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  Mr. Phelps, wie viel Idiotie darf sich die neoliberale „Wissenschaft“ leisten?
 
 
Es kann auch nicht als ein reiner Zufall betrachtet werden, dass im Durchschnitt der Ökonom den Nobelpreis bekommt, wenn er schon fast siebzig Jahre alt ist; in keiner anderen Disziplin sind die Preisträger so alt. Der Ökonom muss sich offensichtlich erst als neoliberaler Kämpfer erwiesen haben. Nicht weniger bemerkenswert ist auch, dass die „Nobelpreisträger“ in der Ökonomie mit seltenen Ausnahmen immer aus den USA und Großbritannien stammen - aus den traditionell liberalsten Ländern. Ein Laie würde gleich annehmen, dass diese Länder, wo an fast jeder Ecke ein Nobelpreisträger oder zumindest ein weltbekannter Ökonom wohnt, eine ökonomische Krise kaum je ausbrechen würde. Aber gerade dort, wo man drei Jahrzehnte lang nach den Weisungen und mit dem Segen dieser wirtschaftstheoretischen „Kapazitäten“ die „nötigen“ Reformen am konsequentesten durchführte, stand im Jahre 2008 auf einmal das ganze Finanzsystem am Abgrund. Nicht nur die Nobelpreisträger, die sich mit allgemeinen Prinzipien und Gesetzen nur theoretisch und abstrakt befassen, sondern auch die unzähligen Praktiker wie Wirtschaftsweisen, Kontrolleure, Analysten, Inspektoren, Steuerfahnder und Politiker, ahnten nicht einmal einen Tag davor, was geschehen würde. „Why did nobody notice it?“ soll Queen Elisabeth II gefragt haben, als sie im November 2008 die London School of Economics besuchte, aus der ein Viertel der Nobelpreisträger in der Wirtschaftswissenschaft stammt.
 
    Paul Simek , Marktwirtschaft neu denken, 528        

Im Jahre 2006 erhielt Edmund S. Phelps den Nobelpreis. Seine Arbeiten haben angeblich „signifikant zur Verbesserung der Theorie des makroökonomischen Politik-Designs beigetragen“. Das Wort „Design“ ist sehr passend. Die erste Design-Verbesserung von Phelps ist, dass er „die Phillips-Kurve beerdigt hat“ (1), so der Ausruf der Freude des deutschen neoliberalen Bullterriers Straubhaar. Die zweite Design-Verbesserung war die Entdeckung der „goldenen Regel“ der Kapitalakkumulation (2).

1: Zur „Beerdigung“ der Phillips-Kurve

Alban Phillips (1914 - 1975) veröffentlichte 1958 eine empirische Untersuchung im Journal Economica, die einen inversen Zusammenhang zwischen der Arbeitslosenquote und der Wachstumsrate der Nominallöhne im Vereinigten Königreich zeigt. Plump ausgedrückt: mehr Inflation, weniger Arbeitslose. So etwas konnte den neoliberalen Ökonomen - also den geistigen Söldnern der Reichen - nur ein Dorn im Auge sein. Kein Wunder also: In den späten 1960er Jahren griffen Milton Friedman und Edmund S. Phelps unabhängig voneinander die „Phillips-Kurve“ an. Nebenbei bemerkt: Der Name „Phillips-Kurve“ klingt besser als etwa Philips-Statistik oder Phillips-Korrelation, denn das Wort „Kurve“ weckt keine Assoziation mit der Empirie, die hinter dieser Untersuchung tatsächlich steckt - sie war keine „theoretische“, sondern eine empirische Entdeckung. Nun haben Friedman und Phelps angeblich nachgewiesen, dass die „Phillips-Kurve“ „langfristig“ nicht gelten soll. Stimmt das aber so? Nur zum Teil. Wenn der Staat viel Geld druckt und es an der falschen Stelle ausgibt - so wie es die Keynesianer hautpsächlich gemacht haben - schwächt sich die Korrelation ab.dorthin Was sollte das nach der neoliberalen Weltverklärung bedeuten? Nichts mehr als: Wenn die „Phillips-Kurve“ nicht immer gilt, dann heißt das, dass sie ganz falsch ist. Die Phillips-Kurve sei falsifiziert, würde Popper triumphierend sagen – der Meisterdenker des heute bekannten blutrünstigen neoliberalen Weltrevolutionär Soros. Wenn es um die neoliberale Theorie geht, ihre grundtief falsche empirischen Ergebnisse und Prognosen sind nur die „schwarzen Schwäne“, die die Theorie bestätigen: „Ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode“ - so schon damals William Shakespeare. Indem damit bewiesen ist, dass die „Phillips-Kurve“ nicht immer stimme, solle dies der felsenfeste Beweis sein, dass Arbeitslosigkeit nicht „ungewollt“ sein kann. Also kann jeder Arbeitslose in der freien Marktwirtschaft nur selbst schuld sein, wenn er arbeitslos wird. Und wenn die Wirtschaftspolitik nach der „Phillips-Kurve“ nur unnötig Inflation produziert, dann soll der Staat (bzw. die Notenbank) nicht mit irgendwelchen Ausgaben versuchen, die Arbeitslosigkeit zu senken. Es gebe angeblich so etwas wie eine „natürliche Arbeitslosenquote“. Nebenbei bemerkt, haben Phelps und Friedman diese „natürliche Arbeitslosenquote“ praktisch gleichzeitig „entdeckt“.

2: Zu der „goldenen Regel“ der Kapitalakkumulation

Phelps hat schon 1961 Begriff „goldene Regel“ der Kapitalanhäufung durch Ersparnisbildung (Kapitalakkumulation) „entdeckt“. Diese angebliche Entdeckung wird im Wirtschaftslexikon etwa so formuliert: „Weil ein dauerhafter Zustand bestimmt werden soll […]  das höchste Pro-Kopf-Einkommen (und damit den größtmöglichen Konsum) in einem Land bewirkt […] ist es weder sinnvoll, das komplette Einkommen eines bestimmten Zeitraum zu sparen und damit einen maximalen Kapitalbestand zu schaffen, noch das komplette Einkommen eines bestimmten Zeitraum für Konsum einzusetzen und damit den Kapitalbestand weder zu erneuern noch zu erhöhen. […] Ist die Sparquote in einer Volkswirtschaft geringer als die Kapitaleinkommensquote, muss sie erhöht werden, ist sie höher, muss sie gesenkt werden.“ Das verschlägt einem den Atem. Plump ausgedrückt hat uns Phelps zu sagen: Es ist nicht gut, zu viel zu sparen und zu investieren und es ist auch nicht gut, zu wenig zu sparen und zu investieren. Darauf muss man erst einmal kommen! Man möchte zynisch nachfragen, ob für eine so geniale „Entdeckung“ nur ein „Nobelpreis“ genügt, oder es eher zwei sein sollten?

Seine nobelpreisschwere "Entdeckungen“ hat Phelps in den 1970er Jahren gemacht, also als die neoliberale Konterrevolution stattfand und bald siegte. Die Marktwirtschaft wurde seitdem immer mehr von den „staatlichen Fesseln“ befreit, Gewerkschaften wurden zerschlagen oder korrumpiert (in Deutschland), die Reichen von „ungerechten“ und „hemmenden“ Steuern befreit, Sozialsysteme abgebaut …   Nun stand dem Neoliberalismus nichts mehr im Wege, das ökonomische Wunder zu vollbringen, das das „goldene Zeitalters des Kapitalismus“, in dem man angeblich irrtümlich an die keynesianische Theorie glaubte, in den Schatten stellen sollte. Was ist wirklich geschehen?

Eine kurze Geschichte der neoliberalen Konterrevolution

 Die Arbeitslosigkeit im Westen sank nie wirklich, sondern wurde nur durch immer neue, kreative Tricks der Statistiker kleingerechnet. Die reale Wachstumsrate hat sich halbiert, wobei auch dieses Ergebnis nicht wenig mit der kreativen Statistik zu tun hat. Man wollte das Wachstum nun nicht mehr quantitativ messen, sondern „qualitativ“. Plump erklärt: Wenn die Bildschirme von den Handys doppelt groß werden, dann hat sich ihr ökonomischer Wert bzw. Sozialprodukt verdoppelt.

Aber auch die zahlreichen statistischen Methoden - nur hier sind die neoliberalen Ökonomen wirklich kreativ -  konnten etwas Entscheidendes nicht vertuschen. Vor allem hat sich nach der „Befreiung“ der Wirtschaft vom Staat die Produktivitätssteigerung sehr verlangsamt. „Zwischen 1950 und 1973 wuchs die europäische Produktivität um 4,44 Prozent, die amerikanische um 2,68, von 1973 bis 2000 nahm sie in Europa um 2,4 Prozent zu, in den USA um 1,37 Prozent.“ ... > Das Wunder, das die neue ökonomisch Freiheit schaffen sollte, ist hier offensichtlich ausgeblieben. Was viel Phelps hierzu ein? Richtig! Der Markt sei immer noch nicht frei genug! Das verhindere die Innovationen. „Die meisten Firmen sind stolz darauf, ihre Produkte graduell zu verbessern. Aber wirkliche Innovationen sind eher rar“ - meint er. Sein Urteil bleibt deshalb: „Deutschland braucht eindeutig mehr Kapitalismus als weniger.“ dorthin

Phelps fiel noch eine geniale Erklärung ein, dass nämlich die fehlenden Innovationen mit der geistigen Trägheit der Beschäftigten zu tun hätten. Und zwar - typisch neoliberal - weil es den Beschäftigen zu gut gehe. „Die Regierungen [in der EU] haben es sich zur Hauptaufgabe gemacht, die Menschen zu behüten und soziale Sicherheit zu organisieren, statt Innovationen zu fördern. Da geht der Wettbewerbsgedanke komplett verloren. Eine solche Haltung dämpft jeglichen Pioniergeist. Ambition, Ausdauer und Abenteuerlust kommen abhanden. Das hat mit gutem Leben nichts zu tun.“. Voilà! dorthin

Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass Phelps selbst praktische Schritte übernommen hat, die Innovationen zu fördern. Um die behüteten und rundumversorgten, also die bequem und faul gewordenen Beschäftigte zum innovativen Denken zu animieren, hat er die Bewegung „Mass Flourishing Finland“ ins Leben gerufen. Das Wesen seiner originellen Idee: Alle Angestellten sollen große Philosophen lesen: Aristoteles, Cervantes, Montaigne …

In einem Interview dorthin fragte ihn Die Welt:

„Und am Ende hat vom Manager bis zur Kassiererin im Supermarkt jeden Tag Spaß an der Arbeit und blüht auf?“

Phelps Antwort: „Sie werden lachen. Wir haben beispielsweise im Baugewerbe bereits gute Erfahrungen gemacht. Ein Maurer hat sich ein neues Verfahren für die Arbeit mit Mörtel und Steinen ausgedacht und hat nun viel mehr Freude am Job. Mehr solcher Beispiele werden folgen.“

Ich weiß nicht ob Die Welt lachen konnte. Mir fällt nur eins ein:  So etwas Dummes und Albernes ist sonst wohl nur den chinesischen Kommunisten während der Kulturrevolution eingefallen.

Und wie war das mit dem Ausbruch der großen Krise im Jahr 2008?

Was die Entdeckung der „goldenen Regel“ der Akkumulation betrifft, fragt man sich, wozu eine solche Regel überhaupt gut sein soll, wenn es doch bei den Neoliberalen heißt, dass die freie Marktwirtschaft dank der „unsichtbaren Hand“ immer von allein absolut stabil funktioniert. Nun brach 2008 die Konjunktur weltweit zusammen. Wie reagierte Phelps darauf?

Hier ist eine allgemeine Überlegung angebracht. Wäre Phelps ein Deutscher, hätten alle diese Tatsachen bei ihm nicht einmal ein müdes Lächeln hervorgerufen. Es gehört bekanntlich zum deutschen Wesen, dass man die eigene Auffassung, zu der man mit reiner apriorischer Vernunft gelangte, nie wegen der Tatschen ändern würde. Der deutscheste aller deutschen Philosophen, nein, nicht Kant - der war nur der Beginn -, sondern Hegel, droht sogar unverhohlen den Tatsachen, wenn sie sich den angeblich tiefer gehenden Erkenntnissen der Philosophie nicht bedingungslos unterwerfen würden: „Desto schlimmer für die Tatsachen.“ Daran hat sich bisher nichts geändert. Hayek war auch ein Deutscher und wenn es Probleme mit den Tatsachen gibt, begeben sich seine Jünger auf die Jagd nach dem schwarzen Schwan. Und wie man weiß, finden sie immer einen. Aber Phelps gehört zur Nation der Händler und Krämer - so bezeichnet man sie bekanntlich in Deutschland, deshalb hat er sich die Tatsachen angeschaut und die haben ihm zu denken gegeben. Nein, eine Wende vom Saulus zum Paulus fand bei ihm nicht statt, das lässt sich von einen Neoliberalen nun doch nicht erwarten. Aber diese Aussagen sind doch interessant:

          „Wenn jemand anfängt, über diese Krise [2008] zu reden, als ob es eine Finanzkrise wäre, dann gerät er ziemlich schnell in Erklärungsnöte, weil es keine ist. Damals brach die Nachfrage ein. dorthin  

Irgendwie hat er auf einmal einen Keynesianer in sich entdeckt. Aber damit nicht genug. Zu der aktuellen Lage sagte er:

          „Es könnte sein, dass die Situation so schlimm wird, dass die Regierung für eine Weile die Kontrolle von einigen Unternehmen übernehmen muss. dorthin  

In einem Interview „New York Times“ stellte er fest:

          „Ich bin heute weniger von dieser Theorie der natürlichen Rate der Arbeitslosigkeit beeindruckt.  

Sie sind auf dem richtigen Wege, Mr. Phelps:

    • Hoffentlich wird jemand ihnen mitteilen, dass es schon längst die sogenannte Reswitching-Analyse gab, die erklärt, dass nichts so sehr die Produktivitätssteigerung antreibt als hohe Löhne. Nach der Ausplünderung der Arbeiterklasse und der jahrzehntelangen Lohndrückerei konnte man nichts anderes als nur eine dürftige Produktivitätssteigerung erwarten.
    • Ja, Recht haben Sie, wenn Sie sagen die Krise 2008 war eine Nachfragekrise. Die freie Marktwirtschaft bricht wegen der fehlenden Nachfrage periodisch zusammen. Dazu muss man die Theorie der Marktwirtschaft auf andere Grundlagen stellen. Die Wirtschaftswissenschaft braucht nichts weniger als ein Paradigmenwechsel. Aber keine Sorge, der ist möglich.

 

     
Keywords und Lesehinweise  
#Reswitching  
 
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Das Reswitching: Der letzte Sargnagel für die neoliberale Produktionstheorie lesen
Die „organische Zusammensetzung des Kapitals“: Marx' kapitaler Irrtum  lesen
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Marktwirtschaft neu denken: Teil I, Kapitel 4.2b  
 
     
#Neoliberalismus  
 
Ausführliche Fachartikel auf der Website:  
Der Neoliberalismus - ein ideologischer Verrat an Liberalismus und Wissenschaft lesen
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Marktwirtschaft neu denken: Teil I, Kapitel 1.3  
 
     
#Der real existierende Kapitalismus: seine zyklischn Krise und Kriege  
 
Ausführliche Fachartikel auf der Website:  
Die wellenförmige Funktionsweise der (laissez-faire) Marktwirtschaft lesen
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Marktwirtschaft neu denken: Teil I, Kapitel 4.3b  
 
     
     
 
 
 
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