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Wenn die Aufklärung erwähnt wird, kommen uns meistens die industrielle Revolution und die Entwicklung der Naturwissenschaften in den Sinn. Warum gerade das, ist unschwer zu erraten. Die praktischen Erfolge der Naturwissenschaften sind heute überall bemerkbar und sie sind überwältigend. Das beeindruckt heute umso mehr, wenn man bedenkt, dass all diese Erfolge kaum mehr als zwei Jahrhunderte alt sind. Macht man sich die Mühe und sucht nach älteren Erkenntnissen und Entdeckungen, die zu den Forschungsbereichen der modernen Naturwissenschaften gehören, findet man nämlich nur das Hebelgesetz, das optische Gesetz der offensichtlichen Reflexion und das Gesetz des Auftriebs von Archimedes. Das sind allesamt einfache Gesetze, auf die man sozusagen mit der Nase stoßen musste. Nichts spricht dafür, dass die Menschen früherer Zeiten überhaupt das Bedürfnis hatten, Näheres über die materielle Welt zu erfahren, also die Gesetze zu entdecken, wie die Natur aufgebaut ist und wie sie funktioniert.
Die Erfolge der Naturwissenschaften sind es, die uns leider schnell vergessen lassen, dass deren Entstehen selbst eine Folge der anderen damaligen großen Errungenschaften des menschlichen Geistes war, nämlich denen der Philosophie. Sie wurde im späten Mittelalter, also nach vielen Jahrhunderten der Stagnation, von neuen Ideen durchdrungen, vor allem in der Erkenntnistheorie und der Ethik. Gerade diese Fortschritte sind es gewesen, die eine geistige Wende herbeigeführt und eine historisch einzigartige Stimmung - den Zeitgeist - erzeugt haben, woraus sich dann die Wissenschaften, wie wir sie heute kennen, entwickeln konnten. Einen solchen geistigen Umbruch gab es in der ganzen Geschichte der Menschheit wahrscheinlich niemals sonst, eventuell nur beim Übergang von der primitiven Lebensweise in die Zivilisation, aber darüber wissen wir nichts Genaues. Während der Epoche der Aufklärung wurden alle wichtigen Weichen in Richtung „moderne Welt“ gestellt, nicht nur für die empirischen Methoden bzw. Wissenschaften und den technischen Fortschritt. Erst seitdem spricht man auch von menschlicher Vervollkommnung, Gleichheit, individueller Freiheit, Gemeinwohl und universalen Menschenrechten, um nur das Wichtigste zu erwähnen. Zu den größten Errungenschaften der Moderne bzw. der Aufklärung gehört auch die Idee der geregelten Ordnung. Um sie richtig zu verstehen, ist es unerlässlich, zuerst über die Quellen der neuen Denkweise der Moderne etwas mehr zu sagen, weil sie erst in diesem Kontext begreifbar ist.
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Die modernen Philosophen und Denker waren sich sehr wohl bewusst, dass ihre neue Auffassung von den Affekten zu einer Vision der politischen und gesellschaftlichen Ordnung führt, die sich von den vormodernen Vorstellungen völlig unterscheidet. Den Unterschied bzw. den Gegensatz zwischen der alten politischen Praxis und der neuen Vision hat bereits Spinoza im Politischen Traktat ohne Umschweife formuliert: „Ein Staatswesen, dessen Heil von der Gewissenhaftigkeit eines Menschen abhängt und dessen Geschäfte nur dann gehörig besorgt werden können, wenn die, denen sie obliegen, gewissenhaft handeln, ein solches Staatswesen kann nicht von Bestand sein. Seine öffentlichen Angelegenheiten müssen vielmehr, damit es bestehen kann, so geordnet sein, daß die mit ihrer Verwaltung Betrauten überhaupt nicht in die Lage kommen können, gewissenlos zu sein oder schlecht zu handeln, ganz einerlei, ob sie der Vernunft oder dem Affekte folgen.“ Für eine bessere Ordnung, so Hobbes, „gibt es keinen anderen Weg als diesen: erstens muß man Prinzipien zu Fundamenten nehmen, die der Egoismus sich arglos gefallen läßt und nicht von vornherein zu zerstören trachtet; ferner gilt es dann, auf diesem Fundament Sätze in betreff der Einzelfälle … in das Gesetz der Natur einzubauen, bis das Ganze als eine uneinnehmbare Festung sich darstellt“. Bei einer guten Organisation des Staates, so Kant später in seiner kleinen Schrift Zum ewigen Frieden, käme es darauf an, „jene ihre Kräfte so gegen einander zu richten, daß eine die anderen in ihrer zerstörenden Wirkung aufhält, oder diese aufhebt: so daß der Erfolg für die Vernunft so ausfällt, als wenn beide gar nicht da wären, und so der Mensch, wenn gleich nicht ein moralisch-guter Mensch, dennoch ein guter Bürger zu sein gezwungen wird“. Kant verstärkt diese Aussage noch mit einer Metapher, die jedem, der eine solche Denkweise nicht gewohnt ist, den Atem verschlägt: „Das Problem der Staatserrichtung ist, so hart wie es auch klingt, selbst für ein Volk von Teufeln (wenn sie nur Verstand haben), auflösbar und lautet so: ,Eine Menge von vernünftigen Wesen, die insgesamt allgemeine Gesetze für ihre Erhaltung verlangen, deren jedes aber in Geheim sich davon auszunehmen geneigt ist, so zu ordnen und ihre Verfassung einzurichten, daß, obgleich sie in ihren Privatgesinnungen einander entgegen streben, diese einander doch so aufhalten, daß in ihrem öffentlichen Verhalten der Erfolg eben derselbe ist, als ob sie keine solche böse Gesinnungen hätten‘. Ein solches Problem muß auflöslich sein.“ Ja, es muss! Wir stehen heute immer noch in der Pflicht den großen Denkern der frühen Moderne gegenüber.
Diese neue Vision der Ordnung war bestimmt keine „freiheitliche Ordnung“, aber hinsichtlich - oder sogar vor allem wegen - der individuellen Freiheit, die sie möglich macht, ist sie zweifellos faszinierend. Ließen sich nämlich die bösen Affekte nutzbar machen oder gegenseitig neutralisieren, hätte jeder Teilnehmer einer solchen Ordnung das Gefühl, das tun zu dürfen und zu können, wofür er sich spontan entschieden hat, obwohl er eigentlich von der Organisation der Gesellschaft dazu gebracht wird. Jeder würde sich in seinem Leben frei fühlen, obwohl es nur den Anschein hätte. Man kann ein solches Gefühl der Freiheit nur begrüßen, auch wenn es genau genommen nur darum ginge, dass sich „die Menschen ihres Wollens bewusst und der Ursachen, von denen sie bestimmt werden, unbewusst sind“, wie es Spinoza ausdrückte. Das war der Grund, warum Spinoza und auch die großen Denker der frühen Moderne und der Aufklärung die Freiheit an sich nicht zu den wichtigen Werten zählten.
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Die heutigen Liberalen tun so, als ob die Theorie der marktwirtschaftlichen Ordnung nie etwas von Regeln wissen wollte. Auch über die Auffassungen von Smith wird ausführlich berichtet, ohne auch nur anzudeuten, dass die Marktwirtschaft bei ihm eine Ordnung war, in der Regeln die individuellen Handlungen der Menschen bestimmen und kanalisieren sollten. Es wird jedoch nie versäumt, die berühmte Metapher von der „unsichtbaren Hand“ des Marktes zu erwähnen, obwohl diese von Smith nur je ein einziges Mal in seinen beiden großen Werken erwähnt wird. Das Wort „Regel“ steht dagegen an zahlreichen Stellen in seinen Schriften, und das nicht nur nebenbei. Wir haben im ersten Kapitel erwähnt, dass Regeln für Smith sogar so etwas wie „Gesetze der Gottheit“ waren. Das ist zwar ein Lob auf die Regeln vom Feinsten, aber ihre Erklärung ist das sicherlich nicht. Smith hatte keine. Eine solche konnte damals keiner geben. Die Idee der geregelten Ordnung selbst war damals noch zu jung und zu originell, zudem stammte sie nicht von Smith selbst. Er hat sie nur auf die ökonomische Ordnung angewandt. Erwähnen wir jetzt kurz die wichtigsten Denker, denen er gefolgt ist bzw. folgen konnte.
Manches spricht dafür, dass es wahrscheinlich Hume war, der Smith von der „Notwendigkeit von Regeln überall dort, wo Menschen irgendeinen Umgang miteinander pflegen“, überzeugt hat. „Ohne Regeln kann man nicht einmal auf der Straße aneinander vorbei. Fuhrleute, Kutscher und Postillione haben Grundsätze, nach denen sie ausweichen; und diese beruhen hauptsächlich auf gegenseitiger Erleichterung und Bequemlichkeit“ - so Hume. Seine Schriften las Smith schon heimlich, als sie noch verboten waren, und er blieb sein ganzes Leben lang ein Bewunderer und Freund von ihm. Auch Hume sieht einen wesentlichen Unterschied zwischen Gesetzen und Regeln. Bei seiner Untersuchung der sozialen Unterschiede stellt er zum Beispiel fest, dass „alle bürgerlichen Gesetze allgemein sind ... und zum großen Teil, wenn auch nicht durchweg, unberechenbar und willkürlich. ... Sie berauben ohne Bedenken einen wohltätigen Menschen seines gesamten Besitzes, um es einem selbstsüchtigen Geizhals zu übertragen, der schon ungeheure Mengen überflüssigen Reichtums angehäuft hat. Der öffentliche Nutzen verlangt, dass Besitzverhältnisse durch allgemeine, unveränderliche Regeln bestimmt werden“. Wir können aber schon ahnen, dass uns auch Hume nichts Bestimmtes über die Regeln sagt und worin sie sich von Gesetzen unterscheiden.
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Nun können wir es wagen, eine abschließende Erklärung zu geben, warum es den Denkern und Philosophen vom Anfang der Moderne nicht gelungen ist, eine Theorie der Regelung zu entwickeln - nicht einmal zu begründen. Ihre spezielle Theorie der Affekte war schon eine wichtige Voraussetzung für eine solche umfassendere Theorie, ein klarer Begriff von der Rückkopplung hat da aber gefehlt. Sie sind sozusagen auf halbem Weg zu einer allgemeinen Theorie der geregelten kybernetischen Ordnung stecken geblieben. Aber was sie erreicht haben, war zweifellos eine hervorragende Leistung, eine Errungenschaft, die aus mehreren Gründen erstaunlich ist: Erstens, weil sie sensationell früh erfolgte, also zu einer Zeit, als die modernen Wissenschaften noch in den Kinderschuhen steckten. Zweitens, weil sie der Beschäftigung mit den elementarsten psychologischen und sozialen Problemen entsprang. Drittens, weil sie mit minimalem Einsatz von vergleichsweise einfachen Methoden und ohne Mathematik erreicht wurde. Und viertens - um dem Ganzen die Krone aufzusetzen -, weil es sich um den ersten Versuch in der Geschichte handelt, eine wissenschaftliche Alternative zur hierarchisch und zentralistisch gelenkten bzw. gesteuerten sozialen Ordnung zu entwickeln. Smith hat sogar, trotz des ganz dünnen theoretischen Fundaments, eine neue ökonomische Ordnung entworfen, die auf den Prinzipien der Regelung beruht. Die von ihm entworfene Konzeption der ökonomischen Ordnung, die durch ihre Regelungen bzw. Verhaltensregeln gekennzeichnet ist, wird im nächsten Kapitel ausführlich vorgestellt und erörtert. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei den ordnungstheoretischen Grundlagen dieser Konzeption gewidmet, unter der Berücksichtigung dessen, was in diesem Kapitel über die Regelung gesagt ist. Es wird genau erklärt und argumentiert, warum die Marktwirtschaft im Sinne von Smith eine geregelte und keine freiheitliche Ordnung ist.
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