11 Externe Umstände als relevante Faktoren der Entwicklung der modernen Wissenschaften
Die wichtigsten externen Umstände, die das Entstehen der Naturwissenschaften ermöglicht und für ihre weitere Entwicklung gesorgt haben, haben wir im Wesentlichen untersucht. Kurz zusammengefasst: Praktisch angewandte Kenntnisse dieser Wissenschaften ermöglichen den Unternehmen durch Kostensenkungen und neue Produkte Gewinne zu steigern. Deshalb fordern und fördern die Unternehmen im Kapitalismus die Entwicklung solcher Wissenschaften bis heute immer weiter. Die Naturwissenschaften und der Kapitalismus sind schließlich schicksalhaft verbunden. In einem ganz anderen Verhältnis steht der Kapitalismus zu den Geisteswissenschaften. Wie seltsam es uns auch vorkommen mag, der Kapitalismus selbst ist das Ergebnis erfolgreicher frühmoderner und frühliberaler Geisteswissenschaften, aber so wie diese Wissenschaften damals gewesen sind, konnten sie im real existierenden Kapitalismus nicht weiter existieren. Der Grund ist folgender:
Die periodischen Zusammenbrüche der freien Marktwirtschaft und ihnen folgende Kriege um Ressourcen und Absatzmärkte haben die Glaubwürdigkeit und Anziehungskraft der neuen Ordnung immer mehr untergraben und sie sogar bald in Frage gestellt. Als sich aber eine neue Klasse der reich und mächtig gewordenen Bürgerlichen gebildet hatte, später Kapitalisten genannt, war es für diese im existentiellen Interesse, dass diese neue Ordnung überlebt. Sie soll in jeder Hinsicht attraktiv erscheinen, vor allem als gerechtfertigt und legitimiert gelten. Eine geistige Konstruktion, die diesem Zweck dient, nennt man Ideologie. Ideologien haben in der vormodernen Zeit die Kirchen geliefert, in der neuen Epoche der Moderne konnte diese Aufgabe nur die Wissenschaft übernehmen. Es hat sich aber schnell gezeigt, dass die frühmodernen und frühliberalen Wissenschaften sich nicht ideologisieren ließen. Verhindert hat das ihre holistisch-konsequentialistische Wissenschaftsphilosophie, die prinzipiell der systemisch-empirischen der Naturwissenschaften entsprach. Man suchte eine andere und als bestens dafür geeignet hat sich die intuitiv-analogische gezeigt. So wurden die Geisteswissenschaften Mitte des 19. Jahrhunderts auf diese rückständige und metaphysische Wissenschaftsphilosophie gestellt. Das haben wir auch früher schon als neoliberale Wende bei den Geisteswissenschaften bezeichnet. Somit haben die Interessen derneuen herrschenden Klasse als externer Faktor darüber entschieden, was die Geisteswissenschaften seitdem geworden sind, nämlich Lieferanten und Betreuer der Ideologie des real existierenden Kapitalismus.
Die intuitiv-analogische Wissenschaftsphilosophie geht aus der reduktionistischen Erkenntnistheorie hervor, die weiter vorne schon ausführlicher untersucht worden ist. In diesem Kapitel wird nun näher erörtert, wie sie als Wissenschaftsphilosophie in den Geisteswissenschaften angewandt wird, insbesondere in der Ethik. Die folgende Untersuchung wird zeigen, warum die intuitiv-analogische Wissenschaftsphilosophie so gut geeignet ist, Wissenschaften zu ideologisieren. Zum einen erlaubt diese Wissenschaftsphilosophie Begriffe eines Untersuchungsfeldes willkürlich zu bestimmen , und zum andern gilt es für sie als legitim, diese Begriffe dann analogisch untereinander und mit Tatsachen (ex post) zu verknüpfen. Das erste macht solche Wissenschaften dogmatisch, das zweite noch dazu willkürlich. Wenn nämlich eine gleiche Menge von Begriffen (Objekten und Relationen) analogisch verknüpft wird, kann man beliebig viele Kombinationen oder Interpretationen bekommen - was noch zu zeigen ist -, und eine darunter wird sich bestimmt finden, die sich gut als Ideologie nutzen bzw. Missbrauchen lässt. Anstatt wissenschaftliche Theorien und Modelle zu entwerfen, liefern dann die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften nur „Erzählungen“, um den Begriff zu benutzen, den die postmodernen Philosophen bekannt gemacht haben.
Schließlich sollen sich die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften von dem analogischen, also logisch unterkomplexen Denkniveau für immer verabschieden und den Weg zurück zur systemisch-empirischen Wissenschaftsphilosophie finden. Aber auf dem damals erreichten Stand wird man nicht bleiben dürfen. Nicht anders als wir es bei den Naturwissenschaften festgestellt haben, würde man für neue Durchbrüche auch in den Geisteswissenschaften auch neue Paradigmen benötigen, die immer komplexere Denkweisen benötigen werden. Der Weg dazu würde voraussichtlich einen ganz neuen philosophischen bzw. erkenntnistheoretischen Hintergrund brauchen, an dem Philosophen und Wissenschaftler eng zusammenarbeiten müssten. So weit ist man aber noch nicht. Ich selber kann dazu auch nur meine allgemeinen Überlegungen vorlegen, die keine Lösung mit dem Anspruch auf Vollständigkeit und Endgültigkeit darstellen.
Abschließend mache ich mir auch Gedanken darüber, ob und wie sich die neue erkenntnistheoretische Wende realisieren könnte. Sie lässt sich natürlich nicht genau vorhersagen, weil sie von nicht vorhersehbaren Entwicklungen im menschlichen Geiste abhängt, aber auch von Faktoren der Umgebung, die man als extern verstehen kann. Zu diesen Faktoren dürften neue Informations- und Kommunikationstechniken gehören. Mir scheint es sogar, dass diese stark genug wirken könnten, um ein Umdenken in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften auszulösen, und diese dazu zwingen könnten, zu einer systemisch-empirischen Wissenschaftsphilosophie zurückzukehren. Sollte dies gelingen, würde das nicht weniger bedeuten, als die menschliche Zivilisation im Geiste bzw. im Denken auf eine höhere Stufe zu befördern - auf eine nächste Stufe der Aufklärung und des Rationalismus.
Usw.
11.3 Ist eine nächste Stufe der Aufklärung bzw. des Rationalismus bei der Spezies Mensch möglich?
In vormodernen Zeiten gab es bessere und schlechtere Zeiten, aber keinen zivilisatorischen Fortschritt. Es gab aber schon damals Denker und Philosophen, deren Aphorismen und Sentenzen bis heute bewundert werden. Ihr Sinn und Zweck wurde von zahlreichen Jüngern und Nachfolgern gedeutet, erläutert und gepredigt, doch das Leben der Menschen hat sich dadurch seit Jahrtausenden nicht verändert. Der zivilisatorische Fortschritt war erst möglich, als Philosophen und Denker begonnen haben, Begriffe (Größen und Verhältnisse) im Rahmen komplexerer (axiomatischer) Denksysteme zu erforschen, die sie in Bezug zur sinnlichen Wirklichkeit stellten. Dadurch sind moderne Wissenschaften entstanden. Auch Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, die zuerst sehr erfolgreich waren. Bis Ende des 18. Jahrhunderts sind von ihnen Grundlagen für die neue Epoche entworfen worden, die später als Moderne bezeichnet worden ist und in der wir immer noch leben. Erwähnen wir nur Institutionen wie allgemeine Bildung, Konkurrenzwirtschaft (geregelte Marktordnung), Rechtsstaat, Partizipation an der politischen Macht (Demokratie) und Gewaltenteilung. Die neu entstandenen Sozial- und Wirtschaftswissenschaften teilten damals eine gemeinsame Wissenschaftsphilosophie mit den Naturwissenschaften, die systemisch-empirische, die nach der neoliberalen Wende verlassen wurde mit fatalen Folgen. Wenn es seitdem der Menschheit gelungen ist, in davor unvorstellbarem Maße Armut, Krankheiten, Strapazen und Lebensrisiken zu verringern, sogar auch neue Möglichkeiten für körperliche, geistige und ästhetische Verwirklichung zu eröffnen, waren es Verdienste der Naturwissenschaften. Die Geisteswissenschaften sollten für Fortschritt im humanitären und sozialen Sinne sorgen, haben aber seit fast zwei Jahrhunderten nach ihrer neoliberalen Wende diesbezüglich nichts von auffallender Bedeutung hervorgebracht. Das allein wäre schon schlimm, aber damit nicht genug. Sie dienten seither einem anderen, nicht gerade vornehmen Zweck. Während die Naturwissenschaften immer weiter an der Beherrschung der Natur gearbeitet haben, stehen die Geisteswissenschaften seitdem im Dienste der Ideologie zur Beherrschung der Menschen. Es ist ausreichend genug belegt, dass die Erfolglosigkeit der Geisteswissenschaften an ihrer intuitiv-analogischen Wissenschaftsphilosophie liegt, an ihrer analogischen und zugleich auch nicht empirischen Methode, aber gerade dadurch hat sie sich für ideologische Zwecke bestens geeignet. Die analogische Denkweise wird von den meisten Menschen am einfachsten verstanden und das ist ein echtes Problem für den weiteren zivilisatorischen Fortschritt.
Mit Hilfe von Analogie lässt sich zweifellos viel erreichen. Alle vormodernen Erkenntnisse oder besser gesagt Erfindungen in Handwerk, Landwirtschaft und anderen vormodernen Bereichen sind das Ergebnis des Verfahrens „Versuch und Irrtum“ (trial and error), das im Wesentlichen auf der Analogie beruht. Für dieses Verfahren brauchte man nicht einmal lesen und rechnen zu können. Dessen waren im Mitteltaler neben Mönchen nur noch wenige fähig. Erst als die Produktion maschinell geworden ist, hat sich das Lesen und Rechnen als ökonomisch vorteilhaft erwiesen, so dass die Schulpflicht eingeführt wurde. Aber auch der industrielle Arbeiter brauchte nur eine minimale Bildung. Abgesehen einmal von Naturwissenschaftlern und ihnen nahestehenden Berufen, hat für die überwältigende Mehrheit auch die industrielle Produktion keine höheren Ansprüche an das Denken gestellt. In vielen Bereichen des Lebens seien die Ansprüche an Denken und Wissen, verglichen etwa mit dem Bedarf an Erkenntnissen eines einfachen Bauern, sogar gesunken, stellte Smith fest. Er führt dies auf die Arbeitsteilung zurück: „Im Fortschritt der Arbeitsteilung wird die Beschäftigung … der großen Masse des Volkes, auf wenige sehr einfache Verrichtungen, oft nur auf eine oder zwei, beschränkt. Der Mann, dessen ganzes Leben ein paar einfachen Verrichtungen gewidmet ist, deren Wirkungen vielleicht stets dieselben oder ziemlich dieselben sind, hat keine Gelegenheit, seinen Verstand anzustrengen oder seine Erfindungskraft zu üben … Seine Geschicklichkeit in seinem Gewerbe scheint also auf Kosten seiner geistigen, geselligen und kriegerischen Fähigkeit erworben zu sein (Wohlstand: 871). Mit technischem und technologischem Fortschritt verschlechtert sich nur dieser Zustand. Der Soziologe Richard Sennett liefert in seinem kurzen Buch Der flexible Mensch sehr einleuchtende Beispiele, wie in unserem digitalen Zeitalter der Bedarf an Denkfähigkeit, ja sogar an gesundem Menschenverstand in vielen Berufen immer weiter sinkt. Während die Menge der neuen Erkenntnisse also immer weiter wächst, wird von einer immer größeren Mehrheit der Menschen immer weniger verlangt. Nicht wenige Soziologen und Psychologen sprechen schon offen von einer beschleunigten Verdummung der Menschen in den Ländern des westlichen klassischen Kapitalismus.
Komplexere Denkweisen haben leider auch noch eine Eigenschaft. Um befähigt zu sein, in komplexen logischen Zusammenhängen zu denken, braucht es viel Zeit und Mühe, und man muss mit dem Lernen schon in der Kindheit beginnen. Benutzt man solche einmal erlernten Denkweisen später nicht mehr, verliert man diese Befähigung sehr schnell. Mit Geometrie lässt sich das gut verdeutlichen, da sie zur Grundausbildung gehört. Jeder, der die Geometrie nach der Schule nicht beruflich zu benutzen brauchte, hat das Erlernte sehr schnell vergessen. Er merkt es spätestens dann, wenn er seinen Kindern schon in den unteren Klassen die Fragen aus der Geometrie nicht beantworten kann. Mit den Übungen im komplexen Denken ist es nicht anders als mit dem körperlichen Training, wo man mit viel Anstrengung die äußere Körperform beeindruckend verändern kann, wenn man aber aufhört zu trainieren, kommt die alte sozusagen schlappe Körperform zurück. Wenn also dem Menschen eine komplexere Denkweise nicht nötig ist, denkt er nur nach Analogie, was ihm als Fähigkeit der Menschen angeboren ist und die er auch nicht verlernen kann.
Damit aber jetzt nicht irgendwelche Missverständnisse entstehen, soll zu logisch komplexeren Denkweisen etwas gleich bemerkt werden. Es machte keinen Sinn, Menschen zu zwingen, sozusagen lebenslang dieses Denken zu trainieren, unabhängig davon, ob diese Fähigkeit einem nützlich wäre oder nicht. Solche Denkweisen sind nämlich nur eine der Möglichkeiten der geistigen Selbstverwirklichung des Einzelnen, aber nicht für alle sollte gerade diese Möglichkeit die beste Wahl sein. Es gibt viele solche Möglichkeiten und es ist auch gut so. Hier geht es uns nur darum, dass es keine erfolgreiche Sozial- und Wirtschaftswissenschaften geben kann, die nicht auf logisch komplexen Denkweisen beruhen.
Wir leben also in der Zeit eines unglücklichen Zusammentreffens der Umstände, wo die Geisteswissenschaften aus sich heraus kein Interesse haben, sich zu ändern, und die Gesellschaft sie auch nicht dazu drängt, am Fortschritt in humanitärem und sozialen Sinne zu arbeiten. Das neoliberale „Ende der Geschichte“ (Fukuyama) äußert sich immer mehr als ein Ende der Kultur, der Humanität und der Gerechtigkeit. Aber auch wenn heute nichts die Hoffnung weckt, dass sich diesbezüglich etwas ändern könnte, kann man doch nicht bestreiten, dass wir auch damals, vor Beginn der Moderne, keine wesentlich andere Lage hatten. Nicht einmal Fortschritt im Sinne der Naturwissenschaften kannte man damals. Und es ist trotzdem eine neue Epoche entstanden. Aber wie? Es mussten sich gewisse äußere Umstände geändert haben, dass es dem menschlichen Geiste nützlich und sinnvoll erschienen ist umzudenken. Darüber, um welche neuen Umstände es sich hätte handeln können, haben viele nachgedacht, so dass es diesbezüglich auch manche Erklärungen gibt, so dass es kaum möglich wäre, noch eine wirklich originelle zu finden. Ich wähle auch eine schon bekannte, die ich nicht nur für überzeugend halte, sondern in der ich auch ein Muster sehe, nach dem sich so etwas wie Aufklärung und Rationalismus wiederholen könnten - natürlich unter veränderten Umständen und mit spezifischen Merkmalen.
11.3a Überwindung der analogischen Denkweise durch mehr Informationen und mehr Kommunikation
Fangen wir mit dem späten Mittelalter an. Die Renaissance, die gegen Ende des 14. Jahrhunderts einsetzte, war die Epoche, als der Geist des Abendlandes begonnen hat, sich von der geistigen Herrschaft der katholischen Kirche zu befreien. Begonnen hat die Renaissance mit einer intensiven Suche nach Handschriften, Bauten, Inschriften und Skulpturen der klassischen griechisch-römischen Zivilisation und mit dem Studium der lateinischen, griechischen und hebräischen Sprache. Das Motto lautete: „Zurück zu den Quellen!“ Vorerst ging es dem neuen Geist nur noch um humanistische und ästhetische Emanzipation von der Kirche. Das an sich hat noch keine Ansprüche an ein neues Denken gestellt. Was konnte es dann sein, was das Interesse des neuen Geistes nach rationalem Denken weckte? Das Studium der alten Denker und Philosophen konnte dazu auch nicht reichen. Damit haben schon die arabischen Gelehrten begonnen, auf neue Gedanken hat sie das nicht gebracht. Die mittelalterliche Scholastik hat auch große Mühe darauf verwandt, das antike philosophische Erbe weiterzuentwickeln, aber alles ist ins Leere gelaufen. Es gibt andere Erklärungen dafür, warum der Geist begonnen hat, sich für ein anderes Denken zu interessieren, und es sind nicht wenige. Eine wäre die Entdeckung des Buchdrucks. Schon der Reformator Martin Luther sah gerade im Buchdruck „die letzte, unauslöschliche Flamme der Welt“, aus Gründen, die nicht schwer zu begreifen sind.
Die Gutenberg-Bibel war das erste gedruckte Buch in der Geschichte (1452-54). Die neue Technik war es, die den Menschen ermöglichte, die Bibel selbst in die Hände zu nehmen und zu lesen, so dass die Geistlichen und Pfarrer nicht mehr einfach Stücke aus ihr herausreißen und diese noch so auslegen konnten, wie es ihnen gerade passte. Die Menschen haben die Möglichkeit bekommen zu unterscheiden, was die authentischen biblischen Botschaften sind und was die Kirche als Dogmen statuierte. Nach der Bibel wurden auch weitere Bücher in ständig größeren Mengen gedruckt und das hat viel geändert. Waren den Menschen davor nur Meinungen, Gesinnungen und Tatsachen seiner nächsten Umgebung bekannt, konnten sie jetzt durch gedruckte Texte andere, aus der weiten Welt kommende kennenlernen und sie auch vergleichen. Der Geist wurde geweckt und er setzte sich in Bewegung. Aber der neue Geist hat nicht gleich den Weg zu Aufklärung und Rationalismus gefunden, sondern er wurde zuerst durch irrationale Gefühle überwältigt, wie Fanatismus (Reformation) und Pessimismus (Barock), die schon genug Übel und Leid gebracht haben. Dann kam auch noch der verheerende Dreißigjährige Krieg (1618-1648). Erst danach begann sich alles zu ändern, zuerst langsam und dann immer schneller. Am Ende des 18. Jahrhundert hat die westliche Welt die klar erkennbare Gestalt angenommen, so wie wir sie heute kennen. Das alles wäre nie zustandegekommen, wenn sich damals die Menge der Informationen - sowohl über Tatsachen als auch über Meinungen und Auffassungen – nicht durch gedruckte Texte objektiv vielfach vergrößert hätte und die Denker dadurch nicht viel einfacher untereinander kommunizieren konnten.
Dem Papierdruck folgten weitere technische Erfindungen für die Verbreitung von Informationen und Daten, Rundfunk und Fernsehen, die aber nur beschränkt der Mehrheit bzw. dem zivilisatorischen Fortschritt dienten. Sie sind nämlich dermaßen teuer, dass sie zuerst nur der Staat finanzieren konnte, und später kam es sogar noch schlimmer. Nach der neoliberalen Konterrevolution konnte die westliche Oligarchenkaste die von ihr durchgesetzten Steuersenkungen für den Kauf dieser Medien benutzen, sowie für alles andere, was früher dem Staat gehörte. Es begann eine Zeit der privaten Medien, der privaten Schulen, Unis und wissenschaftlichen Institutionen, und insbesondere der privaten nichtstaatlichen Organisationen. Letztere sind so etwas wie die perfekten ideologischen Schlägerbanden der Reichen und Mächtigen. Der Besitz von Rundfunk und Fernsehen hat es der westlichen Oligarchenkaste ermöglicht, das Bewusstsein der Mehrheit dermaßen zu bestimmen, wie es in der ganzen Geschichte keiner herrschenden Klasse je gelungen ist. Nie davor, nicht einmal im „dunklen“ Mittelalter, war es möglich, aus einem Zentrum heraus so viele Menschen gleichzeitig zu erreichen und damit zu bestimmen, was das Volk zu erfahren, zu wissen und zu glauben habe, sowie was richtige wissenschaftliche Erkenntnisse sein sollen - die der Geisteswissenschaften insbesondere. Da stellt sich die Frage, ob hier die neuen Informations- und Kommunikationstechniken etwas wesentlich ändern können und wenn ja, wie und was?
Lenin hätte es wissen müssen, als er sagte, dass eine revolutionäre Situation dann entsteht, wenn die Oberen es nicht anders können und die Unteren es nicht weiter so wollen. Mit einzelnen Rebellen und Revolutionären kam der Staat immer zurecht. Erst wenn die sogenannte „Masse“ aktiv wird, kann sich etwas gesellschaftlich ändern. Die Herrschenden neigen zu der Meinung, mit Propaganda würde man immer die Unteren beherrschen können, sie können sich nämlich beliebig viele Politiker und Medienspezialisten kaufen, aber die historische Erfahrung bestätigt das nicht. Das Monopol auf Meinungsbildung und Wirklichkeitsdeutung kann sogar den Oberen schaden. Wenn jede Kritik unterdrückt wird, verkennen die Herrschenden die Lage und verpassen die Möglichkeit, minimale gesellschaftliche Änderungen durchzuführen, die von ihnen nicht viel abverlangt hätten. Wenn das in der Geschichte nicht gelingt, verläuft sie so, wie es schon Platon festgestellt hat: Zuerst bricht Anarchie aus, die dann in Diktatur („Tyrannei“) endet. Ob also zum Guten oder zum Bösen, die Kritik der Zustände und der offiziellen Autoritäten kann nur gut und nützlich sein. Und sie muss zuerst von breiten Schichten des Volkes kommen - auf neue Konzeptionen und führende Persönlichkeiten kommt es erst später an. Deshalb machen wir uns zuerst Gedanken darüber, ob die neuen Informations- und Kommunikationstechniken der Mehrheit hilfreich sein können, durch Kritik gewisse Änderungen zu erzwingen, auch wenn diese Mehrheit für gesellschaftliche Fragen mehr oder weniger inkompetent ist.
- Kritische Tatsachenprüfung: Heute ist es buchstäblich allen Menschen möglich, sich im Internet und den sozialen Netzen zu organisieren, die Prüfung der veröffentlichten Tatsachen selbst zu übernehmen und sich sozusagen „aus erster Hand“ zu informieren. Das kann den staatlichen und privaten Medien wesentlich erschweren, Tatsachen zu manipulieren, zu leugnen oder zu fingieren. Die „einfachen“ Menschen können selbst echte Journalisten sein, was besonders wichtig geworden ist, da die meisten professionellen Journalisten zu geistigen Söldnern der Reichen und Mächtigen geworden sind.
- Kritische Leistungsprüfung: Die „Experten“ im Dienste der Reichen und Mächtigen haben die Aufgabe, dem Volke zu erklären, wie gut es regiert wird und wie gut es ihm geht, und natürlich wie alternativlos die aktuelle Ordnung ist. Damit solche „Experten“ dem „einfachen“ Menschen bzw. Laien überzeugend erscheinen, sollen sie besondere Fähigkeiten besitzen, die man im Allgemeinen als Datenkenntnis und Schlagfertigkeit bezeichnen kann. Ein Laie kann nämlich nur schwer zwischen Bildung und Denkvermögen unterscheiden. So erscheint ihm derjenige als der Überzeugendere, der viele Daten im Gedächtnis hat und die zum eigenen Argument passenden schnellstmöglich präsentieren kann. Datenkenntnis und Schlagfertigkeit sollen insbesondere in öffentlichen Diskussionen zum Ausdruck kommen. Bei solchen Diskussionen werden den präferierten „Experten“ auch „geeignete“ Opponenten gegenübergestellt, solche, die ihre alternativen Auffassungen sehr schlecht präsentieren und verteidigen können. In der Zeit der teuren Medien wie Rundfunk und Fernsehen konnte der Laie nichts nachprüfen, wie skeptisch er auch sein mochte. Mit den neuen Informations- und Kommunikationstechniken hat sich das wesentlich geändert. Auch wenn der Laie theoretisch mehr oder weniger wissensmäßig überfordert bleibt, wird er im Internet und den sozialen Netzwerken vieles erfahren können, was in der Propaganda verheimlicht oder nicht richtig dargestellt ist. Er wird Erfolge und Misserfolge der Regierung und ihrer „Experten“ besser bewerten können. Schon Aristoteles war der Meinung, dass der Laie dem Spezialisten nicht hilflos ausgeliefert ist, da er die Möglichkeit hat, das Können der Spezialisten anhand ihrer praktischen Leistungen zu bewerten.
Kritik war für Reiche und Mächtige schon immer peinlich und unerträglich und die Kritiker wurden behindert und verfolgt. Heute ist das nicht anders. Dafür spricht der Umgang mit den bekannten Namen wie etwa Assange, Snowden und Durow - vielleicht bald mit Musk, wenn er nicht wie etwa Zuckerberg zu Kreuze kriechen würde. Aber Kritik alleine ist nie imstande, in der Gesellschaft etwas wirklich wesentlich und nachhaltig zu verändern. Aus dem Verlauf der Moderne ist das deutlich erkennbar. Als die Bibel alle lesen und Widersprüche zur Kirchenlehre feststellen konnten, haben all die folgenden Reformationen und Kriege für die „wahre“ christliche Lehre nie moralisch bessere Menschen und eine christlichere Gesellschaft geschaffen als die katholische Kirche davor. Eine neue Epoche entsteht nicht durch Kritik der alten, sondern durch ein anderes Denken über Mensch, Gesellschaft, Natur und Denken selbst. Gerade das machte die Aufklärung und den Rationalismus aus. Die Denker und Philosophen am Ende des Mittelalters und Beginn der Moderne haben das Herumbasteln der Scholastiker mit Ideen verlassen und neue, logisch komplexere Entwürfe bzw. Visionen geliefert, wie der Mensch sich sozial anders und besser organisieren und wie er die Natur zu eigenem Vorteil beherrschen kann. Das neue Denken konnte seine Nischen auch deshalb ungestört bilden, weil beim Übergang vom Mittelalter zur Moderne die Kirche kein geistiges Monopol mehr hatte und die neue Klasse sich noch nicht etablieren konnte. Solche Nischen für unabhängige, kreative und originelle Geister haben neue Informations- und Kommunikationstechniken ermöglicht, in einem Maße, wie man es sich früher nicht hätte vorstellen können. Es gibt keinen ernsthaften Grund daran zu zweifeln, dass dort früher oder später geistige Produkte entstehen werden, die dem Strom des Geschehens neuen Sinn und neue Richtung weisen werden. Keynes hat dies auf den Punkt gebracht: „Ich bin überzeugt, dass die Macht erworbener Rechte im Vergleich zum allmählichen Durchdringen von Ideen übertrieben ist. Diese wirken aber nicht immer sofort ... Aber früher oder später sind es Ideen, und nicht erworbene Rechte, von denen die Gefahr kommt, sei es zum Guten oder zum Bösen.“ Zu bemerken dazu ist hier nur, dass Keynes nicht „Ideen“ von Platon oder anderen reduktionistischen Philosophen im Sinne hatte, sondern neue theoretische Entwürfe oder gar Paradigmen.
Sowohl wenn Zustände durch Laien kritisiert werden als auch wenn Alternativen von Menschen entworfen werden, die sich dazu kompetent fühlen, ist das immer direkt oder indirekt ein Angriff auf offizielle Autoritäten. Da diese Autoritäten Produkte der Bildung sind, wird dadurch auch die Bildung selbst abgewertet. Auf den ersten Blick scheint dies gar nicht nützlich zu sein. Die Bildungsbürger betrachten sich als wahre Träger der seriösen Wissenschaft. Aber sind sie es wirklich? Im Mittelalter hielten sich die Kirchenmänner für Träger des Christentums, vorsichtig gesagt war es jedoch oft genug nicht der Fall. Wissenschaft hat zwar Bildung nötig, aber diese ist nicht schon an sich Wissenschaft. Viel schlimmer ist es, wenn Menschen Bildung auch als Denkvermögen zu verstehen neigen, da sie sich voneinander ganz deutlich unterscheiden können. Um das zu verstehen, kann künstliche Intelligenz ein gutes Beispiel liefern.
Wenn sich Intelligenz so messen lässt, wie schnell jemand Aufgaben im Intelligenztest löst, ist die Intelligenz der sogenannten künstlichen Intelligenz ungeheuer hoch. Die KI kann schon heute solche Tests fast unendlich mal schneller lösen als jeder Mensch. Aber was bedeutet das? Die Märchen über die Genialität der KI sind eigentlich nur neue Produkte der Ideologie. Lässt man die KI etwa Texte aus einer Sprache in eine andere übersetzen, sieht ihre Übersetzung, selbst wenn die Sprachen verwandt sind, nicht sehr intelligent aus. Man merkt, dass die KI die Syntax von Sätzen ziemlich gut beherrscht, den Kontext von Texten aber gar nicht begreift. Das hat damit zu tun, wie die KI funktioniert. Man kann der KI bzw. dem PC nicht ein Problem beschreiben und dieses gibt einem dann die Lösung dazu. So zu arbeiten hat der PC nicht gelernt. Künstliches Lernen bedeutet etwas anderes. Man gibt dem PC Beispiele und aus ihnen kann das „intelligente“ Programm statistische Muster erkennen. Solche Muster kann man nach dem Prinzip Reiz-Reaktion benutzen. Wir lachen, die KI lacht auch. Davor hat KI aus den Daten unseres Gesichtes nach dem Muster des Lachens unser Lachen analogisch erkannt. Wenn wir die KI etwa nach Putin fragen, wird sie uns das erzählen, was wir in ihrem Speicher davor über Putin eingetragen haben - was es in unserem kollektiven Westen sein wird, können wir uns ja denken. Die gerade erwähnten Intelligenztests bestehen aus Aufgaben, deren Lösungen auf logisch strenge Algorithmen zurückgehen, die nichts anderes als auch nur Muster sind, deshalb ist auch hier die KI unschlagbar. Das verleiht ihr ein Gesicht von übermenschlicher Intelligenz, aber hinter diesem Gesicht befindet sich trotzdem nur eine ganz und gar nicht intelligente Maschine. Allgemein und prägnant gesprochen, die KI kann Standardprobleme mit Standardverfahren lösen. Noch einfacher ausgedrückt, die KI kann Routineaufgaben, auch wenn sie so umfangreich und kompliziert sind, dass sie sogar die Vorstellungskraft des Menschen sprengen, fast unbegreiflich schnell erledigen. Nichts spricht dafür, dass die KI etwas anderes kann. Das könnte vielleicht reichen, sogar eine starre statische Ordnung zu steuern, was die westliche Oligarchenkaste so begeistert und bei ihr feuchte Träume über ewige und totalitäre Macht weckt. Es kann dabei aber etwas ganz schief gehen, was nicht einmal Orwell in den Sinn kam. Er fand es selbstverständlich, dass sich Untertanen immer weiter vermehren und alle Schikanen und Leiden ertragen werden, und eine kleine Minderheit wird sich bequem an dem Gedanken ergötzen, zu welcher höheren Menschenart sie doch gehört. Anstatt dessen kann sich die Spezies Mensch entbiologisieren und degenerieren und still von dem Planeten verschwinden. Unausweichlich ist es aber nicht, und gerade die KI könnte auch neue Möglichkeiten eröffnen.
Wenn man KI mit Standardmustern und -verfahren für die Lösung der Standardprobleme programmiert und sie mit richtigen Daten versorgt, ist das prinzipiell nichts anderes, als wenn Spezialisten gebildet werden. Da die KI in dieser Hinsicht unvergleichlich mehr leisten kann, oder es bald können wird, wird der Bedarf an ideologischen Spezialisten, die sich nur durch Datenkenntnis und Schlagfertigkeit auszeichnen, immer mehr zurückgehen. Das heißt auch, dass die Bildung wie wir sie kennen ihren heutigen Sinn und Zweck immer mehr einbüßen wird. Und dem wäre auch gut so. Anstatt Menschen und insbesondere Kinder so wie bisher zu bilden, sie stur büffeln zu zwingen, kann man sie lehren, logisch und kreativ zu denken, und trainieren, wie sie ein solches Denken auf Tatsachen und Situationen des praktischen Lebens anwenden können. Das könnte zur nächsten Epoche führen, in der Aufklärung bzw. Rationalismus eine qualitativ höhere Stufe im Vergleich zu der im 18. Jahrhundert erreichen könnte. Wie diese Epoche konkret aussehen könnte, können wir nicht einmal ahnen, wie auch keiner vor dem Dreißigjährigen Krieg ahnen konnte, wie die Welt nach gut einem Jahrhundert aussehen würde.
11.3b Überwindung der Ethik von Gut und Böse durch neue Informations- und Kommunikationstechnik
In Bezug auf die Ethik von Gut und Böse ist schon oben festgestellt worden, dass sie sehr alt ist, so alt wie die Menschheit selbst. Der Mensch ist nämlich einzigartig in der lebenden Welt, da er nicht nur sozial leben kann, das kommt im Tierreich oft vor, sondern er ist ein Wesen, das sich seiner Taten bewusst ist und sie nach bestem Wissen und Gewissen bewerten und rechtfertigen muss. Diesem Zweck dient die Ethik von Gut und Böse. Dazu ist schon oben mehr gesagt, jetzt wird nur das Wichtigste kurz zusammengefasst, um dann näher zu erörtern, wann diese Ethik im real existierenden Kapitalismus üblicherweise nötig ist und in welcher Form sie sich zuletzt gezeigt hat.
Der Mensch als Individuum lebte schon immer in der Gruppe, so dass sich bei ihm evolutionär ein Bedürfnis nach Kooperation und Solidarität entwickelte. Dieses Bedürfnis erscheint bei ihm als Instinkt, aber zugleich ist der Mensch sich dieses Bedürfnisses bewusst, so dass es sinnvoll ist, über „ethische Gefühle“ (Smith) zu sprechen. Solche Gefühle in der Form altruistischer Moral sind unbrauchbar in Situationen, in denen sich die Gruppe in einer existenzbedrohenden Lage befindet. Die ganze Geschichte bestätigt, dass dann der Mensch bereit ist, seine Artgenossen aus anderen Gruppen sogar zu töten. Einige Denker und Philosophen am Anfang der Moderne haben dieses Verhalten als „natürliches Recht“ bezeichnet. Dem Recht oder auch dem Instinkt, um jeden Preis zu überleben, widersprechen die sozusagen normalen „ethischen Gefühle“, und um diese zu überlisten, hat der Mensch die Ethik von Gut und Böse erfunden. Opfer werden entmenschlicht, damit man ihnen mit gutem Gewissen etwas Böses antun kann, sie zu berauben, zu vertreiben oder sogar zu töten. Das ist auch die praktische Aufgabe aller Kriege und auch der Kriege des Kapitalismus bis heute. Schließlich ist die Ethik von Gut und Böse bestens für eine Ideologie des Krieges geeignet.
Das bedeutet zwar nicht, dass sie selbst Kriege verursacht, aber wenn diese Ethik schon zur Verfügung steht, entscheidet man sich viel leichter dafür, Krieg als naheliegende Lösung für Probleme zu benutzen, auch wenn vielleicht bessere Lösungen möglich wären. So hat man im Mittelalter Kreuzzüge organisiert, als Kirche und Adel befürchteten, schlechte Ernten oder Überbevölkerung könnten zu inneren Unruhen führen. Wie schon oben festgestellt, werden im real existierenden Kapitalismus üblicherweise periodische Zusammenbrüche der freien Marktwirtschaft mit Kriegen überwunden. Um dann beim Volk Zustimmung für den Krieg zu erzeugen, also den kollektiven Instinkt zur Selbstopferung bei ihm zu wecken, benutzt man die Ethik von Gut und Böse dazu. Sie wird zur Stoßrichtung aller ideologischen Anstrengungen und zum wichtigsten Kriegstreiber. Wenn man diese Ethik als solche enttarnt, dürfte es den Herrschenden sicher schwerer fallen sie anzuwenden.
Erwähnt wurde auch schon, dass der westliche Kapitalismus seit 2008 seine ökonomische Krise nicht lösen kann, geopolitische Spannungen nehmen immer weiter zu und auch über einen möglichen Weltkrieg zwischen dem kollektiven Westen und dem globalen Süden wird schon geredet. Die Zeit, in der wir leben, bietet uns leider die Möglichkeit, die Ethik von Gut und Böse konkret empirisch zu prüfen, wie sie praktisch angewandt wird und wie sie wirkt. Um diese aktuelle Ethik leichter zu begreifen und zu erklären, ist es hilfreich, ihre früheren Formen kurz zu erwähnen. Jede Ethik von Gut und Böse ist den konkreten historischen Umständen angepasst, und so wie sich diese Umstände im westlichen Kapitalismus geändert haben, sind zwei solche Ethiken entstanden. Die erste ist ursprünglich englisch, die zweite ursprünglich deutsch. Die deutsche ist mit notwendigen Anpassungen heute zur Ethik von Gut und Böse des ganzen kollektiven Westens geworden. Abschließend machen wir uns Gedanken darüber, ob die neuen Informations- und Kommunikationstechniken beitragen könnten, die Ethik von Gut und Böse als sozusagen moralischen Treibstoff der Kriege zu enttarnen, um ihre Anwendung zumindest zu erschweren.
Fangen wir mit dem Entstehen des Kapitalismus an. Es ist schon ausreichend dargestellt worden, dass hier die Entdeckung der neuen Kontinente von einschneidender Bedeutung war. Die erste Zeit, als einzelne Abenteurer einfach kreuz und quer als Banditen herumzogen und geraubt haben, um dann mit der Beute zu verschwinden, ist für uns nicht wichtig, sondern die Zeit, als von westeuropäischen Staaten Kolonien geschaffen worden sind. Die Unterdrückung, Ausbeutung und Versklavung dieser Kolonien haben die westlichen Kolonialherren moralisch für eine vornehme und wohlwollende Mission erklärt, um angeblich die ganze Menschheit auf den Weg des Fortschritts zu bringen, also zu zivilisieren. Was man den Bewohnern der Kolonien angetan hat, erklärten sie auch noch für die „Bürde des weißen Mannes“ (Rudyard Kipling). Das wäre sozusagen die klassisch-kapitalistische Version der Ethik von Gut und Böse. Den Zynismus des Bonmots vom „Bürde tragen“ konnte vielleicht erst Papst Johannes Paul II. mit seinem Wort von der „glücklichen Schuld“ überbieten.
Fortsetzung folgt