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Die moralphilosophischen Grundlagen der neuen ökonomischen Ordnung von Adam Smith |
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Der Selbsterhaltungstrieb oder Egoismus (self-love) als wahre menschliche Natur |
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Gewiss besitzt jeder nicht umsonst die Liebe zu sich selbst, sondern dies ist von Natur so. Die Eigenliebe wird zwar mit Recht getadelt, aber da handelt es sich nicht um die Selbstliebe, sondern um die übertriebene Liebe zu sich selbst. |
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Aristoteles, 384 - 322 v. Chr. |
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Ich achte den Menschen, dessen Selbstliebe ihn, auf welche Weise auch immer, so beeinflusst, dass er Anteilnahme für andere empfindet und sich für die Gesellschaft als nützlich erweist. |
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David Hume, großer schottischer Philosoph, Historiker und Ökonom |
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Wie bereits des Öfteren gesagt, hat die später entstandene neoliberale - die Fachökonomen sagen neoklassische - Konzeption der Marktwirtschaft mit den urliberalen Auffassungen von Adam Smith (1723-1790), auf die sie sich beruft, wenig gemeinsam. Diese zwei Konzeptionen unterscheiden sich auch in ethischer und anthropologischer Hinsicht wesentlich voneinander, oder anders gesagt haben sie völlig unterschiedliche Vorstellungen über die menschliche Natur. Ist das aber wichtig, wenn man sich mit der ökonomischen Theorie befasst?
Ja, es ist wichtig. Die Wirtschaftswissenschaft ist eine soziale Wissenschaft und die ökonomische Ordnung ist eine, in der die Menschen sozusagen die „elementare Kräfte“ sind, von denen alle strukturellen Verknüpfungen und gegenseitigen Wirkungen ausgehen. Deshalb muss jede ökonomische Theorie vom Menschen ausgehen, von einer Auffassung über die menschliche Natur, die folglich einen wichtigen Teil der Annahmen für die analytischen (paradigmatischen) Grundlagen der Theorie liefert. Somit bestimmen die ethischen und anthropologischen Standpunkte den weiteren analytischen Aufbau der Theorien und ihrer Modelle. Deshalb war es kein Zufall, dass die neuen staatstheoretischen Konzeptionen am Anfang der Moderne entstanden sind, also zu einer Zeit, in der sich das Menschenbild wandelte. Das gilt auch für die neue marktwirtschaftliche Ordnung. Von dieser Abhängigkeit der ökonomischen Theorie von der Ethik wollen die Neoliberalen bekanntlich nichts wissen. Sie behaupten, zumindest für ihre - ein Jahrhundert nach Smiths Tod entworfene - Markttheorie würde dies bestimmt nicht gelten: Sie sei angeblich wertfrei. Damit wollen sie sagen, dass sie das Ergebnis objektiver und in allen Zeiten gültig bleibenden Wissenschaft ist. Aber nichts ist falscher als das. Nur weil die Grundlagen der neoliberalen Theorie nicht von Moralphilosophen entworfen wurden, wie es bei der frühliberalen der Fall war, sondern von den mathematisch verspielten Dampflokingenieuren Walras (1834-1910) und Pareto (1848-1923), bedeutet dies noch nicht, dass diese Theorie wertneutral ist. Nebenbei erwähnt, diese auf die klassische Newtonsche Mechanik aufgestülpte ökonomische Markttheorie ist nicht nur keine wertfreie und objektive Theorie, sie ist auch keine wissenschaftliche Theorie, weil sie nicht auf empirischen Grundlagen beruht. Das haben wir an anderer Stelle ausreichend erörtert.
Man kann sich dann fragen, warum man diese neue Markttheorie, obwohl sie mit der urliberalen oder Klassischen Konzeption der Marktordnung fast nichts zu tun hat, überhaupt noch liberal nennen wollte: neoklassisch-liberal, neoliberal, ordoliberal... Es stimmt natürlich, dass die neuen „Liberalismen“ dieses oder jenes aus der ursprünglichen liberalen Lehre bzw. dem Paradigma - was man bis dahin noch Politische Ökonomie genannt hat - übernommen haben. Das konnte jedoch kein hinreichender Grund sein, warum sie als legitime Nachfolger der Konzeption von Smith verstanden werden sollten. Die neuen „Liberalismen“ sind nämlich zugleich in einem weit höheren Maße vom althergebrachten elitären und autoritär-hierarchischen Geist durchdrungen als vom ursprünglichen Liberalismus, so dass sie fast nicht in die Moderne gehören. Was sie tatsächlich sind, lässt sich soziologisch schnell herausfinden.
In der angeblichen „Weiterentwicklung“ der frühliberalen Theorie wiederholt sich eindeutig ein Muster, das man davor etwa beim Christentum und danach beim Kommunismus beobachten konnte. Wann immer große Ideen gesiegt haben, hatten sich bald neue Machteliten gebildet, die an den attraktiven Botschaften und Absichten aus der romantischen Jugend dieser Ideen ideologisch parasitisiert haben - indem sie diese zur Legitimation ihrer Herrschaft missbrauchten. Das ist der wichtigste Grund, weshalb man den Begründer der Marktwirtschaft, den Moralphilosophen Adam Smith (1723-1790) nicht einfach vom Sockel stoßen konnte. Man musste ihn uminterpretieren, und wo dies gar nicht ging, ihm eine „innere Inkonsistenz“ attestieren - die dann seine Nachfolger angeblich beseitigt hätten. So kann man verstehen, warum heute für eine überwältigende Mehrheit der Fachökonomen, die als tote Fische mit dem neoliberalen Strom schwimmen, als ausgemacht gilt, dass zwischen dem Moralphilosophen Adam Smith und dem Nationalökonomen Adam Smith ein großer Widerspruch besteht. In der Theorie der ethischen Gefühle, so die Rüge, gelte für Smith der Altruismus (Sympathie) als Grundlage des Handelns des Menschen, in dem nach 17 Jahren nachgefolgten Buch Der Wohlstand der Nationen hätte er es sich angeblich anders überlegt und dem Egoismus alle Verdienste für die Mehrung des Wohlstandes zuerkannt. Wenn diese geradezu absurde Meinung nicht dermaßen verbreitet wäre, könnten wir an ihr mit einem müden Lächeln vorbeigehen. Da dem aber nicht so ist, ist es angebracht zumindest kurz darzulegen, was sie so falsch macht.
Bemerkung: Wir haben im vorigen Beitrag festgestellt, dass es auch objektive Gründe gibt, warum missverständliche Auffassungen darüber existieren, was Smith wirklich sagen wollte. Zu diesen Gründen gehören auch die der Sprache innewohnenden Schwächen, was vor allem das Verständnis der Begriffe Egoismus und Sympathie bei Smith betrifft. Im Folgenden werden wir darauf besonders hinwiesen.
Was ist bzw. bedeutet Egoismus „eigentlich“ und wie versteht ihn Smith?
Man kennt Menschen, die auf andere viel Rücksicht nehmen und die bereit sind, für die anderen mehr zu tun als für sich selbst. Man bezeichnet sie auch als Altruisten. Dass solche Menschen selten sind, lässt sich kaum bezweifeln. Wie viele solche Menschen kennt man etwa aus der eigenen Erfahrung? Und aus der Geschichte kennen wir auch nicht viele, insoweit man den Geschichtsschreibern überhaupt glauben soll. Das Gegenteil des Altruisten ist derjenige, den man heute als Egoisten bezeichnet. Der Egoist strebt danach, seine persönliche Lage zu verbessern und eigene Affekte und Triebe zu befriedigen, ohne in irgendeiner Form Rücksicht auf irgendjemanden oder irgendetwas zu nehmen. Diese Haltung und Verhaltenweise bezeichnet man als Egoismus.
Egoismus, der; -, ...men [frz. égoïsme, zu lat. Ego = ich]: 1. a) [Haltung, die gekennzeichnet ist durch das] Streben nach Erlangung von Vorteilen für die eigene Person, nach Erfüllung der die eigene Person betreffenden Wünsche ohne Rücksicht auf die Ansprüche anderer; Selbstsucht, Ichsucht, Eigenliebe: reiner, krasser E.; etw. aus [gesundem] E. tun; b) (Philos.) Lehre, Anschauung, nach der alles, auch das altruistische Handeln, auf Selbstliebe beruht. 2. egoistische Verhaltensweisen: persönliche Egoismen und Eitelkeiten. © Duden - Deutsches Universalwörterbuch. 4. Aufl. Mannheim 2001. [CD-ROM].
Ein weiterer wichtiger Begriff bei Smith, vielleicht der wichtigste in der “Theorie“, ist der Begriff Sympathie. Rein sprachlich betrachtet wurde das Wort Sympathie früher gebraucht, um die Haltung und die Verhaltenweisen zu bezeichnen, die den Altruisten eigen ist. Das ist heute aber nicht mehr sehr verbreitet, man sagt eher Mitleid oder Erbarmen. Damit ergeben sich zwei Extreme:
Sympathie < ================================== > Egoismus
Es ist eine weit verbreitete Meinung, dass Smith diese zwei Worte so wie dargestellt gebraucht hat, aber das stimmt gar nicht. Um dieses Missverständnis besser zu verstehen, holen wir ein wenig aus. Erwähnen wir zuerst David Hume (1711-1776), mit dem Smith befreundet war und über den er nach dessen Tode sagte, dass er sich „dem Ideal eines vollkommenen Weisen und Tugendhaften so weit näherte, als es die Schwachheit der menschlichen Natur überhaupt zulassen dürfte.“ Hume teilt die Affekte in soziale und unsoziale auf, die sich als Gegensatzpaare gegenüber stehen und zugleich zwei Extreme sind. Smith folgte seinem Freund. Über die sozialen Affekte spricht er im Teil 1, Kapitel 2.4 und über die unsozialen Affekte im Teil 1, Kapitel 2.3. Das darauf folgende Kapitel (Teil 1, Kapitel 2.5) heißt Über die egoistischen Affekte in dem ganz am Anfang steht:
„Außer diesen zwei einander entgegengesetzten Gattungen von Affekten, den sozialen und den unsozialen, gibt es noch dritte, die eine Art von Mittelstellung zwischen ihnen einnimmt; sie ist niemals so anmutig, wie es manchmal die erste Gattung ist, noch jemals so hassenswert, wie es zuweilen die zweite ist. Kummer und Freunde, sofern wir sie um unseres e i g e n e n persönlichen Glücks oder Unglücks willen empfinden, bilden diese dritte Gattung von Affekten.“
Und später fasst er dies gewissermaßen so zusammen:
„Die egoistischen Affekte nach dem, was früher bemerkt worden ist ... nehmen eine Art Mittelstellung zwischen den sozialen und den unsozialen Gemütsbewegungen ein.“
Deutlicher lässt es sich nicht ausdrücken, was der Egoismus nach Smith Auffassung bedeuten sollte. Wir veranschaulichen es jetzt noch.
Soziale Affekte (Altruismus) < ================ Egoismus ================ > Unsoziale Affekte (Selbstsucht)
Das ist der Egoismus, den Smith meinte. Ein so verstandener Egoismus gehört bei Smith zur menschlichen Natur und er ist eine feste theoretische und ethische Position in seinem Werk, und zwar sowohl in der der “Theorie“ als auch später in „Dem Wohlstand“. Es ist schlicht falsch von einem Widerspruch zu sprechen, dass angeblich der Mensch in der „Theorie“ ein altruistischer und in „Dem Wohlstand“ ein egoistischer bzw. selbstsüchtiger wäre. Einen solchen Widerspruch gibt es nicht. Ebenfalls stimmt es nicht, dass Smith als Ökonom dem Egoismus bzw. die Selbstliebe den Verdienst für die ökonomische Effizienz und den Wohlstand zuerkannt hat. Nichts wäre falscher als das. Aber schauen wir uns dies alles näher an.
Es gibt keine altruistische (positive) Auffassung über die menschliche Natur in der „Theorie“
Wie wir schon besprochen haben, ist die Sprache selbst manchmal eine wichtige Quelle der Missverständnisse, schon deshalb, weil sich die Bedeutung der Worte im Laufe der Zeit ändert. Die Worte beziehen sich auf eine konkrete Kultur und auf einen bestimmten Zeitgeist. Das darf man nicht außer Acht zu lassen, auch wenn man verstehen will, was Smith mit dem Wort oder Begriff Egoismus bezwecken wollte. Wir müssen berücksichtigen, dass er in einer Zeit lebte, in der sich der neue Zeitgeist der Moderne von der christlichen Moral, besser gesagt der Moral der herrschenden Kirche, zu befreien begonnen hat. Die alte vormoderne Moral bedeutete, in den Sonntagspredigten einem Altruismus zu huldigen und zu beschwören, der aber mit der Realität so gut wie nichts zu tun hatte. Nicht nur, dass die selbsternannten Gottesvertreter sehr weltlich und allzumenschlich lebten, sondern sie waren auch sehr auf die materielle Güter und das Geld ausgerichtet. Ihnen gehörten sogar die lukrativsten Geschäftsmodelle ihrer Zeit, wie etwa der Ablasshandel: Je mehr Sünden im Alltag, desto öfter sollte man mit dem Geldbeutel die Kirche besuchen, um sich von diesen freizukaufen.
Auch Frömmigkeit gab es im christlichen Abendland, aber dort wo sie wirklich nicht nur geheuchelt, sondern ehrlich wahrgenommen wurde, hatte sie in der Praxis nicht sehr oft mit dem Altruismus zu tun, sondern vor allem und üblicherweise mit der Askese. Diese bedeutete nicht in erster Linie, sich für die anderen zu opfern, sondern vor allem Weltflucht, Lebensfeindschaft, übersteigerte Demut und Verzerrung der höchsten Werte des Lebens, sowie eine Gegnerschaft zu allen Gedanken der realen Verbesserung des Lebens und auch zu anderen nichtsakralen intellektualistischen Strömungen. Als ob Gott nichts genehmer wäre, als dass der Mensch im Diesseits möglichst oft und gründlich den eigenen Körper quält und letztlich ruiniert. Man erinnert sich da etwa an Blaise Pascal (1623-1662), den genialen französischen Mathematiker, Physiker, Literaten und christlichen Philosophen, der sein Leben der brutalen Askese widmete. „Siechtum ist der Naturzustand eines Christen; denn erst im Siechtum ist der Mensch so, wie er immer sein sollte“ hat er diese Haltung begründet. Er trug auf dem bloßen Leib einen eisernen Gürtel mit Stacheln. Er wollte jede Regung der Sinnlichkeit unterdrücken, auf jedes Vergnügen, jede Bequemlichkeit verzichten, und seine Gesundheit verfiel völlig infolge der Kasteiungen, die er sich auferlegte. Er verschloss sein Herz vor allem Weltlichen und unterdrücke seine Liebe sogar zu seinen eigenen Geschwistern, zu jeder Frau und zu jedem Menschen, da jede Liebe zu den Menschen ein Diebstahl an Gott wäre, behauptete er. Nach seinem 36. Geburtstag verschlechterte sich sein Gesundheitszustand so sehr, dass er an eine regelmäßige Arbeit nicht mehr denken konnte. „Man soll es dem Christentum nie vergeben - so Nietzsche - dass es solche Menschen wie Pascal zugrunde gerichtet hat. … Was wir am Christentum bekämpfen? Dass es die Starken zerbrechen will, dass es ihren Muth entmutigen, ihre schlechten Stunden und Müdigkeiten ausnützen, ihre stolze Sicherheit in Unruhe und Gewissensnot verkehren will … bis die Starken an den Ausschweifungen der Selbstverachtung und der Selbstmisshandlung zu Grunde gehen: jene schauerliche Art des Zugrundegehens, deren berühmtestes Beispiel Pascal abgibt.“
Das war, grob umgerissen, der moralische Stand in den feudal-christlichen Ländern der Vormoderne. Die Kluft zwischen dem Gewünschten („soll“) und dem Tatsächlichen („ist“) ist immer mehr auf Ablehnung gestoßen und hat Extreme provoziert. Wir haben schon Machiavelli und Hobbes erwähnt, die ihre Auffassung von hochgradig eigennützigen und rücksichtlosen Menschen nicht als eine theoretische Annahme (Hypothese) begriffen haben, sondern als eine unbestrittene empirische Tatsache. Bei Spinoza war dem nicht mehr so. Für ihn war der Egoismus eine einfache Tatsache, dass für jeden Menschen das Zentrum seines Interesses und seiner Sorge nur er selbst sein kann und soll, und genau das war auch der moralische Standpunkt bei Smith. In der „Theorie“ schreibt er:
„Die Rücksicht auf unser eigenes Glück und auf unseren persönlichen Vorteil erscheint in zahlreichen Fällen auch als ein sehr lobenswertes Prinzip des Handelns. Charaktergewohnheiten wie Wirtschaftlichkeit, Fleiß, Umsicht, Aufmerksamkeit, geistige Regsamkeit, werden nach allgemeinem Dafürhalten aus eigennützigen Beweggründen gepflegt, und doch hält man sie zugleich für sehr lobenswürdige Eigenschaften, die die Achtung und Billigung eines jeden verdienen. Es ist wahr, daß die Mitwirkung eines egoistischen Beweggrundes oft die Schönheit jener Handlungen zu beflecken scheint, die aus wohlwollenden Neigungen entspringen sollten. Die Ursache davon ist indessen nicht die, daß Selbstliebe niemals die Triebfeder einer tugendhaften Handlung sein kann, sondern daß dem wohlwollenden Prinzip in diesem besonderen Falle das ihm gebührende Maß von Stärke abzugehen und daß es seinem Gegenstande durchaus unangemessen zu sein scheint.“
Wir merken schon, dass das „untätige Wohlwollen“ für Smith die Bezeichnung tugendhaft nicht verdient, was an vielen Stellen in der „Theorie“ deutlich gesagt wird.
„Der Mensch ist zum Handeln geschaffen und ist dazu bestimmt, durch die Betätigung seiner Fähigkeiten solche Veränderungen in den äußeren Verhältnissen, die ihn selbst oder andere Personen betreffen, herbeizuführen, wie sie für die Glückseligkeit aller am günstigsten scheinen mögen. Er darf sich nicht bei einem lässigen, untätigen Wohlwollen beruhigen, noch sich einbilden, daß er darum schon ein Menschenfreund sei, weil er in seinem Herzen für die Wohlfahrt der Welt alle guten Wünsche hegt. Damit er vielmehr die ganze Kraft seiner Seele aufbiete und jeden Nerv anstrenge, um die Zwecke zu verwirklichen, die zu fördern die Bestimmung seines Daseins ist, darum hat die Natur ihm die Lehre gegeben, daß weder er selbst noch die übrigen Menschen mit seinem Betragen zufrieden sein, noch diesem vollen Beifall gewähren können, solange er nicht tatsächlich jene Zwecke verwirklicht hat. Sie läßt ihn wissen, daß der Ruhm guter Absichten ohne das Verdienst guter Handlungen nur wenig dazu helfen wird, den lauten Beifall der Welt hervorzurufen, oder auch nur den höchsten Grad der Selbstbilligung zu erwecken. Der Mensch der nicht eine einzige bedeutende Handlung vollbracht hat, dessen ganzer Lebenswandel, und dessen ganze Aufführung jedoch die gerechtesten, vornehmsten und edelsten Empfindungen ausdrückt, der hat nicht das Recht, einen sehr hohen Lohn zu beanspruchen, selbst dann nicht, wenn an seiner Nutzlosigkeit bloß der Mangel an Gelegenheit, Gutes zu tun, schuld trägt. Wir können ihm trotzdem die Belohnung verweigern, ohne uns dadurch einem Tadel auszusetzen. Wir können ihn immer noch fragen: „Was hast du getan? Welche wirkliche gute Tat kannst du vorbringen, die dir das Recht auf eine so große Gegen¬leistung geben könnte? Wir achten dich und lieben dich, aber wir schulden dir nichts." Jene verborgene, latente Tugend zu belohnen, die bloß aus Mangel an Gelegenheit, Gutes zu tun, nutzlos geblieben ist, ihr jene Ehren und Auszeichnungen zu gewähren, die sie freilich, wie man behaupten könnte, in gewissem Maße verdient, auf die sie jedoch billigerweise durchaus keinen Anspruch erheben kann, das wäre in der Tat das Werk des göttlichsten Wohlwollens.
Ein fleißiger Schurke bebaut den Boden, ein guter, aber nachlässiger Mensch lässt ihn unbebaut. Wer von beiden soll nun die Ernte einheimsen? Wer von beiden soll in Not und wer in Fülle leben?“
Wenn ein Moralphilosoph dem praktischen Handeln solche Bedeutung zumisst, was zugleich bedeutet, dass er materielle Güter für wichtig halten muss, kann es nicht wundern, dass er zum Ökonomen wird. Weil diese Standpunkte schon vollständig in der „Theorie“ ausgearbeitet sind, brauchte Smith später keine altruistischen Positionen je zu verlassen, weil er solche nie vertreten hat, im Gegenteil. Er spottet ungewöhnlich stechend über die Moralisten mit wohlwollenden und barmherzigen, aber „passiven Gefühlen“:
„Die Philosophen [dieser] Art sind jene weinerlichen und trübsinnigen Moralisten, die uns beständig vorwerfen, daß wir uns glücklich fühlen, während so viele unserer Brüder sich im Elend befinden, jene Moralisten, welche die natürliche Freude am eigenen Wohlergehen als sündig betrachten, weil diese nicht an die vielen Unglücklichen denke, welche in jedem Augenblick unter den mannigfachsten Bedrängnissen leiden: unter den Entbehrungen der Armut, unter den Qualen der Krankheit, unter den Schrecken des Todes, unter den Angriffen und Bedrückungen durch ihre Feinde. Erbarmen mit jenem Elend, das wir niemals sahen, von dem wir niemals hörten, das aber, wie wir versichert sein können, eine so große Anzahl unserer Mitmenschen zu allen Zeiten heimsucht, sollte, wie jene Philosophen meinen, die Freuden des Glücklichen dämpfen und sollte eine gewisse schwermütige Niedergeschlagenheit zur ständigen Gemütsstimmung aller Menschen machen. Man muß aber vor allem sagen, daß diese übertriebene Sympathie mit einem Unglück, von dem wir nichts wissen, ganz und gar sinnlos und unvernünftig scheint. Wenn ihr die ganze Erde in Betracht ziehet, so werdet ihr finden, daß durchschnittlich auf einen Menschen, welcher Schmerzen oder Elend erduldet, zwanzig andere kommen, die sich in Wohlstand und Freuden oder doch wenigstens in erträglichen Umständen befinden. Es kann sicherlich kein Grund angegeben werden, warum wir eher mit dem einen weinen als mit den zwanzig anderen uns freuen sollten. Dieses künstliche Mitleid ist aber nicht nur sinnlos, sondern ... wäre diese Gemütsstimmung, wenn man sie auch in sich zustande bringen könnte, vollständig nutzlos und könnte zu keinem anderen Zwecke dienen, als die Person elend zu machen, die sie besäße. Die größte Anteilnahme, die wir dem Schicksal jener Menschen entgegenbringen könnten, mit denen uns keine Bekanntschaft oder nähere Beziehung verbindet, und die gänzlich außerhalb des Bereiches unseres Einflusses stehen, könnte nur uns selbst in ängstlichkeit versetzen, ohne daß sie irgendwelche Vorteile für die betreffenden Menschen im Gefolge hätte. Wozu sollten wir uns wegen der Leute auf dem Mond beunruhigen? Alle Menschen, auch jene, die am weitesten von uns entfernt sind, haben zweifellos Anspruch auf unsere guten Wünsche und wir geben ihnen unsere guten Wünsche gerne. Wenn sie aber trotzdem unglücklich sein sollten, dann würde es uns keineswegs zu unseren Pflichten zu gehören scheinen, daß wir uns deswegen irgendwelche Sorgen machen. Darum scheint es weise von der Natur eingerichtet, daß wir nur wenig an dem Schicksal derjenigen Menschen Anteil nehmen, denen wir weder Dienste erweisen, noch Schaden zufügen können, und die in jeder Beziehung so überaus weit von uns entfernt sind.“
Hätte Smith in der „Theorie“ eine altruistische Position vertreten, dann müsste er dem Wohlwollen eine große Bedeutung beimessen. Es ist aber so, dass er vom Wohlwollen so gut wie nichts hält, was wir später mit Zitaten noch ausreichend belegen werden, aber jetzt noch nicht. Dies ist nämlich ein großes Thema bei Smith, auch dort, wo er erklärt, warum die Menschen den Reichen eine maßlose Verehrung entgegenbringen, was wir noch sehr ausführlich erörtern werden.
Der Vollständigkeit halber soll nicht unerwähnt bleiben, dass es natürlich stimmt, dass Smith in der „Theorie“ gegen Egoismus im Sinne der rücksichtslosen Selbstliebe wettert. Er geht dort mit den ethischen Systemen, die einen so verstandenen Egoismus befürworten, hart ins Gericht. Die weitgehend eigennützige, sensualistische und hedonistische Ethik von Epikur bezeichnet er als die „zweifellos unvollkommenste“, seine volle Verachtung gehört aber Mandeville:
„Dr. Mandeville betrachtet alles, was aus dem Gefühl für das sittlich Richtige, aus Rücksicht auf das, was anerkennenswert und lobenswürdig ist, getan wurde, als etwas, das aus Verlangen nach Lob und Anerkennung oder, wie er es nennt, aus Eitelkeit getan wurde. Der Mensch hat, meint er, von Natur aus ein stärkeres Interesse für seine eigene Glückseligkeit als für diejenige der anderen, und es ist unmöglich, daß er jemals in seinem Herzen wirklich ihr Wohlergehen seinem eigenen vorziehen sollte. Wenn es einmal den Anschein hat, daß er dies tue, dann können wir versichert sein, daß er uns betrügt, und daß er auch diesmal aus denselben egoistischen Beweggründen handelt, wie sonst allemal. Unter seinen egoistischen Leidenschaften ist Eitelkeit eine der stärksten und der Beifall seiner Umgebung ist ihm immer im höchsten Grade schmeichelhaft und ergötzlich.
Es besteht insofern eine Verwandtschaft zwischen der Eitelkeit und der Liebe zu wahrem Ruhm, als beide Affekte dahin zielen, Achtung und Billigung zu erwerben. Aber sie sind in dem Punkte voneinander verschieden, daß der eine ein berechtigter, vernünftiger und billiger Affekt ist, während der andere ein unberechtigter, sinnloser und lächerlicher ist. Der Mensch, der Achtung verlangt für etwas, was wirklich achtenswert ist, verlangt nur das, worauf er einen Anspruch hat, und was ihm nicht ohne eine Art von Ungerechtigkeit verweigert werden kann. Wer dagegen aus anderen Gründen Achtung heischt, verlangt etwas, worauf er keinen berechtigten Anspruch hat. Der erste wird bald zufriedengestellt und nicht leicht eifersüchtig sein oder den Argwohn hegen, daß wir ihn nicht genügend achten, und er wird selten darauf erpicht sein, viele äußere Zeichen unserer Achtung zu empfangen. Der andere dagegen ist niemals zufriedenzustellen, ist voll Eifersucht und Argwohn, daß wir ihn nicht so sehr achten, wie er es wünscht, weil er sich insgeheim dessen bewußt ist, daß er mehr verlangt, als er verdient.
Dr. Mandeville ist damit nicht zufrieden, daß er den nichtigen Beweggrund der Eitelkeit als die Quelle all jener Handlungen hinstellt, die gemeinhin für tugendhaft gehalten werden. Er bemüht sich auch, die Unvollkommenheit menschlicher Tugend in manchen anderen Beziehungen aufzuzeigen. ... Überall, wo unsere Zurückhaltung in bezug auf die Lust hinter der asketischsten Enthaltsamkeit zurückbleibt, behandelt er sie als grobe üppigkeit und Sinnlichkeit. Nach ihm ist alles üppigkeit oder Schwelgerei, was über das zur Erhaltung des Menschen absolut Notwendige irgendwie hinausgeht, so daß schon in dem Gebrauch eines reinen Hemdes oder einer bequemen Wohnung ein Laster liegt. Die Befriedigung des Geschlechtstriebes in einer höchst gesetzmäßigen Verbindung betrachtet er als die gleiche Sinnlichkeit wie die zügelloseste Befriedigung dieser Leidenschaft und er verspottet jene Mäßigkeit und jene Keuschheit, die um einen so billigen Preis geübt werden können. Das geistvolle Sophisma seiner Argumentationen ist hier wie in vielen anderen Fällen durch den Doppelsinn der Sprache verhüllt. Es gibt einige unter unseren Affekten, welche keine anderen Namen haben als solche, die einen unangenehmen oder anstößigen Grad des betreffenden Affektes bezeichnen.“
Bemerkenswert ist, dass Smith das Entstehen und die Verbreitung der Lehren über die bedingungslose Selbstliebe mit vormodernen Umständen erklärt. Sie seien eine verständliche Reaktion auf die unsinnigen asketischen Lehren, aber man sei sozusagen über das Ziel hinausgeschossen.
„Gewisse populäre asketische Lehren, die vor seiner Zeit im Umlauf gewesen waren, und welche die Tugend in die vollständige Ausrottung und Vernichtung aller unserer Affekte setzten, waren die wahre Grundlage dieses Systems, welches jede sittliche Bindung aufhob. Es war für Dr. Mandeville leicht, zu beweisen, erstens, daß diese vollständige Besiegung der Affekte sich tatsächlich niemals unter Menschen findet, und daß zweitens, wenn es möglich wäre, daß sie allgemein verwirklicht werden würde, dies für die Gesellschaft verderblich wäre, da es allem Handel und Gewerbefleiß, ja, in gewissem Sinn sogar dem ganzen Getriebe des menschlichen Lebens ein Ende setzen müßte.“
Die ökonomische Effizienz in „Dem Wohlstand“ ist nicht das Ergebnis der Selbstsucht
Wir haben bereits gezeigt, dass bei Smith guter Wille ohne Taten keine Tugend sein kann. Zu den tugendhaften Handlungen gehören diejenigen, die zugleich zur „Verbesserung unserer Verhältnisse“ beitragen. Schon in der „Theorie“ spricht er von der „Verbesserung unserer Verhältnisse“ und in „Dem Wohlstand“ wird dies zur wichtigsten Triebkraft des Menschen. Den Unterschied zwischen diesen beiden Büchern kann man nur darin sehen, dass in der „Theorie“ auch über den existenziellen Sinn dieses menschlichen Treibens nachgedacht wird und da wurde Smith an manchen Stellen sehr skeptisch.
„Was ist der Endzweck von Habsucht und Ehrgeiz und der Jagd nach Reichtum, Macht und Vorrang? Ist es der, den natürlichen Bedürfnissen Genüge zu tun? Der Lohn des geringsten Arbeiters reicht aus, um diese zu befriedigen. ... Bilden sich [die Reichen] ein, daß in einem Palast ihr Magen besser oder ihr Schlaf gesünder sei, als in einer Hütte? Das Gegenteil ist so oft bemerkt worden und ist tatsächlich so überaus offenkundig, daß auch, wenn es niemals bemerkt worden wäre, doch niemand in Unkenntnis darüber sein könnte. Woher entsteht dann also jener Wetteifer, der sich durch alle die verschiedenen Stände der Menschen hindurchzieht, und welches sind die Vorteile, die wir bei jenem großen Endziel menschlichen Lebens, daß wir „Verbesserung unserer Verhältnisse" nennen, im Sinne haben?“
An mehreren Stellen geht Smith so weit, dass er sogar den Sinn des Wohlstandes bezweifelt, zu pessimistischen Gedanken abschweift, mit denen angeblich „jeder Mensch in den Zeiten der Krankheit oder Niedergeschlagenheit vertraut ist“, also zu den Gedanken über die Sinnlosigkeit aller menschlichen Vorhaben und Anstrengungen. Aber dann reißt er sich sozusagen wieder zusammen, kehrt zum einfachen Dasein zurück, und lässt keine Zweifel offen, dass sich die Menschheit die „Glückseligkeit und Vollkommenheit der Gattung zum Ziel“ setzen soll und dass dies die praktische „Verbesserung unserer Verhältnisse“ bedeutet:
„Die Freuden, welche Wohlstand und hoher Rang bieten, drängen sich aber, wenn sie in diesem Zusammenhang betrachtet werden, der Einbildungskraft als etwas Großes und Schönes und Edles auf, dessen Erlangung wohl alle die Mühen und ängsten wert ist, die wir so gerne auf sie zu verwenden pflegen. Und es ist gut, daß die Natur uns in dieser Weise betrügt. Denn diese Täuschung ist es, was den Fleiß der Menschen erweckt und in beständiger Bewegung erhält. Sie ist es, was sie zuerst antreibt, den Boden zu bearbeiten, Häuser zu bauen, Städte und staatliche Gemeinwesen zu gründen, alle die Wissenschaften und Künste zu erfinden und auszubilden, die das menschliche Leben veredeln und verschönern, die das Antlitz des Erdballs durchaus verändert haben, die die rauhen Urwälder in angenehme und fruchtbare Ebenen verwandelt und das pfadlose, öde Weltmeer zu einer neuen Quelle von Einkommen und zu der großen Heerstraße des Verkehres gemacht haben, welche die verschiedenen Nationen der Erde untereinander verbindet.“
Will man doch einen Widerspruch im Lebenswerk von Smith sehen, dann könnte es sich nur um den handeln, dass die praktischen Bemühungen zur „Verbesserung unserer Verhältnisse“ auf einmal ihren ganzen Sinn verlieren, wenn es sich um den allerletzten Sinn der menschlichen Existenz handelt. Dann ist aber dieser Widerspruch schon innerhalb der „Theorie“ vorhanden, in Bezug zu „Dem Wohlstand“ gibt es ihn dagegen nicht. Es stimmt also in keiner Hinsicht, dass in „Dem Wohlstand“ die eigennützigen und rücksichtlosen Egoisten besser davon kommen als in der „Theorie“. „Der Wohlstand“ prangert diese an vielen Stellen an. Nebenbei bemerkt, solche Egoisten sind dort fast immer die Arbeitgeber. An vielen stellen geht er mit den profitsüchtigen und rücksichtslosen Arbeitgebern, die ihre Gier und ihre Verschwendung nicht mäßigen können, hart ins Gericht. Völlig anders als bei seinen selbsternannten Nachfolgern werden wir bei Smith niemals eine Stelle finden, wo er über die Gier und Verschlagenheit der Armen und Arbeiter spricht, und schon gar nicht würde ihm einfallen, dass ihre Einkünfte zu hoch und damit in irgendeinem Sinne ökonomisch schädlich seien. Schädlich konnte für ihn nur das hohe Einkommen sein.
„Es muß zugestanden werden, daß immer dort, wo von der Gleichheit abgegangen wird, wir den Armen mehr an Bedürfnisbefriedigung rauben, als wir den Reichen hinzufügen, und daß der törichte Genuß einer frivolen Eitelkeit eines einzigen Individuums häufig mehr kostet als das Brot vieler Familien, ja ganzer Landstriche.“
Das war jetzt Hume, und auch hier sieht alles danach aus, dass Smith nur den Gedanken seines Freundes in verschiedenen Variationen wiedergegeben hat. Er stand immer auf der Seite der Arbeitenden und Armen. Dies ist eigentlich dermaßen offensichtlich, dass es üblicherweise nicht bestritten wird. Um die Ehre der reichen und schmarotzenden Nutznießer der marktwirtschaftlichen Ordnung zu retten, wird nahe gelegt oder gar ausdrücklich behauptet, Smith würde im Egoismus bzw. in der Selbstliebe die Ursache und die Quelle des Wohlstands sehen, Und zwar in dem Sinne dass aus dem Bösen die Leistung hervorgeht. Es ist aber erstaunlich, wie wenige Stellen es in „Dem Wohlstand“ gibt, wo man auf gewisse Anerkennung der Eigenliebe stößt und wie schwach diese Stellen die in sie hineininterpretierte Meinung unterstützen. Die mit Abstand populärste ist bekanntlich diese:
„In einer zivilisierten Gesellschaft bedarf er allezeit der Mitwirkung und des Beistandes vieler Menschen, während sein ganzes Leben kaum hinreicht, die Freundschaft einiger weniger Personen zu gewinnen. ... Der Mensch braucht die Hilfe seiner Mitmenschen fast immer, und würde diese vergeblich von ihrem Wohlwollen allein erwarten. Er wird viel leichter Erfolg haben, wenn er ihre Eigenliebe zu seinen Gunsten interessieren und ihnen zeigen kann, daß es ihr eigener Vorteil ist, für ihn zu tun, was er von ihnen fordert. Wer einem anderen einen Handel irgendeiner Art anträgt, verfährt auf diese Weise. Gib mir dies, was ich brauche, und du sollst das haben, was du brauchst - ist der Sinn jedes solchen Anerbietens; und auf diese Weise erhalten wir voneinander den bei weitem größten Teil der guten Dienste, deren wir benötigt sind. Nicht von dem Wohlwollen des Fleischers, Brauers oder Bäckers erwarten wir unsere Mahlzeit, sondern von ihrer Bedachtnahme auf ihr eigenes Interesse. Wir wenden uns nicht an ihre Humanität, sondern an ihre Eigenliebe, und sprechen ihnen nie von unseren Bedürfnissen, sondern stets von ihren Vorteilen. Nur ein Bettler will lieber ganz vom Wohlwollen seiner Mitbürger abhängen. Und selbst ein Bettler hängt nicht völlig davon ab.“
Man fragt sich, was an diesem Fleischer, Brauer oder Bäcker egoistisch bzw. eigensüchtig sein soll. Er leistet etwas für den anderen, und er erwartet, dass der andere eine Gegenleistung erbringt. Will man das als selbstsüchtig bezeichnen, was sollte dann als nicht selbstsüchtig gelten? Sollte dazu alles gehören, was man nicht aus reinem Wohlwollen tut, also aus einer Situation heraus, in der jegliche Gegenleistung absolut ausgeschlossen ist? Wie würde die Welt aussehen, wenn alle Mitglieder der Gesellschaft, die etwas tun, das anderen nützlich ist, dies ohne jegliche Gegenleistung tun würden, ja, wenn sie jede Gegenleistung verweigerten? Auf jeden Fall wäre dann eine arbeitsteilige Gesellschaft unmöglich. Die Welt, in der jeder aus reinem Wohlwollen für die anderen etwas leistete, in der aber keiner eine Gegenleistung empfangen würde, ist ein logischer Widerspruch. Aber wie dem auch sei, für Smith wäre eine solche Gesellschaft schon deshalb unmöglich, weil die Menschen nicht besonders wohlwollend sind.
„Wohlwollen mag vielleicht bei der Gottheit das einzige Prinzip des Handelns sein und es bestehen einige nicht untriftige Gründe, die es uns wahrscheinlich erscheinen lassen möchten, daß es sich wirklich so verhalte. Man kann sich nicht leicht vorstellen, aus welchem anderen Beweggrunde ein unabhängiges und allervollkommenstes Wesen handeln sollte, das keiner äußeren Dinge bedarf, und dessen Glückseligkeit vollkommen in seinem eigenen Wesen ruht. Wie immer es sich aber auch mit der Gottheit verhalten mag, ein so unvollkommenes Geschöpf wie der Mensch, das schon zur Erhaltung seines Daseins so vieler äußerer Dinge bedarf, muß sicher oft aus so manchem anderen Beweggrunde handeln.“
Smith bleibt aber trotzdem immer optimistisch. Schon in der „Theorie“, als er selbst vielleicht noch nicht ahnte, dass aus ihm irgendwann ein großer Ökonom würde, geht er davon aus, dass auch ohne Wohlwollen eine Gesellschaft bzw. Wirtschaft gut funktionieren kann.
„Mag aber auch der notwendige Beistand nicht aus solchen edlen und selbstlosen Beweggründen gewährt werden, mag auch zwischen den verschiedenen Gliedern der Gesellschaft keine wechselseitige Liebe und Zuneigung herrschen, so wird die Gesellschaft zwar weniger glücklich und harmonisch sein, wird sich aber deshalb doch nicht auflösen müssen. Die Gesellschaft kann zwischen einer Anzahl von Menschen — wie eine Gesellschaft unter mehreren Kaufleuten — auch aus einem Gefühl ihrer Nützlichkeit heraus, ohne gegenseitige Liebe und Zuneigung bestehen bleiben; und mag auch kein Mensch in dieser Gesellschaft einem anderen verpflichtet oder in Dankbarkeit verbunden sein, so kann die Gesellschaft doch noch durch eine Art kaufmännischen Austausches guter Dienste, die gleichsam nach einer vereinbarten Wertbestimmung geschätzt werden, aufrechterhalten werden.“
Und nach 17 Jahren legte er in „Dem Wohlstand“ vor, wie dies konkret funktionieren sollte.
Zusammenfassung:
Smith war ein Denker mit einer kompletten Sicht auf die Welt und das Leben. Wen kann dann wundern, dass er immer wieder auf die Frage des kosmischen Sinnes des menschlichen Lebens gestoßen ist, auf die Frage mit der „jeder Mensch in den Zeiten der Krankheit oder Niedergeschlagenheit vertraut ist“. Dann brach seine Gedankenwelt zusammen. Aber er neigte deswegen nie zu einem alltäglichen Pessimismus und Nihilismus, wie etwa Schopenhauer bzw. Nietzsche, sondern er fand immer schnell den Weg in die „profane“ Welt zurück. Und dann machte er sich Gedanken, wie diese Welt ein besserer Ort für alle sein könnte. Er war sich vor allem sicher, dass man Mühsal, Leiden und Gefahren vermindern sollte, weil „von Natur die Empfindung der Lust weit weniger lebhaft als die der Unlust ist“. Auch deshalb stellte er sich immer auf die Seite der Benachteiligten der Gesellschaft. Ihm wurde auch klar, dass sich Mühsal, Leiden und Gefahren vermindern lassen, wenn der Wohlstand der Gesellschaft steigt und stellte sich die Frage, wie dies geschehen könnte. Wenn man eine bessere ökonomische Ordnung entwerfen will, so seine Gedanken, muss man zuerst genau wissen, wie der Mensch ist. Sein Weg bzw. seine Methode hieß Sympathie. Sie bedeutet also - wie bereits angedeutet - nicht so etwas wie altruistische Besinnung und Gemütsstimmung, das Gegenteil von Egoismus bzw. der Selbstliebe, sondern etwas anderes. Weil sie so grundlegend ist, um die Ethik und das Menschenbild von Smith zu verstehen, verdient sie, genau untersucht zu werden.
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