ Kriege erwiesen und auch einiges andere scheint nicht nach dem ursprünglichen Plan des kollektiven Westens zu laufen. Alles spricht dafür, dass die westliche Oligarchenkaste die geopolitische und ökonomische Lage der Welt ganz falsch eingeschätzt hat - sich selbst überschätzt und andere unterschätzt hat. Man wollte nicht wahrnehmen, dass zum ersten Mal seit Jahrhunderten der „Rest der Welt“ dem kollektiven Westen überlegen ist, was natürliche, militärische, demographische, technologische und fast alle anderen Ressourcen betrifft. 

Trotzdem lässt sich nicht ausschließen, dass der Westen durch die altbekannte und nicht selten erfolgreiche Strategie des divide et impera siegen könnte und sich den ganzen Planeten unterwirft. Wie dann die globale Ordnung des neoliberalen Kapitalismus aussehen würde, können wir uns ziemlich gut vorstellen. Was haben die „Reformen“ bedeutet? Wenn man  sich an die „Reformation“ in der Kirchengeschichte erinnert, war ihr erklärtes Ziel die Wiederherstellung des ursprünglichen Christentums. Die neoliberalen Reformen sollten auch den ursprünglichen Kapitalismus wiederherstellen, also die wilde freie Marktwirtschaft, für die Amerika das beste Beispiel liefert. Diese hat Alexis de Tocqueville (1805-1859) ausführlich auf seinen berühmten Reisen durch Amerika beschrieben, auf die ihn die französische Regierung schickte, als man ganz richtig ahnte, dass dort eine neue Ordnung entstehen würde. Aus den dort gemachten Erfahrungen entstand sein berühmtes Hauptwerk De la démocratie en Amérique, wo er schreibt: „Die landbesitzende Aristokratie der vergangenen Zeitalter war durch das Gesetz verpflichtet oder glaubte sich durch die Sitten gehalten, ihren Dienern zu Hilfe zu kommen und ihre Not zu lindern“, was sich wesentlich geändert hätte. „Die Aristokratie der Fabrikanten unserer Tage jedoch überläßt die Menschen, nachdem sie sie in ihrem Dienst elend und stumpf gemacht hat, in Krisenzeiten der öffentlichen Wohltätigkeit, um sie zu ernähren“, so Tocqueville, und weiter heißt es sogar: „Im ganzen genommen, die Aristokratie der Fabrikanten, die wir vor unseren Augen erstehen sehen, ist eine der härtesten, die auf Erden erschienen ist“ (1987: 239). Eine weitere fundamentale Eigenschaft der „freiheitlichen“ Ordnung konnte Tocqueville in Amerika nicht sehen und ahnen. Als es in Amerika noch genug Indianer gab, die man ausrotten und ihre Ressourcen rauben konnte, hat der Kapitalismus keine Probleme damit gehabt zu expandieren, später wird diese ökonomische Ordnung systembedingt periodisch zusammenbrechen und versuchen anderswo neue Indianer aufzutreiben.

Ein Spruch sagt, dass sogar der Teufel nicht so schwarz ist, wie man ihn malt. Ein Jahrhundert nach den Reisen Tocquevilles, also nach dem Zweiten Weltkrieg, sah es mehrere Jahrzehnte lang so aus, als hätte sich der Kapitalismus von einem Saulus in einen Paulus verwandelt. Aber das war nur von kurzer Dauer. Heute lässt sich nicht im Geringsten daran  zweifeln, dass dies nur eine durch die Umstände erzwungene heimtückische Mimikry des Kapitalismus gewesen ist. Nach der neoliberalen Konterrevolution und insbesondere, nachdem sich der ideologische Konkurrent Kommunismus aus der Geschichte verabschiedet hat, ist der Kapitalismus wieder der alte und gewohnte geworden. Nach dem bekannten Spruch, die Geschichte wiederholt sich als Tragödie. Das war diesmal der Fall für die Mehrheit der Bevölkerung. Für die Mittelschichten hat sich die Wiederkehr des Kapitalismus auch noch als Farce erwiesen. Hierbei handelt sich um eine Entwicklung, die immer wieder zum Wendepunkt der Geschichte wird und die verdient, kurz besprochen zu werden.

In manchen europäischen Staaten sind die neoliberalen Reformen mit Hilfe der sozialdemokratischen Partei durchgesetzt worden, so auch in Deutschland unter dem Kanzler Schröder. Welcher Partei sonst sollte man glauben, sie würde so etwas nie tun, als der Partei, die aus der Arbeiterbewegung und Gewerkschaften herausgewachsen ist, meinte der Wähler. Vereinfacht aber durchaus zutreffend lässt sich dazu sagen, dass die Avantgarde der neoliberalen Konterrevolution die Angehörigen der mittleren Schichten waren. Das ist insoweit erstaunlich, als die kommunistischen Revolutionen damals eigentlich nicht von den Proletariern vorbereitet und organisiert wurden, sondern gerade von den Angehörigen der mittleren Schichten. Diese haben richtig gesehen, dass in der freien Marktwirtschaft viele berufen, aber nur wenige auserwählt sind. Zu den Betrogenen und Enttäuschten gehörten damals nicht nur jene, die durch Bildung auf sozialen Aufstieg gehofft hatten, sondern auch kleine und mittlere Kapitalisten, wie etwa Friedrich Engels, der treueste Freund von Marx. Marx konnte also aus erster Hand erfahren, wie sich die kapitalistische „Expropriation“ als „immanentes Gesetz der kapitalistischen Produktion selbst vollzieht, durch die Zentralisation der Kapitale. Je ein Kapitalist schlägt viele tot. ... Mit der beständig abnehmenden Zahl der Kapitalmagnaten, welche alle Vorteile dieses Umwandlungsprozesses usurpieren und monopolisieren, wächst die Masse des Elends, des Drucks, der Knechtschaft, der Entartung, der Ausbeutung“. Aber davon wollten die mittleren Schichten nichts wissen, als sie voller Begeisterung die neoliberale Konterrevolution unterstützten. Sie waren naiv genug, den Versprechungen der Oligarchenkaste zu glauben, sie würden auch Gewinner sein, wenn man die unteren Schichten prekarisiert. Aber anstatt einen „gerechten“ Anteil an der Beute zu ergattern, sind sie selbst auf die Speisekarte der Oligarchenkaste geraten. Wer anderen eine Grube gräbt ... ist dazu ein passendes Sprichwort. Ein anderes Sprichwort hat sich auch wieder einmal bestätigt, dass nämlich die Revolution ihre eigenen Kinder frisst. Ergänzend kann man dazu auch ein russisches Sprichwort zitieren, dass nämlich das Neue nur gut vergessenes Altes ist.

Die Lage seit Beginn des 21. Jahrhunderts ist nun so, dass wir beginnen unsere Urväter zu verstehen, warum sie am Anfang des vorigen Jahrhundert bereit waren, im Kampf gegen den Kapitalismus ihr Leben einzusetzen, oft sogar zu opfern, und dann begeistert begonnen haben, den Kommunismus bzw. Sozialismus aufzubauen. Wie es dazu konkret gekommen ist, dass sie letztendlich gescheitert sind, kann an dieser Stelle nicht behandelt werden. Angebracht ist es aber, ein wenig zu den erkenntnistheoretischen bzw. wissenschaftsphilosophischen Gründen des Scheiterns der kommunistischen Wirtschaft zu sagen, wie sie sich aus dem Marxismus ergeben haben. Der Marxismus galt bekanntlich für eine nicht gerade kurze Zeit als eine wissenschaftliche Weltanschauung und seine sozialwissenschaftlichen Theorien sollten „bürgerlichen“ weit überlegen sein. Und das war nicht nur die Meinung der „Intelligenzija“ in den sozialistischen Ländern, sondern sie wurde von einem erheblichen Teil der Gebildeten in klassisch kapitalistischen Ländern geteilt.

10.3 Der erste moderne Kommunismus bzw. Sozialismus als Opfer von Metaphysik und Dilettantismus

Marx hat nach eigener Auffassung die Philosophie von Hegel „vom Kopf auf die Füße“ gestellt. Damit meinte er, die idealistische Dialektik von Hegel durch eine materialistische Dialektik zu ersetzen, ohne etwas an der Methodologie ändern zu müssen. Für die schon erörterte dialektische Methodologie ist festzustellen, dass sie schon deshalb nicht wissenschaftlich sein kann, da sie prinzipiell der formalen Logik widerspricht. Aber die dialektische Methodologie kann nicht alleine für alles verantwortlich sein, was in den Marxschen Sozialwissenschaften falsch ist. Dort findet man auch noch Schlussfolgerungen, die formal logisch und mathematisch falsch sind, und es wird eklatant gegen Tatsachen verstoßen. Es ist angebracht, dies mit Beispielen kurz zu belegen.

10.3a  Die angebliche Tendenz der Kapitalakkumulation als Ursprung aller verfehlten Prognosen von Marx

Schon in der Dialektik vor Marx galt, dass die historische Entwicklung eine quantitative Komponente (Substanz, Entität) hat. Bei Hegel ist es der Geist („Weltgeist“), der in seiner Quantität ständig wächst. Man kann sich unter dem quantitativen Wachstum des Geistes etwa die  Fortentwicklung der Wissenschaften und Kultur vorstellen, aber wie sollte sich die Materie quantitativ fortentwickeln? Nebenbei bemerkt, in der klassischen Physik kann die Materie weder aus Nichts entstehen noch verschwinden und das war Marx wahrscheinlich bekannt. Marx hat die Lösung in der damaligen Politischen Ökonomie gefunden.

Zur Materie gehören auch materielle Güter, die durch Arbeit bzw. durch „produktive Arbeit“ (Smith) zustande kommen. Aus dieser Abhängigkeit Güter-Arbeit folgert Marx, dass die Arbeit die Materie ausreichend gut repräsentiert, und er widmet sich weiterhin der Erforschung der Arbeit. So wurde er zum Ökonomen. Der Mensch benutzt für die Arbeit auch Werkzeuge und immer kompliziertere Maschinen, die durch Arbeit hergestellt werden, letztendlich also auch nur Arbeit sind. Diese Arbeit bezeichnet er als „vergangene“, „tote“, „geronnene“, die man ökonomisch als (reales) Kapital bezeichnet. Indem Maschinen - ökonomisch ausgedrückt Kapital - immer komplizierter werden, steckt in ihnen angeblich immer mehr Arbeit. Diese Arbeit entspricht bei Marx bzw. in seiner materialistischen Philosophie der immer weiter steigenden Quantität. Das Verhältnis zwischen der toten Arbeit in der Maschine (Kapital) und der lebenden Arbeit (ihres Bedieners) bezeichnet er als.„Organische Zusammensetzung des Kapitals“. Wo liegt aber das Problem?

Den Beweis, dass der Kapitalist, wenn er produktivere Maschinen kauft, immer Maschinen kauft, in denen mehr tote Arbeit steckt als in den alten, liefert Marx im Band 3 des Kapitals. Er benutzt dafürseine berühmten Reproduktionschemata. Sie sind nichts anderes als die kreislauftheoretische Analyse, die schon der französische Ökonom Quesnay ein Jahrhundert davor entworfen hatte (Tableau Économique, 1758). Formal betrachtet sind die Marxschen Schemata sogar einfacher. Sie werden durch zahlenmäßige Beispiele dargestellt, für die Marx nur simple arithmetische Operationen benutzt, so dass es kaum berechtigt ist, von einer echten mathematischen Analyse zu sprechen. Es ist eigentlich noch schlimmer. Marx schiebt Zahlen hin und her, so wie es ihm passt, um damit zu zeigen, dass bei der Ersparnis der Arbeit (Steigerung der Produktivität) das Verhältnis zwischen der toten und lebenden Arbeit („organische Zusammensetzung“) steigt. Hier ist ein spitzfindiger Tüftler am Werk, der sich als Mathematiker ausgibt. Eine mathematische Analyse, die komplex genug ist, kann eindeutig zeigen, dass sich beim Einsparen der lebenden Arbeit jedoch keine Tendenz zu einer Steigerung der organischen Zusammensetzung ergibt (Simek 1997: Kapitel 3).

An dieser Stelle ist es erwähnenswert, dass durch Simulation einer quantitativen Analyse, also durch hin und her schieben der Zahlen, Marx im Band 2 seines Kapitals einen theoretischen Beweis für die Richtigkeit seiner Arbeitswertlehre vorgelegt hat, indem er meinte bewiesen zu haben, dass die Summe der (nominalen) Preise identisch der Summe der (Arbeit-)Werte in einer Wirtschaft ist. Wenn man seine Zahlen in ein in sich schlüssiges mathematisches Modell einordnet, stellt sich aber heraus, dass Marx „entgangen“ ist, dass in seinem „Beweis“ die Profitrate nicht durchschnittlich gleich geblieben ist, was für ihn sonst außerordentlich wichtig ist. Auch hier kommt uns wieder Zenon in den Sinn: Man braucht nur die logische Komplexität des Denkens genug zu senken, und jeder Unsinn strahlt auf einmal als der logischen Wahrheit letzter Schluss.

Bemerkung: In der Praxis kann der Preis der Maschine im Verhältnis zu  den Löhnen steigen, weil im Kapital auch noch andere Kosten stecken als nur die der Arbeit, etwa Materialkosten, z.B. Eisen. Eine Eisenhütte kann freilich den Preis des Eisens ständig erhöhen, wenn der Boden, auf dem sie steht, als Erz unter dem Boden privat ist. Aber dieses Verhältnis (Kapitalintensität) ist etwas anderes als die „organische Zusammensetzung“. Wahrscheinlich war diese Verwechslung der wichtigste Grund dafür, warum der größte Irrtum der Marxschen Theorie so lange nicht einmal bemerkt worden ist und seine Tragweite noch immer nicht richtig eingeschätzt wird. Der weitere Grund wäre, dass Marx damit den Sparer honoriert, und der bürgerlichen Theorie passte dies bestens in den Kram.

Mit der „organischen Zusammensetzung“ meinte Marx herausgefunden zu haben, warum im Kommunismus die Produktivität schneller als im Kapitalismus steigen und diesen schnell überholen werde. Im Kapitalismus wird nämlich nicht alles investiert, was dem Arbeiter nicht als Lohn bezahlt wird („Mehrwert“), weil der Kapitalist viel davon für sein luxuriöses Leben ausgibt. Im Kommunismus werde es das nicht geben, alles werde in Investitionen gehen, was notwendigerweise schnelleres Wachstum und Produktivitätswachstum bringen würde. In der Tat sind kommunistische Länder nach der Revolution sehr schnell ökonomisch gewachsen – am erfolgreichsten war dabei die UdSSR unter Stalin. Das dauerte allerdings nur so lange an, wie die Kommunisten technisches Wissen des Kapitalismus kopieren konnten und solange die Menschen motiviert waren, den Sozialismus aufzubauen. Und damit kommen wir zum nächsten Problem des Marxismus.

10.3b  Produktive Arbeit als angeblich neues Bewusstsein und elementares Bedürfnis des neuen Menschen

Die Theorie des ökonomischen Wachstums durch Kapitalakkumulation war falsch im theoretischen Sinne, insoweit sie auf einer Analyse beruhte, die unterkomplex war. Eine Theorie kann auch aus einem anderen Grund falsch sein, nämlich wenn sie von angeblichen Tatsachen ausgeht, die gar keine Tatsachen sind. Das ist bei Marx der Fall mit seiner Annahme darüber, wie sich der Mensch im Kommunismus ändern wird. Das hat er auch  durch seine dialektische Methode herausgefunden.

Wir knüpfen jetzt an die Auffassung an, dass die Akkumulation der Arbeit in den Produktionsmitteln, also die „organische Zusammensetzung des Kapitals“ immer weiter steigt. Diese historische Steigerung der „Quantität“ ist ein mehr oder weniger linearer Prozess. Aber er wird periodisch unterbrochen, wenn die Quantität zur Qualität übergehen soll. Das geschieht durch Klassenkämpfe bzw. durch eine Revolution, wenn eine alte Klasse („These“) durch eine neue („Antithese“) besiegt wird, wonach etwas Neues entsteht („Synthese“), eine neue ökonomisch-soziale Formation. Der letzte dialektische Umschlag von Quantität zur Qualität in der Geschichte, also die proletarische Revolution, wird in ihrem Ergebnis den Kommunismus schaffen. Für uns ist jetzt nur wichtig, dass zu der neuen Qualität des Kommunismus ein neues Bewusstsein des Menschen gehören sollte. Das ist ausführlich im Band 1 des Kapitals beschrieben. Es geht um Folgendes:

In den Klassengesellschaften war die produktive Arbeit immer ein Fluch für die arbeitenden Klassen, sie waren von ihr „entfremdet“, weil sie „exploitiert“ (ausgebeutet) wurden. Im Kommunismus – im „Reich der Freiheit“ -, wo keiner die arbeitende Klasse mehr exploitieren wird, werde die produktive Arbeitzum ersten menschlichen Bedürfnis werden. Die Kooperation würde die Konkurrenz völlig ersetzen können. Planung und Buchführung werde die brutale Konkurrenz ersetzen, die einfach überflüssig wäre, da jeder Arbeiter ehrlich und fleißig arbeiten würde. Für eine gewisse Zeit nach der Revolution waren die Arbeiter in der Tat sehr motiviert zu arbeiten und die kommunistischen Wirtschaften haben beachtliche Erfolge erzielt. Diese Motivation gab es aber nur bei der Generation der Arbeiter, die sich noch an die brutale Ausbeutung im Kapitalismus erinnerte. Schon bald hat sich gezeigt, dass das „neue Bewusstsein“ nur eine Schnapsidee war und der Mensch so geblieben ist, wie schon immer. Der Kommunismus scheiterte, als immer mehr Menschen zu Trittbrettfahrern wurden - in der Wirtschaft insbesondere, anderswo auch. Er ging an demselben Irrtum zugrunde, den etwa schon Spinoza bei allen Utopisten diagnostiziert hat: „Sie glauben dergestalt etwas Erhabenes zu tun und den Gipfel der Weißheit zu erreichen, wenn sie nur gelernt haben, eine menschliche Natur, die es nirgendwo gibt, in höchsten Tönen zu loben, und diejenige, wie sie wirklich ist, herunterzureden. Sie stellen sich freilich die Menschen nicht vor, wie sie sind, sondern wie sie sie haben möchten; und so ist es gekommen, daß sie statt einer Ethik meistens eine Satire geschrieben und niemals eine Politik-Theorie konzipiert haben, die sich auf das wirkliche Leben anwenden ließe; produziert haben sie nur etwas, das als eine Chimäre anzusehen ist oder das man in Utopia oder in jedem goldenen Zeitalter der Dichter, wo dies führwahr am wenigsten erforderlich war, hätte errichten können“ (Politischer Traktat: 7).

Das Leben treibt manchmal grausame Scherze mit uns, auch Marx ist davon nicht verschont geblieben. Kein anderer als sein Schwiegersohn Paul Lafargue hat in seinem Buch Das Recht auf Faulheit erklärt, dass das Wesen des Menschen nicht in der produktiven Arbeit liege, sondern in der Freude am Müßiggang und Konsum. Wir werden nie herausfinden, ob der Schwiegersohn so überzeugend war, dass Marx im Band 2 und 3 des Kapitals nicht mehr über die „Selbstverwirklichung des Menschen“ durch produktive Arbeit sinniert. Ganz bescheiden sieht er den Sinn dieser Arbeit nur noch darin, dass sie die Voraussetzungen für mehr Freizeit schafft.

Aus diesen Beispielen lässt sich entnehmen, dass eine Methode, die nicht auf einer komplexen Logik beruht, nur ein Geschwätz ist, ohne Bezug zur Realität. Im nächsten Kapitel wird das näher untersucht und gezeigt, dass eine reduktionistische Erkenntnistheorie ganz und gar nicht geeignet ist, als Wissenschaftsphilosophie für die Sozialwissenschaften zu dienen. Eine solche Erkenntnistheorie, die weder systemisch noch empirisch ist, findet ihre Verwendung und ihren Nutzen lediglich darin, Ideologien für herrschende Klassen zu entwerfen.

Fortsetzung folgt

 
 
 
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