|
Ein großes prinzipielles Problem der Überprüfung des neoliberalen Modells des „allgemeinen Gleichgewichts“ von Walras ist also darin zu sehen, dass es keine praktisch anwendbaren Rechenwerte liefern kann, weil die empirischen Größen, auf die sich seine mathematischen Variablen beziehen, nicht messbar sind. Wegen seiner mathematischen Konsistenz folgen aber aus ihm logisch zwingend bestimmte allgemeine Schlussfolgerungen oder einfacher gesagt charakteristische Aussagen. Sie lassen sich gewissermaßen praktisch überprüfen, deshalb sagen auch sie über die empirische Relevanz des neoliberalen Stammmodells und damit auch über seine wissenschaftliche Richtigkeit aus. Zu seinen bei Weitem wichtigsten charakteristischen Aussagen gehören zwei: „Eine freie Marktwirtschaft strebt spontan immer zum Gleichgewicht“ und „Die Kosten bestimmen das Niveau des Wachstums und der Beschäftigung.“ Diese Aussagen haben sich aber schon immer als empirisch falsch erwiesen.
→ → →
Das im vorigen Kapitel entworfene Kreislaufmodell ist paradigmatisch ein andres als das neoliberale. → → → Dort wurde festgestellt, dass ein Ungleichgewicht auf zweierlei Weise entsteht. → → → Der zweite Fall ist ungefährlich, gewissermaßen sogar wünschenswert. → → → Das ist ein Zustand, in dem die Wirtschaft sowohl robust als auch flexibel ist. Die Unternehmen können auch Fehler machen, aber die so entstandenen strukturellen Verzerrungen (Disproportionalitäten) verhindern die Wirtschaft makroökonomisch dennoch nicht, zum Gleichgewicht schnell und problemlos zurückzukehren. Das ist vor allem dann der Fall, wenn die Preise und die Produktivität (durch Innovationen) steigen. Daraus lässt sich schlussfolgern, oder anders gesagt die erste allgemeine oder charakteristische Aussage ableiten (deduzieren), dass diese zwei Größen in der Wirklichkeit mit der Konjunktur positiv korrelieren müssen, und zwar in allen vier Phasen des ökonomischen Zyklus. Der Fall der steigenden Preise und Produktivität, wenn die Wirtschaft mit der Nachfrage kein Problem hat und das Gleichgewicht sich spontan bildet, sollte für die Wirtschaft im Aufschwung und bei der Hochkonjunktur gelten. Es gibt in der Tat genug wirtschaftsstatistische Datenquellen sowie Datenreihen für lange historische Zeitabschnitte, die sich auf diese Größen beziehen, mit denen sich diese charakteristische Aussage empirisch prüfen lässt.
Des Weiteren wurde auch festgestellt, dass während des Aufschwungs und bei der Hochkonjunktur auch das Wachstum selbst zur Schaffung der Nachfrage beiträgt. Es lässt sich hier von einer günstig wirkenden Rückkoppelung sprechen: das Wachstum schafft die Nachfrage und die Nachfrage schiebt das Wachstum an. Die freie Marktwirtschaft kann schließlich mehrere Jahre problemlos wachsen, aber dann schlittert sie zwangsläufig in einen Zustand, in dem sich eine Nachfragelücke öffnet. Dann führen dieselben inneren Prozesse der freien Marktwirtschaft nicht mehr zur Beseitigung des Nachfragemangels und zum Gleichgewicht, sondern zu immer größerem Nachfragemangel und damit zwangsläufig zum Zusammenbruch der ganzen Wirtschaft. Die günstige Rückkoppelung verkehrt sich in eine ungünstige. In diesem Zustand, was man als die zweite charakteristische Aussage der kreislauftheoretischen Analyse betrachten kann, fallen die Preise, die Wirtschaft wächst nicht oder sie schrumpft sogar und sie wird immer weniger produktiv. Da das Kreislaufmodell - auf seiner höchsten abstrakten Stufe - keine Faktoren kennt, die diesen Trend unterbrechen würden, lässt sich daraus eine weitere dritte charakteristische Aussage ableiten, dass nämlich eine freie Marktwirtschaft die Krise spontan nicht überwinden und auf den Wachstumspfad zurückkehren kann.
Mit diesen Aussagen werden wir im Folgenden die empirische Relevanz der kreislauftheoretischen Analyse und letztendlich auch der realen Nachfragetheorie im Allgemeinen unter Beweis stellen. Mit der letzteren aus ihr abgeleiteten charakteristischen Aussage werden wir zuerst die Tatsache erklären, warum die Marktwirtschaft historisch so lange nicht entstehen konnte. Danach wird die Dynamik bzw. die ökonomischen Zyklen erklärt und noch einiges mehr von dem, was die neoliberale Theorie immer noch nicht imstande ist zu erklären und was sie als „Paradoxe“ bezeichnet. Und das wird sich erreichen lassen, indem wir nur die gerade angeführten charakteristischen Aussagen der kreislauftheoretischen Analyse benutzen werden, also ohne Hilfe irgendwelcher Ad-hoc-Hypothesen. Auch der Lieblingsfaktor der neoliberalen Erklärung der Marktwirtschaft, der Faktor „Kosten“ wird nicht benötigt, im Gegenteil. Wir werden sogar zeigen, dass die wichtigste charakteristische Aussage der neoliberalen Modelle, nämlich die der angeblich nur positiven Effekte der Kostensenkung - die sich empirisch immer als falsch erwiesen hat - im Rahmen der kreislauftheoretischen Analyse nur als eine logisch unmögliche und damit falsche Schlussfolgerung gelten kann. Hier prallen offensichtlich zwei prinzipiell unterschiedliche logische Welten gegeneinander. Es handelt sich also wirklich um zwei selbständige Paradigmen, die als solche nicht kommensurabel oder kompatibel sind. Von ihren logisch unterschiedlichen Standpunkten müssen sie schließlich auch die Welt der Tatsachen grundsätzlich anders sehen.
|
|