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Unabhängig davon, wofür und wie man das Geld ausgibt, muss man es zunächst einmal haben. Nun, woher nimmt der Staat das Geld, um die Nachfrage zu schaffen, sei es präventiv und permanent als auch wenn die Wirtschaft in der Krise geraten ist (diskretionär)? Er kann dazu natürlich seine Einnahmen aus Steuern benutzen. Das wäre für den Fall sinnvoll, wenn die ökonomischen Akteure ihre Einkünfte bzw. das Geld nicht selbst gänzlich verbrauchen wollten. Diese wichtige Annahme der klassischen monetären Nachfragetheorie hat sich jedoch als nicht ganz richtig erwiesen - im Kapitel 2 wurde dazu mehr gesagt. Es mag zwar sein, dass es unter besonderen Umständen plötzlich zur - panikartigen - Geldhortung kommen kann, vor allem wenn die Krise schon ausgebrochen ist. Dann ist es tatsächlich sinnvoll, dass der Staat schnellstmöglich (ad hoc) für Nachfrage sorgt, indem er nicht verbrauchte Einkünfte steuerlich beschlagnahmt und sie als Staatsausgaben dem Markt zuführt. Solange aber die Wirtschaft normal wächst, ist die Geldhortung nicht von Bedeutung und man braucht sie nicht als Problem zu betrachten. Dann braucht der Staat nicht mit Steuern Nachfrage zu schaffen. Das was er damit den Einkommensempfängern abnimmt, würden die Steuerzahler einfach selbst verbrauchen und das Gleichgewicht bliebe genauso erhalten. Diese nachfrageneutrale Wirkung der Besteuerung und der Staatsausgaben wird als crowding-out bezeichnet und diente damals als gewichtiges und wirksames Argument gegen die keynesianische Wirtschaftspolitik. Wie richtig es auch sein mag, solange die Wirtschaft normal wächst, so falsch ist es, wenn sie in die Krise abgestürzt ist.
In diesem Kapitel wird nur der reale Nachfragemangel berücksichtigt. Dieser entsteht wenn die Einkünfte nicht ausreichen, das ganze Angebot zu kaufen - im Kapitel 3 ist das ausreichend erörtert worden. Als solcher hat dieser Nachfragemangel mit Geld nichts zu tun, aber es gilt trotzdem, dass er sich mit Geld beheben lässt. Nicht aber mit dem Steuergeld, sondern mit dem neu geschaffenen Geld, das die Notenbanken „drucken“, also sozusagen „aus dem Nichts“ schaffen und es quasi von außen der Wirtschaft zuführen. Wenn Regelungen für eine solche Geldschöpfung konzipiert werden sollen, dann stellt sich die Frage, wie viel Geld geschaffen werden soll und darf, und wie (auf welche Weise) man es der Wirtschaft zur Verfügung stellt, ohne dass die Preise stark steigen, aber so viel zusätzliche Nachfrage geschaffen wird wie nur möglich. Die Antworten auf diese Fragen suchen wir im paradigmatischen Rahmen der kreislauftheoretischen Analyse. Diese richtig zu begründen setzt gewisse Kenntnisse über das Geld im Allgemeinen und über die Funktionsweise des heutigen Finanzsystems im Besonderen voraus. Deshalb ist es sinnvoll, zuerst das Geld und das heutige Finanzsystem zu erläutern, aber nicht breiter als unbedingt nötig, also ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Es sollen im Folgenden also nur die für uns wichtigen Begriffe erklärt werden.
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Was die Geldschöpfung „aus dem Nichts“ und insbesondere QE betrifft, ist an dieser Stelle noch etwas zu bemerken. Man braucht nicht viel zu überlegen um darauf zu kommen, dass es eigentlich die raffgierige Realwirtschaft ist, die es möglich macht, dass wir überhaupt ein raffgieriges Finanzsystem haben. Sie lässt die Banken und Börsen tun und lassen was sie wollen, derweil diese sich von den Politikern „überreden lassen“, das Geld der Realwirtschaft zu verschenken, um „Arbeitsplätze zu retten“. Der Kapitalismus in dem wir heute leben ist im Grunde immer noch der „alte“ - in dem schon Marx lebte. Das zu übersehen ist besonders peinlich für die Kritiker und Gegner des Kapitalismus und insbesondere für die Bewegungen, die aus der klassischen sozialistischen, kommunistischen und überhaupt linken Tradition hervorgegangen sind. War für sie immer das Kapital bzw. der Kapitalist der Feind, ist es jetzt auf einmal das Geld und das Finanzsystem. Indem sie mit großer Verspätung endlich das Geld theoretisch entdeckt haben, eifern sie gerade der genuin faschistischen Ideologie nach, die über die „raffende Geldwirtschaft“ schimpfte und der „schaffenden Realwirtschaft“ huldigte. Die heutigen Linken und die anderen Gegner und Feinde des Finanzsystems bzw. der Geldschöpfung „aus dem Nichts“ sind also nur insoweit im Recht, als dort einiges geändert werden muss. Die Frage heißt: Aber was?
Es spricht alles dafür, dass man sich schon seit langer Zeit bewusst war, wie leicht sich die Geldschöpfung der Notenbank missbrauchen lässt, weil es schwer oder fast unmöglich ist, sie zu kontrollieren und gesetzlich zu sanktionieren. Und wie man es schon seit langer Zeit von den Menschen kennt, streben sie nach einfachen und groben Lösungen, wenn sie sich ratlos und ohnmächtig fühlen. Das war früher mit den Zinsen so, was heute zum Glück nicht mehr so ist. Zu den einfachen und groben Lösungen für das Problem der Geldschöpfung zählt auch und gerade der Goldstandard, also das bedingungslose Verbot das Geld „aus dem Nichts“ zu schöpfen. Der Goldstandard gehört eigentlich zu den ältesten und hartnäckigsten Irrtümern des ökonomischen Denkens. Auch deshalb, weil es dem gesunden Menschenverstand plausibel zu sein scheint, dass das richtige und gerechte Geld nur durch einen „echten“ und „unvergänglichen“ Wert gedeckt sein muss. Diesen Wert hat man schon immer im Gold gesehen. Aus der Erfahrung ist aber auch gut bekannt, dass man mit dem einfachen Denken nicht weit kommt und bei den groben Methoden das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird. Auch beim Goldstandard hat sich das bestätigt, aber diese Erkenntnis kam erstaunlich spät. Mit dem Angriff auf die Deflation von Fisher wurde der offensichtliche Irrtum von der Geldneutralität zum ersten Mal theoretisch auch von der Angebotsseite angegriffen und damit auch der Goldstandard, wenn auch nur vorsichtig und indirekt. Mit seiner betriebswirtschaftlichen Argumentation gegen die Deflation konnte Fisher damals jedoch nicht viele überzeugen und man kann sich auch gut denken warum. Es ist offensichtlich schwer die Deflation für alles verantwortlich zu machen, wenn die Erfahrung zeigt, dass die Preise bis kurz vor dem Zusammenbruch der Wirtschaft steigen. Sie fallen erst danach, als eine Nebenwirkung der begonnenen Krise. Die Deflation verursacht dann einem nicht kleinen Teil der Unternehmen große Verluste und Schaden (Fisher-Effekt), das ist zwar unbestritten aber viel bedeutet es nicht. Sonst lässt sich mit der Deflation theoretisch nicht viel erklären und erreichen - in der sozusagen „klassischen“ Nachfragetheorie gar nichts. Außerdem war es für die theorietreuen Neoliberalen schwer erträglich zu hören, wie Fisher über den „Tanz des Dollars“ lästert und spottet. Das vermittelte den Eindruck, dass er die freie Preisfindung nicht sehr zu schätzen wusste, die bekanntlich von Anfang an eine heilige Kuh der Neoliberalen war. Für jene, die um die ökonomische Freiheit besorgt waren, war das so befremdlich, dass sie sich für die Gedanken von Fisher nicht mehr ernsthaft interessieren wollten. Außerdem liegt die von ihm befürchtete Deflation, zu der der Goldstandard früher oder später führt, im Interesse nicht weniger gesellschaftlicher Gruppen. Vor allem macht sie Gläubiger bzw. Geldbesitzer ohne jegliche Leistung reicher, indem sie den realen Wert (Kaufkraft) des Geldes erhöht, und zwar auf die Kosten der realen Wirtschaft. Fisher hat in der Tat nie die Mühe gescheut, auf diese ungerechte Umverteilung des produktiven Einkommens zum unproduktiven hinzuweisen, was man wirklich als theoretische Leistung anerkennen muss. Deshalb verwundert es nicht, wenn die Gläubiger immer alles in ihrer Macht stehende unternehmen, um die Deflation bzw. den Goldstandard zu verteidigen. Darüber hinaus ist es nicht einmal so, dass die Deflation für eine Volkswirtschaft global betrachtet unbedingt von Nachteil ist. Sie liegt eigentlich immer im Interesse der exportorientierten Wirtschaft, weil sie automatisch ihre Wettbewerbsfähigkeit erhöht. Erinnern wir uns noch einmal an den deutschen Kanzler Brüning, der damals das Heil gerade in der Deflation suchte, in der Strategie „beggar-my-neighbour“, mit dem bekannten fatalen Ergebnis. Die echte Tragik der Deflation besteht aber vor allem darin, dass sie auch immer die Konsumenten auf ihrer Seite hat, also eine große Mehrheit der Bürger. Nicht nur der reiche Geldbesitzer, der als Sparer durch reale Wertsteigerung des Geldes profitiert, erfreut sich an den Preissenkungen, sondern auch jeder, der mit seinem gerade verdienten Groschen sofort in den Laden rennen muss, um etwas zum Essen zu kaufen. Die größeren Zusammenhänge, dass er wegen der Deflation real weniger verdient oder bald arbeitslos sein wird, leuchten ihm nicht ein.
Der wichtigste und erfolgreichste Kritiker des Goldstandards und der Deflation war bekanntlich Keynes. Ihm ging es aber nicht alleine darum, die Deflation zu verhindern, sondern vor allem darum, dem Staat ökonomische Argumente zu liefern, mit Geldausgaben Nachfrage zu schaffen. Genauere Gedanken darüber, wie viel Geld geschöpft werden sollte und wer es direkt oder indirekt bekommen sollte, hat er sich aber nicht gemacht. Es ist kaum übertrieben zu sagen, dass Keynes jeden staatlichen Geldverbrauch gleich gut fand, egal wofür, und vielleicht sogar angenommen hat, je mehr Geld man ausgeben würde, desto besser sollte es der Wirtschaft gehen - weil das die Nachfrage absichert. Dieser Standpunkt ist folgerichtig, wenn man von der Annahme ausgeht, dass die Nachfrage mehr oder weniger immer fehlt oder zu fehlen droht. Sollten die Staatsausgaben eine dermaßen einfache ökonomische Angelegenheit wären, bräuchte man sich schließlich auch keine großen Gedanken darüber zu machen, wer über die Geldmenge entscheiden soll: Regierungen bzw. Politiker könnten es sozusagen nebenbei erledigen. Sollten sie nach ihrem Gutdünken über die Geldschöpfung entscheiden, ist es angemessen, solches Geld als staatliches Geld zu bezeichnen. Würde der Staat dieses Geld auch noch egalitär verteilen, von den Keynesianern ist das bildhaft als „Helikoptergeld“ immer wieder ins Gespräch gebracht worden, kann man von vergesellschaftetem Geld sprechen. Das war in groben Zügen die praktische Geldpolitik des Keynesianismus. Sie ist unbestimmt bis willkürlich, weil ihr zugrunde liegende monetäre Nachfragetheorie analytisch sehr dünn und schwach ist (Kapitel 2). Aber damit noch nicht genug.
Auch aus einem anderen gewichtigen Grund konnte die von Keynes empfohlene staatliche Geldpolitik in der Praxis wenig erfolgreich sein. Dieser Grund ist im Prinzip derselbe, warum auch die von den Banken bestimmte Geldpolitik und Geldschöpfung in der Praxis schlecht funktioniert. Unabhängig davon, ob die „unabhängige“ Notenbank in der Übereinstimmung mit den Privatbanken (Monetarismus) oder die Regierung sozusagen nach eigenem Gutdünken (Keynesianismus) über das Geld und die Geldschöpfung entscheidet, lässt sich nämlich diese Aufgabe in beiden Fällen praktisch nur durch hierarchische Strukturen bewältigen. In der Sprache der Kybernetik würde man beide Organisationsformen des Finanzsektors und der Geldschöpfung als gesteuerte monetäre Ordnungen bezeichnen. Die Alternative wäre eine geregelte monetäre Ordnung. Dann würden Regelungen bestimmen, wie viel Geld „gedruckt“ werden und wer es direkt oder indirekt bekommen soll. Die eigentliche Aufgabe der Regierungen wäre dann nur, diese Regelungen praktisch einzuführen und ihre Einhaltung zu beaufsichtigen. Bei einer solchen Geldmarktpolitik ließe sich vom demokratischen Geld sprechen. Was daran demokratisch sein kann oder besser gesagt, wann dies der Fall wäre, lässt sich einfacher verstehen, wenn zuerst geklärt wird, wie sich das Geld bzw. die Geldschöpfung regeln lässt.
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Mit Regeln - nicht mit moralischen Appellen und ausgeklügelten Gesetzen - wird man erreichen, dass die Politiker, die immer nur ganz gewöhnliche „unvollkommene Wesen“ sind und bleiben werden, aus ihrem ureigenen Interesse heraus zu Dienstleistern der Bürger und nicht der Machteliten werden. Zugespitzt gesagt, wir werden eine solche Demokratie daran erkennen können, dass die Politiker sich nie mehr als Moralmenschen und Menschenfreunde aufspielen, die aus purem Wohlwollen fürs Volk etwas tun. Wir können von den Volksvertretern so wenig erwarten, dass sie aus reinem Wohlwollen etwas für uns tun, so wie wir auch „nicht von dem Wohlwollen des Fleischers, Brauers oder Bäckers unsere Mahlzeit erwarten, sondern von ihrer Bedachtnahme auf ihr eigenes Interesse“ - um hier die berühmteste Aussage von Smith noch einmal zu zitieren. Er fügt dann noch hinzu: „Nur ein Bettler will lieber ganz vom Wohlwollen seiner Mitbürger abhängen. Und selbst ein Bettler hängt nicht völlig davon ab“. Es sollte Einigkeit darüber bestehen, dass das Volk nicht auf das Niveau eines Bettlers fallen darf. Wie eine auf Regelungen beruhende politische Ordnung konkret funktionieren könnte, ist ein Thema für sich. Wenn in einer Ordnung individuelle Entscheidungen aus Regelungen heraus entstehen und nicht von übergeordneten - delegierten oder nicht delegierten - Instanzen aufgezwungen werden, dann wäre diese Ordnung im Grunde eine echte Demokratie. Die in ihr ausgewählte und angewandte Geldmengenregelung ließe sich dann durchaus als demokratisch bezeichnen und das von ihr geschöpfte Geld „aus dem Nichts“ folglich als das demokratische Geld.
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