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Wie ethische Gefühle verfälscht werden und wie sie dennoch nützlich sein können |
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Wie niedere Triebe zur treibenden Kraft des zivilisatorischen Fortschritts wurden |
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Die Mehrzahl der Leute strebt mehr nach Gewinn als nach Ehre. Ein Beweis ist, dass sie die alten Tyrannenherrschaften ausgehalten haben und auch die Oligarchien aushalten, wenn einer sie nicht am Arbeiten hindert und ihnen nichts wegnimmt; denn da werden die einen rasch reich, und die anderen werden jedenfalls nicht arm. |
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Aristoteles, 384 - 322 v. Chr. |
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Der Mensch „möchte stets seine Sache verbessern, und er trägt diese Absicht überall mit sich, wohin er auch geht, ob durch die Straßen der bevölkerten Stadt oder durch die Wildnis des Waldes. ... Er ist fortwährend mit Verbesserungen beschäftigt. |
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Adam Ferguson, schottischer Historiker und Ethiker, gilt als Mitbegründer der Soziologie |
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Das Hauptwerk von Adam Smith heißt nicht zufällig Der Wohlstand der Nationen und nicht etwa Die Freiheit des Individuums. So bzw. so ähnlich heißen bekanntlich die Werke der späteren Liberalen, seiner selbsternannten Jünger. Diese neuen Liberalen haben den ursprünglichen Liberalismus zu einer individualistischen Freiheitsordnung uminterpretiert und ihn verraten - wie überhaupt den neuen Geist der Moderne. Wir haben bereits gezeigt, dass Smith kein methodischer Individualist war. Er konnte es gar nicht sein, weil die Sympathie (Empathie), sein wichtigstes analytisches Werkzeug, gar nicht introspektiv und kontemplativ benutzt werden kann, sondern s ausschließlich zur Untersuchung zwischenmenschlicher Beeinflussungen und Wechselwirkungen dient. Die ethischen Gefühle, sowohl die reinen als auch die verfälschten, bilden sich ausschließlich durch gesellschaftliche Interaktionen. Das Individuum bei Smith ist im Wesentlichen ein Produkt der Gesellschaft bzw. seiner Ordnung und Kultur.
Wenn nicht das Individuum, sondern die Gesellschaft der Bezugspunkt der Ethik von Smith ist, ist es nicht unberechtigt zu fragen, ob sich seine ethischen Untersuchungen auch soziologischen Untersuchungen zurechnen ließen. Damals gab es natürlich noch keine Soziologie als eine selbständige Disziplin, so dass Smith darüber keine eigene Meinung haben konnte. Erst später haben sich die Soziologen darüber Gedanken gemacht und in der ethischen und ökonomischen Denkweise von Smith in der Tat eine soziologische Herangehensweise festgestellt. Einer der Stammväter der amerikanischen Soziologie Albion W. Small (1854-1926) hat dies wie folgt zusammengefasst:
„Wenn jemand, der mit der Herangehensweise in der allgemeinen soziologischen Forschung vertraut ist, aber die ökonomische Literatur nicht kennt, zum ersten Mal das Buch Der Wohlstand der Nationen in die Hände nehmen würde, würde er sich nicht schwer tun dieses Buch ohne zu zögern in den Bereich der Untersuchung eines Aspekts der Soziologie einzuordnen. ... Smith hat neue Maßstäbe für die Erforschung der ökonomischen Bedingungen des Lebens erfunden, indem er das Leben im Ganzen als Moral erfasst hat, und den ökonomischen Prozess als Detail.“
Anders als bei späteren, neoliberalen Ökonomen, ging es Smith bei seiner Untersuchung des Wohlstands der Nationen nicht um die Ergründung einer abstrakten ökonomischen „Effizienz“ der Volkswirtschaft, sondern ganz wesentlich um die Frage der gerechten Verteilung des Wohlstandes. Die weit verbreitete Meinung, nach der Smith als Ökonom kein Moralphilosoph mehr war, ist einfach falsch. Wie es Schumpeter feststellte, „in The Theory of Moral Sentiments ist auch die Philosophie des Reichtums und Wirtschaftstätigkeit von Adam Smith enthalten - nicht aber in Wealth of Nations“. Genauer gesagt, hat Smith in der Theorie seine Auffassung über den Menschen vollständig vorgelegt, also eine Theorie über die menschliche Natur entwickelt. Davon ausgehend hat er das Verhalten der Menschen untereinander, also innerhalb der Gesellschaft, untersucht. Später, als er zum Ökonomen wurde, hat er die bereits gewonnenen Erkenntnisse sozusagen nur ökonomisch interpretiert. In diesem Beitrag wollen wir uns genauer anschauen, wie er von den ethischen Gefühlen ausgehend zu der Erklärung der Triebkräfte zur Vermehrung des Wohlstandes gekommen ist. Zuerst muss aber geklärt werden, woher es kam, dass sich ein Moralphilosoph überhaupt mit dem Wohlstand befassen wollte.
Die materiellen Güter als Mittel zur Beseitigung der Extreme des Leidens
Wenn jemand Smith zuerst als Ökonom kennen lernte und erst danach begonnen hat, die Theorie der ethischen Gefühle zu lesen, kann er zuerst sehr überrascht sein, wie wenig Bedeutung dieser Mensch den Gütern beimisst und wie hoch er die Genügsamkeit und Bescheidenheit schätzt, so dass er an der Armut kaum etwas auszusetzen hat.
„Denn welcher Absicht dient all die Mühseligkeit und all die lärmende Geschäftigkeit dieser Welt? ... Den natürlichen Bedürfnissen Genüge zu tun? Wir sehen, daß er [der Lohn des einfachen Arbeiters] ihm Nahrung und Kleidung gewährt, den Komfort eines Hauses und einer Familie. Wenn wir seine Haushaltung strenge prüften, dann würden wir finden, daß er einen großen Teil des Lohnes auf Luxusbedürfnisse ausgibt, die als überflüssig betrachtet werden dürfen, und daß er bei außerordentlichen Gelegenheiten sogar etwas dafür anwenden kann, um seine Eitelkeit zu befriedigen und vornehm auftreten zu können.“
Nebenbei bemerkt, in diesem Zusammenhang wird von Smith zum ersten Mal seine berühmte „unsichtbare Hand“ erwähnt, die aber erst aus dem Wohlstand, wo sie noch einmal erwähnt wurde, ihre Berühmtheit erlangte. Sie ist auch nur ein Ausdruck seiner Hochschätzung von Genügsamkeit und Bescheidenheit:
„Als die Vorsehung die Erde unter eine geringe Zahl von Herren und Besitzern verteilte, da hat sie diejenigen, die sie scheinbar bei ihrer Teilung übergangen hat, doch nicht vergessen und nicht ganz verlassen. Auch diese letzteren genießen ihren Teil von allem, was die Erde hervorbringt. In all dem, was das wirkliche Glück des menschlichen Lebens ausmacht, bleiben sie in keiner Beziehung hinter jenen zurück, die scheinbar so weit über ihnen stehen. In dem Wohlbefinden des Körpers und in dem Frieden der Seele stehen alle Lebensstände einander nahezu gleich und der Bettler, der sich neben der Landstraße sonnt, besitzt jene Sicherheit und Sorglosigkeit, für welche Könige kämpfen.
Was kann der Glückseligkeit eines Menschen noch hinzugefügt werden, der sich im vollen Besitz seiner Gesundheit befindet, ohne Schulden ist und ein reines Gewissen hat? Für einen Menschen in dieser Lage kann man füglich jeden Zuwachs an Glück als überflüssig bezeichnen; und wenn er über einen solchen sehr begeistert ist, so muß dies der Ausfluß der ärgsten Leichtfertigkeit sein. Und doch kann seine Lage wohl mit gutem Grund als der natürliche und gewöhnliche Zustand der Menschen bezeichnet werden. Ungeachtet des gegenwärtigen Elends und der Verderbtheit der Welt, die mit so viel Recht beklagt wird, ist dies tatsächlich der Zustand, in dem sich die Mehrzahl der Menschen befindet.“
Wir können nur rätseln, warum Smith die Welt in einem so guten Zustand sah. Man kann da aber auch andere Gründe vorlegen als seine eigene Genügsamkeit und Bescheidenheit. Er lebte in einer Zeit, als es der Wirtschaft in Großbritannien gut ging und der Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerung deutlich gestiegen war. Erst nach seinem Tod, als sich die private Marktwirtschaft durchgesetzt hat, sind schwierige Jahrzehnte gekommen. Das neue liberale System wurde zuerst in Großbritannien erprobt. Es sollte zum Triumph der liberalen Lehren führen, - daran haben zunächst sowohl die Tories als auch die Whigs fest geglaubt - aber es versagte. Es stolperte von einer ökonomischen Krise in die nächste. Während dieser Krisen wuchs sich die Arbeitslosigkeit zur Massenarbeitslosigkeit aus und das Ausmaß des Elends an der Basis des ganzen Systems, in den Minen, Fabriken und Slums, überstieg an Grausamkeit und Unmenschlichkeit alles, was man davor aus der Geschichte kannte. Latent blieb die Arbeitslosigkeit sogar immer vorhanden, und zwar in der Form der industriellen Reservearmee, wie sie Karl Marx (1818-1883) genannt hat. Diese Erfahrung aus dem Mutterland des Kapitalismus würde sich später in allen kapitalistischen Wirtschaften wiederholen. Auf seinen berühmten Reisen durch Amerika am Anfang des 19. Jahrhunderts schrieb Alexis de Tocqueville (1805-1852): „Im Ganzen genommen ist, glaube ich, die Aristokratie der Fabrikanten, die wir vor unseren Augen erstehen sehen, eine der härtesten, die auf Erden erschienen ist“. Und dies stellte er zu einer Zeit fest, als Amerika seinem Ruhm als „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ noch einigermaßen gerecht wurde. Wie groß die Enttäuschung war, verdeutlicht die einfache Tatsache, dass man die erste Generation der Ökonomen nach Smith- zu den berühmtesten gehören Ricardo und Malthus - als Pessimisten-Ökonomen bezeichnete, weil sie von der neuen ökonomischen Ordnung eine für lange Zeit anhaltende Stagnation erwarteten. Im Jahr 1848 hat Marx diese Ordnung als überholt und dem Untergang geweiht gesehen.
Aus dem Optimismus von Smith kann man noch etwas schlussfolgern. Nämlich dass das Leben der Menschen in den vorkapitalistischen Zeiten gar nicht so schlimm gewesen sein muss, wie es die Ideologen der freien Marktwirtschaft behaupten. Wenn man sich die Geschichte besser anschaut, bekommt man in der Tat immer wieder den Eindruck, dass die Propheten des Kapitalismus bewusst Lügen über die Vergangenheit verbreitet haben, um die Misserfolge der neuen Ordnung, die immer wieder so verheerend waren, dass man vom sozialen Genozid sprechen kann, zu kaschieren. Nichts ist falscher als zu behaupten, dass die freie Marktwirtschaft von Anfang an das Leben aller Menschen verbesserte. Das Gegenteil ist richtig. Aus dem monumentalen Werk Europäische Wirtschaftsgeschichte erfahren wir zum Beispiel:
„Zu Beginn des 18-ten Jahrhunderts bestand das Arbeitsjahr in den österreichischen Alpengebieten aus 161 Tagen, die übrigen 204 Tage waren Feiertage.“
Und etwa David Hume stellte fest:
„In Irland ... wo ... aufgrund der Größe und Fruchtbarkeit des Bodens und der geringen Bevölkerung sind alle Lebensnotwendigkeiten so billig, daß ein arbeitsamer Mann mit zwei Tagwerken genug verdienen kann, um sich für den Rest der Woche ernähren zu können.“
Zum Vergleich: Der heutige Arbeiter in Amerika, dem Musterland der freien Marktwirtschaft, bekommt zwei Wochen pro Jahr Urlaub - wenn er das Glück hat, ein Jahr ununterbrochen eine feste Einstellung zu haben. Den Kapitalismus mit angeblicher Freiheit und Gleichheit zu legitimieren, wie es die falschen Liberalen versuchen, hat nicht viel mit der Realität zu tun. Auch die Freiheit, die der Kapitalismus für die Leibeigenen angeblich erkämpft hat, ist weitgehend ein ideologisches Märchen. Sogar wenn man berücksichtigt, dass der Leibeigene vor seinem Herrn auf die Knie fallen musste, relativiert sich das erheblich, wenn man bedenkt, dass die Herren nicht so oft Lust hatten, ihre Untertanen zu Gesicht zu bekommen. Deshalb waren sogar die schlimmsten politischen Diktaturen, welche die verlogenen Liberalen für den Inbegriff der Unfreiheit und Ungleichheit halten, in der Praxis gar nicht so schwer zu ertragen, vorausgesetzt sie sorgten für den Wohlstand ihrer Untertanen. Das war später beim Kommunismus der Fall. Ein Bürger der früheren DDR hat dies nach der Wiedervereinigung auf den Punkt gebracht: „Damals wäre es fatal für mich gewesen, gegen Honecker etwas zu sagen, der war aber ganz weit weg, meinen unmittelbaren Vorgesetzten am Arbeitsplatz dagegen durfte ich beschimpfen, ohne das mir was geschehen würde. Jetzt kann ich unsere Minister und Kanzler nach Lust und Laune beschimpfen und beleidigen, dem Vorgesetzten, der mir den ganzen Tag im Nacken sitzt, muss ich die Wünsche von den Lippen ablesen, sonst fliege ich sofort raus.“ Was für eine Freiheit!
Es war ganz bestimmt nicht der Wunsch nach Demokratie und Freiheit, weshalb der real existierende Sozialismus zusammengebrochen ist, sondern seine ökonomischen Schwächen. So betrachtet hat die Geschichte Smith Recht gegeben, seine Ethik in die Ökonomie einzuführen. Es gibt gute Gründe die Produktion der materiellen Güter zu steigern. Sie findet man schon beim Moralphilosophen Smith in der Theorie. Wenn man sich dort alle seine Überlegungen anschaut, wird es deutlich, dass er den Sinn und Nutzen von materiellen Gütern dann anzweifelt, wenn sie über das hinausgehen, was der gute Zustand des Körpers und des Geistes benötigt. Dies lässt sich deutlich aus dem folgenden Satz entnehmen:
„Aber wenn auch wenig zu diesem Zustand hinzugefügt werden kann, so kann ihm doch viel genommen werden. Wenngleich der Abstand zwischen dieser Lage und dem höchsten Grad menschlichen Wohlergehens nur ganz unbedeutend ist, so ist doch die Entfernung zwischen ihr und der größten Tiefe des Elends gewaltig und ungeheuer.“
Smith hat auf keinen Fall die Armut der Welt übersehen, und auch die Qualen, welche sie verursacht, hat er nicht verharmlost, im Gegenteil. Seine Kritik an der Lage der Arbeiterklasse zeigt dies in aller Deutlichkeit.
„Im Fortschritt der Arbeitsteilung wird die Beschäftigung des größten Teiles derer, die von ihrer Arbeit leben, d.h. der großen Masse des Volkes, auf wenige sehr einfache Verrichtungen, oft nur auf eine oder zwei, beschränkt. Der Verstand der meisten Menschen wird aber selbstverständlich durch ihre gewöhnlichen Beschäftigungen beeinflußt. Der Mann, dessen ganzes Leben ein paar einfachen Verrichtungen gewidmet ist, deren Wirkungen vielleicht stets dieselben oder ziemlich dieselben sind, hat keine Gelegenheit, seinen Verstand anzustrengen oder seine Erfindungskraft zu üben, um Hilfsmittel gegen Schwierigkeiten aufzusuchen, die ihm niemals begegnen. Er verliert mithin natürlich die Gewohnheiten solcher Übungen, und wird gewöhnlich so dumm und unwissend, wie es ein menschliches Wesen werden kann. Die Verknöcherung seines Geistes macht ihn nicht nur unfähig, an einer vernünftigen Unterhaltung Geschmack zu finden oder nur daran teilzunehmen, sondern auch unfähig freier, edler oder zarter Gefühle, und mithin einer richtigen Beurteilung selbst der gewöhnlichsten Pflichten des Privatlebens. ... Seine Geschicklichkeit in seinem Gewerbe scheint also auf Kosten seiner geistigen, geselligen und kriegerischen Fähigkeit erworben zu sein. Dies ist der Zustand, in welchen in jedem zivilisierten Volke der arbeitende Arme, d. h. die Masse des Volkes, notwendig versinken muß, wenn die Regierung nicht Vorsorge dagegen trifft.“
Diese Kritik ließ auch den späteren schärfsten Gegnern des Kapitalismus nicht viel Möglichkeit zur Steigerung. Aber nicht nur die Beseitigung der Armut und der mit ihr verbundenen Qualen ist für Smith ein Grund den Wohlstand zu vermehren.
Das Große, das Schöne und das Edle als Ursache für die Mehrung des materiellen Reichtums
In der blinden Bewunderung der Reichen und des Reichtums hat Smith eine Verfälschung der ethischen Gefühle gesehen, wie wir bereits gezeigt haben.ba32o Mit „Verfälschung“ hat er gemeint, dass etwas, rational betrachtet, keinen Sinn oder Nutzen hat. So sagt er zum Beispiel, dass „ein Gefängnis für das Gemeinwesen nützlicher als ein Palast ist“, mit ihm sympathisiert man jedoch nicht, weil das Gefängnis schmerzliche Gefühle weckt, die der Mensch am liebsten unterdrückt. Diese irrationale Wahrnehmung bezeichnet er als Verfälschung der Gefühle. Wenn es um einen Palast geht, findet eine Verfälschung in der entgegengesetzten Richtung statt. Der gefühlte Nutzen des Palasts ist schon an sich viel geringer als das gefühlte Unbehagen, das vom Gefängnis ausgeht. Und wenn der Palast auch noch wirklich verdient werden muss - also beim „Kind der armen Leute“ -, stimmt das Kosten-Nutzen-Verhältnis bei weitem nicht. Damit ist aber nicht gesagt, dass Smith der Steigerung des Wohlstandes jeden Sinn und Nutzen absprach. Folglich hat er auch den Drang nach Reichtum nicht als völlig irrational zurückgewiesen. Er schreibt:
„Wenn wir näher untersuchen, warum der Zuschauer die Verhältnisse der Reichen und Großen mit so viel Bewunderung auszeichnet, dann werden wir finden, daß dies nicht wegen der größeren Behaglichkeit oder des größeren Vergnügens geschieht, deren sie sich, wie man annimmt, erfreuen, als vielmehr wegen der zahllosen kunstvollen und eleganten Vorrichtungen, die dazu dienen, diese Behaglichkeit und dieses Vergnügen zu fördern. Der Zuschauer bildet sich nicht einmal ein, daß sie wirklich glücklicher sind als andere Leute: aber er meint, daß sie mehr Mittel zur Glückseligkeit besitzen. Und gerade die geistreiche und kunstvolle Anordnung jener Mittel zu dem Zweck, für den sie bestimmt sind, bildet die Hauptquelle seiner Bewunderung.
Die Freuden, welche Wohlstand und hoher Rang bieten, drängen sich ... der Einbildungskraft als etwas Großes und Schönes und Edles auf, dessen Erlangung wohl alle die Mühen und ängsten wert ist, die wir so gerne auf sie zu verwenden pflegen. Und es ist gut, daß die Natur uns in dieser Weise betrügt. Denn diese Täuschung ist es, was den Fleiß der Menschen erweckt und in beständiger Bewegung erhält. Sie ist es, was sie zuerst antreibt, den Boden zu bearbeiten, Häuser zu bauen, Städte und staatliche Gemeinwesen zu gründen, alle die Wissenschaften und Künste zu erfinden und auszubilden, die das menschliche Leben veredeln und verschönern, die das Antlitz des Erdballs durchaus verändert haben.“
Einfach ausgedrückt, ist der Mensch doch mehr als ein biologisches Wesen, dem es nur um den Erhalt seines Körpers geht; er will seine Umgebung nach Kriterien gestalten, die den Menschen über die anderen biologischen Arten erhebt. Der Mensch hat geistige Bedürfnisse, er will Großes und Schönes und Edles erleben. Aber diese Bedürfnisse, auch wenn sie geistig sind, benötigen empirische Wahrnehmung. Der Mensch ist ein praktisches Wesen, der das Wahre, das Schöne und das Gute auch praktisch, durch die materielle Welt erlebt, besonders dann, wenn er diese selbst manipuliert. Insoweit ist es richtig zu sagen, dass „die seelische Vervollkommnung enger mit der Verbesserung der materiellen Verhältnisse zusammen hängt, als man denkt“.
Wie veranlasst man die Menschen zur Mehrung des materiellen Reichtums?
Die Armen, brauchen keine Motivation ihre Lage zu verbessern, ihnen fehlen aber in der Regel die Möglichkeiten dazu. Die Natur hat zwar jedem Menschen bei der Geburt zwei Hände geschenkt, aber sonst nichts. Nicht einmal ein Stück Boden wird ihm zugeteilt, aber nicht weil es nicht genug Boden auf der Erde gäbe, sondern weil sich den Boden einige wenige unter den Nagel gerissen haben. Sie können den Rest der Population erpressen, indem sie ihm das Nötigste zum Überleben nur dann zukommen ließen, wenn sie das geleistet hatten, was man von ihnen erwartete. Um den Boden knapp zu halten, ließ man Wälder wachsen, die von den Reichen als Jagdreviere genutzt wurden. Die Herrschaft im Kapitalismus beruht auf dem gleichen Prinzip, erpresst wird aber weniger mit dem Produktionsmittel Boden, sondern mit dem Kapital.
Da stellt sich die Frage, wie man die Reichen dazu bringt, dass sie etwas tun, was den Armen nützen würde. Smith lässt nicht den kleinsten Zweifel aufkommen, dass die „Reichen und Großen“ etwas nur aus Liebe zu unserem Nächsten oder zur Menschheit tun würden. Wenn es aber um etwas Großes, Schönes und Edles ging, wären auch die „Reichen und Großen“ bereit etwas dafür zu tun.
„Es ist nicht die Liebe zu unserem Nächsten, es ist nicht die Liebe zur Menschheit, was uns in vielen Fällen zur Betätigung jener göttlichen Tugenden antreibt. Es ist eine stärkere Liebe, eine mächtigere Neigung, die in solchen Fällen im allgemeinen eingreift: die Liebe zu allem, was ehrenwert und edel ist, das Verlangen nach Größe, Würde und Erhabenheit unseres Charakters.
Wenn ihr den Fleiß eines Menschen erwecken wollt, der für das Gefühl des Ehrgeizes beinahe tot zu sein scheint, so wird es meistens zwecklos sein, ihm die Glückseligkeit der Reichen und Großen zu schildern oder ihm zu erzählen, daß sie im allgemeinen gegen Sonne und Regen geschützt, und daß sie selten hungrig sind, daß ihnen selten kalt ist, und daß sie selten der Ermüdung oder irgendwelcher Entbehrung ausgesetzt sind. Eine noch so beredte Ermahnung dieser Art wird auf ihn wenig Eindruck machen. Wenn ihr mit eueren Reden irgendwelchen Erfolg erreichen wollt, dann müßt ihr ihm die Bequemlichkeit und die Anordnung der verschiedenen Appartements in ihren Palästen beschreiben; ihr müßt ihm die Zweckmäßigkeit ihrer Einrichtungen auseinandersetzen und ihm die Zahl, die Rangordnung und die verschiedenen Funktionen all ihrer Bedienten darlegen. Wenn irgend etwas fähig ist, auf ihn Eindruck zu machen, so wird es dies sein. Und doch sind alle diese Dinge nur bestimmt, Sonne und Regen abzuhalten, und ihre Besitzer gegen Hunger und Kälte, gegen Mangel und Ermüdung zu schützen.
Wenn ihr nun anderseits der Brust eines Menschen die Tugend patriotischer Gesinnung einpflanzen wollet, der sich um das Interesse seines Landes gar nicht bekümmert, so wird es meist ganz zwecklos sein, ihm zu erzählen, welcher höheren und günstigeren Lebensbedingungen sich die Untertanen eines wohl regierten Staates erfreuen; daß sie etwa besser wohnen, daß sie besser gekleidet und daß sie besser genährt sind. Derartige Betrachtungen werden gewöhnlich keinen großen Eindruck auf ihn machen. Ihr werdet aber viel eher imstande sein, ihn zu überzeugen, wenn ihr ihm das große System der öffentlichen Verwaltung beschreibt ... wenn ihr ihm die Zusammenhänge und gegenseitigen Abhängigkeiten seiner einzelnen Teile, ihre wechselseitige Unterordnung untereinander ... auseinandersetzt, wenn ihr ihm zeigt, wie dieses System in seinem Lande eingeführt werden könnte ... und wie alle die einzelnen Räder der Regierungsmaschine dahin gebracht werden könnten, daß sie mit größerer Harmonie und Reibungslosigkeit laufen, ohne einander dabei zu stoßen oder sich gegenseitig in ihrer Bewegung zu hemmen.
Das gleiche Prinzip, die Liebe zum geordneten Ganzen, die Rücksicht auf die Schönheit der Ordnung, der Kunst und wohl ersonnener Pläne, trägt häufig auch sehr viel dazu bei, uns jene Einrichtungen zu empfehlen, die bestimmt sind, die allgemeine Wohlfahrt zu fördern. Wenn ein Patriot sich um die Verbesserung irgendeines Teiles der öffentlichen Verwaltung bemüht, so entspringt sein Verhalten nicht immer bloß aus der Sympathie für die Glückseligkeit derjenigen, die die wohltätigen Früchte dieser Verbesserung ernten müssen. Es geschieht gewöhnlich nicht aus Mitgefühl mit den Kärrnern und Fuhrleuten, wenn ein vom Gemeingeist erfüllter Mann auf Verbesserung der Landstraßen drängt. Wenn die Gesetzgebung Prämien aussetzt oder andere aufmunternde Maßnahmen trifft, um die Leinen- oder Wollmanufaktur zu heben, so entspringt ein solches Vorgehen selten bloß aus Sympathie für diejenigen, welche billige oder teuere Stoffe tragen, noch viel weniger aus Sympathie für die Fabrikanten oder Kaufleute. Die Vervollkommnung der Verwaltung, die Ausbreitung des Handels und der Manufaktur sind große und hochwichtige Angelegenheiten. Die Betrachtung derselben macht uns deshalb Vergnügen und es ist uns an allem, was dazu dienen kann, sie zu heben, viel gelegen.“
Wer sollte aber derjenige sein, der den Reichen und Mächtigen dies alles erzählen, der bei ihnen das Bedürfnis nach dem Großen, dem Schönen und dem Edlen wecken sollte? Etwa die Regierung? Smith sagt dazu nichts. Auch später als Ökonom schweigt er. In dem Wohlstand findet man nur eine treibende Kraft der Marktwirtschaft, die sich auf die Verfälschung der ethischen Gefühle durch Reichtum zurückführen lässt. Die Bewunderung des Reichtums übersteigert nämlich dermaßen den wahren Nutzen des Reichtums, dass das Streben nach ihm schon an sich eine ausreichend starke Motivation für die Menschen ist, ökonomisch aktiv zu sein. So werden niedere Triebe zur treibenden Kraft des zivilisatorischen Fortschritts. Viel später hat dies Keynes auf den Punkt gebracht:
„Es gibt wertvolle menschliche Betätigungen, die zu ihrer vollen Entfaltung den Beweggrund des Gelderwerbes und die Umgebung privaten Besitztumes erfordern. Gefährliche menschliche Triebe können überdies durch Gelegenheiten für Gelderwerb und privaten Besitz in verhältnismäßig harmlose Kanäle abgeleitet werden, die, wenn sie nicht auf diese Art befriedigt werden können, einen Ausweg in Grausamkeit, in rücksichtsloser Verfolgung von persönlicher Macht und Autorität und anderen Formen von Selbsterhöhung finden könnten. Es ist besser, daß ein Mensch sein Bankguthaben tyrannisiert als seine Mitmenschen, und während das erstere gelegentlich als ein Mittel zum letzteren bezeichnet wird, ist es wenigstens gelegentlich eine andere Möglichkeit.“
Damit ist nicht gemeint, wie etwa beim Sozialdarwinismus oder in der dialektischen Philosophie, dass das Böse in sich eine mystische Eigenschaft trägt, zum Schluss das Gute automatisch zu schaffen. Kaum etwas wäre für Smith so falsch wie eine solche metaphysische Auffassung. Er hatte eine Ordnung im Sinn, in der sich die gefährliche Affekte und Triebe gegenseitig neutralisieren und damit den guten Vortritt verschaffen, oder dass man sie so manipuliert, dass sie etwas Nützliches tun. Wie wir bereits gesehen haben, ist damit die geregelte Ordnung gemeint.
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