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Der Ursprung des Preises (Tauschwertes) und seine Erklärungen bzw. Konzeptionen |
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Der Nachfragepreis als Regelwerk zur systematischen Steigerung der Produktivität |
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Die Bourgeoisie reißt durch die rasche Verbesserung aller Produktionsinstrumente, durch die unendlich erleichterte Kommunikation alle, auch die barbarischsten Nationen in die Zivilisation. Die wohlfeilen Preise ihrer Waren sind die schwere Artillerie, mit der sie alle chinesischen Mauern in den Grund schießt, mit der sie den hartnäckigsten Fremdenhass der Barbaren zur Kapitulation zwingt. Sie zwingt alle Nationen, die Produktionsweise der Bourgeoisie sich anzueignen, wenn sie nicht zugrunde gehen wollen; sie zwingt sie, die sogenannte Zivilisation bei sich selbst einzuführen, d.h. Bourgeois zu werden. Mit einem Wort, sie schafft sich eine Welt nach ihrem eigenen Bilde. |
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Karl Marx, Manifest der kommunistischen Partei, 1848 |
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Es ist ganz falsch ... wenn man, wie viele Ökonomen es tun, behauptet, dass die kapitalistische Unternehmung und der technische Fortschritt zwei verschiedene Faktoren ... gewesen seien; sie waren ihrem Wesen nach ein und dasselbe, oder, wie wir es auch ausdrücken können, die erste war die treibende Kraft des zweiten. ... Flugzeuge, Kühlmaschinen, Fernsehen - all dies ist unmittelbar als Ergebnis der Profitwirtschaft zu erkennen. Doch obwohl das moderne Krankenhaus in der Regel nicht um des Gewinnes willen betrieben wird, ist es auch nichtsdestoweniger das Produkt des Kapitalismus ... Und die - zwar noch nicht völlig gewonnenen, doch näherrückenden - Siege über Krebs, Syphilis und Tuberkulose werden ebenso sehr kapitalistische Großtaten sein wie es Autos, Erdölleitungen und Bessemer Stahl waren. |
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Joseph Schumpeter, bekannter österreichischer und später amerikanischer Ökonom |
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Der Fortschrittsgedanke ist eines der großen Geschenke der Aufklärung. Das achtzehnte Jahrhundert hat ihn erfunden, ihn weiterentwickelt und sich zu seinem Fürsprecher gemacht und damit gewaltige Ressourcen an Vitalität, Vertrauen und Hoffnung freigelegt. |
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Neil Postman, amerikanischer Medienwissenschaftler und Sachbuchautor |
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Wenn man die Entwicklung der Produktivität der menschlichen Arbeit historisch betrachtet, kommt man schnell zu der Schlussfolgerung, dass diese seit dem Reich der Pharaonen und bis zum Ende des europäischen Mittelalters kaum gestiegen ist. Erst im Kapitalismus begann sie zu steigen, und zwar so stark, wie man es sich vorher nicht erträumen konnte. Macht es dann einen Sinn daraus zu schließen, wie es die Ökonomen getan haben, dass die Produktionsfaktoren Arbeit und Naturressourcen („Boden“) ihre produktive Kraft nicht ändern bzw. nicht steigern können? Ja, einen gewissen Sinn hat eine solche Betrachtung. Aber wie dem auch sei, es steht fest, dass die Produktionsfähigkeit dieser zwei ursprünglichen Produktionsfaktoren sehr niedrig war. Die Geschichte bis vor wenigen Jahrhunderten ist eine Geschichte der bitteren Armut. Kulturelle Blüten gab es nur bei den Völkern, welche andere Völker beraubt und versklavt hatten. Zu den seltenen Ausnahmen davon gehören nur kleine freie Städte, die zu einem gewissen Wohlstand gelangten, indem sie einen lukrativen Handel und Geldgeschäfte betrieben haben. Keiner hat erwartet, dass sich dies je ändern würde, aber dann, im 18. Jahrhundert, begann auf einmal die Produktion bzw. die Produktivität in einem nie dagewesenen Maße zu steigen. Das ist eine gut erforschte Tatsache:
„Zwischen 1701 und 1802 stieg der Verbrauch an Baumwolle in England infolge der allmählichen Verfeinerung der Spinn- und Webkunst um 6.000 Prozent. Im Zeitraum von 1788 bis 1839, als der Prozess der Eisenherstellung seine erste technologische Umwälzung durchlebte, nahm der Ausstoß an Roheisen sprunghaft von 68.000 auf 1.347.000 Tonnen zu. Die Eisenproduktion verfünffachte sich in Frankreich zwischen 1815 und 1845, während gleichzeitig die Kohleförderung um das Siebenfache und das Transportvolumen um das Zehnfache anstiegen.“
Diese Steigerung der Produktion bzw. der Produktivität beschleunigte sich seitdem sogar immer weiter
„Schätzungen zufolge wuchs das durchschnittliche globale Pro-Kopf-Inlandsprodukt ... zwischen 1500 und 1870 real um kaum mehr als 50 Prozent. Zwischen 1870 und 1998 dagegen stieg es um mehr als das Sechseinhalbfache. Anders ausgedrückt, die pauschalierte jährliche Wachstumsrate war zwischen 1870 und 1998 dreizehnmal höher als zwischen 1500 und 1870. Am Ende des 20. Jahrhunderts lebten die Menschen aufgrund einer Vielzahl technischer Fortschritte und neuer Erkenntnisse länger und besser als jemals zuvor. In weiten Teilen der Welt ist es dank verbesserter Ernährung und der Bekämpfung ansteckender Krankheiten gelungen, die Lebenserwartung der Menschen erheblich zu verlängern. Hatte diese in Großbritannien 1900 durchschnittlich nur 48 Jahre betragen, so lag sie 1990 bei 76 Jahren, und die Kindersterblichkeit war im Vergleich zur Jahrhundertwende auf ein 25stel gesunken.“
Viele haben sich Gedanken gemacht, um dieses „Wunder“ der neuen Zeit zu erklären. Schon vor Smith ist man auf die Idee gekommen, dass diese Steigerung der Produktion einem neuen Produktionsfaktor zu verdanken wäre, dem Kapital. Als Urheber dieser Idee wird meistens der Physiokrat Anne Robert Jacques Turgot (1727 - 1781) angeführt. Er hat nicht nur klarer als die anderen gesehen, welche Bedeutung das im Voraus angehäufte Vermögen (richesse mobilière amassée d’avance) für die steigende Produktion hat, sondern er hat auch herausgefunden, das die Neigung der Menschen zum Sparen die Quelle dieses Vermögens ist. Das entspricht schon ziemlich genau dem, was später - und bis heute noch - unter dem Begriff „Kapital“ verstanden wird.
Das Sparen verleiht dem Produktionsfaktor Kapital eine besondere Eigenschaft. Die Produktionsfaktoren Arbeit und Naturressourcen sind einmal durch die Natur (oder Gott) gegeben, das Kapital lässt sich immer weiter vergrößern, wenn man es langfristig betrachtet. Das Kapital wäre demnach ein Produktionsfaktor, der - wie man es heute sagen würde - nicht knapp ist. Diese Erkenntnis wurde zur Grundlage des Fortschrittsoptimismus am Anfang der Moderne. Man meinte, die Menschheit hätte eine Lösung für einen nicht mehr endenden ökonomischen Fortschritt in der Hand: Durch das Sparen und die Kapitalakkumulation würde man den Wohlstand immer weiter steigern können. Das war in gröbsten Zügen die ökonomische Vision der alten optimistischen liberalen Ökonomen. Kurz zusammengefasst: Es gibt drei Produktionsfaktoren, Arbeit, Boden (Naturressourcen) und Kapital, wobei für die anhaltende Steigerung der Produktivität nur das Kapital sorgt, das im Grunde uneingeschränkt vermehrbar ist.
Smith hat sich dieser Auffassung angeschlossen, es soll aber gleich hinzugefügt werden, dass das Sparen und die Kapitalakkumulation nur ein Teil seiner ökonomischen Philosophie war. Er war zudem auch vorsichtig, was das Kapital als Produktionsfaktor betrifft, indem er zwischen der Kapitalmenge und der Produktivität doch nicht einen ganz festen Zusammenhang (Kausalität) sehen wollte. Er meinte nämlich, dass eine höhere Produktivität „in der Regel“ mehr Kapital benötigt, also nicht unbedingt und nicht immer. Dieser feine Unterschied ist zwar nicht unerheblich, man kann aber trotzdem sagen, dass sich Smith geirrt hat. Man könnte ihm sogar vorwerfen, eine falsche Spur gelegt zu haben. Nebenbei bemerkt, kein Ökonom folgte dieser falschen Spur so blind wie Marx, bis er seine Analyse der „Entwicklungstendenzen“ des Kapitalismus gegen die Wand gefahren hat. Da die Theorie der Kapitalakkumulation und Kapitalproduktivität einer der größten Fehler der ökonomischen Theorie von Smith ist, werden wir dazu noch mehr sagen. Jetzt überspringen wir sozusagen diese Problematik und gehen zum nächsten Produktionsfaktor über. Erwähnen wir zuerst die Gründe dafür.
Wozu auch noch das technische Wissen als vierter Produktionsfaktor?
Der Unterschied zwischen einer mittelalterlichen Manufaktur, in der Handwerker mit einfachen Werkzeugen arbeiten und einer mechanisierten Produktionsstädte (Fabrik), in der Dampfmaschinen die Energie erzeugen und diese durch zahlreiche Riemen, Wellen und Zahnräder zu den Maschinen transportiert wird, ist sehr groß. Solche mechanisierten Produktionsstätten (Fabriken) haben sich in der Zeit, als Smith lebte, immer weiter verbreitet. Wen wundert es da, dass man dann als selbstverständlich angenommen hat, dass das Wirtschaftswachstum mit der Kapitalakkumulation tun hätte.
Später, bei den kommunistischen Wirtschaften, schien sich die Erklärung der Produktionssteigerung durch Kapitalakkumulation zunächst bestens bestätigt zu haben. Erinnern wir uns, wie erstaunlich erfolgreich die ersten Fünfjahrespläne der Wirtschaften der kommunistischen Länder waren. Kein kapitalistisches Land hat sich bis dahin in einem solchen Tempo industrialisiert wie die kommunistischen - nicht einmal die USA und das Wilhelminische Deutschland. (Japan und die „vier kleinen Tiger“ kamen erst später.) Die kommunistische Kommandowirtschaft war ein Herrschaftssystem, das den Bürgerkrieg überdauerte, zahlreiche ausländische antikommunistische Interventionen abwehrte, das von Hitler vollkommen zerstörte Land wieder aufbaute und durch Mobilisierung seiner wissenschaftlichen und industriellen Ressourcen sogar der Atommacht Amerika Paroli zu bieten vermochte. Diese Erfolge der kommunistischen Wirtschaften waren ein Alptraum für die ganze bürgerliche Wirtschaftswissenschaft. Wenn die Staatsbürokraten alles falsch machen, wie es die Marktradikalen immer gebetsmühlenartig behaupten, wenn sie die Produktionsfaktoren nie optimal kombinieren, wie konnte man den Erfolg der kommunistischen Länder erklären? Als einzige glaubwürdige Erklärung blieb nur die Kapitalakkumulation. Noch im Jahre 1963 schreibt der bekannte deutsche Ökonom Alexander Rüstow:
„Von der Höhe der Investitionsquote hängt das Tempo des wirtschaftlichen Fortschritts ab. Die Russen können trotz einer wesentlich geringeren Produktivität ihrer Wirtschaft infolge ihrer diktatorischen Staatsform aus diesem geringeren Sozialprodukt einen sehr viel höheren Betrag für Investitionszwecke herausquetschen. Sie können so ein Tempo des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts vorlegen, mit Gewalt erzwingen, dem man mit westlichen Methoden nicht ohne weiteres folgen kann. Es ist durchaus nicht ausgeschlossen, daß sie das Ziel, Amerika einzuholen und zu überholen, das wir bisher immer als Propagandaschlagwort der Russen angesehen haben, mit dieser Methode des Zwangs, die wir ja nicht anwenden können, doch einmal erreichen. Auf jeden Fall ist das eine Situation, in der wir uns sehr hüten sollten, an eine Verringerung unserer Investitionsquote zu denken.“
Als es schon fast danach aussah, als würde der Sozialismus den Kapitalismus einholen und letztlich überholen, begann sich aber das Wachstum der kommunistischen Wirtschaften plötzlich immer weiter zu verlangsamen. Schon nach kurzer Zeit fielen die Wachstumsraten auch unter das Niveau des ideologischen Feindes, obwohl dieser ökonomisch noch lange nicht eingeholt wurde. Das hätte der verbreiteten Meinung nach nicht passieren können, so dass die herrschende Partei sich alle Mühe gab, das Problem zu beseitigen. Eine „Reform“ jagte die andere, vor allem wurde die „Bürokratie“ immer wieder an Pranger gestellt, aber wie auch immer „reformiert“ wurde, zu den früheren Wachstumsraten konnten die sozialistischen Wirtschaften nie mehr zurückkehren. Das System ließ sich einfach nicht reformieren. Es ist angebracht, dazu noch ein paar Worte zu sagen.
Eine bereits ausgereifte ökonomische und politische Ordnung wurde noch nie in der Geschichte durch Reformen gerettet. Sie waren immer nur eine Selbsttäuschung und Verschleppungstaktik. Die mittelalterliche Reformation hat bekanntlich nicht den Feudalismus gerettet, sondern den Kapitalismus gebracht. Auch der Kommunismus ließ sich nicht reformieren, und der Kapitalismus, so wie wir ihn kennen, wird sich ebenfalls nicht reformieren können. Marx hatte da Recht. Eine politisch-ökonomische Formation, sofern sie ausgereift ist, hat die Welt an diesem Zeitpunkt dermaßen geändert, dass ihre Denkweise (ihr „geistiger Überbau“), mit der sie einmal unter völlig anderen Umstanden siegte, der neuen Realität nicht mehr adäquat ist. Wenn wir diese Feststellung auf das verallgemeinernde erkenntnistheoretische Niveau heben, heißt es, neue Tatsachen brauchen ein neues Paradigma. Das hat Thomas Kuhn in seinem großartigen Buch Die Struktur wissenschaftlicher Revolution gezeigt. So etwas wie den „Pragmatismus“, auf den die Reformer so stolz sind, gibt es nicht, wie Keynes feststellte:
„Die Ideen der Nationalökonomen und der politischen Philosophen, gleichgültig, ob sie nun richtig oder falsch sind, sind von weit größerem Einfluss, als man gemeinhin annimmt. In Wirklichkeit wird die Welt von fast nichts anderem regiert. Praktiker, die sich frei von jeglichem intellektuellen Einfluß wähnen, sind gewöhnlich die Sklaven irgendeines verstorbenen Nationalökonomen. Ich bin überzeugt, dass die Macht erworbener Rechte im Vergleich zum allmählichen Durchdringen von Ideen übertrieben ist. Diese wirken aber nicht immer sofort ... Aber früher oder später sind es Ideen, und nicht erworbene Rechte, von denen die Gefahr kommt, sei es zum Guten oder zum Bösen.“
Der theoretische bzw. paradigmatische Raum in dem die kommunistischen Lenker und Planer lebten, waren die Marxschen Reproduktionsschemata, vor allem die der erweiterten Reproduktion. Die Zweifel daran, dass mit der Marxschen Theorie der „Entwicklung der Produktivkräfte“ alles stimmt, gab es sogar, sie wurden aber immer nur sehr leise ausgesprochen und nur vorsichtig formuliert, so dass sie nicht wahrgenommen wurden. Man kann kurioserweise fast sagen, dass Das Kapital von Marx gerade am Kapital scheiterte.
Auch die „bürgerlichen Ökonomen“ - wie Marx sie bezeichnete - haben sich mit dem Kapital beschäftigt und die Zweifel an den „primitiven Wachstumsmodellen“ (John Hicks), in denen das Wirtschaftswachstum und die Produktivitätssteigerung mit der Kapitalakkumulation erklärt wird, wurden immer stärker. So ist es vor etwa einem halben Jahrhundert einigen Ökonomen (Abramowitz, Solow, ...) eingefallen, statistisch zu prüfen, ob das Kapital (Kapitalstock) der Wirtschaft im Laufe der Zeit wirklich steigt. Das Ergebnis war für die alten Theorien verheerend. Irgendwann nach der Großen Depression hörte die Kapitalakkumulation auf, und dies gerade als sich der Kapitalismus mitten in einem Goldenen Zeitalter - drei Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg - befand. Die alte Erklärung, mehr Kapital sorge für höhere Produktivität, hat sich also auch im Kapitalismus als falsch erwiesen. Die ganze Auffassung über das Wirtschaftswachstum, über die sich die Marxisten und die bürgerlichen Ökonomen so wunderbar einig waren wie sonst irgendwo, stand vor einem Scherbenhaufen. Die alte Frage, was die Ursache der Produktivitätssteigerung sei, kam wie ein Bumerang zurück. Ein neuer Produktionsfaktor musste her. Aber was könnte dieser überhaupt sein?
Wir wollen uns jetzt nicht in die Einzelheiten der Suche nach einem neuen Produktionsfaktor vertiefen, uns geht es jetzt nur um das Ergebnis, auf das sich die Ökonomen im letzten halben Jahrhundert mehr oder weniger geeinigt haben. Man nennt diesen neuen Produktionsfaktor technisches Wissen. Damit werden Kenntnisse gemeint, wie man ein Gut herstellt. Den Ökonomen war natürlich schon immer klar, dass sich die Produktionsmethoden ändern, vor allem dann, wenn man mehr Kapital eingespart hat, und dies investieren will. Sie meinten aber, die nötigen Kenntnisse dafür wären ein vernachlässigbares Problem. Genauer ausgedrückt meinten sie, dass sich diese leicht gewinnen lassen, dass sie irgendwie in den Köpfen der Menschen schon vorhanden sind, so dass man sich nur - wenn es Bedarf gibt - bedienen könnte. Sie haben stillschweigend angenommen, dass ein einigermaßen gut funktionierendes Schul- und Bildungssystem reichen würde, genug technisches Wissen zu schaffen. Deshalb wäre es den älteren Ökonomen nie in den Sinn gekommen, aus dem Wissen einen eingeständigen Produktionsfaktor zu machen. Sie hatten sich aber sehr getäuscht. Wenn es so wäre, warum sind dann die Menschen auf die angeblich so einfachen Ideen, die die Erste industrielle Revolution auslösten, nicht viel früher gekommen?
„Lediglich drei physikalische Gesetze waren den antiken Gelehrten genau bekannt: das Hebelgesetz, das Prinzip des Archimedes und das optische Gesetz der Brechung. Auf dem Felde der Technologie ist ein Unterschied besonders auffällig: Maschinen wurden in der antike für die Kriegführung, zu unterhaltsamen Kunstfertigkeiten und als Spielzeug gebraucht, sie wurden aber niemals in der Güterproduktion eingesetzt.“
Wie Güter billiger und schneller produziert werden könnten, darum kümmerte sich kein brahmanischer, buddhistischer, moslemischer oder katholischer Scholastiker, kein konfuzianischer Gelehrter oder Humanist der Renaissance, kein Philosoph oder Rhetoriker des klassischen Altertums. Auch im Kommunismus fehlte es nicht an gut geschulten Menschen. Bekanntlich hatte die Bildung und Ausbildung in den kommunistischen Gesellschaften einen hohen Stellenwert. Der neue sozialistische Mensch sollte auch ein sehr gebildeter Mensch sein. „Der durchschnittliche Menschentyp wird sich bis zum Niveau von Aristoteles, Goethe und Marx erheben“, so der Organisator der Oktoberrevolution, Leo Trotzki. Außerdem hat man alle begabten Kinder gefördert, nicht nur die Kinder der Reichen, wie es im Kapitalismus mehr oder weniger immer noch der Fall ist. Trotzdem haben die kommunistischen Wirtschaften das technische Wissen nicht produzieren können. Die Auffassung, gute Bildung und Ausbildung würde für die Schaffung des technischen Wissens ausreichen, hat sich durch das Scheitern des Kommunismus als falsch erwiesen.
Man kann schon ahnen, dass es gar nicht einfach ist zu beantworten, warum sowohl vor als auch nach dem Kapitalismus die Produktivität nicht steigen wollte, warum diese Wirtschaften nie imstande waren, neues technisches Wissen bereitzustellen. Wir untersuchen jetzt diese Problematik, um das zu erklären, um dann auch die Lösung von Smith darzulegen, wie sich das technische Wissen in einer Wirtschaft systematisch erstellen lässt.
Das technische Wissen und das Bedürfnis des Menschen zu denken
Es ist nicht ganz falsch zu sagen, dass die Moderne den Sieg der Vernunft bedeutete. Die Menschheit hatte ihre theologische und metaphysische Entwicklungsstufe verlassen, meinte der Vater der Soziologie Auguste Comte (1798-1857), es beginne die Herrschaft der Vernunft: ein Zeitalter der Wissenschaft. Die Ökonomen haben diese neue Zeit ganz praktisch verstanden. Nachdem der Mensch zur Vernunft zurückkehrte, dürfte es schließlich kein Problem sein, herauszufinden, wie man eine eingesparte Kapitalmenge mit einer besseren Produktionsmethode anwendet. Was war an dieser Annahme falsch?
Der Mensch, auch wenn er das echte Bedürfnis zu denken haben sollte, braucht für das Denken keine empirische Realität. Man kann an der Realität vorbei denken, was sogar einen besonderen Reiz ausmacht: Ohne die Realität genießt nämlich das Denken die ganze Narrenfreiheit des Künstlers. Kaum ein Philosoph der langen Vormoderne wollte sich diese Freiheit von der Realität nehmen lassen. Eine „richtige“ Philosophie begann bekanntlich schon vor zweieinhalb Jahrtausenden in der Antike, schon damals fühlten sich die wichtigsten Philosophen dem Denken verpflichtet, aber sie haben das Denken als unempirisch begriffen. Ihre Denkanstrengungen galten ausschließlich der spekulativen (metaphysischen) „Erforschung“ der Realität. Es gab unter diesen Philosophen sogar Materialisten, bei denen die Materie im Mittelpunkt stand, aber ihr Begriff der Materie hat mit dem Begriff der Natur, so wie er von den Naturwissenschaften verstanden wird, kaum etwas gemeinsam. Für sie war die Materie stets eine abstrakte und jenseitige (ontologische) Kategorie (des Seins), eine Konkurrenz zu Gott - nicht weniger, aber auch nicht mehr. Ihre Gedanken an eine konkrete und schmutzige Materie zu verschwenden, wie bei den Wissenschaften üblich, war dagegen für sie unerheblich oder gar unter ihrer Würde. Folglich blieb vor dem Anfang der Moderne auch die Erforschung des Menschen und der Gesellschaft eine rein spekulative.
Man kann also nicht sagen, dass in all den Jahrtausenden vor der Moderne die Vernunft untätig war. Der Mensch war schon immer ein Vernunftwesen. Zu den großartigen Errungenschaften der früheren Vernunftmenschen gehören die Kenntnisse über den Himmel (Astronomie). Sie sind aus den Bedürfnissen der Schamanen und Wahrsager zu denken entstanden, also auch nicht zum Zweck der „Beherrschung der Natur“. Der große Astronom Johannes Kepler hat bekanntlich seinen Lebensunterhalt hauptsächlich noch durch die Erstellung der kaiserlichen Horoskope verdient. Einige Historiker, die das Entstehen des Industriezeitalters untersuchen, behaupten, dass die Uhr, nicht die Dampfmaschine, der Schlüssel zur industriellen Welt war (Lewis Mumford), und diese entstand nicht aus irgendwelchen praktischen Bedürfnissen, sondern aus reiner Faszination über die harmonische Ordnung der Sterne, die man auf der Erde nachahmen wollte. Es spricht kaum etwas dafür, dass es ohne die Uhr auch die Dampfmaschine nicht gäbe, aber die Uhr ist ein gutes Beispiel dafür, dass die technischen Kenntnisse allein noch kein technisches Wissen hervorbringen. Das Ziel der modernen Wissenschaften, so wie wir sie kennen, hat erst Francis Bacon (1561-1626) als „Beherrschung der Natur“ formuliert. Edgar Zilsel stellt in seiner ausgezeichneten Untersuchung der sozialen Ursprünge der neuzeitlichen Wissenschaft fest:
„Wesentlich für die moderne Wissenschaft ist die Vorstellung, daß Wissenschaftler zusammenarbeiten müssen, um den Fortschritt der Gesellschaft hervorzubringen. Weder streitende Scholastiker noch ruhmhungrige Literaten waren Wissenschaftler, Bacons Vorstellung ist grundlegend neu und taucht weder in der Antike noch in der Renaissance auf.“
Ganz unpraktisch war die Vernunft nie in der Geschichte. Die reichen Herrscher konnten sich bekanntlich immer die kreativsten Geister ihrer Zeit kaufen, die mit althergebrachten Methoden Dinge zu ihrem Vergnügen und zur Befriedigung ihrer Eitelkeit hervorbrachten: Von filigranem Schmuck bis zu Palästen und Gotteshäusern. Vieles davon wird später als Kultur einer Zeit bewundert. Auch in einer weiteren Hinsicht, die gar nicht lobenswert ist, war die Vernunft leider schon immer sehr praktisch orientiert. Sie trat nämlich schon immer sehr bereitwillig in den Dienst der Macht und der Herrschaft. Diese kreativen Geister haben den Herrschern auch bereitwillig ausgeklügelte Rechtfertigungen zur Legitimierung ihrer Herrschaft, also Ideologien, verfertigt. Sie waren ihre geistigen Lakaien, wie etwa Mises, Hayek, Röpke, Friedman, ... die geistigen Lakaien der heutigen Reichen und Herrschenden sind. Aber die selbsternannten Vernunftmenschen gingen schon immer noch weiter: Sie haben selbst Ansprüche auf Macht und Herrschaft gestellt. Im Namen der Vernunft wollten sie ihre eigene Macht und Herrschaft über die anderen legitimieren. Platon wollte dies nicht einmal verheimlichen. Wenn man liest, wie brutal und ja sogar mörderisch er sein Reich der Philosophenkönige verwirklichen und dann regieren wollte, kann man ihn mit Fug und Recht als den ersten Philosophen-Terroristen bezeichnen. Man erinnert sich in diesem Zusammenhang an Konrad Lorenz, den berühmten österreichischen Zoologen und Tierpsychologen und seine Aussage, dass der Mensch als reines Vernunftwesen keineswegs ein Engel sei, er wäre weit eher das Gegenteil. Ja, Wissen ist Macht, und zwar im buchstäblichen Sinne, weil es sich als ideologische Waffe im Kampf um Einkommen, Status und Privilegien einsetzen lässt, also zur Legitimierung von Herrschaft und Ausbeutung. Wen kann also wundern, dass man heute ständig von der „Wissensgesellschaft“ und vom „lebenslangen Lernen“ labert. Der Ruf nach Bildung und Ausbildung wurde zur letzten ideologischen Zuflucht des - wieder einmal - gescheiterten Marktliberalismus bzw. Neoliberalismus. Wir haben dazu schon einiges mehr gesagt.
Als Platon seine Konzeption der Herrschaft der Bildungselite (Philosophen) entworfen hat, war diese nur eine Utopie und sie blieb dies noch mehr als zwei Jahrtausende. Sie konnte also nicht empirisch überprüft werden. Erst der Kommunismus hat zum Teil diese Möglichkeit geschaffen. Damit soll nicht gesagt werden, dass dort die „Intelligezija“ herrschte - es war die Herrschaft der Politiker -, es war aber so, dass der Bildungselite alle Bedingungen zur Verfügung standen, das neue technische Wissen zu produzieren. Die Planwirtschaft war eine durch die Bildungselite gelenkte Wirtschaftsordnung, die man mit Recht auch als technokratisch bezeichnete. Diese durch die Vernunft gelenkte, also expertokratische Gesellschaft sollte eine bessere Gesellschaft in jeder Hinsicht sein. Platon erklärte auch warum: Das Ware, das Gute und das Schöne seien (ontologisch) sozusagen nur drei Aspekte des Gleichen, so wie die göttliche Dreifaltigkeit im Christentum. Wenn dies stimmen würde, hätte die „Intelligezija“ danach nicht nur ökonomisch erfolgreich geherrscht, sondern zugleich auch gut und gerecht. Nichts davon hat sich aber im Kommunismus bestätigt. Sie war nicht einmal im Stande das technische Wissen zu produzieren, doch die Privilegien, als ob sie dies täte, wusste sie zu genießen. Und im Kapitalismus?
Die kapitalistische Wirtschaft hat sich mehr und mehr in Richtung immer größerer Korporationen, einfacher gesagt Monopole entwickelt. Die Teams von Experten in diesen kapitalistischen Monopolen waren nicht kleiner als die in den sozialistischen Wirtschaften. Das war eine völlig andere Situation als die beim Entstehen des Kapitalismus. Die Erste industrielle Revolution brauchte keine Bildungselite, was uns verständlich macht, warum die älteren Ökonomen das technische Wissen völlig außer Acht ließen, die Zweite industrielle Revolution war aber nicht mehr das Werk der Tüftler in der Garage, sondern der technisch und naturwissenschaftliche Gebildeten. Ein Jahrhundert nach dem Tod von Smith war der Kapitalismus ein anderer als an seinem Anfang. Er hat sich nicht zur atomistischen Konkurrenz hin entwickelt, wie es die Frühliberalen erwartet haben, sondern so wie es Marx prophezeite, zum Monopolkapitalismus. Eine Marktwirtschat mit Monopolen (oder Oligopolen) sollte nach der Auffassung der alten Liberalen gar nicht funktionieren können, das Goldene Zeitalter hat aber das genaue Gegenteil bewiesen. Nie zuvor hat der Kapitalismus so erfolgreich das technische Wissen und mit ihm den Wohlstand für alle geschaffen. Einigen Ökonomen ist eingefallen, dass dies ausgerechnet den großen Korporationen zu verdanken sei, und zwar deshalb, weil sie so viele Experten beschäftigen. Heute wissen wir, wie es mit dem Monopolkapitalismus weiter ging. Nach dem Goldenen Zeitalter kam die Globalisierung und Deregulierung, die gerade von den internationalen Monopolen am eifrigsten vorangetrieben wurde. Das Ergebnis war die Rückkehr zum brutalen Kapitalismus des 19. Jahrhunderts. Die Herrschaft der Bildungseliten, der sogenannten Meritokratie (Michael Young), hat sich nicht als eine Herrschaft der Guten, sondern als eine der Bösen entpuppt. Die Frühliberalen hatten doch Recht behalten. Es gibt keine guten Monopole, und sie sind auch rein ökonomisch betrachtet nicht effizient. Weder die kommunistischen waren es, noch sind es die kapitalistischen. Eine kritische, überwiegend historische Untersuchung der monopolistischen Wirtschaften kommt im nächsten Beitrag.
Das technische Wissen und die rational verstandenen Interessen
Die empirischen Tatsachen sagen uns nicht nur, wie die Vernunft bis vor wenigen Jahrhunderten kein Bedürfnis nach Wissenschaft zum Zweck der „Beherrschung der Natur“ zeigte, sondern es lässt sich aus ihnen entnehmen, dass die Ablehnung und sogar die Bekämpfung des neuen technischen Wissen sehr rationale Hintergründe hatte.
Als 1733 der Engländer John Kay das „Weberschiffchen“ erfand, mit dem sich der Ertrag der Weber vervielfachen konnte, wurde er aus seiner Heimatstadt Colchester verjagt und auch später musste er vor den revoltierenden Webern von einer Stadt zur anderen fliehen. Sie haben den Verlust ihrer Arbeitsplätze durch sein „fliegendes Schiffchen“ befürchtet. Schon am Anfang des industriellen Zeitalters war die Maschine eine existentielle Bedrohung für diejenigen, die nichts anderes anzubieten hatten als nur ihre Arbeit. Man erinnert sich an die Ludditen, Textilarbeiter, die gegen die Industrielle Revolution kämpften und dabei auch gezielt Maschinen zerstörten. Die Bewegung wurde bis 1814 militärisch niedergeschlagen. Zahlreiche Beteiligte wurden hingerichtet oder nach Australien deportiert.
Wenn das technische Wissen sozusagen schwarmartig auftritt - Schumpeter sprach von Innovationszyklen -, hat es massenhafte Änderungen in der Verteilung das Einkommens zur Folge, als auch des Status und der Privilegien in Wirtschaft und Gesellschaft. Es gibt Gewinner und Verlierer. Im Voraus lässt sich nie herausfinden, wer zu den Gewinnern und wer zu den Verlierern gehören wird. Auch die mutigsten Erneuerer können Verlierer sein, weil sich das Neue als Fehlschlag erweisen kann. Deshalb ist ein Widerwillen oder gar Feindschaft gegen alles was neu ist, der Konservatismus, eine durchaus rationale Einstellung, die bis heute nicht totzukriegen ist, wovon die fortschrittoptimistischen Rationalisten der Frühmoderne als selbstverständlich ausgegangen sind. Der Konservativismus verspricht Sicherheit, was an sich erstrebenswert ist. So hat es sich auch vor einiger Zeit der Kaiser von China gedacht. Seine Flotte segelte schon im Mittelalter durch viele Weltmeere, sie hatte 28 000 Soldaten an die Ostküste von Afrika gebracht, viermal mehr als bei Kolumbus, doch der Kaiser ließ die Schiffe danach verbrennen, weil er der Meinung war, dass diese technischen Möglichkeiten die inländische Ruhe bedrohten würden. Er verbot, über die Sichtlinie der chinesischen Küste hinauszufahren. Diese Entscheidung erwies sich als vernünftig. Die Kaiser würden bis heute in China herrschen, wenn sich der technische Fortschritt nicht anderswo etabliert hätte. Was dann geschah, kennt man unter dem Namen „Kanonenbootdiplomatie“. Die Engländer ließen Kanonenboote vor der chinesischen Küste vor Anker gehen und drohten mit deren Bombardierung und militärischer Eroberung, sollten bestimmte Forderungen nicht erfüllt werden. Unter anderem sollte es ihnen damals erlaubt sein, in China Opium zu verkaufen - also mit Drogen zu dealen. Das nannte man „freien Handel“ und wurde mit Ricardoschen Komparativvorteilen als für beide Seiten nützlich begründet. Heute ersetzten die Amerikaner die Kanonenboote mit Flugzeugen und Drohnen, der Sinn und Zweck ist derselbe.
Der technische Fortschritt bedeutet nicht nur Risiko, sondern er hat auch seinen Preis. Der ist nicht immer niedrig, und zwar nicht nur in finanzieller Hinsicht. Die Menschen müssen nämlich mehr oder weniger ihre Existenz umstellen und das kann gar nicht so einfach sein. Das Neue verlangt den Erwerb neuer Kenntnisse, Geschicklichkeiten und Gewohnheiten, was nicht nur anstrengend ist, sondern den Menschen auch überfordern kann. Wie der Spruch sagt: Einen alten Baum verpflanzt man nicht. Ein Ingenieur im Mittelalter wird nie ein Arzt werden können, eine Lehrerin nie eine Bäuerin, ein Schlosser nie ein Programmierer. Der flexible Mensch, von dem die Neoliberalen so gern schwärmen, ist nicht real, sondern eine Beschuldigung der Opfer. Man will den Verlierern auch noch Schuldgefühle und ein schlechtes Gewissen einreden, damit sie die Absahner in Ruhe lassen.
Nicht nur der Einzelne, sondern sogar große Unternehmen, die große Teams von hoch ausgebildeten Mitarbeitern haben, sind durch große technische Veränderungen oft überfordert. Nehmen wir als Beispiel den globalen Konzern Polaroid. Er ging nach der Erfindung der Digitalfotografie und der Foto-Schnellentwicklung Bankrott. Ein Unternehmen, dessen ganze technologische Stärke auf dem Gebiet der Chemie lag, schaffte es trotz aller Umstrukturierungen nicht, sich auf die Elektronik umzustellen, in der er mit den besten Elektronikkonzernen der Welt, wie etwa Sony, konkurrieren musste. Die dafür ausgegebenen Gelder waren eine falsche Investition in Humankapital, eine strategisch falsche Entscheidung. Wenn man aber darüber nachdenkt, kommt man zur Schlussfolgerung, dass den Direktoren des Konzerns damals nichts Anderes übrig blieb. Sie waren nicht leichtsinnig, sondern sie haben mit dem Mut der Verzweiflung reagiert und im Rahmen ihrer Möglichkeiten haben sie möglicherweise alles richtig gemacht. Aber sie konnten nur verlieren. Wir können uns also ausmalen, wie es mit dem Betriebssystemhersteller Microsoft weitergehen wird. Er ist ein globaler Monopolist und seine Machtstellung war noch nie gefährdet. Es wird aber eine Zeit kommen, in der die Betriebssysteme an Bedeutung verlieren werden, es wird etwas kommen, was sie beiseite schieben wird, in die Bedeutungslosigkeit, und dann wird auch für Microsoft die Totenglocke geläutet werden. Seine Direktoren werden auch alles versuchen, das zu verhindern, aber das, was ihre Programmierer routinemäßig beherrschen wie kein anderer, wird nicht helfen, weil man es nicht mehr brauchen wird.
Das technische Wissen und das Problem der Überforderung der Vernunft
Wir haben bisher stillschweigend vorausgesetzt, dass der Mensch rational ist. Sollte er zugleich auch gut sein in dem Sinne, dass ihm das Wohlergehen aller Menschen am Herzen liegt, dann müsste er interessiert sein, die Produktionsmethoden ständig nachzubessern. Nichts davon konnte man in der ganzen Geschichte vor dem Kapitalismus beobachten; in den sozusagen postkapitalistischen Wirtschaften, also in den kommunistischen, auch nicht. Dann haben wir die Annahme des rationalen Menschen mit einer anderen Annahme verbunden, dass nämlich der der rationale Mensch nicht unbedingt Gutmensch sein muss, sondern einer, den man als rationalen Egoisten bezeichnet. Es ließ sich zeigen, dass sich von der Annahme des rationalen Egoisten gut argumentieren lässt, warum der Mensch im Allgemeinen nicht bestrebt ist, neues technisches Wissen zu erfinden und anzuwenden. Ist aber der Mensch überhaupt rational, also ein Wesen, der seine Handlungen streng nach der Vernunft richtet?
Der Mensch, so wie ihn die wichtigsten Denker der Moderne begriffen haben, ist nicht ein rationales Wesen, weder im guten noch im bösen Sinne. Er ist nur ein beschränkt rationales und ein beschränkt moralisches Wesen. Das ist unter dem Begriff negative menschliche Natur zu verstehen, wobei man zugleich bemerken soll, dass die frühmodernen Denker diese Bezeichnung nicht benutzt haben. Mehr darüber haben wir schon in den vorigen Beiträgen gesagt. Auch die Bezeichnung rationaler Egoist haben die Denker am Anfang der Moderne nicht benutzt, die stammt von den späteren, falschen Liberalen: von den Sozialdarwinisten. Fügen wir jetzt noch hinzu, dass für die Denker der frühen Moderne die Gleichheit aller Menschen als unbestritten galt, so dass für sie keine Herrschaft der Wissenseliten in Frage käme. Nun stellt sich die Frage, zu welchen Schlussfolgerungen bezüglich der Bereitschaft der Menschen das technische Wissen zu produzieren wir gelangen, wenn wir nicht von der anthropologischen Annahme des (völlig) rationalen Menschen ausgehen, sondern von einem beschränkt rationalen und beschränkt moralischen. Um dieses Problem überhaupt zu begreifen, ist es besser ein realitätsbezogenes Beispiel zu nehmen, als gleich abstrakt zu argumentieren. Die Erfahrungen aus der kommunistischen Wirtschaft sind auch da bestens geeignet.
Stellen wir uns ein großes Kombinat vor, ein Gelände, auf dem mehrere Produktionshallen und mehrere Gebäude mit der technischen Entwicklung und der Administration stehen. In den Produktionshallen sind natürlich manuelle Arbeiter („White-Collars“), in den anderen Gebäuden sitzen Konstrukteure und Technologen („Blue-Collars“). Die Administration und die Verwaltung vernachlässigen wir jetzt.
Ein Arbeiter der eine Maschine oder ein Fließband bedient, geht jeden Morgen zu seinem Arbeitsplatz in der Produktionshalle. Er hat dort seine Norm, die durch die Materialzufuhr bestimmt ist. Der Arbeiter ist dann den ganzen Tag sozusagen ein Teil der Ausrüstung - wie Charly Chaplin in dem berühmten Film Moderne Zieten. Wenn sich der Arbeiter setzen kann, ja sogar wenn er auf die Toilette geht, bedeutet das für ihn eine Pause zu machen. Sich setzen zu dürfen ist für den Arbeiter gleichbedeutend mit: nicht arbeiten. Der Arbeiter war schon ein paar Mal in dem Gebäude, wo die Konstrukteure und Technologen arbeiten ,und was er immer dort gesehen hat, war, dass dort ständig gesessen wird. Für ihn konnte das nur bedeuten, dass dort nie (richtig) gearbeitet wird. Dort wird nur was gekritzelt und man unterhält sich ständig, er dagegen kann dies schon deshalb nicht, weil es in der Produktionshalle zu laut ist. „Die da oben“ tragen weiße Hemden und schicke Anzüge, er ist von Ölflecken bedeckt, auf die sich Staub setzt und klebt; diesen Staub und die Ausdünstungen verschiedener Stoffen atmet er die ganze Zeit ein. Außerdem ist er ständig in Gefahr, dass er durch kaputte Maschinen oder fahrende Stapler verletzt wird; die im Büro können sich nur verletzen, wenn sie vom Stuhl fallen oder sich am Papier schneiden. Können wir uns denken, wie der Arbeiter die eigene Leistung und den eigenen Beitrag zur Wertschöpfung des Kombinats einschätzt und wie die Leistung und den Beitrag derjenigen, die nur ständig herumsitzen?
Als der Ingenieur aus dem Büro nach Hause geht, sieht er, dass die nächste Kneipe voll von Arbeitern aus seinem Kombinat ist. Einige von ihnen haben sich nicht einmal gewaschen und umgezogen, obwohl man ihnen gerade neues Bad eingerichtet hat - nicht zu fassen! Sie lachen und amüsieren sich offensichtlich prächtig. Für sie ist der Arbeitstag endgültig vorbei. Wenn es Freitag ist, dann hat für sie das Wochenende begonnen, in den nächsten zwei Tagen werden sie ganz vergessen, dass es ihr Kombinat überhaupt gibt. Sie werden angeln und grillen gehen, sie freuen sich riesig auf das nächste Fußballspiel, die Wetten haben sie bereits abgeschlossen. Dem Ingenieur ist anders zumute. Er trägt seine Aktentasche mit Skizzen nach Hause, er wird lange von der Arbeit nicht abschalten und vielleicht auch nicht einschlafen können. Was seine Abteilung gerade projektiert, funktioniert immer noch nicht zufriedenstellend und weder er noch seine Kollegen haben eine Erklärung dafür. Jedes Detail, jede Berechnung muss zum wiederholten Mal auf Punkt und Komma geprüft werden. Auch heute tauchte in seiner Abteilung die Geschäftsführung auf, alle waren sehr nervös und das ganze Gespräch verlief sehr frostig. Er und seine Kollegen werden voraussichtlich auch ihren geplanten Urlaub verschieben müssen. Wie gut es nur die Arbeiter haben, was für ein glückliches Schicksal, denkt sich der Ingenieur, als ihm die Arbeiter in der Kneipe in Sinn kommen. Was für ein Teufel hat ihn nur geritten, so viele Jahre die Schulbank zu drücken?
Wenn das Kombinat „allen“ gehört, so dass ziemlich viel Demokratie auch bei der Frage der Einkommensverteilung zugelassen wird, wie würde das Ergebnis im Kombinat aussehen? Da die Arbeiter deutlich in der Überzahl sind, wird die Einkommensverteilung natürlich zugunsten der Arbeiter ausfallen. Und wie reagiert unser Ingenieur, wenn er merkt, dass seine Leistung nicht so anerkannt wird, wie er es sich erhofft hat? Ihn wird der Ehrgeiz irgendwann verlassen, er wird versuchen, seine Leistung der Bezahlung angepasst zu gestalten, also wird er möglichst wenig tun. Wenig zu arbeiten hat bekanntlich auch einen großen Vorteil: Man macht weniger Fehler und ist dadurch weniger angreifbar. Irgendwann reduziert der Ingenieur seine ganze Arbeit auf Routinen, vor allem auf solche, die auf die Nichtkundigen, zu denen auch die Mitglieder der Geschäftsführung gehören, einen Eindruck der engagierten Arbeit vermitteln. Es ist so, dass die Geschäftsführung dieses Spiel zwar durchschaut, aber sie wird nichts beweisen und nichts dagegen tun können. Man kann nicht jemandem vorwerfen, ihm sei etwas nicht eingefallen, weil man dann wissen müsste, was dem Betreffenden hätte einfallen sollen oder müssen. Doch dann könnte man ihn ja einfach beauftragen, dies zu tun. Was dann übrig bleibt, ist, jemanden als Mahnung für die anderen zu bestrafen, aber die Wirkung solcher Maßnahmen ist sehr gering. Dann hat man die Schöpfer des neuen technischen Wissens endgültig demotiviert. Und so ist es in den kommunistischen Wirtschaften gelaufen. Als es deutlich wurde, dass sich die Wirtschaft nicht auf das eigene technische Wissen verlassen kann, hat die Nomenklatur versucht, sich dieses vom kapitalistischen Feind zu besorgen. Aber der Klassenfeind war auch nicht so naiv, dies nicht durchzuschauen. Er konnte vieles unternehmen, sich gegen die Industriespionage zu schützen und so den Preis für die Aneignung der neuen Technologien hochtreiben. Das musste in den kommunistischen Gesellschaften auf Kosten des Konsums der ganzen Bevölkerung gehen, die das nicht lange ertragen konnte und wollte, so dass das System zusammenbrach - fast ohne Seufzer.
Mit unserem Beispiel ließ sich die Problematik der Bereitstellung („Produktion“) der neuen Produktionsmethoden (technisches Wissen) verdeutlichen. Wie bereits festgestellt, hat Smith diese Problematik übersehen, aber seine Konzeption der marktwirtschaftlichen Ordnung hat dieses Problem trotzdem gelöst.
Der Konkurrenz- bzw. Nachfragepreis als Geburtshilfe des technischen Wissens
Es kann auf den ersten Blick seltsam erscheinen, dass Smith mit seiner Konzeption der marktwirtschaftlichen Ordnung auch ein Problem löste, das ihm selbst gar nicht bewusst war. Es steht aber kein unerklärliches Geheimnis dahinter, sondern eine simple Tatsache. Die Konzeption der Marktwirtschaft von Smith war nicht vollendet. Smith hat, wie wir es heute sagen würde, eine analytische Grundlage für ein neues Paradigma entworfen und es gelang ihm noch, auf diese Grundlagen (axiomatische Basis) einige wenige Aufbauten zu stellen. Der Rest sollte später erledigt werden. So etwas ist ein ganz normaler Vorgang bei den Wissenschaften. Zuerst entsteht eine neue Vision, als eine Alternative zu den vorigen, die nur einen analytischen Rahmen festlegt und definiert. Dieser wird anschließend von der „normalen Wissenschaft“, um mit Thomas Kuhn zu sprechen, mit weiteren Inhalten gefüllt. Wir zeigen jetzt, wie in der Konzeption der marktwirtschaftlichen Ordnung das technische Wissen entsteht. Wir wiederholen in groben Zügen das bereits Gesagte über diese Konzeption.
Smith ging es um eine ökonomische Ordnung, die immer mehr Wohlstand produziert - für alle. Zuerst untersuchte er, nach welchen Regeln sich in einer solchen Ordnung die Preise (Tauschwerte) bilden sollen. Seine Preiserklärung war keine Suche nach dem geheimnisvollen Wert, die immer auf die Bestimmung der individuellen Leistung hinausläuft. Für ihn galt es als selbstverständlich, dass die Suche nach der individuellen Leistung eine unlösbare und damit unsinnige Aufgabe ist. Von den Preisen hat er „nur“ erwartet, dass sie die Steigerung der Produktion gewährleisten, die Gerechtigkeit sollte durch nachträgliche (sekundäre) Verteilung hergestellt werden. Der Preis, das kann man nie oft genug sagen, ist für Smith das, was sich durch die Befolgung bestimmter Regeln als Preis bildet. Zu den wichtigsten Regeln gehört das Recht des Käufers, die Güter vom billigsten Anbieter zu kaufen. Dieses Recht alleine würde jedoch nicht ausreichen, wenn der Käufer keine richtige Wahl hätte. Die Angebotsseite musste also gestärkt werden, damit der Käufer die Wahl hat. Dazu bedarf es einer zusätzlichen Regel, dass jeder alles produzieren und anbieten darf, was er will und kann. Damit werden die Anbieter entmachtet, wie es in keiner ökonomischen Ordnung je der Fall war. In der kommunistischen Wirtschaft konnte jedes Kombinat bzw. seine Geschäftsführung durch Beziehungen und Bestechung bei den Planern verschiedene Vorteile abgewinnen und damit seine Unfähigkeit kompensieren. Schließlich war nicht der wirkliche Erfolg entscheidend, sondern gute Beziehungen und Bestechung. So etwas gibt es heute auch in der realen Marktwirtschaft, wir bleiben jetzt aber bei einer perfekten Marktwirtschaft, in der sich der Anbieter oder Unternehmer nur auf sich selbst verlassen kann. Wie ist sein Verhalten?
In einer Marktwirtschaft, wie sie sich Smith vorgestellt hat, gehört das Kapital des Unternehmens dem Unternehmer. Er ist derjenige, der in das Unternehmen eigenes Geld investiert hat - oder das Geld der Sparer, für das er mit seinem privaten Vermögen haftet – und das er bei falschen Entscheidungen verlieren kann. Dann hat er versagt und seine ganze Existenz ruiniert. Das will er nicht zulassen. Er will mit dem investierten Geld auch Profite machen. Sonst würde er das Unternehmen verkaufen. Es gibt im Grunde nur zwei Möglichkeiten, den Profit zu steigern. Die erste dürfte dem Leser gut bekannt sein: Der Unternehmer ist berechtigt, Löhne zu senken. Dadurch lässt sich aber normalerweise nicht viel erreichen. Wenn er das durchsetzen kann, lassen sich Löhne auch in der ganzen Wirtschaft senken. Deswegen kann die Konkurrenz das ebenfalls tun und so verbessert sich die eigene Position auf dem Markt nicht. Die andere Möglichkeit Profit zu steigern ist, die Produktion auf eine sparsamere Produktionsmethode umzustellen oder ein Produkt herzustellen, das es noch nicht gibt und das die Menschen kaufen würden. Woher soll aber dieses Wissen kommen?
Der Unternehmer selbst kann ein einfallsreicher Mensch sein. Er kann auch seinen Arbeitern Belohungen dafür versprechen, ihm eine gute Idee vorzuschlagen, um die Produktionskosten zu senken oder die Produktionspalette zu verbreitern. (Solche Belohnungen gab es natürlich auch in den sozialistischen Betrieben.) Während der Ersten industriellen Revolution ist das neue technische Wissen auf eine solche Weise entstanden. Die Produktionsmethoden und die Produkte sind aber immer komplizierter geworden, so dass für das neue technische Wissen immer umfangreichere Bildung und Ausbildung nötig war. Dieses konnte systematisch nur in den Konstruktionsbüros, als Zusammenarbeit verschiedener Spezialisten, geschaffen werden. Aber wie schon gesagt, die Arbeit dieser Spezialisten lässt sich nicht normen. Wie kann man sie dann überhaupt kontrollieren und ihre Leistung fördern?
Dafür gibt es keine Rezepte. Der Unternehmer muss einfach seine Spezialisten gut kennen, wissen wem man was anvertrauen kann, wie man sie motivieren kann usw. Er wird sich bestimmt diese Mühe geben, weil dort über die Zukunft seines Unternehmens entscheiden wird, und damit auch über seine eigene Zukunft. Es wird nicht jedem Unternehmer gelingen, diese Aufgabe zu bewältigen. Dann wird sein Unternehmen irgendwann in Konkurs gehen. Für den Unternehmer wird das eine Katastrophe sein, für die Wirtschaft als Ganzes nicht. Die Unternehmen, denen es gelungen ist, das qualitativ neue technische Wissen zu erstellen, sind diejenigen die überleben. Das von ihnen geschaffene technische Wissen wird für die ganze Wirtschaft bzw. Gesellschaft nützlich sein. Sie sind diejenigen, die für die gleiche Güterproduktion weniger Produktionsfaktoren aus der Wirtschaft abziehen. Wenn ihr technisches Wissen von anderen kopiert wird, dann wird dieser Nutzen sogar noch steigen.
Das neoliberale Gleichgewichtsmodell: Keine Chance für das technische Wissen
In der ökonomischen Theorie, die sich nach Smith entwickelte, dominierten zwei angebotstheoretische Ansätze: Marxismus und Neoliberalismus. Wie schon angedeutet wurde in diesen Ansätzen das Wirtschaftswachstum und die Produktivitätssteigerung mit der Kapitalakkumulation erklärt. In der zum Dogma erstarrten marxistischen Theorie konnte sich daran nie etwas ändern. In der „bürgerlichen Ökonomie“ hat man sich schon Mühe gegeben, etwas zu tun. Was war das Ergebnis?
Ein endgültiger Abschied von der Kapitalakkumulation konnte in der neoliberalen Wachstumstheorie nicht in Frage kommen. Die ganze Theorie verdankt ihre ganze Existenz der Liebesdienerei bei den Reichen und als solche konnte sie das Sparen und die Kapitalakkumulation, die den Profit legitimieren, nicht als unwichtig erklären, nur weil sich dies empirisch so herausgestellt hat. Nebenbei bemerkt kann sich die seit drei Jahrzehnten propagierte Steuersenkung argumentativ nur auf das Sparen und die Kapitalakkumulation stützen. Nachdem sich aber die empirischen Untersuchungen als unerbittlich erwiesen haben und die (reale) Kapitalakkumulation in den entwickelten kapitalistischen Wirtschaften nie wieder zurückkam, musste man doch etwas tun. Kannst du deinen Gegner nicht besiegen, verbünde dich mit ihm - so sagt ein Sprichwort. Es gibt eine Möglichkeit, den Produktionsfaktor technisches Wissen auch für die Rechtfertigung des Reichtums auszunutzen: Indem man es mit Bildung gleichsetzt. Die Reichen können sich jede schulische Qualifikation leisten. Mit Geld lassen sich Diplome und Titel kaufen - wozu sonst hat man die teueren privaten Schulen und Universitäten? Mit solchen Diplomen und Titeln erwerben sich die Reichen das Recht, Positionen in den Firmen zu besetzen, die nur die eine Aufgabe haben, ihren Inhabern märchenhafte Einkünfte zu ermöglichen. Solche Menschen nennen sich dann Leistungsträger. Dazu kommen wir noch.
Die neoliberale Theorie ist aber von Anfang an eine sehr mathematische Theorie, in der nie einen Platz für das technische Wissen vorgesehen war. Was tun? Nun ist es so, dass man für die mathematischen Gleichungssysteme, aus denen die Wachstumsmodelle verfertigt sind, im Prinzip immer eine Möglichkeit für Erweiterungen finden kann. Man konnte also die neoliberalen Modelle mit einer neuen Variable erweitern, die man als technischen Fortschritt bezeichnet. Ein kleines Problem hat aber diese Idee, weil man nämlich nicht weiß, wie man den technischen Fortschritt messen kann. Man hat sich dann Folgendes ausgedacht: Wenn man eine konkrete Wirtschaft untersucht, ihre tatsächliche Wachstumsrate sowie die Investitionen empirisch ermittelt, schreibt man den Rest, den man mit der Kapitalakkumulation nicht erklären kann, dem technischen Fortschritt zu. Bernhard Gahlen, der sich mit diesen neoliberalen Modellen eingehend beschäftigte bemerkte dazu ironisch:
„Jetzt wird der technische Fortschritt auf die Art und Weise eingeführt, daß die Unstimmigkeit der Theorie mit der Realität beseitigt wird. Die Differenz zwischen den tatsächlichen Wachstumsraten der partiellen durchschnittlichen Faktorproduktivitäten und den prognostizierten Wachstumsraten dieser Variablen wird dem technischen Fortschritt zugeschrieben ... Damit gelingt die Erklärung immer.
Hierzu führt Solow aus: „It will be seen that I am using the phrase „technical change“ as a shorthand expression for any kind of shift in the production function. Thus slowdowns, speedups, improvements in the education of the labor force, and all sorts of things will appear as „technical change“. (R. M. Solow, Technical Change and the Aggregate Production Function, a. a. O., S. 312) “ In dieser Aussage wird deutlich, daß der technische Fortschritt so definiert ist, daß er sämtliche Bestimmungsgründe des Outputs sowie der Durchschnitts- und Grenzproduktivitäten erfaßt, die nicht änderungen des Faktoreinsatzes sind. Damit verliert die vorliegende Theorie durch die Einführung des technischen Fortschritts ihren informativen Gehalt. Sie wird zur Tautologie.“
Warum wird es in den neoliberalen Modellen nie möglich sein, das Produktivitätswachstum theoretisch zu erklären? Das Modell stammt aus der klassischen Physik und ist nur für kontinuierliche Variablen ausgelegt, die sich im Prinzip untereinander beliebig kombinieren und austauschen (substituieren) können. Die grundlegende Eigenschaft des technischen Wissens ist aber, dass es Kombinationen von mehreren Produktionsfaktoren ist, so dass ein Austausch eines technischen Wissens („Produktionstechnik“) mit einem anderen diskontinuierlich ist. Es sind sprunghafte Änderungen, die sich nur mit Hilfe von technischen Koeffizienten analytisch bzw. mathematisch erfassen lassen, also nur im Rahmen des Kreislaufsmodells. Wie wesentlich die Unterschiede zwischen der neoliberalen und kreislauftheoretischen Produktivitätsanalyse sind und wie sich ihre Ergebnisse grundlegend unterscheiden, wurde bei der bekanten „Cambridge-Cambridge-Kontroverse“ besonders gut sichtbar.
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