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 Schon  immer machten sich die Menschen Gedanken darüber, wie sich die verschiedenen  Aktivitäten der vielen Einzelnen koordinieren lassen, damit die Gesellschaft  trotz vieler gegensätzlicher individueller Interessen und Gesinnungen nicht  auseinanderfällt, sondern so gut wie möglich funktioniert. Dieses Problem, wie  Bestand und Funktion des Ganzen trotz der Antagonismen und Konflikte zwischen  seinen Teilen zu realisieren sind, bezeichnet man in den Sozialwissenschaften  auch als das Problem der Ordnung.  Eine völlig neue Lösung für dieses alte Problem haben die Denker des späten  Mittelalters und der frühen Moderne entwickelt. Die neue Ordnung sollte in  zweierlei Hinsicht ganz anders sein als alle früheren: Zum einen sollten die Menschen mehr individuelle Rechte bekommen,  insbesondere das Recht, eigene Meinungen und Überzeugungen öffentlich zu  bekunden, sowie das Recht, nach eigenem Ermessen und eigenen Möglichkeiten sich  wirtschaftlich zu betätigen. Diese Rechte lassen sich ihrem Sinne nach auch als  Freiheiten bezeichnen, daher bekam die neue Ordnung den Namen freiheitlich oder  liberal. Zum anderen sollte die neue  Ordnung nicht hierarchisch-subordinativ organisiert und gelenkt werden. Dies  sollte vor allem die Güterproduktion effizienter machen. Deswegen eröffnete  diese neue Konzeption der Ordnung die Aussicht auf mehr Wohlstand für alle.  Gerade diese Verheißung entfaltete große Anziehungskraft, so dass der Liberalismus schließlich zur dominanten  geistigen Strömung der Moderne wurde. 
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  Wenn  man die Bezeichnung liberal ganz weit  fasst, lassen sich im liberalen Gedankengut drei historisch aufeinanderfolgende  wirtschaftstheoretische Ansätze oder Denkweisen - heute sagt man dazu  Paradigmen - erkennen: Frühliberalismus, Vulgärliberalismus und Neoliberalismus. Diese schauen wir uns  im Folgenden näher an.  
  Adam  Smith (1723-1790) wird üblicherweise für den Begründer einer neuen Wissenschaft  gehalten, der Wirtschaftswissenschaft, die damals Politische Ökonomie genannt wurde. Ob es ein bisschen übertrieben  ist, lassen wir dahingestellt. Kaum bestreiten lässt sich dagegen, dass er der  Stammvater der Marktwirtschaft ist. Aber auch hier hatte er seine Vorgänger.  Die ersten Befürworter der unbeschränkten Gewerbefreiheit, also die ersten  markttotalitären Ökonomen, waren die französischen Physiokraten. Von ihnen  stammt die bekannte Maxime: laissez  faire, laissez aller. Die Physiokraten, wie schon der Name andeutet, waren  der Überzeugung, die Natur führe von allein zur optimalen sozialen Ordnung (harmonia praestabilita), sofern man das  Wirken ihrer ewigen und unveränderlichen Gesetze nicht behindern würde. Alle  anderen Gesetze, die von verschiedenen politischen Organisationen oder  sonstigen gesellschaftlichen Gruppen stammten, vor allem aber die Gesetze der  Obrigkeit (des Staates), müssten daher als künstlich gelten. Diese Gesetze  wären damit nichts anderes als willkürliche und damit mangelhafte Eingriffe in  das Leben der Menschen. Folglich sollte die Regierung bzw. der Staat sozusagen als  „Nachtwächter“ ausschließlich zum Zwecke des Schutzes dieser angeblich  natürlichen, aber keiner anderen Gesetze auftreten dürfen. Sie konnten aber ihre  Begeisterung für die Natur nicht theoretisch schlüssig und überzeugend  argumentieren. 
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  Die  Physiokraten haben auch Smith zuerst stark beeindruckt und seine Denkweise in  entscheidendem Maße beeinflusst. Er trug sich ursprünglich sogar mit dem  Gedanken, dem Bekanntesten dieser philosophischen Schule, dem - wie er sagt -  „sehr einfallsreichen und tiefschürfenden“ François Quesnay (1694-1774) sein  epochales Buch Wealth of Nations zu  widmen. Später hat er sich das jedoch anders überlegt. Smith bezeichnete zwar  seine Konzeption der Marktwirtschaft als „System  der natürlichen Freiheit“, aber die Freiheit, die er im Allgemeinen meinte,  ist nicht mehr die der Natur innewohnte physiokratische, also eine die aus  irgendwelchen geheimnisvollen kosmischen Gründen eine funktionierende Ordnung  schafft und aufrechterhält. Nicht einmal in der marktwirtschaftlichen Ordnung  hielt Smith die Freiheit für die gestaltende Kraft. Sie wäre nur eine  Voraussetzung, ein konstitutiver Bezugsrahmen für die Marktwirtschaft. Die  gestaltende Kraft in der marktwirtschaftlichen und überhaupt der  gesellschaftlichen Ordnung sollten für Smith Regeln sein. Das „System der natürlichen Freiheit“ war  also im Grunde eine geregelte Ordnung.  Smith war hier seiner Zeit weit voraus und die Idee der freien Konkurrenz und  der Gewerbefreiheit auf wissenschaftliche Grundlagen gestellt. Deshalb kann man  ihn als einen Wegbereiter der Theorie der Regelung betrachten, die erst zwei  Jahrhunderte später als Kybernetik analytisch fest umrissen und ausformuliert  wurde. Sowohl hier als auch in seinen anderen Forschungsbereichen war Smith ein  richtiger Wissenschaftler im modernen Sinne des Wortes bzw. Begriffs  „Wissenschaft“. 
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  Allerdings  funktioniert die Marktwirtschaft nicht ganz so, wie Smith es sich vorstellte.  Ihr ist ein gravierendes Stabilitätsproblem eigen, das sie periodisch  zusammenbrechen lässt. Smith hat dieses Problem nicht gesehen, weil er es nicht  mehr selbst erlebt hat. Auch ein großes Genie ist offensichtlich immer nur ein  Kind seiner Zeit, und die Zeit von Smith war ein Übergang zur industriellen  kapitalbasierten Produktion und zur Marktwirtschaft. Das Versagen der  Marktwirtschaft am Stabilitätsproblem war aber für seine falschen Nachfolger  eine gute Gelegenheit, den regelungstheoretischen Ansatz zu verwerfen und  Erklärung und Rechtfertigung der Marktwirtschaft vollständig auf das Prinzip  der unbeschränkten Freiheit umzustellen. Sie wollten den entstandenen real  existierenden Kapitalismus retten, auch wenn dabei die ursprüngliche Theorie  der Marktwirtschaft geopfert werden musste. Wie bereits angedeutet, sind damit  vor allem die zwei dem ursprünglichen Marktliberalismus folgenden Ansätze  gemeint: der Vulgärliberalismus und der Neoliberalismus. Der erste Ansatz beruhte  auf dem sogenannten Sayschen Gesetz, der zweite auf dem neoklassischen oder  neoliberalen mathematischen Modell des allgemeinen Gleichgewichts. Mit diesen  Schritten hat sich die liberale Theorie der Marktwirtschaft nicht nur von den  ursprünglichen liberalen Werten verabschiedet, sie hat zugleich auch den Weg  der seriösen Wissenschaft verlassen und ist zur Ideologie der neuen Machteliten  geworden. 
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  Die  „Weiterentwicklung“ der liberalen Theorie nach Smith auf der Grundlage des  Sayschen Gesetzes bzw. der plumpen „atomistischen“ Pars-pro-toto-Denkweise war der erste Versuch, die freie  Marktwirtschaft und die freiheitliche Ordnung im Allgemeinen ohne Berufung auf  Gott oder Natur (Physiokraten) zu rechtfertigen und zu legitimieren. Etwa ein  Jahrhundert lang haben die liberalen Theoretiker daran gearbeitet. Ihr Glaube  an das Saysche Gesetz und an die aus ihm folgende Vorstellung über die sich  spontan bildende Ordnung der freien Marktwirtschaft hat zuweilen die Züge des  religiösen Fanatismus getragen. Es ist gar nicht übertrieben zu sagen, dass „nie  ein Schriftsteller mit so geringen Mitteln einen so großen wissenschaftlichen  Terrorismus ausgeübt hat wie J. B. Say; der leiseste Zweifel an der  Unfehlbarkeit seiner Lehre ward mit dem Brandmal des Obskurantismus gebüßt“. Dennoch  hat alles in der Welt irgendwann sein Ende, dessen Ursachen entweder  in den Dingen selbst oder außer ihnen liegen. Als Theoretiker immer  weniger ernst genommen und von den Tatsachen nicht unterstützt, wurden die  Verfechter des Sayschen Gesetzes immer mehr in die Defensive gedrängt, bis sie  in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schließlich aufgaben. Der darauf  folgende zweite Versuch zu erklären, warum und wie die Freiheit spontan  eine gute ökonomische Ordnung schaffen sollte, ist vollständig aus dem Weltbild  der klassischen Mechanik heraus entwickelt. Auch bei dieser Rationalisierung  der liberalen Theorie tat sich ein Franzose, Léon Walras (1834-1910), besonders  hervor. Er war der Erfinder des mathematischen Modells des allgemeinen Gleichgewichts. Die Idee selbst, die  Funktionsweise der Marktwirtschaft mit den analytischen Mitteln der klassischen  Mechanik zu erklären, stammte aber nicht von ihm und war schon damals nicht neu  und originell. Bereits einige französische Ökonomen ein Jahrhundert zuvor,  vornehmlich die schon erwähnten späteren Physiokraten, haben die  wirtschaftliche Ordnung aus dem Blickwinkel der „physischen Gesetze in Bezug  auf die Gesellschaft“ (Dupont de Nemours) betrachtet und die ökonomische Lehre  als „ökonomische Physik“ (Marquis de Mirabeau) verstanden. Walras hat aber  nicht alleine die Idee der klassischen Mechanik, sondern auch ihre  mathematische Methode übernommen, um mit ihr die Funktionsweise der  Marktwirtschaft zu erklären. Das ist wirklich neu und originell an diesem,  zuerst neoklassisch genannten Ansatz.  Später sagte man statt neoklassisch eher neoliberal,  was auch wir fortan tun. 
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  War aber  das Modell der klassischen Mechanik wirklich eine gute analytische Grundlage  für die Analyse und Erklärung der Marktwirtschaft? Das war es nicht. Die  neoklassische oder neoliberale Theorie ist ein „desaster for the progress of economics“,  wie sie John M  Keynes (1883-1946) bezeichnete und zwar aus mehreren Gründen.    →   →   →   Der  eigentliche Grund, warum sich das partikel-mechanische Modell in der klassischen  Physik überhaupt durchsetzen konnte, war seine empirische Gültigkeit und Richtigkeit.  In der neoliberalen Theorie konnte es dagegen keinen Bezug zu empirischen Tatsachen  je unter Beweis stellen und daran wird sich bestimmt nie etwas ändern. Seine  wichtigsten Variablen drücken nämlich Nutzen in verschiedensten Spielarten aus,  der zwar eine empirische Realität ist, aber keine Größe, die sich empirisch  messen lässt. Noch viel schlimmer dabei ist, dass das Gleichgewichtsmodell für  die Erfassung der Marktwirtschaft schrecklich unterkomplex ist. Es ist ein  Blinder, der durch die Realität torkelt und über sie fantasiert. In den Händen  von Ökonomen stürzte also das partikel-mechanische Modell, das von dieser Welt  war, in die dunklen Keller der Theologie und Metaphysik der vormodernen  Epochen, und das zu einem Zeitpunkt als es schien, dass der Geist der  Wissenschaft sich auch in der Wirtschaftswissenschaft endgültig durchgesetzt  hätte.  
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  Die  Gleichgewichtstheorie von Walras und Pareto war aber nur der Anfang einer  langen, bis heute andauernden Gewohnheit bzw. Strategie der neoliberalen Ökonomen,  ihre Theorien in die von den exakten Wissenschaften abgekupferte formale  mathematische Sprache zu bekleiden. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass  die Ökonomen heute mit ihren abstrakten Techniken sogar Ingenieure und  Mathematiker zum Staunen bringen können, aber diese Versuche die  Marktwirtschaft mit ihnen besser zu erklären und gelungene praktische Maßnahmen  herauszuarbeiten, sind alle kläglich gescheitert. Alles von ihnen hat sich als  eine Mimikry erwiesen. Die wissenschaftlichen wertlose oder gar törichten neoliberale  Theorien mathematisch zu formulieren hat keine Fortschritte im  wissenschaftlichen Sinne gebracht, nicht einmal in Bezug auf die noch in Teilen  erzählerisch vorgetragenen Lehren der Frühliberalen, im Gegenteil. Es mag sein,  dass diese Lehren schlicht waren - aus dem heutigen Standpunkt betrachtet -,  sie waren trotzdem schon eine echte Wissenschaft, weil sie streng auf  empirische Tatsachen ausgerichtet waren und epochale praktische Ergebnisse  erbracht haben. Die angeblich aus diesem Erbe hervorgegangene neoklassische oder neoliberale mathematisch sehr komplizierte Markttheorie ist dagegen  nur ein abstraktes Spiel aus stupiden Vereinfachungen und peinlichen  Banalitäten geblieben, aus dem sich nur tautologische Aussagen und  syllogistische Schlussfolgerungen ableiten lassen, die mit der empirischen  Realität nichts zu tun haben. Schließlich ist das neoliberale  Gleichgewichtsmodell bis heute etwas geblieben, was sich nur als „abstrakter  Realismus“ und somit nur als eine „soziologische Phantasie“ (Charles W. Mills)  bezeichnen lässt. Sogar der sogenannte „einfache“ Mensch aus dem Volk ist sich  dessen auf seine Weise bewusst. Er schätzt die neoliberalen Experten und  Meisterdenker folglich nicht besonders, oder er verachtet sie sogar zutiefst,  weil er bei ihnen keine praktischen Ergebnisse erblicken kann. Würde er auch  noch wissen, dass hinter ihren mathematischen und rhetorischen Spektakeln nur  sehr wenige und auch noch sehr abgedroschene Trivialitäten stehen, könnten sich  diese Totengräber der Wirtschaftswissenschaft am nächsten Tag nach Jobs als  Taxifahrer und Hausierer umschauen. „Die Ironie ... ist nicht zu übersehen. Die  Wirtschaftswissenschaft hat von allen Sozialwissenschaften die größte  Annäherung an die Naturwissenschaft erzielt. Diese gilt jedoch nur für die  praktizierten Techniken: Schiebt man den Formalschleier beiseite, so erkennt  man die konservierten Mythen, das Fehlen von Hypothesen mit Informationsgehalt,  die Belanglosigkeit der behandelten Versuche für die Praxis.“ Schließlich wäre  es sogar zu viel der Ehre, diese Theorien mit dem Kaiser ohne Kleidung zu  vergleichen, viel treffender wäre es, von Kleidung ohne Kaiser zu reden.  Deshalb kann es nicht wundern, dass zunächst nur wenige Zeitgenossen von den  neuen mathematisch-physikalischen Methoden der oeconomia pura beeindruckt waren. Ihr Aufstieg begann erst dann,  als den Reichen und Mächtigen klar wurde, wie gut sie sich als wissenschaftlich  verpackte Rechtfertigung für die Ideologie des real existierenden Kapitalismus instrumentalisieren  lässt. Sie haben begriffen, dass es sich bei dieser Theorie um ein in sich  logisch einwandfrei funktionierendes Gedankenspiel handelt, das Mittel zum  Zweck, Weg zum Ziel und Verfahren zum Ergebnis vortäuscht. Von da an förderten  sie sie mit allen erdenklichen Mitteln. 
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   Der Stillstand in einer Wissenschaft kann nur überwunden werden, wenn die Forschung auf neue Annahmen und Muster (axiomatische Basis) gestellt wird - also sich auf eine andere paradigmatische Grundlagen umstellt. Erst dann gelingt es den Wissenschaften, einen völlig neuen Bereich der empirischen Tatsachen zu erschließen. Das nennt man „wissenschaftliche Revolution“ (Kuhn) oder Paradigmenwechsel. Die Wissenschaften machen Fortschritte, also erobern einen neuen Bereich der empirischen Tatsachen erst dann, wenn ein neues Paradigma das alte ersetzt, mit dem das neue aber nicht kommensurabel, also logisch nicht kompatibel ist. In den folgenden Kapiteln wird dazu mehr gesagt. Es wird nicht nur die Notwendigkeit des Paradigmenwechsels im allgemeinen erkenntnistheoretischen Sinne genauer argumentiert und begründet, sondern auch konkret gezeigt, was sich diesbezüglich auch in der Wirtschaftswissenschaft erreichen lässt. Es wird nämlich ein neues Paradigma für die Marktwirtschaft vorgelegt (Kapitel 3), mit dem sich Tatsachen erklären lassen, die sich bisherigen Theorien hartnäckig verweigert haben (Kapitel 4). 
  In diesem Kapitel ging es uns schließlich nur darum, in aller Kürze die wichtigsten theoretischen Ansätze der liberalen Ordnung vorzustellen. Der erste frühliberale ökonomische Ansatz war ein großer wissenschaftlicher Erfolg, die folgenden waren nur Ideologien. Er war auch noch humanistisch konzipiert, den folgenden ging es alleine darum, die Herrschaft der neuen Klasse der Fabrikanten und Bankiers zu rechtfertigen und zu legitimieren. Alle neoliberalen Versuche, die liberale Ordnung mit der Nachahmung der Techniken und Methoden der exakten Wissenschaften zu argumentieren sind schließlich  gescheitert. In den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts kam dann etwas wieder einmal völlig anderes, was als postmodern bezeichnet wird: ein postmoderner Liberalismus. Denkt man über diese Häutungen des Liberalismus nach, kommt schnell eine bekannte Bemerkung von Marx in den Sinn, dass sich die Geschichte immer zweimal wiederholt: Das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce. Der rohe ökonomische Vulgärliberalismus und seine neoliberale mathematische Ausformulierung ist die erste geschichtliche Wiederholung des ursprünglichen Liberalismus: die Tragödie. Die Markt- und Ordnungstheorie ist hier zwar immer noch rational (logisch) aber nicht mehr wissenschaftlich (empirisch) argumentiert und die ursprünglichen humanistischen Versprechungen werden weiterhin geheuchelt, aber aus der Theorie konkret abgeleitete Wirtschaftspolitik dient ganz anderen Zielen. Die sogenannte Postmoderne ist die zweite geschichtliche Wiederholung der liberalen Epoche: die Farce. Wie gerade festgestellt, dem rationale Denken wird die Eignung für die Lösung der noch nichtgelösten praktischen Probleme völlig abgesprochen und die Möglichkeit eines realen Humanismus als naiv und utopisch abgelehnt, mit spitzfindigen Argumenten, die man aus der Metaphysik und Theologie schon längst gut kennt. Ohne Übertreibung lässt sich über diese Entwicklung sagen: „Was der reiche Westen heute feiert, ist der offizielle Tod seiner eigenen Vergangenheit. ... Die Vergangenheit ist mit Schmach und Schande ins Grab gesunken.“ 
  Die postmodernen Rechtfertigung und Legitimierung der liberalen Ordnung, indem sie nicht mehr rational und emanzipatorisch ist, bedeutet im Grunde eine Rückkehr in die vormoderne Zeit. Gerade in Bezug zu Smith wird das besonders auffällig. Der von ihm entworfene ökonomische Liberalismus ist aus den moraltheoretischen und empirischen Überlegungen entstanden, in dem postmodernen Liberalismus will man von moralischen Fortschritten und empirischen Beweisen nichts wissen. Der Liberalismus in dem heutigen real existierenden Kapitalismus ist postethisch und postfaktisch. Der frühliberale Freiheitsbegriff wird ad absurdum geführt. Mit der Berufung auf eigene unveräußerliche individuelle Freihielt hält sich der Liberale nicht nur für berechtigt, sinnliche Daten schlicht nach eigenem Ermessen und Gutdünken zu interpretieren, er erlaubt sich sogar freierfundene Vermutungen der empirischen Wirklichkeit mit den echten als gleichwertig hinzuzufügen oder sogar Unterstellungen und Schmähungen als moralische Fakten aufzustellen. Die gelebte Freiheit wird als ein unveräußerliches Recht auf Beliebigkeit, Arroganz und Rücksichtslosigkeit empfunden, die als solche bei der sich immer weiter vertiefenden sozialen Spaltung fatale Folgen hat.   →   →   →    Ein solcher geistiger Zustand der fabulierten Tatsachendeutungen und der laschen Sitten kennzeichnet eine Zivilisation, die untergeht, so die Historiker und Soziologen: „Eine zu fröhliche Moral ist eine laxe Moral, die nur zu den Völkern in der Dekadenz paßt und nur da findet man sie. Das Leben ist oft rauh, enttäuschend oder leer.“ Das hat man zuletzt beim Zusammenbruch des christlichen Mittelalters erlebt und davor bei dem Untergang des römischen Imperiums. Das Leben mit immer mehr Unterwerfung und Entbehrung zerstört das Vertrauen in die Mitmenschen, sowie in die Gesellschaft und in den Staat insbesondere. Das führt zu existenziellen Ängsten, die sich zuerst als Aggressionen der Einzelnen den Nächsten gegenüber entladen und dann allmählich in Rebellionen und Revolutionen übergehen. Vieles spricht dafür, dass uns solche Zustände unmittelbar bevorstehen. Ob dadurch nur andere Menschen zur Macht gelangen werden oder ob sie zu einer neuen Ordnung führen werden, lässt sich nicht vorhersagen. Das wird durch das Erscheinen und Durchdringen von neuen Ideen über eine bessere Ordnung entschieden. Und da sind wir wieder bei Keynes. Es waren seine neuen ökonomischen Ideen, die den westlichen Kapitalismus nach der Großen Depression positiv verändert und humanisiert haben. Nach etwa drei Jahrzehnten ging jedoch diese Epoche zu Ende. Wir wollen sowohl wissen warum sie vorerst so erstaunlich erfolgreich war als auch warum sie unterging. 
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