|
Aufbau und Inhalt von Teil I:
Wie bereits im Vorwort angekündigt, werden in Teil I neue theoretische Grundlagen für die Analyse der Funktionsweise der Marktwirtschaft vorgestellt, die einen Paradigmenwechsel in der Wirtschaftswissenschaft einleiten sollen. Sinn und Zweck eines Paradigmenwechsel ist es - wie in jeder Wissenschaft - neue Ideen und Modelle zu entwerfen, um Tatsachen besser erklären und neue praxistaugliche Maßnahmen entwickeln zu können. Dass es überhaupt verschiedene Paradigmen in einer Wissenschaft gibt und ein herrschendes Paradigma immer wieder von einem neuen verdrängt wird, liegt an der Unfähigkeit des Menschen, eine dermaßen mächtige Denkweise zu entwickeln, die restlos alle Teile und Beziehungen im erforschten Teil der Realität erfassen und erklären könnte. Es handelt sich also um ein Universalproblem, das als solches eigenständig behandelt werden kann und wird. Diese zusätzliche Mühe ist auch deshalb in diesem hauptsächlich wirtschaftstheoretisch ausgerichteten Buch erforderlich, weil sich die Unterschiede zwischen den ökonomischen Paradigmen ohne diese klarstellenden Erläuterungen nicht richtig begreifen lassen. Außerdem bestimmt die Auffassung der allgemeinen Prinzipien einer Ordnung ganz wesentlich praktische Handlungsmöglichkeiten und ihre Erfolge. Zur Begründung und anschaulichen Erklärung der Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels in der Wirtschaftswissenschaft wird im Buch historisch vorgegangen. Das Wichtigste dazu an dieser Stelle kurz vorweg:
Zu der Zeit, als die Wirtschaftswissenschaft entstanden ist, befanden sich die Wissenschaften wie wir sie heute kennen erst in der Entstehung. Ihre einzige Quelle war damals die Philosophie. Auch die ersten ökonomisch interessierten Denker konnten zunächst nicht anders als nur auf diesen philosophischen Grundlagen forschen. Es war übrigens die Zeit als die abendländische Philosophie, nach zwei Jahrtausenden der Stagnation seit der griechischen Antike, große Fortschritte in der Erkenntnistheorie und in der Moralphilosophie erzielte, also der Beginn der Moderne. Wegen dieser philosophisch geprägten Anfänge aller Wissenschaften war es selbstverständlich, dass der ökonomischen Ordnung ganz bestimmte ethische Voraussetzungen zugrunde liegen müssen. Eine „wertfreie“ Wissenschaft wäre für die ersten Ökonomen völlig undenkbar gewesen. Nicht weniger selbstverständlich war für sie auch, dass die Wirtschaftswissenschaft empirisch sein muss. Der empirische Rationalismus war historisch betrachtet ein völlig neuer Ansatz - ein richtiger Paradigmenwechsel - in der Philosophie bzw. in der Erkenntnistheorie, dem sich die Begründer der modernen Wissenschaften verpflichtet haben. Sie folgten also dem empirischen Kriterium der Wahrheit, der sich in der Erkenntnistheorie am Anfang der Moderne durchsetzte und die Wissenschaften, wie wir sie heute kennen, erst möglich machte.
Man ist sich weitgehend einig, dass der theoretische Vordenker und damit quasi Erfinder der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung der schottische Moralphilosoph Adam Smith ist, der im 18. Jahrhundert lebte. Er hat zweifellos eine solche Menge an Pionierarbeit in der Wirtschaftswissenschaft geleistet, dass an seinem Lebenswerk kein Weg vorbeiführt. Während er durch seinen konsequenten Empirismus und Wertebezug die Ökonomie als echte moderne Wissenschaft auf den Weg brachte, haben die ihm nachfolgenden „liberalen“ Ökonomen jedoch bald sowohl seine erkenntnistheoretische als auch seine moraltheoretische Auffassung der Wirtschaftswissenschaft verworfen. Der neue Liberalismus, zuerst als Neoklassik und später als Neoliberalismus benannt, ist prinzipiell ganz anders als der Frühliberalismus von Smith. Die Neoliberalen sind der Auffassung, die Wirtschaftswissenschaft solle „wertfrei“ sein, damit sie „objektiv“ sein könne, wobei „objektiv“ nicht wie bei anderen modernen Wissenschaften bedeuten soll, dass ihre theoretischen Ergebnisse empirisch verifizierbar sein müssen, sondern lediglich logisch und mathematisch „streng“ gedacht und abgeleitet. Dieser Neoliberalismus, der heute den Mainstream in der Wirtschaftswissenschaft stellt, ist somit ein tiefer Rückfall hinter den Stand der Frühmoderne. Diese Abkehr vom ursprünglichen empirischen und wertebezogenen Liberalismus war vor allem ideologisch und schlicht opportunistisch motiviert. Die neoliberalen „Wissenschaftler“ biederten sich der neu entstandenen bürgerlichen Klasse der Geschäftsleute und Bankiers an und formulierten für sie wissenschaftliche „Wahrheiten“, die ihre Macht, Privilegien und Reichtümer theoretisch begründen und ethisch legitimieren sollten. Damit wurde mutwillig und systematisch eine Degeneration der noch jungen Wirtschaftswissenschaft eingeleitet, die dazu führte, dass diese Disziplin heute vom Status einer Wissenschaft im modernen Sinne weit entfernt ist.
Die neuen theoretischen Ansätze, die vor diesem Hintergrund im Laufe der Zeit entwickelt wurden und sich trotzdem liberal nennen, werden in Kapitel 1 in ihren Grundzügen kritisch erörtert, sowohl aus erkenntnistheoretischer bzw. wissenschaftlicher als auch aus moraltheoretischer Sicht. Das Scheitern der aus ihnen abgeleiteten neoliberalen Wirtschaftspolitik ist insbesondere daran klar erkennbar, dass es in der freien Marktwirtschaft, also im real existierenden Kapitalismus, immer wieder zu Konjunkturzusammenbrüchen und -stagnationen kam, die Millionen von Menschen in Not und Armut stürzten. Daher wurden auch nicht marktwirtschaftlich basierte theoretische Ansätze gesucht und entwickelt. Der von Marx ist der bekannteste davon. Diese Ansätze, die im Grunde die freie Konkurrenz und damit die Marktwirtschaft ablehnen, werden hier jedoch nicht behandelt, weil sie alle theoretisch und vor allem auch praktisch keine Lösung der ökonomischen Probleme bieten.
Von den Ansätzen, bei denen die Marktwirtschaft nicht verworfen wird, sondern nachgebessert werden soll, ist der sogenannte nachfragetheoretische der bedeutendste. Hier wird davon ausgegangen, dass die Marktwirtschaft deshalb schlecht funktioniert und periodisch zusammenbricht, weil die Unternehmen ihre Produktion nicht immer absetzen können, was an einem Mangel der hierfür erforderlichen Nachfrage liegt. Die Ursache des Nachfragemangels wurde zunächst in der Geldhortung gesehen. Dieser theoretische Ansatz ist schon bald nach Smith' Tod entstanden (z. B. Von Sismondi oder Malthus). Ein Jahrhundert später wurde er von dem englischen Ökonomen John M. Keynes aufgegriffen und weiterentwickelt. Mit der praktischen Anwendung der keynesschen Theorie wurden in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg große wirtschaftspolitische Erfolge erzielt. Diese drei Jahrzehnte werden sogar als das „Goldene Zeitalter“ des Kapitalismus betrachtet. Es war damals auch die Rede von einem Paradigmenwechsel in der Wirtschaftswissenschaft. In Kapitel 2 wird die Theorie von Keynes und seinen Nachfolgern kritisch erörtert sowie begründet, warum sie trotz ihrer praktischen Erfolge kein Paradigmenwechsel war und damit letztendlich doch scheitern musste. Die Theorie von Keynes war vor allem - oder sogar fast nur - eine partielle Kritik der neoliberalen Theorie und das war ihre größte Schwäche. Kritik allein - wie wichtig und unentbehrlich sie auch sein mag - reicht nämlich nicht, die Wissenschaft weiterzubringen. So wie man es von erfolgreichen Wissenschaften gut kennt, ist die Voraussetzung für einen neuen Durchbruch immer eine neue analytische Grundlage - ein neues Paradigma.
Ein solcher Vorschlag, die Funktionsweise der Marktwirtschaft auf eine analytisch prinzipiell neue Weise zu erklären, wird im Kapitel 3 vorgestellt. Die Marktwirtschaft wird hier als Kreislauf begriffen und modelliert. Die Idee der Wirtschaft als Kreislauf ist zwar an sich schon sehr alt - sie wurde schon im 18. Jahrhundert entwickelt. Aber das vorgestellte neue Kreislaufmodell ist logisch (und mathematisch) anders konzipiert. In seinem analytischen Rahmen wird unter anderem endgültig erklärt und nachgewiesen, wie und wann der Nachfragemangel entsteht. Eine vollständige Darstellung des neuen Kreislaufmodells und eine logisch strenge Erklärung des Nachfragemangels in Form eines Modells aus mathematischen Gleichungen sind in diesem Buch nicht enthalten, sie lassen sich aber von der Website des Autors herunterladen (Für deren Verständnis sind allerdings fortgeschrittene Kenntnisse der Mathematik erforderlich.). Die hieraus entwickelte Erklärung des Nachfragemangels ist prinzipiell anders als die der klassischen Nachfragetheorie und der von Keynes. Es ist berechtigt zu sagen, dass erst diese theoretische Erfassung der Markwirtschaft analytisch ausreichend komplex und umfangreich ist, um wirklich von einem nachfragetheoretischen Paradigma sprechen zu können. In ihm lässt sich unter anderem zeigen, dass die Marktwirtschaft durch ihre eigene Funktionsweise zwangsläufig immer wieder in sich zusammenbricht, und nicht etwa - wie es die neoliberale Theorie behauptet - aufgrund plötzlich gehäuft auftretender Fehlentscheidungen der ansonsten „eigentlich“ immer rationalen Wirtschaftsakteure, auch nicht wegen der (sprichwörtlichen) Willkür und Inkompetenz der Politiker und erst recht nicht deshalb, weil die Kosten der Produktionsfaktoren unangemessen gestiegen sind, insbesondere Löhne und Zinsen. Die Erklärung für die periodischen Zusammenbrüche und vieles andere mehr - dies sei bereits hier hervorgehoben - lässt sich aus der neoliberalen Theorie logisch und mathematisch gar nicht ableiten. Sie wird daher niemals Lösungen für ein besseres Funktionieren der Marktwirtschaft bieten können.
In Kapitel 4, dem letzten von Teil I, wird die Fähigkeit des neuen nachfragetheoretischen Paradigmas unter Beweis gestellt, relevante Tatsachen der Marktwirtschaft, auch bezüglich ihres Entstehens und der historischen Entwicklung, besser erklären zu können als alle anderen Ansätze. Dies bedeutet die Anwendung des empirischen Kriteriums auf die Beurteilung der Qualität des neuen Paradigmas, so wie es in allen exakten Wissenschaften üblich und unerlässlich ist. Eine Theorie gilt dort nämlich erst dann als besser, wenn sie Tatsachen besser erklärt, insbesondere wenn ihr das auch mit zuvor unerklärlichen Tatsachen gelingt. In einer gescheiterten Theorie werden diese als „Paradoxien“ bezeichnet, um schon mit dem Wort zu suggerieren, dass es sich angeblich um irgendwelche Anomalien und Nebenprobleme handelt, obwohl sie alles andere als das sind. Genau so verfahren auch die Vertreter der neoliberalen Theorie. In Kapitel 4 werden - im Rahmen der vorausgegangenen kreislauftheoretischen Analyse - vor allem Antworten und Lösungen solcher „Paradoxien“, also bisher ungelöste ökonomische Fragen und Probleme, vorgestellt.
|
|