In der neoliberalen Theorie ist das Geld „neutral“. Einfach gesagt hat das Preisniveau demnach gar keinen Einfluss auf die reale Wirtschaft. Dann wäre es fast sinnlos zu fragen, warum dann die Preise nicht dauerhaft konstant sein sollen. Wie man das erreicht, sagt die Quantitätstheorie des Geldes. Es ist bemerkenswert, dass die ersten Vertreter der Quantitätstheorie keine Ökonomen waren. Die Grundidee stammt von dem Staatstheoretiker Jean Bodin (1529-1596). Die erste klare Formulierung der Quantitätstheorie stammt von dem englischen politischen Philosophen John Locke (1632-1704), der aufbauend auf Bodin den Begriff der Umlaufgeschwindigkeit einführte - dazu kommen wir gleich. Dieses Konzept wurde von David Hume (1711-1776) weiterentwickelt. Das „Patentrecht“ auf die Quantitätstheorie wird allerdings ungerechtfertigter Weise dem Ökonomen Irving Fisher (1867-1947) zuerkannt. Vielleicht darum, weil er die Quantitätstheorie als mathematische Formel formuliert hat:
P = V × M / Y
Die Variablen „P“ sind Preise und „M“ die Geldmenge. Die Formel sagt, dass die Preise proportional zur Geldmenge sind. Die Geldmenge kann natürlich keine absolute Größe sein. Sie kann nur relativ auf die Größe der Wirtschaft bezogen werden, also auf die Gütermenge „Y“, die in der obigen Formel durch das Geld vermittelt wird. Die vierte Größe, die als „V“ bezeichnet wird, ist bildlich gesprochen das Ass oder noch besser gesagt Joker im Ärmel der Verteidiger der Quantitätstheorie des Geldes. Kurz erklärt:
Das Symbol „V“ kommt von velocitas (Geschwindigkeit auf Latein). Hiermit ist die Geschwindigkeit bzw. Umlaufgeschwindigkeit des Geldes gemeint. Man kann sich darunter in der Tat etwas vorstellen, was einen richtigen Sinn ergibt. Das Geld wechselt bekanntlich ständig seine Besitzer, aber nicht immer gleich oft bzw. geschwind. Die Besitzer geben ihr Geld manchmal schneller und manchmal langsamer aus. Das lässt sich nicht bestreiten. Es wäre sinnvoll anzunehmen, dass sich durch die Gewohnheiten des Volkes eine Umlaufgeschwindigkeit bildet, die sich im Laufe der Zeit nur langsam ändert. Trotzdem ändert sie sich der Theorie zufolge manchmal in kurzer Zeit drastisch. Doch woher kann man das wissen? Die überzeugten Verfechter der Quantitätstheorie sagen, wen sich die Preise „P“ plötzlich geändert haben, die Größen „M“ und „Y“ aber kaum, dann muss das der Formel zufolge an der Umlaufgeschwindigkeit „V“ liegen. Die Mathematik kann doch nicht lügen! Ein Schelm also, wer an der Formel selbst zweifeln würde. Wirklich?
Ein echter Wissenschaftler würde fragen, ob man mit der Formel die Bewegung der Preise vorhersagen kann. Von wegen! Die Prognosen auf Basis der Quantitätstheorie haben sich immer genauso exakt erwiesen, wie es die altbekannte, ironisch gemeinte Bauernregel sagt: „Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter, oder es bleibt, wie es ist.“ Schließlich wurde im Lauf der Zeit unermüdlich an der Bestimmung und Messung der Umlaufgeschwindigkeit herumgedoktert, jeder neue „wissenschaftliche Durchbruch“ hat sich nach der nächsten verfehlten Prognose als Makulatur erwiesen. So hat auch Friedman für sein Herumbasteln an der Quantitätstheorie den „Nobelpreis“ für Wirtschaftswissenschaft bekommen. Nachdem sich die Preise hartnäckig weigern, die anwachsende Quantitative Lockerung (QL) wahrzunehmen, hat sich auch sein „wissenschaftlicher Durchbruch“ als dummes Zeug erwiesen. Zurück mit dem „Nobelpreis“ und dem dazugehörigem Geld, Herr Friedman!
Bedeutet das aber nun, dass die Geldmenge die Preise gar nicht bestimmt? Hume war doch einer der bedeutendsten empirischen Philosophen und als Vordenker der Quantitätstheorie ist er doch von Tatsachen ausgegangen: „Nach den genauesten Berechnungen, die in ganz Europa gemacht worden sind, stellt man … fest, daß die Preise aller Dinge seit der Entdeckung Amerikas nur um das drei- oder höchstens um das vierfache gestiegen sind. Doch will jemand behaupten, daß es nicht mehr als viermal so viel Hartgeld in Europa gäbe wie im 15. Jahrhundert und den Jahrhunderten davor? Spanier und Franzosen bringen aus ihren Minen, Engländer, Franzosen und Niederländer durch ihren Handel mit Afrika und ihre Schleichhändler in Amerika jährlich fast sechs Millionen nach Hause, von denen nicht mehr als ein Drittel nach Ostindien fließt. Allein diese Summe würde wahrscheinlich in zehn Jahren den alten Bestand an Geld in Europa verdoppeln“ Politische und ökonomische Essays, S. 216. Die Geldmenge ist zweifellos ein wichtiger Faktor der Preise bzw. Preissteigerung (Inflation), aber nicht der einzige, auch nicht der entscheidende. Der zweite, zumindest nicht weniger wichtige Faktor ist der Nachfragemangel. Jetzt wird gezeigt, dass mit Berücksichtigung des Nachfragemangels erklärt werden kann, warum die Quantitative Lockerung (QL) nicht zu einer sich immer mehr beschleunigenden Inflation führt. Und es liegt auch nicht daran, dass sich etwas zeitlich verschoben hat, dass es sich um eine „zurückgestaute Inflation“ handelt, ein Denkmodell, mit dem man hofft, die Quantitätstheorie zu retten. Das folgende Bild soll uns die Erklärung für die ausgebliebene Inflation trotz der explodierenden Geldmenge erleichtern.
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Unten links wird dargestellt, wie der Staat der Wirtschaft das Geld schenkt. Etwas genauer gesagt: Die Notenbank bzw. Zentralbank (ZB) rettet die Banken, die Banken retten durch den Staat die Wirtschaft. In unserer Wirtschaft bzw. dem numerischen Beispiel ist die Nachfragelücke (40) im Sektor 3 entstanden, wie schon früher erklärt. Jetzt verfolgen wir die Wege des Geldes (QL) und erörtern seine Folgen.
Sektor 3 kann viele Firmen haben (A, B, C, D … N). Betrachten wir von diesen vielen Firmen nur zwei: A und B - bei den anderen ist nichts Besonderes passiert. Nehmen wir einfach an, die Firma A ist ein starker Monopolist (Global Player), das durch seine Lobbyisten Politiker korrumpiert hat und diese haben es aus seiner (angeblich oder tatsächlich) schlechten Lage (too big to fail) mit Subventionen im Wert von 40 gerettet. Das Unternehmen B ist gesund, aber insolvent, weil es einen Teil seiner fertigen Produktion im Wert von 40 nicht absetzen kann. Die durchtriebenen Manager des Unternehmens A haben die staatlichen Subventionen in ihre Einkünfte (40) umgewandelt und die „problematischen“ Güter von Unternehmen B gekauft.
Schlussfolgerung 1: Alle hergestellten Güter sind damit abgesetzt und der Nachfragemangel ist beseitigt. Die ganze Wirtschaft ist im Gleichgewicht.
Als die Firma B ihre Produktion nun vollständig abgesetzt hat, stellt sie auf einmal fest, dass sie einen Teil ihrer Einkünfte (40) für den Kauf der verbrauchten Produktionsgüter nicht ausgeben muss: Einfach deshalb, weil die von ihr verbrauchten Produktionsgüter um diese Summe billiger geworden sind. Man kann sich vieles ausdenken, was mit dem Geld der Firma B weiter passiert. Nehmen wir an, sie hat Staatsanleihen gekauft. Diese Annahme ist sinnvoll, da das heute offensichtlich eine gängige Praxis ist, was die Tatsache bezeugt, dass die Staatsschulden immer weiter wachsen.
In unserem numerischen Beispiel ist schon in der nächsten Produktionsperiode die Nachfrage gleich dem Angebot, da sich das Angebot preislich um 40 verringert hat. Sektor 3 wird im Folgenden Konsumgüter im Wert von 3960 herstellen und so groß werden auch die Nettoeinkünfte sein. Dem interessierten Leser wird es sofort einleuchten, wenn er sich das numerische Beispiel näher anschaut.
Somit könnte der Staat mit der Quantitativen Lockerung aufhören. Die Manager der Firma A konnten nur einmal die QL in ihre Einkünfte umwandeln, aber nicht mehr. Die Firma trägt seitdem in ihren Büchern Schulden im Wert von 40, aber das ist doch ihr Problem. So die Neoliberalen und mehr oder weniger explizit fügen sie hinzu: Die Firma sollte den sonst überbezahlten und faulen Arbeitnehmern die Löhne kürzen. Es sei nur gerecht, dass die Manager für ihre besondere „persönliche Leistung“ entlohnt wurden. Ja, das ist nach den Neoliberalen die beste aller Welten und wir sollen uns freuen, dass wir in ihr leben.
Schlussfolgerung 2: Das Geld, mit dem der Staat die Wirtschaft rettete – das der Firma B geschenkt wurde -, verlässt auf diese Weise die Wirtschaft, so dass es keine Inflation verursacht. Es gibt eine interessante lustige Geschichte, die diesen Fall etwas überzogen illustriert, in der das Geld unerwartet kommt und noch schneller verschwindet, aber paradoxerweise wie im Handumdrehen alle Schulden beseitigt. Diese Geschichte steht unten im Anhang.
Schlussfolgerung 3: Auch im monetären Gleichgewicht befand sich unsere Wirtschaft, wenn man sie im weiteren Sinne, und zwar zusammen mit dem Staat und den Banken betrachtet: Die Summe der Schulden ist ständig gleich der Summe der Guthaben („Ersparnisse“). Es gibt nirgendwo Päckchen oder Säcke voll mit dem gehorteten Geld, die irgendwann geöffnet werden und plötzlich eine „zurückgestaute Inflation“ hervorrufen könnten. Eine plötzliche Inflation könnte zu jeder Zeit entstehen, aber aus anderen und ggf. zusätzlichen Ursachen. Zum Beispiel wenn die Notenbank plötzlich die Geldmenge verringert, was nach Friedman im Jahre 1929 der Fall gewesen sei. Oder die Rentner würden plötzlich alle ihre Rentenfonds beim Staat auflösen und massenhaft Hamsterkäufe tätigen. Man könnte diese Inflationen beliebig benennen, auch als „zurückgestaute Inflation“, aber mit dem üblichen Sinne der Worte hätte das nichts zu tun.
Schlussfolgerung 4: Wenn der Staat das Unternehmen A später zwingen würde, seine Schulden zurückzuzahlen, würde das die gesamte Nachfrage um 40 verringern und womöglich einen entsprechenden Nachfragemangel in der Wirtschaft verursachen. Aber insbesondere von den Neoliberalen würde man das kaum erwarten. Für sie ist der Staat dann gut, wenn er die Schulden der Privatwirtschaft nicht eintreibt. Die „populistischen“ Politiker kämen damit angeblich auf den dummen Gedanken, das Geld aus der Leistung der Reichen unsinnig zu verschwenden: Etwa um mit ihm die Armen zu unterstützen oder es für öffentliche Güter auszugeben, die der ganzen Gesellschaft zugutekommen.
Schlussfolgerung 5: Wenn die Firma A - oder welche auch immer - mehr Subventionen bekommen hätte als der Nachfragemangel beträgt (40), könnte das Unternehmen B seine Preise erhöhen und Extraprofite erzielen. Das würde Inflation erzeugen. Vor allem dann, wenn sie den Extraprofit nicht sparen, sondern ausgeben würde.
Zusammenfassung:
Die Quantitätstheorie des Geldes nach der obigen Formel - das ganze Gelaber über die „Neutralität“ des Geldes und über die die erhöhte Geldmenge, die angeblich nur Inflation bringt (currency principle) - ist nichts weiter als eine ideologische Waffe, um die Knappheit des Geldes zu rechtfertigen, damit diejenigen, die das Geld haben, mit ihm als einem knappen Gut die Wirtschaft (Mittelstand und Arbeiter) erpressen und ausbeuten können. Damit das ganz legal (!) bleibt, hat man die so genannten „unabhängigen“ Notenbanken eingerichtet, die in einem Sinne zweifellos unabhängig ist: unabhängig vom Volk und den demokratischen Institutionen. Dort wacht die prätorianische Garde über das Geldmonopol der Reichen, möge sie die Wirtschaft dadurch auch zugrunde richten und dem Volk einen sozialen Genozid praktisch verordnen. Die QL erzeugt zwar keine (bedrohliche) Inflation, aber sie schafft soziale Ungleichheiten, wie man sie in der Geschichte kaum sonst je kannte, was schon genauer beschrieben wurde.
Anhang: Das Paradox des Geldes
Es ist ein trüber Tag in einer kleinen griechischen Stadt. Es regnet und alle Straßen sind wie leergefegt. Das Land ächzt unter der Wirtschaftskrise, jeder hat Schulden und leidet. Ein Tourist verirrt sich in diese Stadt und hält bei einem kleinen Hotel an, um zu übernachten. Er sagt dem Hotelier, dass er sich aber zuerst die Zimmer anschauen möchte, und legt als Kaution einen 100 Euro-Schein auf den Tresen. Der Eigentümer gibt ihm einige Schlüssel und dann geht’s los:
1. Als der Besucher die Treppe hochgegangen ist, nimmt der Hotelier den Geldschein, rennt zu seinem Nachbarn, dem Metzger, und bezahlt seine Schulden.
2. Der Metzger nimmt die 100 Euro, läuft die Straße runter und bezahlt den Bauer.
3. Der Bauer nimmt die 100 Euro und bezahlt seine Rechnung beim Tankstellenbesitzer.
4. Dieser gibt den 100 Euro-Schein dem Kraftfahrer, der ihm gerade Benzin liefert.
5. Der Kraftfahrer rennt zum Hotel und bezahlt seine ausstehende Zimmerrechnung mit den 100 Euro.
Der Hotelier legt den Schein wieder zurück auf den Tresen. In diesem Moment kommt der Reisende die Treppe herunter. Er nimmt seinen Geldschein und sagt, dass ihm keines der Zimmer gefällt und verlässt die Stadt.