Das neue Paradigma, das ich in den folgenden Beiträgen vorstelle, bezeichne ich als reale Nachfragetheorie. Warum real? Wenn man in der Wirtschaftswissenschaft „real“ sagt, wird nicht das gemeint, was dem üblichen Wortgebrauch entspricht. Real ist nicht das Gegenteil vom nur Gedachten oder Abstrakten. Es ist vor allem das Gegenteil vom „Monetären“. Unter real bringen die Ökonomen üblicherweise ziemlich alles unter, was nicht mit Geld direkt zu tun hat.
Weil sich aber real und monetär nicht immer klar trennen lassen, sind diese Begriffe in der Wirtschaftswissenschaft doch sehr schwammig - aber wen würde so etwas bitte in der Wirtschaftswissenschaft noch wundern? Deshalb werden wir uns mit der Bedeutung von real und monetär noch näher beschäftigen. Damit ist aber keineswegs gesagt, dass es auch Situationen gibt, bei denen sich klar und eindeutig bestimmen lässt, ob die betreffenden Größen als real oder monetär zu verstehen sind. In einer Wirtschaft etwa, in der es kein Geld gibt, also in einer „reinen Tauschwirtschaft“, wäre schließlich alles real. Deshalb wird eine solche hypothetische Wirtschaft im Folgenden als Erklärungsmuster für die reale Nachfragetheorie dienen. Für eine solche Wirtschaft, wie bereits erörtert, sollte das Saysche Gesetz uneingeschränkt gelten und ein Nachfragemangel und damit auch ein Ungleichgewicht unmöglich sein. Damit waren auch (fast) alle klassischen oder monetären Nachfrageökonomen einverstanden. Folglich haben sie eigentlich nicht das Saysche Gesetz direkt angegriffen, sondern die aus ihm gezogenen Schlussfolgerungen bzw. die abgeleitete Ordnung. Hier wird der Unterschied zwischen den klassischen und der von mir konzipierten realen Nachfragetheorie am deutlichsten. Ich bestreite nämlich die Gültigkeit des Sayschen Gesetzes schon im realen Bereich. Ich werde streng analytisch beweisen, dass das Gesetz auch in einer (hypothetischen) Marktwirtschaft ohne Geld nicht allgemein gültig ist.
Wenn das Saysche Gesetz schon im realen Bereich falsch ist, kann auch das Walras-Paretosche Gleichgewichtsmodell, das auch ohne Geld konzipiert ist, keine richtige Beschreibung der Marktwirtschaft sein. Das Modell kann höchstens - wenn man es ganz abstrakt nehmen will - eine richtige Beschreibung der Handlungen auf der Tauschebene abgeben. Der Tausch ist bekanntlich der methodische Mittel- und Bezugspunkt der ganzen Angebotstheorie, und auch hier ist die reale Nachfragetheorie eine paradigmatisch völlig andere. Sie beginnt methodisch mit der realen Analyse der Produktion und erst im Nachhinein, in weiteren Stufen, wird sie systematisch auch auf andere ökonomische Bereiche ausgeweitet. Damit unterscheidet sich die reale Nachfragetheorie auch von den klassischen Nachfragetheorien - die Keynessche eingeschlossen -, die sich hauptsächlich mit dem Geld beschäftigen. Dies wird auch schon durch ihre Bezeichnung als „real“ hervorgehoben.
In methodischer Hinsicht haben also die neoliberale und Keynessche Theorie die frühliberale Lehre (Politische Ökonomie) buchstäblich auf den Kopf gestellt. Bei Adam Smith und einigen seiner wichtigsten Nachfolger ist die Produktion der Ausgangspunkt der theoretischen Überlegungen. Dann hat man aber diese methodisch an den Rand gedrängt, was nach meiner festen Überzeugung eine der wichtigsten Ursachen dafür ist, dass die Wirtschaftswissenschaft zwei Jahrhunderte kaum Erfolge erzielt hat. Sollte die ökonomische Theorie wieder einmal eine seriöse Wissenschaft werden, müssen wir zurück zur Produktion.
Wie lässt sich aber die Produktion zum Bezugspunkt der ökonomischen Analyse machen? Meine Antwort ist das Kreislaufmodell. Es ist übrigens das einzige authentische quantitative Modell der ökonomischen Theorie und es ist auch viel älter als das partikel-mechanische, das man bei der klassischen Physik abgekupfert hat. Es war noch François Quesnay (1694-1774), ein französischer Arzt und Begründer der physiokratischen Schule der Ökonomie, der es in die ökonomische Theorie eingeführt hat. Dies war interessanterweise noch viel früher, als die Naturwissenschaften begonnen haben, die kreislauftheoretischen Modelle (in der Thermodynamik, Elektrotechnik, ...) zu nutzen und zwar mit großen Erfolgen. Aber das ursprüngliche Kreislaufmodell (1758), auch wenn es am Anfang für Furore gesorgt hat, war trotzdem kein besonderer Erfolg. Es hinkte nämlich mit seinen Intentionen seiner Zeit hinterher. Quesnay wollte mit ihm die stationäre ländliche Wirtschaft mit kleinen Manufakturen erklären und verewigen. Wie man das Modell auf eine industrielle Wirtschaft anwenden könnte, in der das Wachstum, das Sparen und die Kapitalakkumulation stattfinden, ist vorerst keinem Bewunderer dieses Modells eingefallen. Ein Jahrhundert später hat Marx hier sein Glück versucht und alles ordentlich vermasselt. Nicht nur weil er in der Mathematik ein Stümper war, sondern weil diesem Modell damals noch leistungsstarke mathematische Methoden fehlten. Sie wurden erst später entwickelt. Gerade hier habe ich mit einigen Innovationen dazu beigetragen, dass das Kreislaufmodell zur Grundlage einer paradigmatisch völlig neuen ökonomischen Nachfragetheorie dienen könnte.
Ich werde aber in den folgenden Beiträgen diese Methoden, die mathematisch anspruchsvoll sind, weitgehend im Hintergrund halten, damit alles, was ich sagen werde, auch für einen Nichtmathematiker verständlich bleibt. Der Bezugspunkt meiner Erklärungen wird ein einfaches Musterbeispiel sein, was an sich für den Websitebesucher nichts Neues sein wird, weil ich auf die gleiche Weise auch bei den anderen ökonomischen Lehren bzw. Paradigmen vorgegangen bin. Erst in besonderen Beiträgen - worauf ich immer im Voraus aufmerksam machen werde - werde ich die einfachen Erklärungen zusätzlich analytisch vertiefen und ausarbeiten, und zwar in einer strengen mathematischen Sprache, so wie es sich die versierten Mathematiker wünschen.
Diesmal wird das illustrative Beispiel eine Geschichte über einen Bauern sein. Damit knüpfe ich an die Idylle des feudalen französischen Dorfes an, die Quesnay damals in seinem Kreislaufmodell verewigen wollte. Der Bauer, so wie es das nächste Bild schildert, baut Weizen an.
Eigentlich spricht dieses Bild schon für sich. Um genau das hervorzuheben, was uns später besonders interessieren wird, erzähle ich jetzt die kurze Geschichte, die sich aus dem Bild unmittelbar ergibt. Unserem Bauern geht es natürlich darum, das Brot zu haben, um seine Familie ein Jahr lang zu ernähren. Brot ordnet der Ökonom den Konsumgütern zu. Für das Brot braucht man Weizen, den man anbauen muss. Dafür benötigt unser Bauer Saatgut und die Kraft seiner Hände. Dies ist mit dem linken Balken dargestellt. Das Saatgut würde man in der ökonomischen Sprache als Produktionsgut oder Kapital bezeichnen.
Das Saatgut besitzt der Bauer deshalb, weil er nicht die ganze Ernte des vorigen Jahres zu Brot gemacht hat. So betrachtet, ist unser Bauernhof eine kleine Wirtschaft, die mit den Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit eine bestimmte Menge von Produktions- und Konsumgütern produziert. Diese Gesamtproduktion der „Wirtschaft“ ist mit dem rechten Balken dargestellt. Auf gleiche Weise kann unser Bauer Jahr ein, Jahr aus wirtschaften - im Prinzip unendlich lange. Der Fachmann bezeichnet dies als stationären Zustand.
„Eine Wirtschaftsgesellschaft ist stationär, wenn sich die Determinanten des Wirtschaftsprozesses, die sog. Daten, konstant verhalten. Daten sind: die Größe der Bevölkerung, die Bedürfnisse, die Gütervorräte (das sog. „Kapital“), die technischen Koeffizienten, die rechtliche und soziale Ordnung und die Wirtschaftspolitik.“
Wir wollen es aber nicht beim stationären Zustand belassen. Deshalb nehmen wir im nächsten methodischen Schritt an, dass unser Bauer Im Jahre t+1 seine Anbaufläche vergrößert hat - ohne zu fragen wie und warum. Damit der Bauern genug Saatgut für die ganze Anbaufläche hat, bleibt ihm nichts anderes übrig, als in diesem Jahr weniger Brot zu backen - also seinen Konsum zu verringern. Aber schon im Jahre danach (t+2) hat sich dies ausgezahlt. In diesem und allen darauf folgenden Jahren wird er mehr als früher konsumieren können. Mit dem nächsten Bild wird dies veranschaulicht.
Die Weizenmenge, die beim Bauern während der Reproduktionsperiode t+1 vorerst noch für den Konsum vorgesehen war, schließlich jedoch als Saatgut (Produktionsgut) verwendet wurde, bezeichnet man als Ersparnis. Weil dieses Ersparnis tatsächlich produktiv verwendet worden ist, würde der Ökonom es zugleich auch als Investition und Kapitalakkumulation bezeichnen.
Damit haben wir unser Beispiel fürs Erste zu Ende gebracht. Es war alles an ihm einfach, auch seine charakteristischen Vorgänge mit Fachausdrücken zu versehen, weil diese auch weit verbreitet sind und von vielen Menschen, nicht nur von den Fachökonomen, richtig gebraucht werden. Alles was wir uns in dieser kurzen und einfachen Geschichte ausgedacht haben, hatte aber vor allem den Zweck, den Begriff des Sparens näher zu erläutern und zu definieren, genauer gesagt das reale Sparen. Deshalb wollen wir jetzt in einer kurzen Zusammenfassung ausdrücklich darauf hinweisen, warum das Sparen in unserem Beispiel real ist bzw. was man unter dem realen Sparen allgemein verstehen kann:
Die Sparsumme als eine Menge von Saatgut und damit als eine Größe, die sich in natürlichen Einheiten (kg oder l) quantitativ genau messen lässt, kann offensichtlich nur eine reale Größe sein. Das Sparen ist im betrachteten Fall auch deshalb real, weil dieser Weizenmenge eine bestimmte Menge von nicht mehr gebackenem und gegessenem Brot entspricht: einem Gürtel-enger-Schnallen und zwar ein Jahr lang. Dieses eine Jahr des Wartens ist genauso eine in Zeiteinheiten real messbare Größe, so dass die Ökonomen auch das Warten in ihre Fachsprache aufgenommen haben (Nassau W. Senior, 1790-1964). Des Weiteren ist das Sparen in unserem Fall auch deshalb real - was ökonomisch von besonderer Bedeutung ist -, weil es dem Bauern ermöglicht, in der Zukunft mit einer größeren Menge von Saatgut oder Produktionsmitteln zu verfügen bzw. zu wirtschaften. Die Wirtschaft hat also in unserem Fall ihre Kapitalmenge oder anders gesagt den Kapitalstock real vergrößert. Schließlich liegt in dieser eingesparten Saatmenge auch eine entsprechende Arbeitsmenge oder Leistung, die auch eine reale Größe ist.
Nun hat uns unser Beispiel die Bedeutung der wichtigsten realen Begriffe einer Wirtschaft näher erläutert, so dass wir jetzt die Eigenschaften der Wirtschaft in verschiedenen Situationen untersuchen können. Ich werde mir alle Mühe geben, jeden neuen Gedankengang immer in Bezug zu der einfachen Konstellation dieses illustrativen Musterbeispiels zu setzen.