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Die moralphilosophischen Grundlagen der neuen ökonomischen Ordnung von Adam Smith |
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Die vormoderne rationalistische und die moderne empirisch-sensualistische Ethik |
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Nihil est in intellectu quod non prius fuerit in sensibus.
(Nichts ist im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen gewesen wäre.) |
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John Locke, berühmter englischer Philosoph, Vordenker der Aufklärung und Vater des politischen Liberalismus |
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Der einzige Beweis dafür, dass ein Gegenstand sichtbar ist, ist, dass man ihn tatsächlich sieht. Der einzige Beweis dafür, dass ein Ton hörbar ist, ist, dass man ihn hört. Und dasselbe gilt für die anderen Quellen unserer Erfahrung. Ebenso wird der einzige Beweis dafür, dass etwas wünschenswert ist, der sein, dass die Menschen es tatsächlich wünschen. |
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John S. Mill, englischer Philosoph und Ökonom, einer der einflussreichsten liberalen Denker des 19. Jahrhunderts |
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Die neuen staatstheoretischen Entwürfe am Anfang der Moderne - wie bereits gesehen - sind aus neuen Auffassungen über die menschliche Natur hervorgegangen. Für diesen paradigmatischen Wandel des Menschenbildes waren maßgeblich die damaligen realen Umstände verantwortlich, vor allem das klägliche Versagen der feudal-christlichen Ordnung, das sich nicht mehr rechtfertigen ließ. Die christliche Zivilisation befand sich nämlich schon seit mehreren Jahrhunderten in ökonomischem und moralischem Zerfall. Muslimische Mauren hatten Spanien schon längst im Griff und versuchten weiter nach Norden vorzudringen, Türken waren dabei Wien zu erobern - nur wegen unglücklicher Umstände sind sie gescheitert. Wie es mit der Moral der christlichen Nächstenliebe in der Praxis stand, bezeugen der Dreißigjährige Krieg und das bestialische Abschlachten der Eingeborenen in den neu entdeckten Kontinenten. Die damaligen Verfechter der althergebrachten Medizin, mit ihrem gebetsmühlenartig wiederholten Verlangen die Dosis zu erhöhen, konnten immer weniger überzeugen. Während der Renaissance im 17. Jahrhundert war das Gefühl schon weit verbreitet, dass moralisierende Erziehung und religiöse Gebote - auch mit Androhung der ewigen Verdammnis - völlig wirkungslos sind, die destruktiven Leidenschaften des Menschen zu bezähmen. Der Mensch lässt sich nicht zur Nächstenliebe erziehen. Die Liebe und die Solidarität zwischen den ersten Christen, die die Römer bei den damals noch verfolgten Christen bewundern konnten, waren also nicht echt, sondern eine Zweckliebe und eine Zwecksolidarität, die man bei den Schwachen und bedrohten Gruppen immer wieder in der Geschichte beobachten konnte. Als sich die Christen alle Voraussetzungen für die Entfaltung ihres Glaubens und ihrer Moral erkämpft hatten, haben sie sich bis zur Unkenntlichkeit verändert. John S. Mill, der letzte große Liberale des 19. Jahrhunderts hat es in seinem sehr berühmten Werk On Liberty wie folgt zusammengefasst:
„Nun können wir aber sicher überzeugt sein, dass bei den ersten Christen die Sache sich völlig anders verhielt. Wäre es so gewesen wie bei uns, so hätte das Christentum sich niemals von einer Sekte der verachteten Hebräer zur Religion des Römischen Reiches entfaltet. Wenn ihre Feinde sagten: „Seht, wie diese Christen einander lieben“ - eine Bemerkung, die heute kaum jemand machen würde -, so hatten die Christen jener Zeit sicher ein viel lebendigeres Gefühl von der Bedeutung ihres Glaubens, als sie seither jemals gehabt haben.“
Auch heute ist es klar zu sehen, dass die christlichste aller westlichen Gesellschaften, die US-amerikanische, am weitesten von der Nächstenliebe und Solidarität entfernt ist. Sie ist wie keine andere von Gewalt und Geldgier besessen. Sie hat die höchste Kriminalitätsrate und sie behält sich das Recht vor, jedes Volk der Erde, das sich ihr nicht unterordnen will, in die Steinzeit zurückzubomben. Mittlerweile gibt es sogar empirische Studien von US-Sozialpsychologen, die zum dem Ergebnis kommen, dass ausgerechnet Atheisten und Agnostiker, die in den USA einen besonders schlechten Ruf haben, gegenüber ihren Mitmenschen großzügiger sind und mehr Mitleid oder Empathie für sie entwickeln als sehr religiöse Menschen.
Im späten Mittelalter begann also die Suche nach einem Ersatz für das gescheiterte christliche Menschenbild. Die ersten Versuche den Menschen zu erklären, so „wie er wirklich ist“, waren sehr grobschlächtig und empirisch sehr unbefriedigend, wie etwa die von Machiavelli und Hobbes: Man hat einfach die Nächstenliebe auf den Kopf gestellt und den Menschen zu einem extremen Individualisten und rücksichtlosen Egoisten erklärt. Schließlich sind diese Denker wieder beim absolutistischen Staat gelandet, mit einer Argumentation, die nur sehr dürftig war. Sie haben sich einfach erhofft, dass die Menschen und ihre Herrscher, wenn man ihnen verbietet Gott zu spielen, sich moralisch deutlich bessern würden. Das folgt zumindest aus ihrer überdeutlichen Warnung vor den religiösen Fanatikern. Auch aus den Ergebnissen der eben erwähnten amerikanischen Studie heraus könnte man zu diesem Gedanken kommen. Nach dieser Studie lassen sich Atheisten und wenig Religiöse eher von Gefühlen, stark Religiöse eher von religiösen Dogmen leiten. Das Mitleid bei den Religiösen hat also hauptsächlich ideologische Hintergründe. Es hängt weniger von inneren menschlichen Gefühlen ab, sondern eher von der Religionslehre, der Identität in der Gemeinde oder der sozialen Anerkennung. Dient man Gott, kann man nicht dem Menschen dienen; so hat es der deutsche Philosoph Ludwig Feuerbach (1804 - 1872) auf den Punkt gebracht. Er sah die Wurzel der Religion im übersteigerten Egoismus, im Bestreben sich die Unsterblichkeit und die ewige Glückseligkeit zu verschaffen, so dass der Weg zu Gott über Leichen geht. Aber gerade wenn dem so wäre, dann würde man mit der absolutistischen Herrschaft nichts erreichen können. Wer könnte nämlich einem allmächtigen Herrscher verbieten, religiös zu sein? Die USA mit ihrem säkularen Staat und talibanisierten Christen als Politiker sind auch hier ein gutes Beispiel. Und kamen die russischen Exkommunisten, nachdem sie das Volk ausgeplündert haben, nicht zur Kirche gerannt? Chodorkovski ist einer der besten Beispiele für solche raffinierten Oligarchen.
Die simplen Lösungen der ersten Denker der Moderne haben wieder einmal gezeigt, dass simple Lösungen völlig ungeeignet sind, komplexe Probleme zu lösen. Erst umfassende und differenzierte Erklärungen der menschlichen Natur führten zu wirklich neuen ordnungspolitischen Ansätzen. Eine solche hat am Anfang der Moderne Spinoza entworfen, die wir uns schon etwas genauer angeschaut haben. Folglich wurde Spinoza zum ersten Denker der Moderne, der zur demokratischen Staatsordnung gelangt ist, zu einer, die einer geregelten Ordnung im kybernetischen Sinne entspricht. Smith geht prinzipiell ähnlich vor, aber auf seine eigene Weise und gelangt zur Marktwirtschaft, die im Grunde auch eine geregelte Ordnung ist. Noch bevor er Volkswirtschaftler wurde hatte er seine Erklärung der menschlichen Natur schon vollständig in seiner Theorie der ethischen Gefühle ausgearbeitet. Der zentrale Begriff seiner Forschungen ist der Begriff Sympathie, der zu vielen Missverständnissen geführt hat, so dass er deshalb unsere volle Aufmerksamkeit verdient.
Unterstreichen wir aber noch einmal das, was wir schon gesagt haben, nämlich was die Sympathie nicht ist: Sympathie bedeutet nicht ein bestimmtes ethisches Gefühl, schon gar nicht ein soziales Gefühl, das Begriffen wie etwa Altruismus, Wohlwollen, Erbarmen oder ähnlichen entsprechen würde. Deshalb wird das Wort oft in Empathie umbenannt. Wie wir zeigen werden, kann man die Sympathie oder Empathie am besten als ein analytisches Werkzeug bezeichnen, mit dem man erforscht, was ein Mensch will und nicht will, und was er folglich unter bestimmen Umständen tun und lassen wird. Einiges spricht dafür, dass die Sympathie der originellste Teil der Ethik von Smith ist. Aber wie dem auch sei, ist sie auf jeden Fall der Weg, der Smith zu seiner ökonomischen Theorie führte. Gerade deshalb ist es für Ökonomen so wichtig zu verstehen, was sie genau bedeutet.
Möglicherweise lässt sich die Sympathie als analytisches Werkzeug zur Erklärung der moralischen Gefühle am einfachsten und am besten verstehen, wenn man sie mit anderen Werkzeugen für den gleichen Zweck vergleicht. Deshalb schauen wir uns im Folgenden diese Werkzeuge genauer an, um einen Bezug der Sympathie zu ihnen darzustellen, was diese schon ein bisschen klären wird. In nächsten Beiträgen werden wir den Begriff Sympathie - besser gesagt Empathie - für sich genauer erläutern.
Die wichtigsten rationalistischen Erklärungen für die Formierung der Tugenden
Der erste große Philosoph des Abendlandes, Platon, war bekanntlich ein überzeugter Rationalist. Folglich hat er von der Vernunft erwartet, dass sie aus dem Menschen ein moralisches Wesen macht. Wir haben schon mehr darüber gesagt, wie er sich das konkret vorgestellt hat, jetzt fassen wir es nur kurz zusammen. Der Mensch wird laut Platon mit einer Seele geboren, die schon vor der Geburt des Menschen in der perfekten Welt der Ideen verweilt hat. Bei dem neugeborenen Menschen sind aber die Erinnerungen aus dieser Parallelwelt im Jenseits noch nicht zu seinem Bewusstsein durchgedrungen. Sie sind vorerst verschüttet, wie es die Psychologen sagen würden. Die Vernunft ist nun das Werkzeug, mit dem sich der Mensch der „Daten“ in seiner Seele bewusst wird. Das Denken bedeutet im Grunde das Erinnern, und wenn es um die Ethik geht, ist es ein Erinnern an das Gute bzw. die Tugenden aus der perfekten Welt. Wenn also der Mensch denkt, kann er nicht nur zu den richtigen Erkenntnissen gelangen, sondern er wird dadurch auch automatisch tugendhaft.
Heute können wir feststellen, dass kein Philosoph nach Platon der Vernunft so viel zugetraut hat wie er. Allerdings sollte man aber gleich hinzufügen, dass diese reine rationalistische Erklärung der Tugenden nicht einmal Platon überzeugt hat. Er ist schließlich in dem bekannten Dialog Menon zu einem anderen Ergebnis gekommen. Wir haben dazu in einem früheren Beitrag mehr gesagt, jetzt beschränken wir uns nur auf das Wichtigste dieses Dialogs. Nach einem ordentlichen dialektischen Biegen und Brechen kommt Platon bzw. Sokrates zur Einsicht, dass „die Tugend denen, welchen sie innewohnt, durch göttliche Schickung zuteil wird“, dass sie so etwas wie von Gott in die Seele beigemischtes Gold sei. So landete die rationalistische Ethik von Platon in der Theologie und sie machte dann den Weg zur hierarchisch-autoritären Ordnung frei, in der die machtbesessenen Pfaffen das rationalistische Gewand trugen.
Spinoza war auch ein überzeugter Rationalist, aber auf eine andere Weise. Die Vernunft die er meinte, besitzt keine eigene Parallelwelt: kein Jenseits. Für Spinoza gibt es nur eine einzige Realität, ein einziges Universum, in der sich alles, was es überhaupt gibt, befindet: die materiellen Körper und die Vernunft, die auf diese Körper sozusagen aufgeteilt ist. Für diese Vernunft gibt es nicht einmal irgendeine steuernde Zentrale. Ein materieller Körper und die ihm zugehörige Vernunft bilden eine völlig autonome Einheit. Auch jeder Mensch ist eine solche autonome Einheit („Ding“), so dass seine Vernunft nur dafür Rechnung trägt, dass die Entscheidungen in Bezug auf das konkrete Individuum optimal sind. Bis dahin unterscheiden sich die Welten von Platon und Spinoza wesentlich. Aber unabhängig davon, auch bei Spinoza muss die Frage beantwort werden, ob die Vernunft auch ethische Entscheidungen treffen kann, oder anders gesagt, ob sich die ethischen Fragen rational beantworten lassen.
Als überzeugter Rationalist meint Spinoza schon, dass die Vernunft zu so etwas imstande ist, dass sie über Gut und Böse entscheiden kann, dass sie also auch eine moralische Kompetenz hat - wie bei Platon. Das Hauptwerk von Spinoza heißt „Ethik“. Folglich erklärt er dort auch was Gut und Böse ist:
„Was das Gute und Schlechte anbelangt, so bezeichnen auch diese Namen nichts Positives in den Dingen, wenn man nämlich die Dinge an und für sich betrachtet, sondern sie sind nur Formen des Denkens oder Begriffe, die wir dadurch bilden, daß wir die Dinge miteinander vergleichen. Denn ein und dasselbe Ding kann zu gleicher Zeit gut und schlecht und auch indifferent sein. Zum Beispiel die Musik ist für den Schwermütigen gut, für den Trauernden schlecht, für den Tauben weder gut noch schlecht.“
Spinoza stellt also fest, dass das Gute und das Böse nicht Eigenschaften der Dinge sind, sondern sie sind die - durch die Vernunft vermittelte - Beziehung des Individuums zu ihnen. Hier verlässt er in der Tat die vormoderne Auffassung, wonach die Dinge und die Taten sich eindeutig auf gute und böse aufteilen lassen. Das Gute und das Böse sind nach Spinoza relativ und kontextabhängig. So weit so gut. Könnte es aber stimmen, dass so betrachtet das Gute und das Schlechte „Formen des Denkens“ sind?
Bleiben wir bei dem Beispiel im Zitat. Lässt sich durch Vernunft wirklich bestimmen, welche Musik für mich und welche für den anderen richtig ist? Wie sollte das Denken, das zur Antwort auf diese Frage führt, konkret aussehen? Man kann schon ahnen, dass uns dies von Spinoza nicht verraten wurde. Endete seine rationalistische Erklärung der Ethik in der Sackgasse?
Nun es ist so, dass bei Spinoza die Vernunft - wie bereits hervorgehoben - nicht autonom ist, sondern „Geist und Körper ein und dasselbe Ding sind, welches bald unter dem Attribut des Denkens, bald unter dem der Ausdehnung begriffen wird“. Man kann also die Vernunft von der Materie nicht trennen. Das würde heißen, dass die Materie mit ihren Naturgesetzen sozusagen auch „mitdenkt“. Wie kann man sich das aber konkret vorstellen? Genauer hat uns das Spinoza nicht erklärt. Eine Möglichkeit wäre, unseren Körper als einen chemischen und physikalischen Prozess zu begreifen, der sich als ein logisches System oder Modell formulieren lässt, so dass sich im Rahmen dieses Modells auf eine logische Weise herausfinden ließe, welche Musik dem Betreffenden gerade gefallen würde - besser gesagt gefallen müsste. Man kann sich vorstellen, dass die unendliche Intelligenz eines allwissenden Gottes unsere Gefühle auf eine solche Weise exakt erklären könnte. (Ob dies wirklich stimmt, lassen wir jetzt beiseite.) Was man sich aber bestimmt nicht vorstellen kann ist, dass das Denkvermögen des Menschen eine solche Aufgabe bewältigen könnte. Davon ist der Mensch auch heute noch genauso entfernt wie in Zeit von Spinoza, auch wenn die Naturwissenschaften seitdem gigantische Fortschritte gemacht haben. Was mit einer allmächtigen Vernunft eventuell ginge, würde mit der menschlichen Vernunft auf keinen Fall gehen. Dies hat verheerende Folgen, was die rationalistisch begründete Ethik betrifft: sie ist praktisch völlig unbrauchbar. Es war also richtig, dass sich die Ethik am Anfang der Moderne von den rationalistischen Anmaßungen befreite und neue Wege suchte.
Wenn wir über rationalistische Lösungen der ethischen Fragen sprechen, müssen wir auch den weiteren Helden der Vernunft erwähnen, Kant, der sich hartnäckiger als Platon vorgenommen hat, die Ethik der Vernunft unterzuordnen und damit zur Pflichtethik gelangt ist. Die Vernunft würde uns zur Schlussfolgerung führen, dass wir verpflichtet sein müssten, immer und bedingungslos das Gute zu wollen. Dies sei ein „kategorischer Imperativ“ eines vernünftigen Menschen, der dadurch auch tugendhaft sein wird. Wie man den „kategorischen Imperativ“ konkret verstehen sollte, wie sich diese Pflicht konkret anwenden lassen sollte, dazu ist Kant gar nichts eingefallen. Die Ethik endete im leeren Raum - im Keller der metaphysischen Hirngespinste.
Die schottische sensualistische Wende in der Moralphilosophie: Gefühl statt Verstand
David Hume - der ältere Kollege und lebenslanger Freund von Smith - ist als Philosoph bekannt wegen seines erkenntnistheoretischen Skeptizismus. Nach seiner Auffassung lassen sich die kausalen Zusammenhänge in der Natur nicht aus den Prinzipien der (reinen) Vernunft herleiten, weil die Ursache an sich etwas völlig anderes ist als ihre Wirkung. Wenn es Zusammenhänge zwischen zwei Begriffen gibt, dann sind diese Zusammenhänge immer eine reine empirische Feststellung, die sich als solche nur empirisch herausfinden lässt. Zumindest in den seriösen und erfolgreichen Wissenschaften hatte sich diese Auffassung immer mehr durchgesetzt und Hume Recht gegeben. Erwähnen wir als Beispiel, dass Hume bestritten hat, dass „Geometrie eine hinreichend exakte Wissenschaft ist“ (Abriss eines neuen Buches), und dies in einer Zeit, als man überzeugt war, dass das Universum deshalb so aufgebaut ist, wie es die newtonsche Physik behauptet, weil es auf der klassischen (euklidischen) Geometrie fußt, die das einzige logisch konsistente geometrische System des Raumes ist. Heute wissen wir, dass man auch auf andere Weise den Raum (und die Zeit) logisch streng denken kann. Deshalb kann es nicht verwundern, dass auch Einstein Hume wie keinen anderen Philosophen geschätzt hat. Er schriebt: „Wenn man seine Bücher liest, wundert man sich, daß nach ihm viele und zum Teil hochgeachtete Philosophen so viel Verschwommenes haben schreiben und dankbare Leser finden können“ (Mein Weltbild).
Zum Entsetzen der Rationalisten, hat also Hume der Vernunft sogar die Kompetenz die Kausalität zu erklären abgesprochen. Man kann schon ahnen, wie skeptisch er sein musste, wenn es darum ging, ob uns die Vernunft helfen könnte, wenn es um moralische Entscheidungen geht. In der Tat bestreitet Hume der Vernunft jegliche Kompetenz auf die Fragen zu antworten, was die Tugenden sind oder sein sollen:
„Es scheint klar zu sein, daß der Verstand über die letzten Ziele menschlichen Handelns niemals und in keinem Fall Rechenschaft ablegen kann, sondern daß sie gänzlich den Gefühlen und Neigungen der Menschen überlassen sind, ohne irgendwie von den intellektuellen Fähigkeiten abzuhängen. Man frage einen Menschen, warum er Gymnastik mache; er wird antworten, weil er seine Gesundheit erhalten wolle. Wenn man dann fragt, warum er Gesundheit anstrebe, wird er sofort antworten, weil Krankheit schmerzhaft sei. Treibt man seine Nachforschungen weiter und will wissen, warum er den Schmerz hasse, so wird er unmöglich einen Grund angeben können. Dies ist ein letzter Zweck, und er wird niemals auf ein noch anderes Objekt zurückgeführt.
Vielleicht antwortet er auf die zweite Frage, warum er Gesundheit anstrebe, daß sie zur Ausübung seines Berufes notwendig sei. Wenn man fragt, warum ihm daran gelegen sei, wird er antworten, weil er Geld verdienen möchte. Fragt man Warum?, so sagt er: Es ist das Mittel zum Vergnügen. Und darüber hinaus nach einem Grund zu fragen, ist eine Absurdität. ... Irgend etwas muß um seiner selbst willen und wegen seiner unmittelbaren Harmonie und Übereinstimmung mit dem menschlichen Gefühl und menschlicher Neigung erstrebenswert sein.
So sind also die getrennten Gebiete und Aufgaben des Verstandes und des Geschmacks leicht zu bestimmen. Von jenem stammt das Wissen um Wahrheit und Falschheit; von diesem das Gefühl für Schönheit und Häßlichkeit, für Laster und Tugend.“
Kurz zusammengefasst vertritt Hume die folgende Auffassung: Handlungen an sich kann man als lobenswert oder tadelnswert betrachten, aber mit der Vernunft lässt sich dies nicht herausfinden. Die Vernunft kann nicht die Quelle der Tugenden, heute würde wir eher sagen der moralischen Beweggründe oder Wertungen, sein. Lobenswert und tadelnswert steht in keinem Bezug zu vernünftig und unvernünftig. Die Gebiete und Aufgaben des Verstandes und des Wollens sind völlig verschieden. „Von jenem stammt das Wissen um Wahrheit und Falschheit; von diesem das Gefühl für Schönheit und Häßlichkeit, für Laster und Tugend.“ Über das, was wir wollen sollen, kann die Vernunft nichts sagen. Der Verstand kann nichts als Tatbestände und Relationen zwischen Begriffen beurteilen und damit die Folgen unserer Handlungen vorhersagen, was für das praktische Leben von großer Bedeutung ist. Das Verstandesurteil kommt erst dann zur Geltung, wenn Ziele bekannt sind und die Mittel zu ihrer Realisierung gesucht und abgewogen werden. Eine solch grundsätzliche Unterscheidung zwischen Erkenntnis und Wertung finden wir vor Hume nicht, und es hat nach ihm noch mannigfacher Auseinandersetzungen bedurft, bis sie im Wesentlichen als richtig anerkannt wurde. Noch einmal Hume wörtlich:
„Die Hypothese, die wir Annehmen, ist einfach: sie behauptet, Moralität werde durch das Gefühl bestimmt.
Bei moralischen Entscheidungen müssen alle Umstände und Beziehungen zuvor bekannt sein; und die Seele empfindet infolge der Betrachtung des Ganzen einen neuen Eindruck der Zuneigung oder Abneigung, der Achtung oder Verachtung, der Zustimmung oder Mißbilligung.
Die Zustimmung oder Mißbilligung, die dann folgt, kann nicht das Werk der Urteilskraft, sondern nur das des Herzens sein; und sie ist keine spekulative Aussage oder Behauptung, sondern ein aktives Gefühl oder Empfinden.“
Smith folgt dieser Auffassung von Hume ohne den geringsten Abstand:
„Die Vernunft aber kann nicht irgendeinen einzelnen Gegenstand um seiner selbst willen uns angenehm oder unangenehm machen. Die Vernunft kann uns zeigen, daß dieser Gegenstand das Mittel ist, um einen anderen zu erlangen, der von Natur aus uns wohlgefällig oder mißfällig ist, und sie kann in dieser Weise den Gegenstand uns um eines arideren willen angenehm oder unangenehm machen. Nichts aber kann uns angenehm oder unangenehm um seiner selbst willen sein, das nicht durch eine unmittelbare Empfindung und ein Gefühl dazu gemacht würde. Wenn also die Tugend in jedem einzelnen Falle notwendig um ihrer selbst willen gefällt, und wenn das Laster ebenso sicherlich um seiner selbst willen unser Mißfallen erregt, dann kann es nicht die Vernunft, sondern nur eine unmittelbare Empfindung oder ein Gefühl sein, das uns auf diese Weise die Tugend anziehend und das Laster abstoßend erscheinen läßt.
Lust und Unlust sind die Hauptziele des Begehrens und der Abneigung: diese aber werden nicht durch die Vernunft, sondern durch eine unmittelbare Empfindung und ein unmittelbares Gefühl unterschieden. Wenn also die Tugend um ihrer selbst willen begehrenswert ist, und wenn das Laster um seiner selbst willen Abneigung hervorruft, so kann es nicht die Vernunft sein, die diese verschiedenen Eigenschaften ursprünglich auseinanderhält, sondern nur eine unmittelbare Empfindung und ein unmittelbares Gefühl.“
Wenn die Tugenden, besser gesagt moralische Beweggründe oder Werte, auf Gefühle zurückgeführt werden sollen, die der Vernunft unzugänglich und damit kein Ergebnis des rationalen Denken sein können, wie findet man dann überhaupt heraus, was ethische Gefühle sind? Es gibt nur eine Antwort dafür und die heißt: Aus den empirischen Tatsachen. Nicht etwa in dem Sinne, dass die Tatsachen an sich gut oder böse wären, das sind sie nicht - wie es schon Spinoza wusste. Die Tatsachen sind sozusagen nur eine sichere Spur zu den ethischen Gefühlen, die sich durch das rationale Denken entdecken lässt. Mit Hilfe der Vernunft lässt sich aus den Tatsachen ableiten, zu welchen ethischen Gefühlen sie sich zuordnen lassen. Dieser Gebrauch der Vernunft ist offensichtlich ein anderer, als der bei den Rationalisten. So ergeben sich zwei Möglichkeiten, wie die Vernunft funktioniert oder angewandt werden kann:
- Die Vernunft denkt aus sich selbst heraus
- Die Vernunft schlussfolgert aus den Tatsachen
Das sind zwei völlig unterschiedliche Auffassungen, die nicht beide gleichzeitig vertreten werden können. Sie führen zu zwei völlig unterschiedlichen Paradigmen. Die zweite Auffassung ist etwas völlig Neues, die die Moderne von der Vormoderne erkenntnis- und moraltheoretisch eindeutig - paradigmatisch - trennt. Aus ihnen folgen auch völlig unterschiedliche staatstheoretische und ordnungstheoretische Entwürfe. Sollte es der Vernunft möglich sein, aus sich heraus zu bestimmen, was Tugenden oder Werte sind, dann wären nämlich diese auch lernbar- wie es schon Platon klar wurde -, oder praktischer formuliert: Man hätte dann die Menschen zu besseren Menschen erziehen können. Das würde dann weitere Konsequenzen nach sich ziehen. Diejenigen die schneller und besser lernen, würden sich dann als Lehrer für die anderen gut eignen. Und wenn man schon da ist, führt dann ein breiter Weg zur hierarchisch-autoritären, also zu einer von den Experten gesteuerten Ordnung. Ganz anders gestalten sich die Gedankengänge und Schlussfolgerungen, wenn die Vernunft bei den Tatsachen beginnt und verpflichtet wird, ihre Ergebnisse von den Tatsachen verifizieren zu lassen. Das haben wir zur Veranschaulichung im folgenden Strukturdiagramm dargestellt:
Wenn man in dem Diagramm die Optionen wählt, die den dick gezeichneten Pfeilen folgt, geht man den gedanklichen Weg der Moderne, der bei der geregelten Ordnung endet. Das Strukturdiagramm zeigt zugleich, wie wenig man an den Annahmen zu ändern braucht, um bei der hierarchisch-autoritären Ordnung zu landen. Dabei kommen auch Ergebnisse zum Vorschein, die auf den ersten Blick so nicht unbedingt erwartet würden. Auch dazu können wir noch ein paar Worte verlieren. Man würde nämlich meinen, wenn man vom Glauben an das Gute im Menschen ausgeht - von der positiven menschlichen Natur -, dann könnte man nicht zu einer hierarchisch-autoritären Ordnung gelangen. Diese Entwürfe waren voll von schönen Versprechungen und Vorhaben, die Erfahrung hat aber schon längst ihr endgültiges Urteil gesprochen. Es gab bekanntlich zahlreiche Versuche, im Sinne des positiven Menschenbildes Gruppen und Gesellschaften zu konstituieren. Wenn sie sich nicht von alleine aufgelöst haben, endeten sie in hierarchisch-autoritären Ordnungen. Die Planwirtschaft ist da das beste Beispiel.
Aus dem Strukturdiagramm ist zugleich sichtbar, wie aus dem ursprünglichen Liberalismus der Neoliberalismus entstanden ist. Man brauchte nur die Gleichheit im Namen der „Leistung“ fallen zu lassen und schon hat sich die hierarchisch-autoritäre Ordnung zurückgemeldet. Das war der geistige Verrat am ursprünglichen Liberalismus, so dass der Neoliberalismus zur knallharten Ideologie der Besitzenden, also der Kapitalisten und der Reichen geworden ist.
Im nächsten Beitrag werden wir uns genauer anschauen, wie sich Adam Smith die Haerausbildung der ethischen Gefühle vorgestellt hat. Sie verdient deshalb besondere Aufmerksamkeit, weil Smith durch sie zu seiner Markttheorie gelangte. Damit wird sich zugleich klären, warum ein Denker, der ein Moralphilosoph mit Leib und Seele war, und es immer geblieben ist, sich den ökonomischen Angelegenheiten widmete. Diesen Beitrag schließen wir mit noch ein paar Worten über Spinoza und seine Ethik.
Es war ein großer Fortschritt der Vernunft die Selbstständigkeit abzusprechen und sie der körperlichen Welt unterzuordnen. Wohin „jedes Ding in seinem Sein zu verharren strebt - schreibt er - ist nichts als das wirkliche Wesen des Dinges selbst“ und das bezeichnet er auch noch als „das höchste Gesetz der Natur“. Darüber haben wir schon etwas mehr gesagt. Die Ontologie von Spinoza war sozusagen die Brücke zwischen dem vormodernen Rationalismus und dem modernen Empirismus. Spinoza hat sozusagen Mörtel und Ziegel für den Empirismus und die Wissenschaften, so wie wir sie kennen, zusammengetragen, die anderen haben daraus gebaut. Er ist sogar ohne einen richtigen (expliziten) Empirismus zur geregelten Ordnung gelangt, was höchst erstaunlich ist und höchste Anerkennung verdient. Es blieb nach Spinoza aber noch vieles zu klären und zu tun.
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